Entscheidungsdatum: 21.03.2011
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers werden der Beschluss des 2. Senats des Anwaltsgerichtshofs Rheinland-Pfalz vom 3. März 2010 und der Bescheid der Antragsgegnerin vom 7. Juli 2009 aufgehoben.
Die Antragsgegnerin wird angewiesen, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen und dem Antragsteller die ihm entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert wird für beide Instanzen auf 50.000 € festgesetzt.
I.
Der Antragsteller hat im März 1981 die zweite juristische Staatsprüfung abgelegt. Von Juni 1992 bis September 2008 war er Bürgermeister der Stadt und Verbandsgemeinde K. Seit dem 1. Oktober 2008 ist er als Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Gemeinde- und Städtebundes R. für eine Dienstzeit von zehn Jahren angestellt. Der Gemeinde- und Städtebund R. ist ein kommunaler Spitzenverband in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins, der die ihm angeschlossenen Städte und Gemeinden in rechtlicher Hinsicht berät sowie deren Interessen gegenüber anderen staatlichen Ebenen und insbesondere auch im Gesetzgebungsverfahren vertritt. Er bereitet die Umsetzung von kommunalen Aufgaben durch die Mitglieder des Verbandes vor und leistet Hilfestellung in allen gemeindlichen Einzelfragen. Der Geschäftsführer koordiniert die Aufgaben der Geschäftsstelle und die Stellungnahmen zu Gesetzes- und Verordnungsvorhaben des Landes. Aufgrund seines Weisungsrechts gegenüber den Mitarbeitern hat er Einfluss auf die planmäßige Vermittlung und Umsetzung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften.
Unter dem 18. April 2008, bei der Antragsgegnerin eingegangen am 17. November 2008, hat der Antragsteller, der seinen Kanzleisitz in M. nehmen will, die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft beantragt. Er hat vorgebracht, als Geschäftsführer könne er seine Arbeitszeit frei gestalten und verfüge daher über ausreichend Zeit, seinen Aufgaben als Rechtsanwalt nachzukommen. Mit Bescheid vom 7. Juli 2009 hat die Antragsgegnerin den Zulassungsantrag des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft zurückgewiesen. Sie hat den Versagungsgrund des § 7 Nr. 8 BRAO mit der Begründung geltend gemacht, dass die Tätigkeit als Geschäftsführer des Gemeinde- und Städtebundes R. das Vertrauen in die Unabhängigkeit als Rechtsanwalt gefährde, weil nach außen hin "quasi öffentliche Funktionen“ wahrgenommen würden.
Der Anwaltsgerichtshof hat seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die Tätigkeit des Antragstellers als Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Gemeinde- und Städtebundes R. eine "Staatsnähe“ aufweise. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Mitglieder des Verbandes ausschließlich öffentlich-rechtliche Körperschaften seien und die Finanzierung ausschließlich aus öffentlichen Mitteln erfolge. Sowohl aus der Sicht des rechtsuchenden Publikums als auch der Mandantschaft könne aufgrund dieser Staatsnähe der Eindruck entstehen, dass die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts durch Bindungen an den Staat beeinträchtigt sei. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner sofortigen Beschwerde.
II.
Die sofortige Beschwerde ist nach § 42 Abs. 1 Nr. 2 BRAO a.F. i.V.m. § 215 Abs. 3 BRAO zulässig und hat Erfolg. Die Tätigkeit des Antragstellers als Geschäftsführer des Gemeinde- und Städtebundes R. erfüllt den Versagungsgrund des § 7 Nr. 8 BRAO nicht.
