Entscheidungsdatum: 10.10.2011
Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des 2. Senats des Hessischen Anwaltsgerichtshofs vom 2. November 2009 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 25. Mai 2010 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und dem Antragsteller die ihm im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.
I.
Der Antragsteller ist seit dem Jahr 1996 als Rechtsanwalt zugelassen. Zum 1. Januar 2008 nahm er eine Tätigkeit als Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer zu D. , einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, auf. Von dieser erhielt er schon im Vorfeld eine - zunächst auf drei Jahre befristete - Nebentätigkeitsgenehmigung zur Ausübung des Anwaltsberufs. Mit Bescheid vom 5. Januar 2009 widerrief die Antragsgegnerin die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft wegen Unvereinbarkeit seiner Geschäftsführertätigkeit mit dem Beruf eines Rechtsanwalts (§ 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO). Diesen Bescheid hat der Anwaltsgerichtshof auf den hiergegen gerichteten Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung aufgehoben. Dagegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer sofortigen Beschwerde.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 215 Abs. 3 BRAO, § 42 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 BRAO a.F.), hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Der Anwaltsgerichtshof hat den Widerrufsbescheid der Antragsgegnerin zu Recht aufgehoben, denn die vom Antragsteller ausgeübte Tätigkeit als Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer zu D. ist in ihrer konkreten Ausgestaltung mit dem Anwaltsberuf vereinbar.
1. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt eine Tätigkeit ausübt, die mit seinem Beruf, insbesondere seiner Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege nicht vereinbar ist oder das Vertrauen in seine Unabhängigkeit gefährden kann; dies gilt nicht, wenn der Widerruf für ihn eine unzumutbare Härte bedeuten würde. Diese Regelung greift in die Freiheit der Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG) ein, die grundsätzlich auch das Recht umfasst, mehrere Berufe zu wählen und nebeneinander auszuüben (BVerfGE 87, 287, 316). Das Ziel dieser verfassungsrechtlich unbedenklichen Regelung besteht unter anderem darin, im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege das Erscheinungsbild einer von staatlichen Einflüssen freien Advokatur zu schützen, indem die beruflichen Sphären der Anwaltschaft und des öffentlichen Dienstes deutlich getrennt werden (BVerfGE, aaO 324; BVerfG, NJW 2009, 3710, 3711; BGH, Beschluss vom 8. Februar 2010 - AnwZ (B) 9/09, juris Rn. 5). Der Rechtsanwalt soll als unabhängiger Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten (§§ 1, 3 Abs. 1, § 43a Abs. 1 BRAO) frei sein von Abhängigkeiten jeglicher Art; hierzu gehört auch die äußere Unabhängigkeit vom Staat (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Oktober 2003 - AnwZ (B) 79/02, NJW 2004, 212 unter II 2 a m.w.N.).
Nicht jede Anstellung im öffentlichen Dienst ist jedoch mit dem Berufsbild einer unabhängigen Advokatur unvereinbar. Für die Betroffenen ist die mit § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO verbundene Beschränkung ihrer verfassungsrechtlich verbürgten Berufswahlfreiheit nur dann zumutbar, wenn der Unvereinbarkeitsgrundsatz nicht starr gehandhabt wird (st. Rspr.; vgl. etwa BVerfGE, aaO 324; BVerfG, aaO; Senatsbeschlüsse vom 8. Februar 2010 - AnwZ (B) 9/09, aaO; vom 25. Februar 2008 - AnwZ (B) 23/07, BGHZ 175, 316 Rn. 4; vom 26. Mai 2003 - AnwZ (B) 50/02, BGHReport 2003, 1379 unter II 1). Erforderlich ist daher eine Einzelfallprüfung, die der Vielgestaltigkeit der Anforderungen und Dienstleistungen im breit gefächerten öffentlichen Dienst gerecht wird (st. Rspr.; vgl. etwa BVerfGE, aaO S. 324 f.; Senatsbeschlüsse vom 8. Februar 2010 - AnwZ (B) 9/09, aaO; vom 25. Februar 2008 - AnwZ (B) 23/07, aaO m.w.N.; vom 26. November 2007 - AnwZ (B) 99/06, NJW-RR 2008, 793 Rn. 4). Eine Unvereinbarkeit des Anwaltsberufs mit der Tätigkeit im öffentlichen Dienst kann somit nur dann angenommen werden, wenn zumindest die Möglichkeit besteht, dass aus Sicht des rechtsuchenden Publikums die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts durch Bindungen an den Staat beeinträchtigt ist (BVerfGE, aaO; BVerfG, NJW 2009 aaO; Senatsbeschluss vom 8. Februar 2010 - AnwZ (B) 9/09, aaO).
2. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts kann - auch ohne konkreten Interessenkonflikt - allein schon wegen der Art der neben dem Anwaltsberuf gleichzeitig ausgeübten öffentlichen Aufgaben erschüttert werden (vgl. BVerfG, aaO S. 3711 f.; Senatsbeschlüsse vom 25. Februar 2008 - AnwZ (B) 23/07, aaO Rn. 5; vom 26. Mai 2003 - AnwZ (B) 50/02, aaO). Die Belange der Rechtspflege sind auch dann gefährdet, wenn bei den Rechtsuchenden die Vorstellung entstehen kann, der Rechtsanwalt könne wegen seiner "Staatsnähe" mehr für seine Mandanten bewirken als andere Rechtsanwälte (vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 8. Februar 2010 - AnwZ (B) 9/09, aaO; vom 26. November 2007 - AnwZ (B) 99/06, aaO; vom 26. Mai 2003 - AnwZ (B) 50/02, aaO). Ob derartige Gefahren bestehen, ist anhand der konkreten Ausgestaltung des Beschäftigungsverhältnisses und der ausgeübten Tätigkeit zu prüfen und kann insbesondere dann zu bejahen sein, wenn der Rechtsanwalt in seinem Zweitberuf hoheitlich tätig wird (vgl. BVerfG, aaO; Senatsbeschlüsse vom 8. Februar 2010 - AnwZ (B) 9/09, aaO; vom 25. Februar 2008 - AnwZ (B) 23/07, aaO; vom 26. November 2007 - AnwZ (B) 99/06, aaO Rn. 6; vom 26. Mai 2003 - AnwZ (B) 50/02, aaO). Dabei sind sowohl der Aufgabenbereich der Körperschaft, bei welcher der Rechtsanwalt angestellt ist, als auch deren Bedeutung im Bereich der Niederlassung des Rechtsanwalts zu berücksichtigen (Senatsbeschlüsse vom 25. Februar 2008 - AnwZ (B) 23/07, aaO; vom 26. Mai 2003 - AnwZ (B) 50/02, aaO; vom 14. Februar 2000 - AnwZ (B) 9/99, NJW 2000, 3004 unter II 1; jeweils m.w.N.).
3. Bei der Beurteilung, ob eine als Zweitberuf im öffentlichen Dienst ausgeübte Tätigkeit mit dem Berufsbild eines unabhängigen Anwalts vereinbar ist, sind darüber hinaus die Vorgaben zu beachten, die der Gerichtshof der Europäischen Union der Regelung in Art. 8 der Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und Rates vom 16. Februar 1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde (ABl. EG Nr. L 77 S. 36; im Folgenden: Niederlassungsrichtlinie), auch hinsichtlich der im Inland unter ihrer hier erworbenen Berufsbezeichnung tätigen Rechtsanwälte entnommen hat (EuGH, Urteil vom 2. Dezember 2010 - C 225/09, NJW 2011, 1199 - Jakubowska). Nach Art. 8 der Niederlassungsrichtlinie kann der im Aufnahmestaat unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung eingetragene Rechtsanwalt als abhängig Beschäftigter eines anderen Rechtsanwalts, eines Zusammenschlusses von Anwälten oder einer Anwaltssozietät oder eines öffentlichen oder privaten Unternehmens tätig sein, wenn der Aufnahmestaat dies für die unter der Berufsbezeichnung dieses Mitgliedstaats eingetragenen Rechtsanwälte gestattet.
a) Diese Regelung soll nicht nur eine Gleichstellung zugewanderter Rechtsanwälte, die im Aufnahmestaat unter der Berufsbezeichnung ihres Herkunftslands praktizieren, mit inländischen Rechtsanwälten gewährleisten, sondern auch sicherstellen, dass letztere keine umgekehrte Diskriminierung erleiden, zu der es kommen könnte, wenn die für sie geltenden Regeln nicht auch für Rechtsanwälte gälten, die im Aufnahmestaat unter einer in einem anderen Mitgliedstaats erworbenen Berufsbezeichnung tätig werden (EuGH, aaO Rn. 31 - Jakubowska). In sachlicher Hinsicht bezieht sich Art. 8 der Niederlassungsrichtlinie nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auf sämtliche Regeln, die der Aufnahmestaat eingeführt hat, um Interessenskonflikte zu verhindern, die sich daraus ergeben können, dass der Rechtsanwalt einerseits in das Verzeichnis der Anwaltskammer eingetragen ist und andererseits von einem anderen Rechtsanwalt, einem Zusammenschluss von Anwälten, einer Anwaltssozietät oder einem öffentlichen oder privaten Unternehmen beschäftigt wird (EuGH, aaO Rn. 59 - Jakubowska). Seine Vorgaben gelten daher auch für nationale Bestimmungen, die die gleichzeitige Ausübung des Anwaltsberufs und einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst verhindern sollen (EuGH, aaO Rn. 60, 63 - Jakubowska).
b) Aus diesem Verständnis des Art. 8 der Niederlassungsrichtlinie hat der Gerichtshof der Europäischen Union abgeleitet, dass es dem jeweiligen Mitgliedstaat an sich freisteht, den dort eingetragenen und - in Vollzeit oder in Teilzeit - von einem anderen Rechtsanwalt, einem Zusammenschluss von Anwälten, einer Anwaltssozietät oder in einem öffentlichen oder privaten Unternehmen beschäftigten Rechtsanwälten Beschränkungen hinsichtlich der gleichzeitigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs und solchen Beschäftigungen aufzuerlegen. Er hat aber weiter ausgeführt, dass entsprechende Beschränkungen für alle in diesem Mitgliedstaat eingetragenen Rechtsanwälte zu gelten haben und nicht über das zur Erreichung des Ziels der Verhinderung von Interessenkonflikten Erforderliche hinausgehen dürfen (EuGH, aaO Rn. 64 - Jakubowska). Damit ist auch aus europarechtlicher Sicht die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gefordert (vgl. auch EuGH, aaO Rn. 61 - Jakubowska).
