Entscheidungsdatum: 17.06.2010
1. Militärischer Befehlshaber im Sinne des § 4 VStGB ist, wer die faktisch ausübbare, gegebenenfalls auch rechtlich fundierte Möglichkeit hat, Untergebenen verbindliche Anweisungen zu erteilen und die Ausführung dieser Anweisungen durchzusetzen .
2. Der subjektive Tatbestand des § 4 VStGB setzt mindestens bedingten Vorsatz des Vorgesetzten voraus. Dieser muss u. a. erkennen oder mit der konkreten Möglichkeit rechnen, dass der Untergebene eine Straftat nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu begehen beabsichtigt. Dabei genügt es, wenn sein bedingter Vorsatz die Art der zu begehenden Straftat umfasst und sich weiter darauf erstreckt, dass derartige Taten bei dem Einsatz der ihm unterstellten Truppen im Kampfgebiet begangen werden; ein hierüber hinausgehendes Detailwissen ist nicht erforderlich .
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.
Der Beschuldigte wurde aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 16. November 2009 (4 BGs 31/09) am 17. November 2009 festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft.
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich als Präsident der in den Provinzen Nord-Kivu und Süd-Kivu der Demokratischen Republik Kongo (im Folgenden: DRC) operierenden paramilitärischen Milizen-Organisation "Forces Démocratiques de Libération du Rwanda" (im Folgenden: FDLR) wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und wegen Kriegsverbrechen, für die er jeweils als Vorgesetzter verantwortlich sei, sowie zugleich als Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung im Ausland strafbar gemacht.
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
1. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen auszugehen:
a) Zwischen den in der Republik Ruanda ansässigen Bevölkerungsgruppen - insbesondere den Hutu, welche die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung stellte, und den Tutsi - kam es bereits in der Vergangenheit zu zahlreichen gewaltsamen Auseinandersetzungen. Diesen fielen insbesondere Angehörige der Tutsi zum Opfer. Eine Vielzahl von ihnen floh deshalb in die benachbarte Republik Uganda. Eine dort unter dem Namen "Ruandische Patriotische Front" (im Folgenden: RPF) zusammengestellte Rebellenarmee griff im Jahre 1990 die Republik Ruanda an, um das dortige Regime, dessen maßgebende Funktionen von Angehörigen der Hutu ausgeübt wurden, zu beseitigen und den Flüchtlingen die Heimkehr zu ermöglichen. Nach militärischen Erfolgen der RPF und Verhandlungen über eine Teilung der Macht und Demokratisierung Ruandas wurde im August 1993 das Friedensabkommen von Arusha geschlossen. Danach sollte die bis dahin allein regierende Partei des Präsidenten Habyarimana Teile ihrer Macht abgeben, demokratische Prozesse zulassen und den Angehörigen der Tutsi eine Teilhabe am Staatswesen ermöglichen. Das Abkommen wurde jedoch in der Folgezeit insbesondere aufgrund des Widerstands einflussreicher Kreise der Hutu nicht umgesetzt.
Am 6. April 1994 wurde das Flugzeug des damaligen Staatspräsidenten Habyarimana von bis heute nicht zweifelsfrei ermittelten Attentätern abgeschossen; Habyarimana fand dabei den Tod. Dieses Ereignis war Beginn einer Tötungswelle, in deren Verlauf schätzungsweise 500.000 bis 800.000 Angehörige der Tutsi sowie gemäßigte Hutu umgebracht wurden. Um dieser Massentötung Einhalt zu gebieten, rückte die bisher im Norden Ruandas befindliche RPF vor und eroberte schließlich die übrigen Landesteile. Die Soldaten und Offiziere der staatlichen Armee flüchteten mit Teilen der hutustämmigen Bevölkerung, insbesondere Angehörigen der paramilitärischen Interahamwe-Miliz, teilweise nach Tansania, teilweise aber auch nach Zaire, der heutigen DRC, in die dortigen Provinzen Nord- und Süd-Kivu. Dort setzten sich die Hutu-Verbände fest; ihre Angehörigen versuchten, wieder Einfluss auf die Politik Ruandas zu erlangen. Sie bildeten eine auf der früheren Armee basierende Organisation, die sich seit etwa 1999/2000 als FDLR bezeichnet. Dieser gehören etwa 6.000 Personen an; sie ist damit die größte und einflussreichste Milzengruppierung im Osten der DRC. Mit Hilfe ihres Machtapparates wurde die in Nord- und Süd-Kivu einheimische kongolesische Zivilbevölkerung unterworfen. Strategisches Ziel der FDLR war und ist die Übernahme der Macht in der Republik Ruanda.
