Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 12.07.2010


BGH 12.07.2010 - AnwZ (B) 116/09

Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft: Fortdauer der Berufsunwürdigkeit nach Strafverurteilung zu einer Bewährungsstrafe wegen vielfacher Untreue und erneuter Straffälligkeit während der Bewährungszeit


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
Senat für Anwaltssachen
Entscheidungsdatum:
12.07.2010
Aktenzeichen:
AnwZ (B) 116/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Anwaltsgerichtshof Stuttgart, 17. Oktober 2009, Az: AGH 31/09 (II), Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des II. Senats des Anwaltsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 17. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der inzwischen 57 Jahre alte Antragsteller wurde im Juli 1991 in N. zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Im August 1993 übernahm er als Rechtsanwalt eine Nachlasspflegschaft. Er hatte zu diesem Zeitpunkt erhebliche Schulden und veruntreute aus dem Nachlass bis zum 27. August 1996 durch sieben Taten insgesamt 219.644 DM, von denen er allerdings insgesamt 198.000 DM kurzfristig wieder zurückzahlte. Ab Februar 1994 übernahm der Antragsteller eine Betreuung. In der Zeit vom 30. März 1994 bis zum 4. März 1996 veruntreute er 173.235,49 DM durch insgesamt 21 Überweisungen zu Lasten der Betreuten. Diese unberechtigten Überweisungen verschleierte er durch gefälschte Kontoauszüge, die diese Überweisungen nicht enthielten. Die Taten wurden erst später durch Nachprüfungen seitens der Justiz entdeckt. Im Februar 1997 verzichtete der Antragsteller auf seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Durch Urteil des Amtsgerichts B. vom 14. Januar 1998 wurde der Antragsteller rechtskräftig wegen Untreue in 28 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde.

2

Im Oktober 1998 überließ der Antragsteller seinen PKW, der wegen Nichtzahlung der Versicherungsprämien nicht mehr haftpflichtversichert und zum Verkehr zugelassen war, einem Dritten zur Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr. Er wurde deshalb durch Strafbefehl des Amtsgerichts M. vom 1. Februar 1999 wegen Verstoßes gegen §§ 1, 2 PflVersG zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 50 DM verurteilt. Am 27. November 1998 ließ der Antragsteller sein Kopiergerät von der Firma Bö. aus M. reparieren, die dafür 531,37 DM berechnete. Gegen das Versprechen, die Rechnung umgehend zu bezahlen, erhielt er das reparierte Gerät ausgehändigt. Er hatte allerdings schon am 13. Januar 1998 die eidesstattliche Versicherung abgegeben, was die Gläubigerin nicht wusste. Der Antragsteller leistete unter dem Druck des daraufhin eingeleiteten Strafverfahrens eine Teilzahlung von 250 DM. Er wurde durch Strafbefehl des Amtsgerichts M. vom 23. Juli 1999 wegen Betrugs zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 50 DM verurteilt. Aus den beiden Geldstrafen bildete das Amtsgericht mit Beschluss vom 3. September 1999 eine Gesamtstrafe von 120 Tagessätzen zu 50 DM. Im Hinblick auf diese Gesamtstrafe wurde die Bewährungszeit aus der Verurteilung vom 14. Januar 1998 durch Beschluss des Amtsgerichts M. vom 5. Mai 2000 um ein Jahr und sechs Monate verlängert. Mit Wirkung vom 17. April 2002 wurde diese Strafe erlassen.

3

Mit E-Mail vom 19. Juli 2005 bot der Antragsteller unerlaubt Rechtsdienstleistungen an. Deshalb leitete die Antragsgegnerin gegen ihn ein Verfahren wegen unerlaubter Rechtsberatung ein, das mit einer strafbewehrten Unterlassungserklärung endete. Auf seinen Antrag vom 6. Oktober 2005 hin eröffnete das Amtsgericht E. mit Beschluss vom 1. Dezember 2005 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Antragstellers. Mit Beschluss vom 14. Mai 2007 kündigte es dem Antragsteller die Restschuldbefreiung an. Die Wohlverhaltensphase läuft noch bis 1. Dezember 2011.

4

Nach erfolglosen Anträgen auf Wiederzulassung vom 5. November 2002 bei der Rechtsanwaltskammer T. und vom 1. März 2004 bei der Antragsgegnerin hat der Antragsteller mit Schreiben vom 29. September 2008 bei der Antragsgegnerin erneut seine Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft beantragt. Diesen Antrag hat die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 5. Juni 2009 wegen fortdauernder Unwürdigkeit zurückgewiesen. Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Anwaltsgerichtshof zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde.

II.

5

Das nach § 215 Abs. 3 BRAO i.V.m. § 42 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 BRAO a.F. zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg. Die Antragsgegnerin hat den erneuten Antrag auf Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft mit Recht zurückgewiesen.