4. Gemessen an den vom Senat aufgestellten Grundsätzen sowie unter Beachtung des sowohl aus verfassungsrechtlicher als auch aus europarechtlicher Sicht bedeutsamen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erweist sich die vom Antragsteller ausgeübte Tätigkeit als Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer zu D. angesichts des in einem anderen Bundesland liegenden Kanzleisitzes des Antragstellers und seines konkreten Tätigkeitszuschnitts als Leiter der Abteilung "Recht, Steuern, Zentrale Dienste" als mit dem Beruf eines Rechtsanwalts vereinbar.
a) Der Senat hat zwar in früheren Entscheidungen die Tätigkeit eines Geschäftsführers einer Industrie- und Handelskammer als mit dem Anwaltsberuf regelmäßig unvereinbar angesehen (Senatsbeschlüsse vom 6. November 1961 - AnwZ (B) 32/61, BGHZ 36, 71, 72 ff.; vom 4. Januar 1968 - AnwZ (B) 11/67, BGHZ 49, 238, 240 ff.; vgl. ferner Beschluss vom 17. Januar 1977 - AnwZ (B) 21/76, BGHZ 68, 59, 60 f. [stellvertretender Geschäftsführer]). Dabei hat er jedoch nicht die teilweise hoheitliche Natur der einer Industrie- und Handelskammer zugewiesenen Aufgaben für ausschlaggebend erachtet (vgl. Senatsbeschluss vom 6. November 1961 - AnwZ (B) 32/61, aaO S. 74), sondern maßgeblich auf deren Inhalt abgestellt. In den erstgenannten zwei Fällen lag der entscheidende Gesichtspunkt für den Senat in einem möglichen Interessenwiderstreit zwischen der einer Industrie- und Handelskammer obliegenden Verpflichtung zur Erstattung unparteiischer Gerichtsgutachten und der Wahrnehmung von - unter Umständen gegenläufigen - Mandanteninteressen (Senatsbeschlüsse vom 6. November 1961 - AnwZ (B) 32/61, aaO S. 74 ff.; vom 4. Januar 1968 - AnwZ (B) 11/67, aaO S. 241 ff.). Im dritten Fall hat der Senat entscheidend auf die Pflichtenkollisionen abgestellt, die sich bei einem Tätigwerden in der Abteilung "Berufsausbildung" und der gleichzeitigen Ausübung des Anwaltsberufs ergeben können (Senatsbeschluss vom 17. Januar 1977 - AnwZ (B) 21/76, aaO).
b) Vorliegend steht bei näherer Betrachtung weder wegen der teilweise hoheitlichen Aufgabenstellung der Industrie- und Handelskammer noch wegen des Inhalts der dem Antragsteller übertragenen Aufgaben ernsthaft zu befürchten, dass die gleichzeitige Ausübung von Anwaltsberuf und Geschäftsführertätigkeit die Unabhängigkeit des Antragstellers als Rechtsanwalt oder das Vertrauen der Rechtsuchenden darin beeinträchtigt.
aa) Der Antragsteller hat die Aufgabenverteilung innerhalb der Industrie- und Handelskammer zu D. und deren Organisationsstruktur im Einzelnen beschrieben und belegt. Die Industrie- und Handelskammer zu D. unterhält sechs Abteilungen, die jeweils von einem Geschäftsführer beziehungsweise vom Hauptgeschäftsführer geleitet werden. Ausweislich des vorgelegten Geschäftsverteilungsplans (Stand: 1. Januar 2009) ist der Antragsteller Leiter der Abteilung V "Recht, Steuern, Zentrale Dienste". Hierzu gehören die Referate "Recht, Steuern, Handelsregister, Sachverständigenwesen" (5.1), Personal (5.2), Finanzwesen (5.3) und Interne Dienstleistungen (5.4). Dem Referat 5.1 sind die "Wettbewerbseinigungsstelle" sowie die "Mediations- und Schlichtungsstelle zur Beilegung kaufmännischer Streitigkeiten" angegliedert.
