Entscheidungsdatum: 26.10.2015
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des 1. Senats des Sächsischen Anwaltsgerichtshofs vom 27. Februar 2015 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.
Der Kläger ist ein im Bezirk der Beklagten zugelassener Rechtsanwalt. Mit Bescheid vom 7. Oktober 2013 erteilte die Beklagte dem Kläger einen belehrenden Hinweis wegen eines Pflichtverstoßes gegen § 12 BORA. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Kanzlei des Klägers wurde im Winter 2012/2013 von den Eheleuten A. mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen bezüglich eines Mietverhältnisses mit der S. GmbH beauftragt. Für letztere hatte sich Rechtsanwalt Dr. Sch. als anwaltlicher Vertreter angezeigt. Die Korrespondenz zwischen den anwaltlichen Vertretern beider Parteien erfolgte bis Ende 2012 / Anfang 2013.
Zwischen den Eheleuten A. und der S. GmbH wurden weitere Gespräche geführt. Mit Schreiben vom 22. März 2013 wurden die Eheleute A. von der S. GmbH wegen eines zwischenzeitlich aufgelaufenen Mietrückstands gemahnt und zur Zahlung des Fehlbetrags aufgefordert. Zudem wurde ihnen mitgeteilt, dass ab dem 1. April 2013 eine Miete von nunmehr 332 € von ihrem Konto abgebucht werde. Dem wurde von der Kanzlei des Klägers in einem direkt an die S. GmbH gesandten Schreiben vom 28. März 2013 widersprochen. Das Schreiben wurde von Rechtsanwältin M. unterzeichnet. Des Weiteren wurde ein Faksimile Stempel mit der Unterschrift des Klägers aufgebracht. Zugleich wurde ein Schreiben an Rechtsanwalt Dr. Sch. versandt, mit dem auf den bisherigen Sach- und Streitstand eingegangen wurde. Das direkt an die S. GmbH versandte Schreiben vom 28. März 2013 wurde nicht erwähnt.
Daraufhin rügte Rechtsanwalt Dr. Sch. gegenüber der Beklagten das Verhalten der Kanzlei des Klägers. Nach Anhörung des Klägers belehrte die Beklagte den Kläger mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 7. Oktober 2013, dass jede Kontaktaufnahme mit dem in einem Verfahren anwaltlich vertretenen gegnerischen Mandanten zu unterbleiben habe und eine unmittelbare Kontaktaufnahme nur dann gerechtfertigt sei, wenn dem eigenen Mandanten wesentliche wirtschaftliche Nachteile drohten. Dies gelte auch dann, wenn eine inhaltliche Bearbeitung des Mandates durch den Mitunterzeichner nicht erfolgt sei.
Gegen die ihm am 8. Oktober 2013 zugestellte Belehrung vom 7. Oktober 2013 hat der Kläger fristgerecht Klage erhoben. Der Anwaltsgerichtshof hat die Klage abgewiesen (AnwBl. 2015, 525). Mit seiner vom Anwaltsgerichtshof zugelassenen Berufung begehrt der Kläger weiterhin die Aufhebung des Bescheides vom 7. Oktober 2013. Er ist der Auffassung, ein Verstoß gegen § 12 BORA könne nur bei vorsätzlicher Verletzung des Umgehungsverbots geahndet werden. Ihm sei weder das konkrete Mandat noch die Existenz des streitgegenständlichen Schreibens bekannt gewesen. Er habe somit auch nicht gewusst, dass der Gegner von einem Anwalt vertreten werde. Eine etwaige Pflichtwidrigkeit von Rechtsanwältin M. sei für ihn nicht vorhersehbar gewesen.
Ein schuldhaftes Handeln könne auch nicht aus seinem per Faksimile-Stempel aufgebrachten Schriftzug hergeleitet werden. Es sei an alle Mitarbeiter der Kanzlei eine ausdrückliche Vorgabe zur Handhabung des Stempels erfolgt. Alle Mitarbeiter seien über das Umgehungsverbot gemäß § 12 BORA belehrt worden. Damit habe er dem Missbrauch vorgebeugt. Ein Fehlverhalten des sachbearbeitenden Anwalts sei ihm nicht vorwerfbar. Allein das Inverkehrbringen des Faksimile-Stempels stelle keine Fahrlässigkeit dar. Da ein solcher Stempel weder den Formerfordernissen des § 130 Nr. 6 ZPO noch denen einer persönlichen Unterzeichnung genüge, sei seine missbräuchliche Anwendung faktisch ausgeschlossen. Zur Wahrung der Schriftform würden alle Schreiben vom sachbearbeitenden Rechtsanwalt unterzeichnet. Der Faksimile-Stempel werde nur zusätzlich aufgebracht.
