Entscheidungsdatum: 16.10.2014
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht München übertragen.
I.
Der Angeschuldigte - ein deutscher Staatsangehöriger - wurde aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Amtsgerichts München vom 17. März 2014 - III Gs 1565/14 - am 1. April 2014 in Prag/Tschechien festgenommen und befand sich zunächst in Auslieferungshaft. Seit seiner Auslieferung am 17. April 2014 wird gegen ihn Untersuchungshaft vollzogen. Nach Übernahme des Verfahrens durch den Generalbundesanwalt am 22. April 2014 hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am 23. Mai 2014 den Haftbefehl des Amtsgerichts München aufgehoben und durch einen eigenen vom gleichen Tag (2 BGs 192/14) ersetzt. Der Generalbundesanwalt hat am 1. Oktober 2014 gegen den Angeschuldigten Anklage vor dem Oberlandesgericht München erhoben.
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe sich von Dezember 2013 bis März 2014 durch zwei selbständige Handlungen jeweils als Mitglied an der Junud al-Sham und damit an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen, und tateinheitlich dazu versucht zu haben, einen anderen dazu zu bestimmen, ein Verbrechen des Mordes zur Verdeckung einer Straftat zu begehen, sowie gemeinschaftlich mit anderen Menschen getötet zu haben (strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, §§ 211, 30 Abs. 1, § 212 Abs. 1, § 25 Abs. 2 StGB).
II.
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
1. Der Angeschuldigte ist der ihm im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vorgeworfenen Taten dringend verdächtig.
a) Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen auszugehen:
aa) Die Vereinigung Junud al-Sham
Bei der Organisation Junud al-Sham (auch "Jundu Sham", "Jund al-Sham", "Junud As-Sham" oder "Junud ash-Sham", übersetzt: "Soldaten Syriens") handelt es sich um eine Gruppierung, die erstmals im August 2013 medial in Erscheinung trat und die auf Seiten der islamistischen Gegner des Assad-Regimes in den syrischen Bürgerkrieg eingriff. Als deren Anführer trat der Tschetschene Muslim Margoshvili (alias "Muslim", "Muslim Abu Waleed Shishani", "Abu Waleed" oder "Abu as-Walid", im Folgenden: Muslim Abu Wa-lid) auf, der über Kampferfahrung aus den russischen Tschetschenienkriegen verfügte und zuletzt als lokaler Emir einer in Dagestan operierenden Gruppierung fungierte, die dem mutmaßlich von Dokku Umarov geführten "Kaukasischen Emirat" nachgeordnet war. Da ihm die Rückkehr nach Tschetschenien nicht gelang, entschloss er sich im Jahr 2012 zusammen mit einem Teil seiner Kämpfer, überwiegend Tschetschenen, aber auch Angehörige westlicher Staaten, zur Auswanderung nach Syrien, um dort am Kampf gegen das Assad-Regime teilzunehmen. Zudem betrieb er in Syrien ein Ausbildungslager für "junge Mujahidin" aus aller Welt.
Muslim Abu Walid trat im Februar 2013 im Zusammenhang mit einem Video der von Umar Al-Shishani befehligten Gruppierung "Katibat al-Muhajirin" in Erscheinung, die sich später in "Jaish al-Muhajirin wal-Ansar" (im Folgenden: JAMWA) umbenannte. Bei dem Video handelt es sich um den Nachruf auf einen Abdallah Al-Shishani, der ein jihadistisches Ausbildungslager in der Umgebung von Latakia geführt hatte. Muslim Abu Walid wird darin als militärischer Kommandeur der tschetschenischen Brigade in Latakia vorgestellt.
Muslim Abu Walid unterhielt zudem enge Beziehungen zu Saifullah Al-Shishani, der sich im Juli 2013 mit einer unbekannten Anzahl mehrheitlich nordkaukasischer Kämpfer von Umar Al-Shishani und der JAMWA getrennt hatte, nachdem diese sich der Vereinigung "Islamischer Staat im Irak und Großsyrien" (im Folgenden: ISIG) zugewandt hatten. Im Oktober 2013 vereinigte sich die von Muslim Abu Walid befehligte Junud al-Sham mit Saifullah Al-Shishani und seinen Anhängern sowie mit einer Gruppierung um Abu Musa Al-Shishani zu einer einheitlichen Organisation, die - trotz enger Zusammenarbeit mit anderen Gruppierungen wie etwa der "Jabhat al Nusra", der sich wiederum Saifullah Al-Shishani angeschlossen hatte, oder gemeinsamen Aktionen mit dem ISIG - selbständig blieb und sich nicht einer anderen Organisation unterordnet.