6

1. Nach § 7 Nr. 5 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn der Bewerber sich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen lässt, den Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben.

7

a) Der Bewerber erscheint dann unwürdig, wenn er ein Verhalten gezeigt hat, das ihn bei Abwägung dieses Verhaltens und aller erheblichen Umstände - wie Zeitablauf und zwischenzeitliche Führung - nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf nicht tragbar erscheinen lässt. Dabei sind das berechtigte Interesse des Bewerbers nach beruflicher und sozialer Eingliederung und das durch das Berufsrecht geschützte Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere der Rechtsuchenden, an der Integrität des Anwaltsstandes einzelfallbezogen gegeneinander abzuwägen (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschl. v. 3. November 2008, AnwZ (B) 1/08 Rdn. 4; Beschl. v. 10. Juli 2000, AnwZ (B) 40/99, BRAK-Mitt. 2000, 306; Beschl. v. 12. April 1999, AnwZ (B) 67/98, NJW-RR 1999, 1219; Feuerich/Weyland, BRAO, 7. Aufl., § 7 Rdn. 36 m.w.N.).

8

b) Auch ein schwerwiegendes berufsunwürdiges Verhalten kann nach einer mehr oder minder langen Zeit durch Wohlverhalten oder andere Umstände soviel an Bedeutung verlieren, dass es die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht mehr hindert (Senat, Beschl. v. 12. April 1999, aaO; Beschl. v. 8. Februar 2010, AnwZ (B) 94/08, juris Rdn. 6). Die Frage, wie viele Jahre zwischen einem die Unwürdigkeit begründenden Verhalten und dem Zeitpunkt liegen müssen, in dem eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wieder möglich ist, lässt sich nicht durch eine schematische Festlegung auf bestimmte Fristen beantworten, sondern verlangt eine einzelfallbezogene Gewichtung aller für und gegen den Bewerber sprechenden Umstände (Senat, Beschl. v. 12. April 1999, AnwZ (B) 67/98, NJW-RR 1999, 1219; Beschl. v. 10. Juli 2000, AnwZ (B) 40/99, BRAK-Mitt. 2000, 306; Beschl. v. 3. November 2008, AnwZ (B) 1/08, juris Rdn. 4; Beschl. v. 20. April 2009, AnwZ (B) 44/08, juris Rdn. 6; Beschl. v. 15. Juni 2009, AnwZ (B) 59/08, BRAK-Mitt. 2009, 242 [Ls], juris Rdn. 6; Feuerich/Weyland, aaO, § 7 Rdn. 36 m.w.N.; Schmidt-Räntsch in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, § 7 BRAO Rdn. 45).

9

c) Bei Straftaten im Kernbereich der beruflichen Tätigkeit des Rechtsanwalts (zu diesem Gesichtspunkt: Senat, Beschl. v. 10. Mai 2010, AnwZ (B) 117/09 juris Rdn. 12) hält der Senat einen zeitlichen Abstand zwischen der die Unwürdigkeit begründenden Straftat des Bewerbers und dessen Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft von in der Regel 15 bis 20 Jahren für erforderlich (Beschl. v. 14. Februar 2000, AnwZ (B) 8/99, NJW-RR 2000, 1445; Beschl. v. 20. April 2009, AnwZ (B) 44/08, juris Rdn. 7; Beschl. v. 15. Juni 2009, AnwZ (B) 59/08, BRAK-Mitt. 2009, 242 [Ls], juris Rdn. 10; Beschl. v. 7. Dezember 2009, AnwZ (B) 113/08, AnwBl. 2010, 289 [Ls], juris Rdn. 8; Beschl. v. 10. Mai 2010, AnwZ (B) 117/09, juris Rdn. 6). Dabei darf auch die bloße straffreie Führung nach einer Verurteilung nicht entscheidend zugunsten des Bewerbers berücksichtigt werden, wenn er noch unter dem Druck einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe stand (Senat, Beschl. v. 1. März 1993, AnwZ (B) 49/92, BRAK-Mitt. 1993, 102, 103; Beschl. v. 21. Juni 1999, AnwZ (B) 79/98, NJW 1999, 3048; Beschl. v. 4. April 2005, AnwZ (B) 21/04, juris Rdn. 9; Beschl. v. 6. November 2006, AnwZ (B) 87/05, BRAK-Mitt 2007, 77 [Ls], juris Rdn. 11; Beschl. v. 9. November 2009, AnwZ (B) 13/09, juris Rdn. 20; Feuerich/Weyland und Schmidt-Räntsch jeweils aaO). Vielmehr muss das beanstandungsfreie Verhalten geraume Zeit nach Erlass der Freiheitsstrafe wegen Ablaufs der Bewährungsfrist fortgesetzt worden sein (Senat, Beschl. v. 21. Juni 1999, AnwZ (B) 79/98, aaO).