Die FDLR wurde lange Zeit durch die Regierung und die Armee der DRC unterstützt; auch diese betrachteten die gegenwärtige Regierung der Republik Ruanda als Feind, den es zu bekämpfen galt. So gelang es der FDLR, quasistaatliche Strukturen im Ostkongo aufzubauen, beispielsweise Steuern und Zölle zu erheben sowie den Abbau und Export der dort vorhandenen Bodenschätze zu kontrollieren. Diese Lage änderte sich Ende 2008/Anfang 2009. Zu diesem Zeitpunkt kam es zu einer Annäherung der Regierungen der DRC und der Republik Ruanda; beide Länder nahmen gemeinsam den Kampf gegen die FDLR auf. Im Frühjahr 2009 führten die kongolesische Regierungsarmee und die ruandischen Regierungstruppen gegen die FDLR die gemeinsamen Militäraktionen "Umuja Wetu", "Kimia II" und "Amani Leo" durch. Seit diesem Zeitpunkt war die FDLR wiederholt gezwungen, die Herrschaft über von ihr kontrollierte Gebiete abzugeben, sich zurück zu ziehen und neue Herrschaftsbereiche zu erobern. Dabei wurde der Operationsschwerpunkt in letzter Zeit von Nord- nach Süd-Kivu verlagert. Als Reaktion auf die Angriffe der kongolesischen und ruandischen Truppen intensivierte die FDLR ihre Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung im Ostkongo. Dabei wurde die Devise ausgegeben, eine humanitäre Katastrophe in der Bürgerkriegsregion herbeizuführen, um die Zivilbevölkerung gegen die Militäroffensive der kongolesischen Armee aufzubringen. Die FDLR entwickelte die Strategie der "operations punitives" bzw. "actions punitives". Die nicht mit der FDLR kooperierenden Zivilpersonen - auch Frauen und Kinder - wurden von ihr als Feinde betrachtet. Die einheimische Bevölkerung wurde unter anderem durch in den Dörfern hinterlassene schriftliche Mitteilungen für den Fall mit Straf- oder Racheaktionen bedroht, dass sie nicht mit der FDLR zusammenarbeite. Diese Drohungen wurden von der FDLR regelmäßig in die Tat umgesetzt; es kam zu einer Vielzahl von gewaltsamen Übergriffen bis hin zu Massakern, bei denen ganze Dörfer vernichtet und zahlreiche Menschen getötet wurden. Auch sexuelle Gewalt gegen die einheimische Zivilbevölkerung wurde als Teil der Kampfstrategie der FDLR angewendet.
U. a. aufgrund von Zeugenaussagen in diesem Verfahren sind insbesondere die folgenden Vorfälle der FDLR zuzuordnen:
- Am 13. Februar 2009 brannten Angehörige der FDLR als Reaktion auf einen Angriff der kongolesischen Regierungstruppen zahlreiche Häuser des Dorfes Kipopo im Territorium Masisi/Nord-Kivu nieder. Bei der Aktion wurden mehr als ein Dutzend Zivilisten getötet, von denen viele in ihren Häusern verbrannten.
- Bei einem Vergeltungs- bzw. Racheangriff der FDLR auf das Dorf Mianga im Territorium Walikale/Nord-Kivu am 12. April 2009 wurden ebenfalls zahlreiche Häuser niedergebrannt und Zivilisten getötet.
- Am 17. April 2009 griff die FDLR die Dörfer Luofo und Kasiki im Territorium Lubero/Nord-Kivu an und setzte zahlreiche Häuser in Brand. Auch bei dieser Aktion verbrannten mehrere Zivilisten. Ziel des Angriffs war es u. a., internationale Organisationen auf die Situation aufmerksam zu machen und so Druck auf die Regierung der Republik Ruanda auszuüben, mit der FDLR zu verhandeln.
- Am 9. Mai 2009 wurden bei einem Angriff der FDLR im Rahmen der "operations punitives" auf das Dorf Busurungi im Territorium Walikale/Nord-Kivu eine große Anzahl Häuser niedergebrannt und zivile Dorfbewohner umgebracht. Die Zeugin 1, die ebenso wie der Zeuge 2 den Angriff als Einwohner Busurungis selbst miterlebte, erhielt von einem Angehörigen der FDLR einen Schlag mit einer Machete gegen den Kopf. Der Zeuge 2 überlebte, weil er sich in einem Gebüsch versteckte. Von dort musste er u. a. ansehen, wie seine Nachbarn getötet wurden.
- Am 10. Mai 2009 zündeten Mitglieder der FDLR das Dorf Ekingi im Territorium Kalehe/Süd-Kivu an und töteten zahlreiche Zivilisten. Dabei handelte es sich um eine Racheaktion der FDLR, weil die kongolesische Dorfbevölkerung nicht mehr auf ihrer Seite gewesen sei.
- In zahlreichen Fällen kam es zu schwersten Körperverletzungen und sexuellen Gewalttaten von Angehörigen der FDLR gegenüber der einheimischen kongolesischen Bevölkerung, wobei insbesondere die geschädigten Frauen vielfach brutal misshandelt wurden; sie verstarben teilweise an den ihnen zugefügten Verletzungen.
- Die FDLR rekrutierte mehrfach Kinder im Alter von unter 15 Jahren. Diese wurden teilweise als sog. Kadogos zu Hilfsarbeiten herangezogen, teilweise erhielten sie noch im Kindesalter eine militärische Ausbildung und beteiligten sich an den Kämpfen.
- Angehörige der FDLR pressten der einheimischen Bevölkerung in zahlreichen Fällen Geld ab und stahlen bei Bedarf Nahrung und sonstige ihnen besitzenswert erscheinende Gegenstände wie Macheten oder Geschirr.