Die Beklagte vertritt die Auffassung, die Frage der Wirksamkeit rechtsgeschäftlicher oder prozessualer Erklärungen sei nicht entscheidend. Sanktioniert werde jede Art der Kontaktaufnahme unter Umgehung des Gegenanwalts. Es komme nicht darauf an, ob der Kläger über den Verfahrensablauf informiert gewesen sei. Durch das Zur-Verfügung-Stellen des Faksimile-Stempels habe er die Möglichkeit für einen Verstoß gegen das Umgehungsverbot geschaffen und dies zumindest stillschweigend gebilligt. Ein Berufsrechtsverstoß könne auch fahrlässig begangen werden. Der Faksimile-Stempel solle den Eindruck höchstpersönlicher Bearbeitung durch den Kläger erwecken. Dieser habe im Einzelfall Sorge dafür zu tragen, dass die mit seinem Faksimile-Stempel versehenen Schreiben den berufsrechtlichen Vorschriften entsprächen. Ein Delegieren auf Dritte, auch unter Verwendung von Handlungsanweisungen, verbiete sich. Geschehe dies trotzdem, habe sich der Rechtsanwalt deren Handeln wie eigenes zurechnen zu lassen.
Die Berufung ist nach § 112e Satz 1 BRAO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 2, 3 VwGO). Sie bleibt jedoch ohne Erfolg.
I.
Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 112a Abs. 1, § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 42 VwGO) statthaft. Nach § 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO obliegt es dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer, die Kammermitglieder in Fragen der Berufspflichten zu beraten und zu belehren. Gemäß § 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO hat er die Erfüllung der den Kammermitgliedern obliegenden Pflichten zu überwachen und das Recht der Rüge zu handhaben. Stellt der Vorstand einer Rechtsanwaltskammer in Wahrnehmung seiner Aufgaben fest, dass sich ein Rechtsanwalt berufswidrig verhalten hat, so kann er diesen auf die Rechtsauffassung der Kammer hinweisen und über den Inhalt seiner Berufspflichten belehren; er kann ihm auch aufgeben, das beanstandete Verhalten zu unterlassen. Erteilt der Vorstand der Rechtsanwaltskammer einem Kammermitglied eine derartige missbilligende Belehrung, so stellt diese eine hoheitliche Maßnahme dar, die geeignet ist, den Rechtsanwalt in seinen Rechten zu beeinträchtigen; als solche ist sie anfechtbar (BGH, Beschluss vom 25. November 2002 - AnwZ (B) 41/02, BGHZ 153, 61, 62 f.; BGH, Urteile vom 6. Juli 2015 - AnwZ (Brfg) 24/14, juris Rn. 11 und vom 23. April 2012 - AnwZ (Brfg) 35/11, NJW 2012, 3039 Rn. 5).
Der Anwaltsgerichtshof hat die Klage mit zutreffenden Gründen abgewiesen. Das im Bescheid der Beklagten vom 7. Oktober 2013 beschriebene Verhalten des Klägers verstieß gegen § 12 Abs. 1 BORA.
1. Der Anwaltsgerichtshof ist zu Recht davon ausgegangen, dass mit dem an die S. GmbH gerichteten Schreiben der Kanzlei des Klägers vom 28. März 2013 unter Verstoß gegen § 12 Abs. 1 BORA unmittelbar mit einem Beteiligten im Sinne der vorgenannten Vorschrift Verbindung aufgenommen wurde. Hiergegen wendet sich der Kläger nicht.
2. Das Schreiben vom 28. März 2013 ist, wie der Anwaltsgerichtshof ebenfalls zutreffend erkannt hat, als unmittelbare Kontaktaufnahme (auch) durch den Kläger anzusehen, d.h. ihm als eine solche Kontaktaufnahme zuzurechnen.