10

2. Von diesen Grundsätzen ist der Anwaltsgerichtshof ausgegangen. Der Senat teilt - auch unter Berücksichtigung des weiteren Zeitablaufs seit der angefochtenen Entscheidung - die Auffassung des Anwaltsgerichtshofs, dass die erheblichen Straftaten des Antragstellers dessen Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft bei Würdigung aller Umstände weiterhin entgegenstehen.

11

a) Der Antragsteller ist wegen Straftaten im Kernbereich seiner beruflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt verurteilt worden. Er hat in der Nachlasspflegschaftssache und in der Betreuungssache das ihm als Rechtsanwalt anvertraute Vermögen veruntreut. Mit diesen Straftaten hat er zudem das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität des Anwaltsstandes und insbesondere das Vertrauen der Rechtsuchenden in die unabhängige Wahrnehmung ihrer Interessen besonders nachhaltig erschüttert.

12

b) Hinzu kommt, dass diese Straftaten besonders schwer wiegen. Der Antragsteller hat seine Pflichten sowohl in der Nachlasspflegschaftssache als auch in der Betreuungssache über Jahre hinweg verletzt und jeweils einen beträchtlichen Schaden angerichtet. In der Betreuungssache hat er seine Pflichtverletzung durch die ebenfalls strafbare Manipulation von Kontoauszügen verschleiert und dadurch die Aufsicht durch das Gericht erschwert.

13

c) Bei einem solch nachhaltigen Verstoß im Kernbereich kann das Vertrauen der Rechtsuchenden nur durch eine Wartezeit in einer Größenordnung von 15 bis 20 Jahren wiederhergestellt werden. Eine solche Wartezeit hat der Antragsteller bislang nicht erreicht.

14

aa) Seit den Straftaten, derentwegen der Antragsteller am 14. Januar 1998 verurteilt worden ist, sind derzeit etwas weniger als 14 Jahre verstrichen. Die Tathandlungen endeten nämlich erst am 27. August 1996. Die seitdem vergangene Zeit kann auch nicht uneingeschränkt als Wartezeit berücksichtigt werden. Berücksichtigungsfähig ist nämlich nur Wohlverhalten, also Zeiträume, in denen sich der Bewerber beanstandungsfrei geführt hat. Daran hat es der Antragsteller aber in den ersten Jahren nach seiner Verurteilung gerade fehlen lassen.

15

bb) Noch in der ursprünglichen Bewährungszeit ist er in der Bewährungszeit zweimal erneut straffällig geworden. Die neuen Straftaten haben nicht nur zu einer Verlängerung der Bewährungszeit um ein Jahr und sechs Monate geführt. Sie zeigen vielmehr auch, dass der Antragsteller seinerzeit noch nicht bereit war, auf die berechtigten Interessen Anderer die gebotene Rücksicht zu nehmen, und nicht davor zurückschreckte, ihre Interessen leichtfertig zu gefährden. Das Überlassen eines nicht haftpflichtversicherten Kraftfahrzeugs zur Nutzung im öffentlichen Straßenverkehr gefährdet die Interessen der durch den Betrieb des Kraftfahrzeugs möglicherweise Geschädigten. Das gilt insbesondere dann, wenn der Halter, wie seinerzeit der Antragsteller, vermögenslos und nicht in der Lage ist, einen etwa entstandenen Schaden zu ersetzen. Die Firma Bö. hätte der Antragsteller gar nicht erst mit der Reparatur seines Kopiergeräts beauftragen dürfen, weil er nicht in der Lage war, den Werklohn zu bezahlen. Er hat zudem ihr Werkunternehmerpfandrecht unterlaufen.

16

d) Unter Berücksichtigung all dieser Umstände ist die Annahme einer kürzeren als der regelmäßigen Wartezeit, wie sie für Ausnahmefälle in Betracht kommt, ausgeschlossen.

17

Sie lässt sich bei der gebotenen Gesamtwürdigung entgegen der Ansicht der Beschwerde auch nicht damit rechtfertigen, dass der Antragsteller nur wegen seiner ungeordneten Vermögensverhältnisse straffällig geworden und diese Ursache nach seinem Vortrag jetzt beseitigt sei.

18

Auch das Alter des Antragstellers rechtfertigt eine kürzere Wartefrist nicht (vgl. Senat, Beschl. v. 10. Mai 2010, AnwZ (B) 117/09, juris Rdn. 13), zumal er nur zwei Jahre beanstandungsfrei als Rechtsanwalt tätig war.

Tolksdorf                                          Schmidt-Räntsch                                     Fetzer

                           Wüllrich                                                      Braeuer