b) Die FDLR ist hierarchisch organisiert und nach sachlichen Zuständigkeitsbereichen gegliedert; ihre Funktionäre gehen arbeitsteilig vor. An der Spitze steht der Präsident, der zugleich auch oberster militärischer Befehlshaber ist. Er wird von zwei Vizepräsidenten vertreten, von denen der eine für den administrativen Bereich und die Außendarstellung, der andere für die militärischen Belange zuständig ist. Weiteres Mitglied der Führung ist der Exekutivsekretär, der die operativen Tagesgeschäfte maßgeblich mitbestimmt. Darüber hinaus gibt es in der politischen Führung mehrere Exekutivkommissionen (z. B. für Propaganda oder für Sicherheit) und ein sog. presidential cabinet. Die FDLR ist darauf bedacht, sich nach außen als im Kern politische Organisation darzustellen; sie erhebt den Anspruch, gleichberechtigt an Verhandlungen über die Zukunft der Kivu-Provinzen der DRC und die Rückführung der Mitglieder der FDLR nach Ruanda mitzuwirken sowie dort an der Macht beteiligt zu werden. Sie sieht letztlich ausschließlich Angehörige der Volksgruppe der Hutu als berechtigt an, die Macht in Ruanda auszuüben, und verfolgt deshalb das Ziel, die Tutsi wieder zu vertreiben. Die FDLR verfügt über eine militärische Unterorganisation, die "Forces Combattantes Abacunguzi" (im Folgenden: FOCA), die maßgeblich in die gegenwärtigen gewaltsamen Auseinandersetzungen in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu verwickelt ist. Die FOCA ist wie eine Armee aufgebaut und verfügt über eine bürokratische Struktur mit einem Oberkommando sowie über ein Netzwerk zur Rekrutierung von Kämpfern. Sie gliedert sich in zwei Divisionen sowie eine Reserve-Brigade und hält Ausbildungseinheiten vor. Kommandeur und damit militärischer Oberbefehlshaber der FOCA vor Ort im Kampfgebiet ist Generalmajor Sylvestre Mudacumura (alias Bernard Mpenzi). Die Entscheidungen der Führung der FOCA stehen unter dem Vorbehalt der Billigung durch die FDLR-Gesamtorganisation.
c) Der Beschuldigte studierte ab dem Jahre 1989 in Deutschland; 1998 promovierte er an der Universität Köln auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften. Während des Genozids in Ruanda im Jahre 1994 und danach hielt er sich dauerhaft in der Bundesrepublik Deutschland auf. Nach Gründung der FDLR übernahm er das Amt des Beauftragten für Außenbeziehungen der Organisation. Im Jahr 2001 wurde er zum Präsidenten der FDLR gewählt. In der Folgezeit unternahm er wiederholt Reisen in die DRC, um die dort maßgeblichen Mitglieder der Organisation zu treffen, seine Stellung in der FDLR zu festigen, aber auch um eine militärische Grundausbildung zu absolvieren. Im Juni 2005 wurde er erneut zum Präsidenten der FDLR gewählt. Nachdem der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gegen die FDLR ein Embargo verhängt hatte, ergriff er auch gegen den Beschuldigten Maßnahmen in Form von Reisebeschränkungen und Restriktionen für Finanztransfers. Die Stadt Mannheim verbot dem Beschuldigten mit Bescheid vom 2. Mai 2006, sich politisch zu äußern und für die FDLR zu betätigen. Nach Missachtung dieses Verbots durch Presseerklärungen und Internetveröffentlichungen in der Zeit von September 2007 bis November 2008 wurde der Beschuldigte im Juni 2009 vom Landgericht Mannheim wegen mehrfachen Verstoßes gegen § 95 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 47 Abs. 1 Satz 2 AufenthaltsG zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Beschuldigte wurde in der Bundesrepublik Deutschland zunächst als Asylberechtigter anerkannt. Mit Bescheid vom 22. Februar 2006 wurde die Anerkennung mit der Begründung widerrufen, der Beschuldigte sei als Vorsitzender der FDLR für die von deren Kämpfern im Osten der DRC begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verantwortlich. Zudem rechtfertige seine Nennung in der Liste der Verletzer des von den Vereinten Nationen verhängten Waffenembargos gegen die DRC die Annahme, dass er sich Handlungen habe zu Schulden kommen lassen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderliefen. Die hiergegen gerichtete Klage wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof durch - nicht rechtskräftiges - Urteil vom 13. Dezember 2009 abgewiesen.
Der Beschuldigte genießt innerhalb der FDLR bzw. FOCA eine uneingeschränkte Autorität. Er nimmt nicht lediglich nominell die Stellung des Präsidenten der FDLR ein; er ist vielmehr auch tatsächlich der höchste Führer der in der DRC operierenden Streitkräfte. Als solcher hatte er maßgeblichen Einfluss auf das Kriegsgeschehen in den Bürgerkriegsprovinzen der DRC und auf die dortigen, von Mitgliedern der FDLR begangenen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht. Der Beschuldigte hielt sich im Tatzeitraum zwar in der Bundesrepublik Deutschland auf. Er stand jedoch in regem und kontinuierlichem Austausch mit den verantwortlichen Führern der FOCA vor Ort und ließ sich über die aktuelle militärische Lage in Nord- und Süd-Kivu fortlaufend informieren. Er gab die Richtlinien der FDLR vor und initiierte auch strategische militärische Pläne. Ihm wurden Entscheidungsvorschläge zur militärischen Planung unterbreitet, die er teilweise annahm, teilweise veränderte und in seltenen Fällen ablehnte. Er ist selbst niederrangigen FDLR-Milizionären namentlich bekannt. Seine Kenntnis von der tatsächlichen Situation im Osten der DRC umfasste das Wissen um die von den Mitgliedern seiner Organisation begangenen Gräueltaten. Die Strategie der FDLR, im Rahmen des Kampfes gegen die jeweiligen Kriegsgegner auch und gerade in den Jahren 2008 und 2009 gewaltsam gegen die im Kampfgebiet ansässige Zivilbevölkerung vorzugehen, war dem Beschuldigten bekannt. Ihm war bewusst, dass die Kämpfer der FDLR als Mittel des Kampfes und der Disziplinierung der Zivilbevölkerung auch Vergewaltigungen, Brandschatzungen, Plünderungen sowie Entführungen einsetzten und selbst vor Tötungen nicht zurückschreckten. Als allgemein in der FDLR bzw. FOCA anerkannter und respektierter oberster Führer war er in der Lage, andere führende FDLR-Mitglieder, die sich seinen Anweisungen widersetzten, aus dem Weg zu räumen und dafür zu sorgen, dass ausstiegswillige FDLR-Kämpfer mit Bestrafungen von ihrem Vorhaben abgebracht wurden. Aufgrund seiner unumschränkten Befehls- und Verfügungsgewalt hatte er somit auch die Möglichkeit, die Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung, deren er sich bewusst war, durch entsprechende Direktiven zu verhindern.
2. Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus den Bekundungen zahlreicher Zeugen, den durch die Beschlagnahme des E-Mail-Verkehrs des Beschuldigten und die Überwachung seiner Telekommunikation gewonnenen Erkenntnissen sowie aus Berichten der Vereinten Nationen, deren Teilorganisationen sowie von Nichtregierungsorganisationen. Hinsichtlich der Einzelheiten nimmt der Senat auf die ausführlichen Darlegungen in dem Haftbefehl vom 16. November 2009, dem Haftfortdauerbeschluss vom 1. April 2010, sowie den Schriftsätzen des Generalbundesanwalts vom 22. Februar und 11. Mai 2010 Bezug. Die bisher ermittelten Beweise begründen bei der gebotenen vorläufigen Würdigung auch unter Beachtung der Einlassung des Beschuldigten vor dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs anlässlich seiner Haftprüfung am 30. März 2010 eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Beschuldigte Straftaten nach den §§ 4, 7, 8 VStGB sowie den §§ 129 a, 129 b StGB begangen hat.
Bezüglich der in diesem Verfahren vernommenen Zeugen verweist der Senat beispielhaft auf die Bekundungen des Zeugen H. zu dem Angriff der FDLR auf das Dorf Kipopo, die Aussagen der Zeugen N. und B. zu der Verwüstung des Dorfes Mianga, die Angaben des Zeugen B. zu den Übergriffen in den Dörfern Luofo und Kasiki, die Beschreibungen der Zeugen 1 und 2, N. sowie B. zu dem Massaker von Busurungi und die Schilderung des Zeugen B. zu dem Überfall auf das Dorf Ekingi. Die Zeugen 7 und 9 haben von zahlreichen weiteren, in diesem Beschluss nicht im Einzelnen aufgeführten Zerstörungen von Dörfern durch die FDLR im Jahre 2009 berichtet. Dem Zeugen 9 wurde dabei von einem Angehörigen der FDLR durch einen Hieb mit einer Machete ein Teil seiner Hand abgetrennt. Die Zeuginnen 4, 5, 8 und 10 haben anschaulich massive sexuelle Übergriffe durch Angehörige der FDLR geschildert. Die Zeugen T., Nt., B. und Ng. haben zu der Rekrutierung und dem Einsatz von Kindersoldaten Angaben gemacht. Die Zeugen 5 und 9 sowie der Zeuge Ha. haben von der Ausbeutung der Zivilbevölkerung durch die FDLR berichtet.
Die Rolle des Beschuldigten in der FDLR und seine Möglichkeiten, auf das Geschehen im Ostkongo Einfluss zu nehmen, werden belegt durch die aufgrund der Beschlagnahme des E-Mail-Verkehrs und der Überwachung der Telekommunikation des Beschuldigten gewonnenen Erkenntnisse sowie die Aussagen etwa der Zeugen W., Hi., M., R., Bi., B., N. und Ng. Der Beschuldigte selbst hat in einem Interview für den TV-Sender MDR im Oktober/November 2008 betont, er als Präsident der FDLR wisse ganz genau, was in der FDLR passiere. In einem weiteren Interview hat er am 10. August 2009 erklärt, er sei der Präsident und stehe dem militärischen und politischen Arm vor. Als solcher sei er der Oberbefehlshaber.
3. Danach besteht der dringende Tatverdacht, dass die in der DRC operierenden Angehörigen der FDLR Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 6 VStGB, Kriegsverbrechen gegen Personen nach § 8 Abs. 1 Nr. 1, 3, 4 und 5 VStGB sowie Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 9 Abs. 1 VStGB begangen haben, für die der Beschuldigte als Vorgesetzter nach § 4 VStGB strafrechtlich verantwortlich ist. Daneben hat sich der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
a) Für die Strafbarkeit nach dem Völkerstrafgesetzbuch gilt:
aa) Nach dem Grundtatbestand des § 7 Abs. 1 VStGB macht sich strafbar, wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung und damit einer Gesamttat zumindest eine der in den Nummern 1 bis 10 näher aufgeführten Tatbestandsalternativen verwirklicht (vgl. Zimmermann NJW 2002, 3068, 3069; Werle/Jeßberger JZ 2002, 725, 727 f.).
(1) Ein Angriff gegen eine Zivilbevölkerung ist nach der Legaldefinition in Art. 7 Abs. 2 (a) IStGH-Statut eine Verhaltensweise, die mit der mehrfachen Begehung der in Art. 7 Abs. 1 IStGH-Statut genannten Handlungen gegen eine Zivilbevölkerung verbunden ist, in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staates oder einer Organisation, die einen solchen Angriff zum Ziel hat. Hinter dem Angriff muss also ein Kollektiv stehen, bei dem es sich allerdings nicht notwendigerweise um einen Staat im Völkerrechtssinne zu handeln braucht. Somit ist ein militärischer Angriff im Sinne des humanitären Völkerrechts zur Tatbestandsverwirklichung nicht erforderlich (BTDrucks. 14/8524 S. 20).