Nach den unwiderlegten Angaben des Antragsstellers bestehen die ihm danach übertragenen Aufgaben im Wesentlichen in der Beratung der Hauptgeschäftsführung bei kammerspezifischen Rechtsfragen, in der Leitung der Personalabteilung und der Bearbeitung der dabei auftretenden arbeitsrechtlichen Fragen, in der Beratung der Beteiligungsgesellschaften der Industrie- und Handelskammer zu D. in steuerlichen und gesellschaftsrechtlichen Fragen, in der Beratung von Mitgliedsunternehmen bei rechtlichen Fragen aus den Bereichen Gewerbe-, Wettbewerbs-, Arbeits-, Handels- und Gesellschaftsrecht, im selbständigen Erarbeiten von Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben, in der Betreuung des Sachverständigenwesens (Vorbereitung der öffentlichen Bestellung und Vereidigung), in der Erarbeitung und Prüfung von Verträgen und sonstigen betriebsrelevanten Rechtsfragen einschließlich der notwendigen Vorbereitungsprozesse und in der Betreuung des Rechts- und Steuer- und Finanzausschusses der Industrie- und Handelskammer zu D. .
Neben dem Antragsteller und den vier weiteren Geschäftsführern ist ein Hauptgeschäftsführer bestellt, der nach § 7.2 der Satzung der Industrie- und Handelskammer zu D. die Geschäfte der laufenden Verwaltung führt und der nach § 7.3 zusammen mit dem Präsidenten die Kammer rechtsgeschäftlich und gerichtlich vertritt. Zur Vertretung des Hauptgeschäftsführers ist nicht der Antragsteller, sondern der Leiter der Abteilung III "berufliche Bildung" berufen.
bb) Bei den dem Antragsteller übertragenen Aufgabenbereichen lässt sich bei objektiver Betrachtung eine zum Widerruf der Zulassung führende Unvereinbarkeit mit dem Berufsbild eines Anwalts nicht feststellen. Der Antragsteller nimmt keine hoheitlichen Tätigkeiten mit Außenwirkung wahr, die schon aufgrund ihrer Rechtsnatur zu einer Unvereinbarkeit von Geschäftsführertätigkeit und Anwaltsberuf führen würden. Einem sich aus dem inhaltlichen Zuschnitt seiner Aufgaben in Einzelfällen möglicherweise ergebenden Interessenwiderstreit zwischen den Belangen der Industrie- und Handelskammer und seinen Mandanten lässt sich in Anbetracht der besonderen Umstände des Einzelfalls mit milderen Mitteln als durch einen Zulassungswiderruf begegnen.
(1) Der Antragsteller ist nicht in der unmittelbaren Staatsverwaltung tätig. Er ist zwar als Mitarbeiter der Industrie- und Handelskammer zu D. , einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (vgl. § 3 Abs. 1 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern vom 18. Dezember 1956 - BGBl. I S. 920; IHKG) Angestellter des öffentlichen Dienstes (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 6. November 1961 - AnwZ (B) 32/61, aaO S. 72). Die Kammer nimmt aber - soweit ihr als Selbstverwaltungseinrichtung auch die Erfüllung öffentlicher oder gar hoheitlicher Aufgaben übertragen ist (vgl. BVerfG, BRAK-Mitt. 2002, 40, 42) - diese nur in mittelbarer Staatsverwaltung wahr. § 1 IHKG weist den Industrie- und Handelskammern Aufgaben in der Wirtschaftsförderung zu. Dabei werden die Aufgabenkomplexe "Vertretung der gewerblichen Wirtschaft gegenüber dem Staat" und "Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben auf wirtschaftlichem Gebiet" miteinander verwoben. An die Stelle einer reinen Interessensvertretung durch private Verbände tritt die Vertretung des Gesamtinteresses der gewerblichen Wirtschaft mit der im Vordergrund stehenden Aufgabe, die Staatsorgane zu beraten (BVerfGE 15, 235, 241 f.; BVerfG, BRAK-Mitt. 2002, 40, 43). Auch wenn es sich hierbei um öffentliche Aufgaben handelt, besteht die Tätigkeit der Industrie- und Handelskammern zugleich in der Wahrnehmung der Interessen der Mitglieder und der Förderung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit (BVerfG, aaO). Letztlich ist die wirtschaftliche Selbstverwaltung der Industrie- und Handelskammern durch eine Verbindung von Interessenvertretung, Förderung und Verwaltungsaufgaben geprägt (vgl. BVerfG, aaO). Sie nimmt daher nur teilweise öffentliche oder gar hoheitliche Funktionen wahr (zur teilweisen hoheitlichen Natur der Aufgaben einer Industrie- und Handelskammer vgl. BVerfGE 15, 235, 242).