1. Nach § 7 Nr. 8 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn der Bewerber eine Tätigkeit ausübt, die mit seinem Beruf, insbesondere seiner Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege nicht vereinbar ist oder das Vertrauen in seine Unabhängigkeit gefährden kann. Diese Regelung zielt - ebenso wie die entsprechende Regelung über den Widerruf der Zulassung (§ 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO) - unter anderem darauf ab, im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege das Erscheinungsbild einer von staatlichen Einflüssen freien Advokatur zu schützen, indem die beruflichen Sphären der Anwaltschaft und des öffentlichen Dienstes deutlich getrennt werden. Für die Betroffenen ist die damit verbundene Beschränkung ihrer Berufsfreiheit allerdings nur zumutbar, wenn der Unvereinbarkeitsgrundsatz nicht starr gehandhabt wird. Erforderlich ist eine Einzelfallprüfung, die der Vielgestaltigkeit der Tätigkeiten im öffentlichen Dienst gerecht wird. Eine Unvereinbarkeit kann nur angenommen werden, wenn zumindest die Möglichkeit besteht, dass aus Sicht des rechtsuchenden Publikums die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts durch Bindungen an den Staat beeinträchtigt ist. Die Belange der Rechtspflege sind auch dann gefährdet, wenn bei den Rechtsuchenden die Vorstellung entstehen kann, der Rechtsanwalt könne wegen seiner "Staatsnähe" mehr als andere Rechtsanwälte für sie bewirken. Dies muss anhand der konkreten Ausgestaltung des Angestelltenverhältnisses und der ausgeübten Tätigkeit geprüft werden und kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Rechtsanwalt in seinem Zweitberuf hoheitlich tätig wird (BVerfG, NJW 2009, 3710, 3711; BVerfGE 87, 287, 324; BGH, Beschluss vom 25. Februar 2008 - AnwZ (B) 23/07, BGHZ 175, 316, 317 m.w.N.).
a) Ob diese zur Unvereinbarkeit des Anwaltsberufs mit einer Dauertätigkeit im öffentlichen Dienst entwickelten Grundsätze hier schon deshalb nicht zur Anwendung kommen, weil der Gemeinde- und Städtebund R. als privatrechtlicher Verein organisiert ist, in dem die Mitgliedschaft der kreisangehörigen Städte und Gemeinden freiwillig ist, bedarf keiner Entscheidung. Selbst wenn man die Betätigung des kommunalen Spitzenverbands, dessen Mitglieder ausschließlich Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, dem öffentlich-rechtlichen Bereich zurechnet, führt dies nicht dazu, dass die Tätigkeit des Antragstellers als mit dem Beruf des Rechtsanwalts unvereinbar anzusehen ist. Nach den Aufgaben des Gemeinde- und Städtebundes R. und der vom Antragsteller konkret ausgeübten Tätigkeit besteht die Gefahr, dass aus Sicht des rechtsuchenden Publikums die Unabhängigkeit des Antragstellers durch Bindungen an den Staat beeinträchtigt wäre oder dieser wegen seiner "Staatsnähe" mehr als andere Rechtsanwälte für sie bewirken könnte, nicht oder doch nur in einem so geringen Maße, dass sie unter Berücksichtigung des Grundrechts der Berufsfreiheit eine Versagung des Zugangs zum Rechtsanwaltsberuf nicht zu rechtfertigen vermag.
b) Der Gemeinde- und Städtebund R. ist privatrechtlich organisiert und hat keine hoheitlichen Befugnisse. Seine Aufgabe besteht im Wesentlichen darin, die ihm angeschlossenen kreisangehörigen Gemeinden und Städte gegenüber Landtag, Landesregierung und anderen Behörden und Institutionen zu vertreten sowie die Mitglieder in kommunalpolitischen Angelegenheiten und Verwaltungsfragen zu beraten. So ist er etwa nach § 129 der Gemeindeordnung des Landes R. von der Landesregierung und den obersten Landesbehörden zu Entwürfen von Rechtsvorschriften, die Belange der gemeindlichen Selbstverwaltung berühren, anzuhören. Auch soweit er an der planmäßigen Vermittlung und Umsetzung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften beteiligt ist, beschränkt sich seine Rolle auf eine beratende Tätigkeit gegenüber den Mitgliedern, denen gegenüber er keine Weisungen erteilen kann.
Demgemäß übt auch der Antragsteller in seiner Funktion als Geschäftsführer des Gemeinde- und Städtebundes keine hoheitliche Tätigkeit aus. Schon aus diesem Grunde ist die Gefahr, dass beim rechtsuchenden Publikum der Eindruck einer die anwaltliche Unabhängigkeit beeinträchtigenden Staatsnähe entstehen könnte, weitgehend ausgeschlossen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2010 - AnwZ (B) 9/09, juris Rn. 8).