Diese Voraussetzungen liegen mit Blick auf die zahlreichen gewaltsamen Übergriffe der FDLR auf die in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu der DRC lebende einheimische Zivilbevölkerung vor. Dabei bedarf es keiner näheren Betrachtung, ob zur Verwirklichung dieses Tatbestandsmerkmals auch im Rahmen des § 7 Abs. 1 VStGB das in Art. 7 Abs. 2 (a) IStGH-Statut genannte "Politikelement" erforderlich oder dieses entbehrlich ist (vgl. Werle/Burchards in MünchKomm § 7 VStGB Rdn. 30 ff.); denn die Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung beruhten auf der Politik der FDLR, die diese Übergriffe als Mittel des Kampfes einsetzte, um die kongolesische Zivilbevölkerung für ihre Zwecke gefügig zu machen, ihren Herrschafts- und Einflussbereich zu sichern bzw. auszubauen und Druck auf die DRC, Ruanda sowie die internationale Gemeinschaft auszuüben.
(2) Ein Angriff ist dann ausgedehnt, wenn er in einem großen Umfang durchgeführt wird und mit einer erheblichen Anzahl von Opfern in der Zivilbevölkerung verbunden ist. Dies kann sich insbesondere daraus ergeben, dass er sich gegen eine Vielzahl von Personen richtet oder sich über ein großes geografisches Gebiet erstreckt. Er kann auch in einer einzigen Handlung bestehen, wenn dieser zahlreiche Zivilpersonen zum Opfer fallen. Ein Angriff ist systematisch, wenn die Gewaltanwendung organisiert ist und planmäßig im Sinne eines konsequenten Handelns ausgeführt wird (Werle/Burchards aaO Rdn. 25 ff.).
Auch diese Voraussetzungen sind jedenfalls für die Zeit ab dem Beginn des Jahres 2009 sowohl bezüglich des quantitativen als auch des qualitativen Elements gegeben. Die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung führten zu zahlreichen Opfern. Die Gewalt wurde nicht nur isoliert und zufällig angewendet; vielmehr wurde sie - etwa in Form von Strafaktionen im Rahmen der "operations punitives" - der Strategie der FDLR folgend instrumentalisiert und regelmäßig ausgeführt, um die Zivilbevölkerung zur Loyalität gegenüber der Organisation zu "erziehen".
(3) Im Rahmen dieses Angriffs verursachten Angehörige der FDLR durch ihr Verhalten vorsätzlich den Tod zahlreicher Menschen (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 VStGB) und verübten eine Vielzahl von sexuellen Gewaltverbrechen (§ 7 Abs. 1 Nr. 6 VStGB).
bb) Wegen Kriegsverbrechen gegen Personen macht sich nach § 8 Abs. 1 VStGB strafbar, wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine der in den Nummern 1 bis 9 umschriebenen Handlungen begeht. Anders als bei den Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 VStGB ist hier die Einbettung der Taten in einen ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen die Zivilbevölkerung nicht erforderlich.
(1) Bei den Kämpfen zwischen der FDLR und den kongolesischen bzw. ruandischen Truppen im Osten der DRC handelt es sich um einen bewaffneten Konflikt im Sinne des § 8 Abs. 1 VStGB. Maßgebend hierfür ist, dass Waffengewalt eingesetzt wird und diese einer der beteiligten Konfliktparteien zuzurechnen ist. Formelle Voraussetzungen wie etwa eine förmliche Kriegserklärung sind nicht entscheidend. Die seit Jahren andauernden heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten gehen über nicht von der Norm erfasste innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen weit hinaus. Die FDLR ist aufgrund ihrer Struktur und ihres Organisationsgrades als taugliche Konfliktpartei anzusehen (vgl. Ambos in MünchKomm vor §§ 8 ff. VStGB Rdn. 23).
(2) Für die Beurteilung der Strafbarkeit nach § 8 Abs. 1 VStGB bedarf es keiner näheren Betrachtung, ob die Auseinandersetzungen zwischen der FDLR und ihren Gegnern im Osten der DRC als internationaler oder nichtinternationaler Konflikt zu bewerten sind. Der deutsche Gesetzgeber hat insoweit die Unterscheidung des IStGH-Statuts zwischen Kriegsverbrechen im internationalen und (Bürger)Kriegsverbrechen im nichtinternationalen Konflikt als wesentliches Strukturprinzip für den Gesetzesaufbau aufgegeben (BTDrucks. 14/8524 S. 24; Werle/Jeßberger JZ 2002, 725, 731 f.).
(3) Es besteht ein dringender Tatverdacht dahin, dass Angehörige der FDLR im Zusammenhang mit den bewaffneten Auseinandersetzungen zahlreiche - nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende - Zivilpersonen getötet (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB), sie durch Zufügung erheblicher körperlicher und seelischer Schäden (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB) grausam oder unmenschlich behandelt, sie sexuell genötigt und vergewaltigt (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB) sowie Kinder unter 15 Jahren in die FDLR eingegliedert und sie zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten verwendet haben (§ 8 Abs. 1 Nr. 5 VStGB). Diese Taten entsprachen der Kampfstrategie der FDLR; sie standen deshalb in einem funktionalen Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt und geschahen nicht lediglich "bei Gelegenheit" desselben (BTDrucks. 14/8524 S. 25; Zimmermann NJW 2002, 3068, 3070).
cc) Mit großer Wahrscheinlichkeit haben Angehörige der FDLR daneben Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 9 Abs. 1 VStGB begangen, indem sie im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt im Rahmen ihrer Aktionen gegen die Zivilbevölkerung dieser Nahrung und sonstige Gegenstände weggenommen und damit geplündert haben. Eine Plünderung liegt entsprechend der in § 125 a Satz 2 Nr. 4 StGB gebrauchten Umschreibung (BTDrucks. 14/8524 S. 31) vor, wenn unter Ausnutzung der Gesamtsituation fremde bewegliche Sachen gestohlen oder einem anderen in Zueignungsabsicht abgenötigt werden (vgl. BGH JZ 1952, 369); der Begriff umfasst im Ergebnis alle Formen der rechtswidrigen Aneignung von Eigentum in einem bewaffneten Konflikt. Er kann durch isolierte Taten einzelner Kämpfer verwirklicht werden oder Teil einer organisierten Aneignung und systematischen Ausbeutung eines besetzten oder militärisch kontrollierten Gebietes sein (vgl. Ambos aaO § 9 VStGB Rdn. 6 f.). Diese Voraussetzungen sind durch das bisherige Ermittlungsergebnis im Sinne eines dringenden Tatverdachts ausreichend belegt.