(2) In den öffentlichen Aufgabenbereich der Industrie- und Handelskammer ist der Antragsteller zwar als Leiter der Abteilung "Recht, Steuern, Zentrale Dienste" eingebunden. Nicht alle ihm übertragenen Aufgaben sind jedoch hoheitlicher Natur, also solche, in denen gegenüber Kammerangehörigen oder sonstigen Personen kraft hoheitlicher Befugnisse verbindliche Maßnahmen mit Außenwirkung getroffen werden. Dies gilt zunächst für die Tätigkeitsbereiche, in denen sich der Antragsteller als rein interner Berater des Hauptgeschäftsführers oder anderer Organe der Kammer betätigt. Zu den kammerinternen Angelegenheiten zählen weiter die Leitung der Personalabteilung und die Bearbeitung der damit zusammenhängenden arbeitsrechtlichen Fragen sowie die Erarbeitung und Prüfung von Verträgen und sonstigen betriebsrelevanten Rechtsfragen. Auch die dem Antragsteller obliegende organisatorische und administrative Betreuung ("Geschäftsführung") der von der Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer gebildeten Rechts-, Steuer- und Finanzausschüsse (vgl. § 6.1 und § 6.2 der Satzung) ist als kammerinterne Betätigung zu werten. Der Antragsteller ist weder Mitglied in diesen Ausschüssen noch steht ihm ein Stimmrecht zu. Er ist lediglich neben dem Hauptgeschäftsführer befugt, eine Ausschusssitzung anzuberaumen, die Tagesordnung festzulegen und die Sitzung einzuberufen (§ 6 der Geschäftsordnung der Ausschüsse). Bei Meinungsverschiedenheiten über die Anberaumung der Sitzung und die Tagesordnung entscheidet der Kammerpräsident. Die beschriebenen Aufgaben des Antragstellers erschöpfen sich in internen Unterstützungstätigkeiten ohne sachliche Entscheidungsbefugnisse und stellen damit dessen Unabhängigkeit als Rechtsanwalt und das Vertrauen der Rechtsuchenden in deren Bestand nicht in Frage (vgl. Senatsbeschluss vom 25. Februar 2008 - AnwZ (B) 23/07, aaO Rn. 10).
Auch die Beratung der Beteiligungsgesellschaften der Industrie- und Handelskammer in steuerlichen und gesellschaftsrechtlichen Fragen und die Beratung der Mitgliedsunternehmen in rechtlichen Fragen aus den Bereichen Gewerbe-, Wettbewerbs-, Arbeits-, Handels- und Gesellschaftsrecht sind nicht als hoheitliche Tätigkeiten einzuordnen. Hierbei handelt es sich zwar um keine kammerinternen Aufgabengebiete. Gleichwohl ist diese Beratungstätigkeit nicht mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse verbunden. Soweit der Senat demgegenüber bei einem Geschäftsführer einer öffentlichen Berufsvertretungskammer die Beratung der Mitglieder als hoheitliche Tätigkeit eingeordnet hat, beruhte dies auf dem Umstand, dass die Aufgabe dieser Berufsvertretung und damit auch die Beratungstätigkeit ihres Geschäftsführers vor allem darin bestand, die Erfüllung der den Mitgliedern obliegenden Berufspflichten zu überwachen, und dem Geschäftsführer zudem die Repräsentation der Berufsvertretung nach außen oblag (vgl. Senatsbeschluss vom 26. Mai 2003 - AnwZ (B) 50/02, aaO unter II 2, 3). Vorliegend geht es aber bei der Beratung von Mitgliedern und Beteiligungsgesellschaften nicht darum, diese (mit hoheitlichen Mitteln) zur Einhaltung öffentlich-rechtlicher Berufspflichten anzuhalten, sondern deren wirtschaftliche Tätigkeit durch eine entsprechende rechtliche Beratung zu unterstützen. Weder nach Natur noch nach Zielsetzung dieser Tätigkeiten handelt es sich um die Ausübung hoheitlicher Befugnisse oder Pflichten. Vielmehr ist diese Betätigung mit juristischen Beratungen durch private Interessenverbände vergleichbar.
Die Erarbeitung von Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben und die Erstattung von Gutachten oder die Erteilung von Auskünften gegenüber Gerichten und Behörden sind ebenfalls nicht hoheitlicher Natur. Der Antragsteller oder seine Mitarbeiter werden hierbei zwar in Erfüllung öffentlich-rechtlicher Aufgaben der Industrie- und Handelskammer tätig. Es handelt sich aber nicht um die Ausübung hoheitlicher Maßnahmen gegenüber entscheidungsunterworfenen Personen.
(3) Andere der Abteilung des Antragstellers übertragene Betätigungsfelder sind dagegen dem hoheitlichen Aufgabenbereich der Industrie- und Handelskammer zuzuordnen. Hierbei handelt es sich um die Gebiete des Sachverständigenwesens, des Registerrechts, des Schlichtungs- und des Versicherungsvermittlerwesens sowie der Beitragsverwaltung. Die Besonderheit im vorliegenden Fall besteht aber darin, dass der Antragsteller in diesen Bereichen nicht als Entscheidungsträger nach außen in Erscheinung tritt, weswegen er aus Sicht des rechtsuchenden Publikums an der Wahrnehmung dieser Aufgaben nicht in maßgeblicher Weise beteiligt ist (vgl. zur Maßgeblichkeit der Repräsentation nach außen Senatsbeschlüsse vom 26. Mai 2003 - AnwZ (B) 50/02, aaO unter II 3; vom 8. Februar 2010 - AnwZ (B) 9/09, aaO Rn. 9). Auch die räumliche Distanz von Kammersitz und Kanzleiort - dieser ist etwa 170 km vom Sitz der Kammer entfernt und liegt in einem anderen Bundesland - trägt zur Trennung der beruflichen Sphären der Anwalts- und Geschäftsführertätigkeiten des Antragstellers bei.