Zur Beantwortung der Frage, ob einem Rechtsanwalt ein bestimmtes, unmittelbar an die Gegenpartei gerichtetes Anwaltsschreiben zuzurechnen ist, ist der Schutzzweck des § 12 BORA heranzuziehen. Das Umgehungsverbot dient vorrangig dem Schutz des gegnerischen Mandanten. Hat dieser zur Wahrung seiner Rechte die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts für notwendig erachtet, so soll er davor geschützt sein, bei direkter Kontaktaufnahme durch den Rechtsanwalt der Gegenseite wegen fehlender eigener Rechtskenntnisse und mangels rechtlicher Beratung übervorteilt zu werden. Mit diesem Schutz vor Überrumpelung dient die Regelung einem fairen Verfahren und damit dem Gemeinwohlinteresse an einer geordneten Rechtspflege (BVerfG, NJW 2009, 829 Rn. 48; NJW 2001, 3325, 3326; BGH, Urteile vom 6. Juli 2015 aaO Rn. 15 und vom 8. Februar 2011 - VI ZR 311/09, NJW 2011, 1005 Rn. 6; Thümmel, NJW 2011, 1850, 1851; Böhnlein in Feuerich/Weyland, BRAO, 8. Aufl., § 12 BORA Rn. 1 mwN).
Der vorrangig dem Schutz des gegnerischen Mandanten dienende Zweck des Umgehungsverbots nach § 12 BORA gebietet es, bei der Zurechnung eines gegen § 12 BORA verstoßenden Anwaltsschreibens maßgeblich auf den Empfängerhorizont der - im Augenblick der Kenntnisnahme nicht anwaltlich beratenen - Gegenpartei abzustellen. Nicht maßgebend ist dagegen, ob das Anwaltsschreiben den Formerfordernissen des § 130 Nr. 6 ZPO oder den Voraussetzungen einer persönlichen Unterzeichnung genügt. Entscheidend ist vielmehr, ob aus Sicht der Gegenpartei das unter Verstoß gegen § 12 BORA an sie gerichtete Anwaltsschreiben einem bestimmten Rechtsanwalt zugerechnet werden kann. Hierzu genügte vorliegend, wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend ausgeführt hat, die Anbringung eines Faksimile-Stempels, der die Unterschrift des Klägers nachbildete. Denn für die S. GmbH als Adressatin des Schreibens vom 28. März 2013 war nicht erkennbar, dass der Kläger an der Bearbeitung nicht beteiligt war. Sie musste im Gegenteil aufgrund des Faksimile-Stempels davon ausgehen, dass der Kläger der (Mit-)Verfasser des Schreibens war und dieses ihr mit seinem Einverständnis übermittelt wurde.
3. Der Kläger hat auch schuldhaft gegen § 12 BORA verstoßen.
a) Ein Verstoß gegen § 12 BORA kann fahrlässig begangen werden (AnwG Köln, AnwBl. 2010, 134, 136; Böhnlein in Feuerich/Weyland aaO § 12 BORA Rn. 10; Kleine-Cosack, BRAO, 7. Aufl., § 12 BORA Rn. 13; a.A. Hartung in Hartung, BORA/FAO, 5. Aufl., § 12 Rn. 27). Die Verletzung des Umgehungsverbots des § 12 BORA stellt einen wesentlichen Verstoß gegen anwaltliches Berufsrecht dar (Zuck in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 12 BORA Rn. 30; Hartung aaO Rn. 28; AnwG Köln aaO). Es ist kein Grund ersichtlich, den Schuldvorwurf auf vorsätzliches Handeln zu beschränken. Vielmehr genügt - wie bei der Verletzung anderer Berufspflichten - jedes schuldhafte Handeln und damit auch Fahrlässigkeit.
b) Der Kläger hat, wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend erkannt hat, fahrlässig gehandelt, indem er eine Anweisung dahingehend erteilt beziehungsweise es bewusst zugelassen hat, dass auf eine große Anzahl von ausgehenden Schreiben ein seinen Unterschriftenzug tragender Faksimile-Stempel aufgebracht wurde, ohne dass er selbst diese Schreiben zur Kenntnis nahm und auf die Einhaltung des Umgehungsverbots nach § 12 BORA überprüfte. Die von ihm ergriffenen Maßnahmen genügen nicht den Anforderungen, die an die von ihm zur Vermeidung eines Verstoßes gegen § 12 BORA zu beobachtende Sorgfalt zu stellen sind.