dd) Der Beschuldigte ist mit hoher Wahrscheinlichkeit für die von den Angehörigen der FDLR begangenen Verstöße gegen das VStGB als Vorgesetzter nach § 4 VStGB strafrechtlich verantwortlich. Nach dieser Vorschrift werden militärische und zivile Vorgesetzte wie ein Täter der von ihren Untergebenen begangenen Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch bestraft, wenn sie diese Straftaten bewusst geschehen lassen. Danach wird im Unterschied zu den allgemeinen Regeln des deutschen Strafrechts zum einen auch eine bloße Unterstützung der Straftat eines Untergebenen durch Nichtstun als Täterschaft des Vorgesetzten eingestuft, ohne dass es auf eine Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme im Einzelfall ankommt. Zum anderen bleibt dem untätigen Vorgesetzten aufgrund seiner besonderen Verantwortung die Möglichkeit der Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB versagt (BTDrucks. 14/8524 S. 19; vgl. im Einzelnen auch Weigend, ZStW 116 [2004], 999).
(1) Als militärischer Befehlshaber gilt, wer die faktisch ausübbare, gegebenenfalls auch rechtlich fundierte Möglichkeit hat, Untergebenen verbindliche Anweisungen zu erteilen und die Ausführung dieser Anweisungen durchzusetzen. Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist innerhalb einer militärischen Hierarchie jedes Glied der Befehlskette als Befehlshaber anzusehen. Befehlshaber kann demnach sowohl der oberste Führer als auch ein unterer Führer sein, dem nur eine kleine Gruppe von Kämpfern untersteht. Hieraus folgt, dass mehrere Vorgesetzte unterschiedlicher Ebenen für ein und dieselbe Straftat eines Untergebenen gleichermaßen nach § 4 VStGB verantwortlich sein können. Allein der Titel oder die formelle rechtliche Stellung vermag eine Haftung nach § 4 VStGB nicht zu begründen. Hinzukommen muss stets, dass der Vorgesetzte die Möglichkeit hat, das Verhalten seiner Untergebenen faktisch zu bestimmen, insbesondere Straftaten wirksam zu unterbinden (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1008). Innerhalb von Entscheidungsgremien sind nicht ohne Weiteres alle Mitglieder Vorgesetzte im Sinne des § 4 VStGB. Auch hier kommt es maßgebend auf die Befugnis an, die gemeinsam getroffene Entscheidung gegenüber den Untergebenen verbindlich anzuordnen (vgl. Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 17 ff.). Personen wie Stabsoffiziere oder Militärberater, die zwar tatsächlichen Einfluss auf die Entscheidungsfindung, aber keine unmittelbare Befehlsgewalt besitzen, fallen nicht in den Anwendungsbereich der Vorgesetztenverantwortlichkeit (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1009).
Nach diesen Maßstäben ist der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit als Vorgesetzter im Sinne des § 4 VStGB anzusehen. Er war nicht nur nominell Präsident der FDLR, sondern übte auch faktisch die Funktion des obersten militärischen Befehlshabers aus. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist davon auszugehen, dass er in ständigem Kontakt mit den Entscheidungsträgern vor Ort stand und tatsächlich sowie nach den innerhalb der FDLR bestehenden Befehlsstrukturen in der Lage war, für deren Verbände verbindliche Anweisungen strategischen Inhalts, aber auch für konkrete Kampfhandlungen und -methoden zu erteilen.
(2) Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Vorgesetzten nach § 4 VStGB erfordert, dass er es unterlässt, den Untergebenen an der Tat zu hindern. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Dabei kann dahinstehen, ob der Vorgesetzte dem Wortlaut des § 4 VStGB folgend eine Strafbarkeit wegen der Tat des Untergebenen nur dann vermeiden kann, wenn er erfolgreich in dem Sinne tätig wird, dass die Tat aufgrund seiner Intervention unterbleibt, oder ob es ausreicht, dass der Vorgesetzte alles tut, was in seiner Macht steht und was angemessen und erforderlich ist, um den Untergebenen von der Tat abzubringen (vgl. Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 47 ff.). Denn nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis hat der Beschuldigte keine ernsthaften und nachhaltigen Maßnahmen ergriffen, um die ihm bekannten gewalttätigen Übergriffe auf die kongolesische Zivilbevölkerung zu verhindern. Diese waren vielmehr wesentlicher Bestandteil der maßgeblich von dem Beschuldigten geprägten allgemeinen militärischen und politischen Strategie der FDLR, mit der sie ihre Ziele zu erreichen trachtete.
(3) In subjektiver Hinsicht ist gemäß § 2 VStGB i. V. m. § 15 StGB mindestens bedingter Vorsatz hinsichtlich der objektiven Tatbestandsmerkmale erforderlich (Satzger NStZ 2002, 125, 127 f.).