(aa) Die Kammer wird von ihrem Hauptgeschäftsführer und ihrem Präsidenten nach außen rechtsgeschäftlich und gerichtlich vertreten (§ 7.3 der Satzung). In deren Namen werden auch die Beitragsbescheide erlassen. Die Bestellung und Vereidigung der öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen und der Widerruf der Bestellung erfolgen nach dem unwiderlegten Vorbringen des Antragstellers ausschließlich durch den Präsidenten der Kammer. Die wettbewerbliche Einigungsstelle und die Mediations- und Schlichtungsstelle sind zwar laut Geschäftsverteilungsplan organisatorisch an die Abteilung des Antragstellers angegliedert. Diese nimmt auf deren Sachentscheidungen jedoch keinen Einfluss. Auch nach außen treten diese Einrichtungen als eigenständige Organisationen in Erscheinung.
(bb) Soweit in Beitragsangelegenheiten oder auf den Gebieten des Registerrechts (§ 380 FamFG; früher § 126 FGG) und des Versicherungsvermittlerwesens (vgl. etwa § 34d GewO) von der Abteilung des Antragstellers hoheitliche Entscheidungen zu treffen sind, werden diese Aufgaben von geschulten und selbst zeichnungsberechtigten Mitarbeitern des Antragstellers selbständig erledigt. Der Antragsteller hält sich als Abteilungsleiter und damit als fachlich weisungsbefugter Vorgesetzter (Dienstvorgesetzter aller Mitarbeiter ist der Hauptgeschäftsführer - vgl. § 7.5 der Satzung) der ihm nachgeordneten Mitarbeiter im Hintergrund. Dies gilt zunächst für das Beitragswesen, in dem ein Widerspruchsverfahren aufgrund landesrechtlicher Besonderheiten nicht stattfindet. Beanstandungen der Mitglieder werden von den unterzeichnungsberechtigten Mitarbeitern bearbeitet. Diese Handhabung findet sich auch im Versicherungsvermittlerwesen und im Firmen- und Registerrecht. Im Bereich des Sachverständigenwesens ist die Abteilung des Antragstellers dagegen ohnehin nur in die Vorbereitung der öffentlichen Bestellung und Vereidigung von Sachverständigen eingebunden. Bei den notwendigen Vorprüfungstätigkeiten nehmen weder der Antragsteller noch seine Mitarbeiter hoheitliche Befugnisse wahr (vgl. Senatsbeschluss vom 25. Februar 2008 - AnwZ (B) 23/07, aaO Rn. 10).
(cc) Soweit die Abteilung des Antragstellers hoheitlich tätig wird (Beitrags- und Versicherungsvermittlerwesen, Firmen- und Registerrecht), trägt er zwar die Verantwortung für die ordnungsgemäße Erfüllung dieser Aufgaben durch die nachgeordneten Mitarbeiter. Er wirkt aber am Zustandekommen hoheitlicher Maßnahmen nicht unmittelbar mit (vgl. zu diesem Gesichtspunkt BVerfG, NJW 2009, 3710, 3712). Die Bearbeitung dieser Angelegenheiten ist zeichnungsberechtigten Mitarbeitern zugewiesen. Von seiner Weisungsbefugnis macht der Antragsteller nur in der Form Gebrauch, dass er seine Mitarbeiter im Bedarfsfalle intern berät, um zusammen mit diesen eine einvernehmliche Lösung zu finden. Angesichts dieser Aufgabenverteilung und der beschriebenen Verwaltungspraxis ist die Geschäftsführertätigkeit des Antragstellers nicht durch die Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse geprägt. Dass ihm im Einzelfall aufgrund seiner Weisungsbefugnis die Möglichkeit offensteht, auf den Inhalt der Entscheidungen Einfluss zu nehmen oder gar die Bearbeitung insgesamt an sich zu ziehen (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 8. Februar 2010 - AnwZ (B) 9/09, aaO Rn. 8) rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Seine Aufgaben liegen letztlich in der Organisation, Planung, Koordination und Verteilung der in seiner Abteilung anfallenden Aufgaben. Hierbei handelt es sich sämtlich um Tätigkeiten, die das rechtsuchende Publikum ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht als Ausübung hoheitlicher Befugnisse empfindet und daher den Antragsteller schon deswegen nicht in die Nähe des Staates rückt. Allein die Berufsbezeichnung "Geschäftsführer einer Industrie- und Handelskammer" ruft einen solchen Eindruck nicht hervor.