Die Sorgfalt, die im Hinblick auf die Vermeidung eines anwaltlichen Pflichtverstoßes anzuwenden ist, bestimmt sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls und insbesondere danach, ob durch ein vorangegangenes Verhalten des Rechtsanwalts eine gewisse Wahrscheinlichkeit oder Gefahr eines solchen Pflichtverstoßes begründet worden ist. Vorliegend ist durch die Anweisung beziehungsweise das Einverständnis des Klägers betreffend die Anbringung des Faksimile-Stempels auf einer sehr großen Anzahl von ausgehenden Schreiben die Wahrscheinlichkeit maßgeblich erhöht worden, dass Verstöße gegen das Umgehungsverbot nach § 12 BORA (auch) ihm zuzurechnen sind. Die vom Kläger getroffenen organisatorischen Anweisungen entlasten ihn nicht.
aa) Dies gilt zunächst insoweit, als allen Mitarbeitern der Kanzlei vorgegeben wurde, dass kein Schreiben ausschließlich mit einem Faksimile-Stempel versehen werden darf und jedes Schreiben rechts neben dem Faksimile-Stempel des Klägers die Unterschrift des sachbearbeitenden Rechtsanwalts zu tragen hat. Der Senat verkennt nicht, dass hierdurch der sachbearbeitende Rechtsanwalt der Pflicht zur (Mit-)Prüfung unterworfen wird, ob die gegnerische Partei anwaltlich vertreten wird und das Umgehungsverbot des § 12 BORA zu beachten ist. Die Einrichtung einer solchen zweifachen "Unterschrift" in der Kanzlei des Klägers ist von einer - allerdings kaum vorstellbaren - Kanzleiorganisation zu unterscheiden, die den Versand von ausschließlich mit einer Faksimile-Unterschrift versehenen, durch keinen Rechtsanwalt abschließend geprüften Schreiben zulässt und hierdurch eine besonders hohe Gefahr von Verstößen gegen berufsrechtliche Pflichten hervorruft.
Es ist indes gerade das vom Kläger eingerichtete beziehungsweise mit seinem Einverständnis eingerichtete System der - scheinbar - zweifachen anwaltlichen Unterzeichnung ausgehender Schreiben, das die ihn persönlich treffende Pflicht zur Prüfung von Verstößen gegen das Umgehungsverbot nach § 12 BORA begründet. Mit der Unterzeichnung - mit Ausnahme einfacher Mahnschreiben - aller ausgehenden Schreiben durch zwei Rechtsanwälte einschließlich des Klägers als Namensgeber der Rechtsanwaltskanzlei wird gegenüber den Adressaten der Schreiben der Eindruck einer persönlichen Bearbeitung durch beide Rechtsanwälte und damit der Eindruck einer mit erhöhter fachlicher Kompetenz erfolgten Bearbeitung hervorgerufen. Mag die Anbringung eines Faksimile-Stempels auch nicht - wie ausgeführt - den Formerfordernissen des § 130 Nr. 6 ZPO oder den Voraussetzungen einer persönlichen Unterzeichnung genügen, so übernimmt der Kläger damit doch die (Mit-)Verantwortung für derart gestempelte Schreiben und für die Einhaltung der mit ihnen einher gehenden berufsrechtlichen Pflichten. Der durch den Faksimile-Stempel gesetzte Schein einer persönlichen Bearbeitung und Prüfung ist mit einer völligen Verantwortungs- und Pflichtenfreiheit des Klägers für das betreffende Schreiben unvereinbar. Vielmehr begründet der auf Anweisung oder mit Einverständnis des Klägers angebrachte Faksimile-Stempel grundsätzlich die Pflicht des Klägers zur persönlichen Prüfung der Einhaltung aller mit dem entsprechenden Schreiben in Zusammenhang stehenden berufsrechtlichen Pflichten.
bb) Auch hat der Kläger nicht dadurch den ihn treffenden Sorgfaltspflichten genügt, dass alle Mitarbeiter über das Umgehungsverbot gemäß § 12 BORA belehrt und angewiesen wurden sicherzustellen, dass gegnerische Rechtsanwälte in die bestehenden Dateisysteme aufgenommen werden, und dass Sorge dafür zu tragen ist, dass die weitere Kommunikation mit der Gegenseite ausschließlich über den gegnerischen Rechtsanwalt ausgeführt wird. In Folge der Anbringung des Faksimile-Stempels auf seine Anweisung oder mit seinem Einverständnis übernahm der Kläger die (Mit-)Verantwortung für die gestempelten Schreiben. Ihn traf in Bezug auf diese Schreiben daher die persönliche, nicht delegierbare Pflicht der Einhaltung des berufsrechtlichen Umgehungsverbots nach § 12 BORA und zur entsprechenden Prüfung der Schreiben.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 1, 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 52 Abs. 2 GKG.
Limperg König Remmert
Martini Kau