Zwar repräsentiert der Antragsteller - anders als der Rechtsanwalt in dem der zitierten Entscheidung vom 8. Februar 2010 zugrunde liegenden Sachverhalt - seinen Arbeitgeber auch nach außen. Als Geschäftsführer ist er im Rahmen der laufenden Geschäftsführung zur Vertretung des Verbandes befugt und leitet die Geschäftsstelle, welcher nach der Satzung insbesondere die Aufgabe zukommt, Mitteilungen, Anfragen und Anträge der Mitglieder zu bearbeiten, die Auffassungen des Verbandes nach außen, insbesondere gegenüber den für Gesetzgebung und Verwaltung zuständigen Stellen zu vertreten und für die Unterrichtung von Presse, Rundfunk und Fernsehen zu sorgen. Allein der Umstand, dass der Antragsteller als Repräsentant des Gemeinde- und Städtebundes auftritt, begründet jedoch keine hinreichende Gefahr für die Belange der Rechtspflege, da dieser Verband - auch in den Augen des rechtsuchenden Publikums - keine hoheitliche Tätigkeit ausübt. Auf etwa bestehende Fehlvorstellungen einzelner Rechtsuchender von der Rechtsnatur und den Befugnissen des Verbandes kann es in diesem Zusammenhang nicht ankommen. Auch der Umstand, dass die Tätigkeit des Gemeinde- und Städtebundes und damit auch das Gehalt des Antragstellers aus öffentlichen Mitteln finanziert wird, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Da dies für jedwedes Anstellungsverhältnis im öffentlichen Dienst gilt, wäre, käme diesem Gesichtspunkt maßgebliches Gewicht zu, für die verfassungsrechtlich gebotene, der Vielgestaltigkeit der Tätigkeiten im öffentlichen Dienst Rechnung tragende Einzelfallprüfung kein Raum mehr.
2. Mangels hoheitlicher Befugnisse des Arbeitgebers ist die Vereinbarkeit des dort ausgeübten Zweitberufs nach den gleichen Grundsätzen zu beurteilen, wie sie für die Tätigkeit anderer Juristen gelten, die in einem Anstellungsverhältnis zu Verbänden stehen, die ihre Mitglieder beraten und für diese Lobbyarbeit betreiben. In diesen Fällen kann die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nur versagt werden, wenn ein sich deutlich abzeichnendes nahe liegendes Risiko von Interessen- oder Pflichtenkollisionen besteht, dem durch Berufsausübungsregeln nicht wirksam begegnet werden kann (BGH, Beschluss vom 11. Dezember 1995 - AnwZ (B) 29/95, NJW 1996, 2377: Tätigkeit als Geschäftsführer eines Arbeitgeberverbandes; Beschluss vom 19. Juni 1995 - AnwZ (B) 4/95, NJW-RR 1995, 1083: Tätigkeit als angestellter Leiter der Rechtsabteilung eines Genossenschaftsverbandes; vgl. auch schon Beschluss vom 7. November 1960 - AnwZ (B) 4/60, BGHZ 33, 276: Tätigkeit als Hauptgeschäftsführer der Interessenvertretung des Nahrungsmittelgroßhandels).
Nach diesen Maßstäben ist die Tätigkeit des Antragstellers als Geschäftsführer des Gemeinde- und Städtebundes mit dem Anwaltsberuf vereinbar. Hinreichend konkretisierte Interessenkonflikte, die nicht durch die Berufsausübungsregeln der §§ 45, 46 BRAO abgewendet werden können, sind nicht ersichtlich.
Der Anwaltsgerichtshof hat seine gegenteilige Auffassung im Wesentlichen damit begründet, bei den Rechtsuchenden könne der Eindruck entstehen, der Antragsteller sei aufgrund der durch seinen Zweitberuf bedingten besonderen Beziehungen und Kontakte zu den Gemeindeverwaltungen in der Lage, mehr als andere Rechtsanwälte für sie zu bewirken. Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Als Geschäftsführer des Verbandes kommt dem Antragsteller nur die Befugnis zu, die Gemeinden in rechtlichen Angelegenheiten zu beraten. Seine Möglichkeiten der Kontaktpflege unterscheiden sich in diesem Bereich nicht von denjenigen anderer Verbandsjuristen, die im Rahmen ihrer Tätigkeit ebenfalls regelmäßig gewisse Kontakte zu den Verbandsmitgliedern aufzubauen in der Lage sind, oder von solchen Rechtsanwälten, die, ohne bei einem Verband angestellt zu sein, regelmäßig von einem bestimmten Kreis von Auftraggebern mandatiert zu werden pflegen. Daran anknüpfende Befürchtungen, das rechtsuchende Publikum könne sich besondere Einflussmöglichkeiten des Rechtsanwalts erhoffen, sind zu allgemein, als dass sie die Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft begründen könnten. Im Bereich greifbarer Interessenkonflikte gewährleisten die Tätigkeitsverbote der §§ 45, 46 BRAO eine hinreichend klare Trennung zwischen der Anwaltstätigkeit und dem Zweitberuf.
Kessal-Wulf Roggenbuck Lohmann
Wüllrich Hauger