Ziel der Junud al-Sham ist der Kampf gegen die Ungläubigen in Syrien und darüber hinaus zur Errichtung eines islamistischen Gottesstaates. Die Stärke der Gruppierung ist nicht bekannt. Die Anzahl der Kämpfer wird derzeit auf bis zu 1.500 oder mehr geschätzt. Im August 2013 beteiligte sich die Gruppierung an den Kämpfen gegen die Regierungstruppen um die Hügelkette von Durin nahe Latakia. Im Februar 2014 nahm sie gemeinsam mit der "Jabhat al Nusra" am Angriff auf das Zentralgefängnis in Aleppo teil; bei dieser Aktion wurden 300 Gefangene befreit. Im Zuge der Kampfhandlungen, bei denen ein Selbstmordattentäter einen mit Sprengstoff beladenen LKW vor das Haupttor des Gefängnisses fuhr, dem drei Panzer und mehrere Pick-Ups mit Maschinengewehren sowie etwa 1.600 Kämpfer - unter ihnen der Angeschuldigte - folgten, wurden zwei Soldaten der syrischen Regierungstruppen, fünf Gefängnisinsassen und 22 Angreifer getötet.
bb) Die Beteiligung des Angeschuldigten an der Vereinigung
Der Angeschuldigte, der sich zuvor zunehmend radikalisiert und einer islamistisch-extremistischen Ideologie zugewandt hatte, reiste Ende September 2013 über die Türkei nach Syrien aus, um dort am Jihad teilzunehmen. Spätestens im Dezember 2013 schloss er sich dort der Junud al-Sham an und wurde zunächst in einem Ausbildungslager im Umgang mit Waffen, im Nahkampf sowie in militärischer Taktik geschult. Der Angeschuldigte verfügte über ein Schnellfeuergewehr AK 47 (Kalaschnikow), übernahm Wachdienste im Lager und war im Zusammenhang mit der Vorbereitung eines Kampfeinsatzes an einer Beobachtungsmission beteiligt.
Anfang Januar 2014 erhielt der Angeschuldigte Besuch von A. B. und ihrem Vater, die nach Syrien gereist waren, um die sechzehnjährige Schwester von A. , F. , nach Deutschland zurückzuholen, die ohne Erlaubnis ihrer Eltern nach Syrien gereist war, um dort einen Kämpfer zu heiraten. Der Angeschuldigte, der in dem Konflikt vermitteln sollte, trat A. B. und ihrem Vater unbeabsichtigt ohne Maskierung gegenüber und war deshalb in Sorge, sie könnten ihn nach ihrer Rückkehr nach Deutschland verraten. Er schlug deshalb seinen Vorgesetzten vor, die Angehörigen der Familie B. nicht nach Deutschland zurückreisen zu lassen, sondern sie in Syrien zu töten. Sein Vorschlag wurde indes nicht aufgegriffen, so dass A. und F. B. sowie ihr Vater unversehrt nach Deutschland zurückkehren konnten.
Nachdem bereits spätestens Mitte Dezember 2013 konkrete Planungen zur gewaltsamen Befreiung von Gefangenen aus dem Zentralgefängnis in Aleppo begonnen hatten und der Angeschuldigte, der von der Möglichkeit selbst zu kämpfen, begeistert war, sich gegenüber seinen Vorgesetzen zur Teilnahme an der Operation bereit erklärt hatte, wurde er Anfang Februar mit weiteren Kämpfern Richtung Aleppo verlegt und nahm am 6. Februar 2014 an dem von der Junud al-Sham gemeinsam mit der "Jabhat al Nusra" verübten Angriff teil, dessen Ablauf ihm im Groben vertraut war und den er billigte. Der Angeschuldigte war bewaffnet und gab auch mehrere Schüsse aus seiner Waffe ab, um damit die Bewacher des Gefängnisses oder Soldaten der syrischen Armee zu töten. Dass er dadurch selbst einen Menschen tötete, ist nicht feststellbar; er erstrebte aber den Tod möglichst vieler Bewacher und gegnerischer Soldaten und nahm auch den Tod von Gefängnisinsassen billigend in Kauf.
Nach Beendigung der Kämpfe verblieb der Angeschuldigte mit weiteren Kämpfern der Junud al-Sham zunächst im Gebiet um Aleppo, bevor sie von der syrischen Armee zurückgedrängt wurden. Im März 2014 verließ der Angeschuldigte aus nicht näher bekannt gewordenen Gründen Syrien und wurde - wie dargelegt - am 1. April 2014 in Prag festgenommen.
b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus Folgendem:
Die Erkenntnisse zur Struktur und Entstehung der Vereinigung Junud al-Sham ergeben sich im Wesentlichen aus dem Sachverständigengutachten des Islamwissenschaftlers Dr. S. , aus dem im Internet veröffentlichten Video zur Biografie von Muslim Abu Walid sowie aus weiteren Internetveröffentlichungen insbesondere des der Junud al-Sham zumindest nahestehenden Sham-Centers.
Der Angeschuldigte hat - nach Verkündung des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs - in mehreren Beschuldigtenvernehmungen im Juli und August 2014 seinen Anschluss an die Junud al-Sham sowie einzelne Beteiligungshandlungen eingeräumt. Zur versuchten Anstiftung zur Ermordung der Angehörigen der Familie B. sowie zu seiner Beteiligung an dem Angriff auf das Gefängnis in Aleppo hat er sich nicht eingelassen.