(dd) Hinzu kommt, dass die Kanzlei des Antragstellers in einem anderen Bundesland angesiedelt und vom Sitz der Industrie- und Handelskammer etwa 170 km entfernt ist. Die hoheitlichen und auch die sonstigen Befugnisse einer Industrie- und Handelskammer beschränken sich auf ihren örtlichen Bezirk. Dass die potentiellen Mandanten des Antragstellers zu einem signifikanten Teil in diesem Bezirk ansässig sind, ist nicht anzunehmen. Denn die Kontaktaufnahme zum Antragsteller dürfte regelmäßig - wie bei anderen Anwälten auch - entweder über die Kanzlei oder über das Internet erfolgen. Weder im Geschäftsverteilungsplan der Industrie- und Handelskammer noch auf ihrer Internetseite finden sich Hinweise darauf, dass der Antragsteller gleichzeitig als Rechtsanwalt tätig ist. Umgekehrt ist dem Internetauftritt der Kanzlei, der der Antragsteller angehört, nicht zu entnehmen, dass er zugleich als Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer zu D. fungiert. In Anbetracht der beschriebenen Einzelfallumstände steht nicht zu erwarten, dass Rechtsuchende den Antragsteller in der Erwartung kontaktieren, er könne wegen seiner Geschäftsführertätigkeit für sie mehr bewirken als andere Rechtsanwälte, oder dass umgekehrt mögliche Prozessgegner diese Befürchtung hegen. Auch wenn sich naturgemäß nicht ausschließen lässt, dass manche Rechtsuchende trotz der räumlichen Trennung von Geschäftsführer- und Anwaltstätigkeit eine Verbindung zwischen den beiden Berufstätigkeiten herstellen, wird hierdurch angesichts des Zuständigkeitsbereichs des Antragstellers und der strikten räumlichen Trennung beider Berufe nicht das Vertrauen der Rechtsuchenden in eine unabhängige Ausübung der Rechtsanwaltstätigkeit durch den Antragsteller gefährdet.
(4) Eine Unvereinbarkeit von Anwalts- und Geschäftsführertätigkeit folgt auch nicht aus dem inhaltlichen Zuschnitt der der Abteilung des Antragstellers übertragenen Aufgaben. Zwar hat der Antragsteller die Mitgliedsbetriebe zu beraten und selbständig Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben zu erstellen. Auch obliegt es seiner Abteilung, in register- und firmenrechtlichen Fragen Gerichten und Behörden gegenüber Gutachten zu erstatten oder Auskünfte zu erteilen. Hierbei kann es unter Umständen zu Interessenkonflikten kommen. Denn der Geschäftsführer einer Industrie- und Handelskammer könnte bei zu erstattenden Gerichtsgutachten und zu erteilenden Auskünften nicht die notwendige Unbefangenheit und Unparteilichkeit besitzen, wenn er in der Angelegenheit eines Kammerangehörigen tätig werden müsste, den er vorher als Rechtsanwalt beraten oder vertreten hätte (vgl. Senatsbeschlüsse vom 6. November 1961 - AnwZ (B) 32/61, aaO S. 74 f.; vom 4. Januar 1968 - AnwZ (B) 11/67, aaO S. 242; vom 17. Januar 1977 - AnwZ (B) 21/76, aaO). Umgekehrt könnte er in einem Fall, in dem er dienstlich mit den Angelegenheiten eines Kammermitglieds befasst war, nicht mehr als Rechtsanwalt die Vertretung dieses Mitglieds oder dessen Gegners mit der von einem Rechtsanwalt zu verlangenden Sachlichkeit und Unbefangenheit übernehmen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 6. November 1961 - AnwZ (B) 32/61, aaO S. 75; vom 4. Januar 1968 - AnwZ (B) 11/67, aaO; vom 17. Januar 1977 - AnwZ (B) 21/76, aaO). Entsprechendes gilt bei der ihm nach dem Dienstvertrag obliegenden Beratung von Mitgliedsunternehmen und bei der Abfassung von Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben, soweit hierbei überhaupt Interessenkollisionen auftreten können.
Die Gefahr solcher Pflichtenkollisionen wird aber schon dadurch deutlich verringert, dass die Mandanten des Antragstellers vorwiegend nicht aus dem Kreis der Kammermitglieder gewonnen werden. Zudem erstattet er Gutachten für Gerichte und Behörden nicht selbst, sondern fungiert nur als Fachvorgesetzter seiner selbständig arbeitenden und zeichnungsberechtigten Mitarbeiter. Lediglich die Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen und die Beratung der Mitgliedsbetriebe nimmt er selbst vor. Auch wenn die Gefahr von Interessenkollisionen nicht vollständig auszuschließen ist, rechtfertigt sie nicht die einschneidende Maßnahme eines Widerrufs der Anwaltszulassung. Vielmehr ist hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, dem sowohl aus verfassungsrechtlicher als auch aus europarechtlicher Sicht große Bedeutung zukommt (vgl. einerseits BVerfGE 87, aaO S. 322, 324, und andererseits EuGH, NJW 2011, 1199 Rn. 61 - Jakubowska). Sowohl die Bundesrechtsanwaltsordnung (§ 45 Abs. 1 Satz 1, § 46 BRAO) als auch der Dienstvertrag des Antragstellers (§ 6 Satz 1) sehen Regelungen zur Vermeidung solcher Interessenkollisionen vor. Aufgrund dieser Bestimmungen ist der Antragssteller von vorneherein daran gehindert, in den beschriebenen Fällen als Geschäftsführer und als Anwalt tätig zu werden. Diese milderen Maßnahmen sind ausreichend, um einem möglicherweise auftretenden Interessenwiderstreit angemessen zu begegnen (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Februar 2010 - AnwZ (B) 9/09, aaO Rn. 10).