(a) Im Gegensatz zur völkerstrafrechtlichen Vorgesetztenverantwortlichkeit reicht im Rahmen des § 4 VStGB auch für militärische Vorgesetzte somit Fahrlässigkeit nicht aus. Die Regelung des Völkerstrafgesetzbuchs bleibt damit hinter derjenigen nach Art. 28 IStGH-Statut zurück. Der Vorsatz muss sich zunächst auf die Merkmale der Vorgesetzteneigenschaft des Täters sowie den Umstand beziehen, dass der konkret handelnde Täter sein Untergebener ist; auch muss der Vorgesetzte wissen oder es konkret für möglich halten, dass er durch Ausübung seiner Befehls- oder Führungsgewalt die Ausführung der Tat des Untergebenen verhindern kann.
Der Vorgesetzte muss ferner erkennen oder mit der konkreten Möglichkeit rechnen, dass der Untergebene eine Straftat nach dem VStGB zu begehen beabsichtigt. Dabei reicht es jedenfalls aus, wenn sein bedingter Vorsatz die Art der zu begehenden Straftat - etwa Tötungen nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 oder § 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB - umfasst und sich weiter darauf erstreckt, dass derartige Taten bei dem Einsatz der ihm unterstellten Truppen im Kampfgebiet begangen werden. Ein hierüber hinausgehendes Detailwissen ist nicht erforderlich. Ob sogar die Kenntnis von einer bloß abstrakten Möglichkeit der Begehung von Menschlichkeits- oder Kriegsverbrechen durch einen Untergebenen ausreicht, um den notwendigen Vorsatz des Vorgesetzten zu begründen (vgl. die Nachweise bei Weigend aaO Rdn. 56), bedarf hier vor dem Hintergrund des Ermittlungsergebnisses keiner Entscheidung.
Liegen die dargelegten Voraussetzungen vor, so beseitigen Abweichungen etwa hinsichtlich der Ausführungsweise oder der Schwere des durch den Untergebenen begangenen Unrechts die Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht. Allerdings scheidet die Strafbarkeit des Vorgesetzten nach § 4 VStGB aus, wenn der Untergebene eine qualitativ andere Straftat nach dem Völkerstrafgesetzbuch begeht als diejenige die der Vorgesetzte erwartet hat und geschehen lassen wollte (z. B. eine Vergewaltigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB statt der vom Vorgesetzten erwarteten Plünderung nach § 9 Abs. 1 VStGB oder umgekehrt, vgl. insoweit zutreffend Weigend aaO Rdn. 57).
Darüber hinaus ist es nicht erforderlich, dass der Vorgesetzte - etwa den bei der Anstiftung nach § 26 StGB oder der Beteiligung nach § 30 StGB entwickelten Grundsätzen entsprechend - eine wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch in den wesentlichen Merkmalen und Grundzügen konkretisierte Haupttat vor Augen haben muss (so aber Weigend aaO Rdn. 56). Der Wortlaut der Norm erfordert eine derart einschränkende Auslegung nicht. Die undifferenzierte Übertragung der bei der Beteiligung an Straftaten nach den Maßgaben des Allgemeinen Teil des deutschen Strafgesetzbuchs entwickelten Grundsätze widerspricht zudem dem Sinn und Zweck des § 4 VStGB; sie würde den spezifischen Besonderheiten der Zurechnung von Verstößen gegen das Völkerstrafgesetzbuch in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Dieses unterscheidet sich vom allgemeinen Strafgesetzbuch namentlich dadurch, dass es den regelmäßig kollektiven Charakter der von ihm erfassten Delikte in den Vordergrund stellt. Zentraler Aspekt seiner Strafkonzeption ist gerade die Ahndung der Tatbeteiligung einer Vielzahl von Personen, die auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen an der Deliktsverwirklichung mitwirken. Mit Blick auf die - völkerstrafrechtliche - Vorprägung des Gesetzes ist es unabdingbar, diese Besonderheiten bei dessen Auslegung wesentlich mit einzubeziehen (vgl. Zimmermann NJW 2002, 3068, 3069). Hieraus folgt:
Zum einen trifft die Pflicht, Straftaten eines Untergebenen nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu verhindern, den Vorgesetzten nicht erst dann, wenn ihm die zu begehende Straftat in ihren wesentlichen Merkmalen bekannt ist. Denn von dem ihm unterstellten Personal geht regelmäßig etwa aufgrund von deren Bewaffnung eine große Gefahr für besonders hochwertige Rechtsgüter bis hin zu Leib und Leben der potentiellen Opfer aus (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1003). Dieses Gefahrenpotential begründet eine besondere Verantwortung des Vorgesetzten (BTDrucks. 14/8524 S. 18 f.) und macht es in besonderer Weise erforderlich, dass dieser die ihm Untergebenen zu einer rechtskonformen Ausübung ihres Einsatzes anhält. Die Allgemeinheit muss deshalb darauf vertrauen können, dass der Befehlshaber die Gefahren, die mit bewaffneten Einheiten immer latent verbunden sind, durch geeignete Maßnahmen frühzeitig unter Kontrolle hält und nicht erst eingreift, wenn ihm Straftaten in konkretisierter Form bekannt werden.
Zum anderen bezweckt § 4 VStGB nicht nur die Zurechnung von Straftaten Untergebener auf Vorgesetzte, die mit dem konkreten Geschehen vor Ort derart intensiv betraut sind, dass ihr bedingter Vorsatz sogar Einzelheiten der in Betracht kommenden Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch umfasst. Zur Rechenschaft gezogen werden sollen vielmehr gerade auch Vorgesetzte, die an der Spitze der Befehlskette stehen und damit regelmäßig von dem tatsächlichen Geschehen vor Ort so weit entfernt sind, dass sie keine detaillierten Kenntnisse etwa bezüglich des genauen Ortes, der genauen Zeit und der konkreten Opfer haben. Die Vorschrift würde weitgehend leer laufen und könnte die ihr zugedachte Funktion nur in äußerst eingeschränktem Umfang erfüllen, wollte man an den Vorsatz des Vorgesetzten bezüglich der von dem Untergebenen zu begehenden Straftat zu hohe Anforderungen stellen. Dies wird besonders deutlich in Fällen wie dem vorliegenden, die ihr wesentliches Gepräge dadurch erhalten, dass die Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch Teil der allgemeinen Strategie der Organisation sind. Diese allgemeinen Direktiven gehen indes regelmäßig von den Führern der Organisation aus; gerade diese wären bei zu hohen Anforderungen an das Wissenselement des Vorsatzes mangels ausreichend konkreter Kenntnisse von den einzelnen Übergriffen von der Haftung nach § 4 VStGB ausgenommen.