Insoweit wird das Ermittlungsergebnis indes belegt durch die Erkenntnisse aus Telefonüberwachungsmaßnahmen und die Auswertung des Mobiltelefons des Angeschuldigten, insbesondere der darin gespeicherten Protokolle von Kommunikationen über den Dienst WhatsApp. So schildert er die Aufforderung an seine Vorgesetzten, die Angehörigen der Familie B. zu töten, in einem überwachten Telefonat seiner Bekannten E. S. , die ihn deshalb kritisiert; der Angeschuldigte weist das zurück und bemerkt, dass die Uhr "hier" (gemeint: in Syrien) ein bisschen anders ticke.
Seine Teilnahme an den Kampfhandlungen in Aleppo belegen unter anderem sein Gespräch mit seiner Mutter vom 5. Februar 2014, der er seine Teilnahme an dem für den nächsten Tag geplanten Angriff ankündigte. Über WhatsApp ließ er wissen, dass er als Kämpfer "im Sturm" vorgesehen sei, und nahm dies offenbar zum Anlass sein Testament in sein Mobiltelefon zu diktieren.
Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat im Übrigen Bezug auf die Darlegungen im Haftbefehl sowie im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen der Anklageschrift vom 1. Oktober 2014.
2. Es besteht nach alledem jedenfalls der dringende Tatverdacht, dass sich der Angeschuldigte durch zwei selbständige Handlungen jeweils wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB, in einem Fall in Tateinheit mit versuchter Anstiftung zum Mord gemäß § 30 Abs. 1, § 211 StGB, und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit (gemeinschaftlich begangenem) Totschlag (§ 212 Abs. 1, § 25 Abs. 2 StGB) strafbar gemacht hat.
Materiell-rechtlich stehen die einzelnen Betätigungsakte zu dem Organisationsdelikt der mitgliedschaftlichen Beteiligung in Tateinheit, wobei mehrere solcher Taten durch die Klammerwirkung des Organisationsdelikts ebenfalls zur Tateinheit verbunden werden, wenn sie im Verhältnis zu diesem leichter oder annähernd gleichwertig sind (BGH, Urteil vom 11. Juni 1980 - 3 StR 9/80, BGHSt 29, 288, 291 mwN; s. auch Beschluss vom 11. Juni 2002 - StB 12/02, BGHR StPO § 55 Abs. 1 Auskunftsverweigerung 11). Für Verbrechen, für die das Gesetz erheblich höhere Strafen androht als § 129a Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren), gilt dieser Grundsatz indes nicht, sie stehen zueinander in Realkonkurrenz (BGH, aaO, S. 292). Die versuchte Anstiftung zum Mord (Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren) und der Totschlag (Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren) bilden deshalb - ihrerseits jeweils in Tateinheit zur Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung stehend - zwei rechtlich selbständige Taten.
Rechtfertigungsgründe für das Handeln des Angeschuldigten bestehen nach dem Ergebnis der Ermittlungen nicht, insbesondere sind aus den im Haftbefehl zutreffend ausgeführten Gründen keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich die Junud al-Sham auf das Kombattantenprivileg aus Art. 43 Abs. 2 des 1. Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte berufen könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Juli 2014 - StB 8/14, juris Rn. 34; s. dazu auch BGH, Beschluss vom 6. Mai 2014 - 3 StR 265/13, NStZ-RR 2014, 274, 275).
Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung von Straftaten im Zusammenhang mit der ausländischen terroristischen Vereinigung Junud al-Sham liegt seit dem 28. März 2014 vor.
3. Angesichts des bestehenden Tatverdachts nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB sowie nach § 30 Abs. 1, § 211 und nach § 212 besteht der Haftgrund der Schwerkriminalität, § 112 Abs. 3 StPO. Aus den fortgeltenden Gründen des Haftbefehls, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, besteht weiterhin jedenfalls der Haftgrund der Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO.
4. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Der besondere Umfang der Ermittlungen und ihre Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft. Nach Auslieferung des Angeschuldigten wurde zunächst sein Mobiltelefon ausgewertet; ihm wurde ein Pflichtverteidiger bestellt, der Akteneinsicht erhalten hat. Nach Terminabsprachen mit diesem wurden Termine für zwei Beschuldigtenvernehmungen vereinbart und diese durchgeführt. Parallel wurden durch das mit den Ermittlungen beauftragte Polizeipräsidium München die Beweismittel weiter ausgewertet, die Sachakten erstellt und ein Schlussvermerk gefertigt, der am 4. August 2014 mit den Ermittlungsakten an den Generalbundesanwalt übergeben wurde. Der Generalbundesanwalt hat in weniger als zwei Monaten die Anklageschrift erstellt und am 1. Oktober 2014 vor dem Oberlandesgericht München Anklage erhoben.
5. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu den gegen den Angeschuldigten erhobenen Vorwürfen nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Becker Pfister Gericke