c) Der gleichzeitigen Ausübung von Anwaltsberuf und Geschäftsführertätigkeit steht schließlich auch nicht entgegen, dass der Antragsteller seine Arbeitszeit in erster Linie seinem Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen hat. Denn das Berufsbild eines Rechtsanwalts erfordert - wie die Regelung des § 46 BRAO zeigt - nicht, dass die Anwaltstätigkeit als Hauptberuf ausgeübt wird. Vielmehr kann auch als Rechtsanwalt tätig sein, wessen Arbeitszeit und -kraft überwiegend arbeitsvertraglich gebunden sind (Senatsbeschluss vom 7. November 1960 - AnwZ (B) 2/60, BGHZ 33, 266, 268). Erforderlich ist aber, dass der durch ein Dienstverhältnis gebundene Rechtsanwalt in der Lage ist, den Anwaltsberuf in einem, wenn auch beschränkten, so doch nennenswerten Umfang und jedenfalls mehr als gelegentlich auszuüben (Senatsbeschlüsse vom 9. November 2009 - AnwZ (B) 83/08, NJW 2010, 1381 Rn. 8; vom 23. Dezember 1987 - AnwZ (B) 43/86, BGHZ 100, 87, 93 m.w.N.; vom 7. November 1960, aaO S. 268; vgl. ferner BVerfGE 87, 287, 323). Auch hierbei sind wiederum die konkreten Umstände des Einzelfalls maßgebend (BVerfG, NJW 2009, 3710, 3712).
Die Anforderungen an die Mindestverfügbarkeit des Antragstellers als Rechtsanwalt sind vorliegend erfüllt. Der Antragsteller ist als Geschäftsführer in einer leitenden Stellung tätig und damit in der Verwendung seiner Arbeitszeit keinen Weisungen übergeordneter Vorgesetzter unterworfen (vgl. zu diesem Gesichtspunkt Senatsbeschluss vom 9. November 2009 - AnwZ (B) 83/08, aaO Rn. 12). Zudem hat die Industrie- und Handelskammer dem Antragsteller in § 14 des Dienstvertrags eine zunächst auf drei Jahre befristete Nebentätigkeitsgenehmigung erteilt (§ 14 Dienstvertrag). Weiter hat die Kammer noch vor Beginn des Dienstverhältnisses der Antragsgegnerin gegenüber mit Schreiben vom 20. Dezember 2007 unwiderruflich erklärt, den Antragsteller nicht daran zu hindern, seinen Pflichten als Rechtsanwalt nachzukommen, und ihm insbesondere zu gestatten, jederzeit seine Arbeitsstelle zu verlassen, wenn dies die anwaltliche Tätigkeit erfordert. Er ist damit rechtlich und tatsächlich in die Lage versetzt, dem Anwaltsberuf in angemessenem Umfang neben seiner Tätigkeit für die Industrie- und Handelskammer nachzugehen. Die in der Erklärung vom 20. Dezember 2007 erweiterte "Nebentätigkeitsgenehmigung" enthält keine zeitliche Beschränkung; sie ist auch in der Sache umfassend und erstreckt sich bei objektivem Verständnis auch auf die Dienstzeit des Antragstellers. Letztlich bleibt es dem Antragsteller überlassen, einen angemessenen Ausgleich zwischen den Anforderungen seiner Geschäftsführertätigkeit und den Erfordernissen seines Anwaltsberufs herzustellen. Auf die in der mündlichen Verhandlung von der Beschwerdeführerin aufgeworfene Frage, ob die ursprüngliche Nebentätigkeitsgenehmigung nach ihrem Ablauf verlängert worden ist, kommt es nicht an, weil dies nicht Gegenstand des angefochtenen Bescheids ist.
Auch die räumliche Entfernung zwischen D. und dem etwa 170 km entfernt liegenden Kanzleiort stellt im Hinblick auf die enge Zusammenarbeit mit seinen Kanzleikollegen, den Einsatz moderner Kommunikationsmittel und die günstige verkehrstechnische Anbindung beider Orte keine unüberwindlichen Hindernisse dar. Der Antragsteller hat zudem unwiderlegt vorgetragen, im Jahr 2008 rund 13.000 € an Anwaltshonoraren erzielt zu haben; dies entspricht etwa einem Fünftel seines regulären Geschäftsführergehalts (mit Ausnahme von Urlaubsgeld und Aufwandsentschädigung). Der für die Ausübung des Anwaltsberufs erforderliche tatsächliche und rechtliche Handlungsspielraum ist damit im Fall des Antragstellers gewahrt.
Kessal-Wulf König Fetzer
Frey Braeuer