Schließlich kommt hinzu, dass im Rahmen bewaffneter Auseinandersetzungen sich typischerweise häufig erst kurzfristig ergibt, welche genauen Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch in Betracht kommen, so dass die Zurechnung der Taten nach § 4 VStGB auch aus diesem Grunde nur ganz eingeschränkt möglich wäre, wollte man detaillierte Kenntnisse des Vorgesetzten verlangen.
(b) Nach diesen Maßstäben ist der dringende Tatverdacht auch für den Vorsatz des Beschuldigten zu bejahen. Ihm war die Strategie der FDLR bewusst, gewaltsame Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung als Mittel des Kampfes einzusetzen. Aufgrund zahlreicher Informationsquellen, darunter persönliche Unterrichtungen durch die örtlichen Kommandanten der FDLR bzw. FOCA im Ostkongo war ihm bekannt, dass diese Strategie auch tatsächlich umgesetzt wurde und es dabei zu zahlreichen Verstößen gegen das Völkerstrafgesetzbuch in der dargelegten jeweiligen Art kam. Er war sich darüber im Klaren, dass die ihm unterstehenden Milizionäre etwa Tötungen, Vergewaltigungen, schwere Körperverletzungen und Plünderungen begingen sowie Kindersoldaten rekrutierten und einsetzten, solange er dies nicht unterbinden würde. Dass er möglicherweise nicht in jedem Einzelfall im Vorhinein die dann tatsächlich begangenen Straftaten konkret kannte, steht seiner strafrechtlichen Verantwortung nach § 4 VStGB nach alldem im Ergebnis nicht entgegen.
aa) Die FDLR stellt aufgrund ihrer Organisationsstruktur, der Anzahl und willensmäßigen Einbindung ihrer Mitglieder sowie der Dauerhaftigkeit der Verbindung eine Vereinigung im Ausland im Sinne der §§ 129, 129 a, 129 b StGB dar (vgl. hierzu im Einzelnen BGH NJW 2009, 3448, 3459 f.; 2010, 1979, 1981).
Das Vorliegen einer Vereinigung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die FDLR auch als militärische Organisation nach den §§ 7, 8 VStGB anzusehen ist (vgl. Werle/Burchards in MünchKomm § 7 VStGB Rdn. 35; aA wohl Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 23). Weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck der §§ 129 ff. StGB oder der §§ 7 ff. VStGB legen eine solche Ansicht nahe. Das Völkerstrafgesetzbuch trifft keine abschließende Sonderregelung für Straftaten, die in bewaffneten Konflikten oder im Zusammenhang mit Angriffen gegen die Zivilbevölkerung begangen werden (BTDrucks. 14/8524 S. 13). Nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB können die Zwecke oder Tätigkeit einer terroristischen Vereinigung vielmehr gerade darauf gerichtet sein, Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu begehen. Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund dies nur für Verbände gelten soll, die im Normgefüge des Völkerstrafgesetzbuchs keine Rolle spielen können. Der Schutzzweck der §§ 129 ff. StGB würde ebenfalls nicht unerheblich beeinträchtigt, wenn militärische Einheiten von vorneherein aus dem Anwendungsbereich der Vorschriften herausfielen; denn gerade von solchen Gruppierungen gehen regelmäßig etwa aufgrund ihrer Bewaffnung und Struktur besondere Gefahren für die öffentliche Sicherheit aus. Verwirklicht ein Täter durch sein Verhalten sowohl einen Tatbestand des allgemeinen Strafrechts als auch einen solchen des Völkerstrafgesetzbuchs, so gelten die allgemeinen Konkurrenzregeln (BTDrucks. 14/8524 S. 13). Deshalb gilt für das Verhältnis zwischen den §§ 129 ff. StGB und den von dem Täter in Verfolgung des Zwecks der Vereinigung ausgeführten Straftaten keine Besonderheiten, wenn als konkrete Straftaten solche nach dem Völkerstrafgesetzbuch in Rede stehen.
bb) Die Zwecke oder Tätigkeit der FDLR sind darauf gerichtet, Straftaten nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB, namentlich Tötungsdelikte und Straftaten nach den §§ 7, 8 VStGB, zu begehen. Hierfür genügt es, wenn sich die Mitglieder der Vereinigung bewusst sind, dass es bei der Verfolgung ihrer Pläne zur Begehung von Katalogtaten kommen kann und sie dies auch wollen; die Vereinigung muss nicht ausschließlich das Ziel der Begehung solcher Taten verfolgen.
cc) Der Beschuldigte hat sich an dieser Vereinigung durch seine in der Bundesrepublik Deutschland entfalteten umfangreichen Tätigkeiten für die FDLR als Mitglied beteiligt. Als Präsident hatte er innerhalb der FDLR eine maßgebliche Führungsrolle inne, so dass er als Rädelsführer im Sinne des § 129 a Abs. 4 StGB anzusehen ist.
dd) Die Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz gemäß § 129 b Abs. 1 Satz 3 StGB zur Verfolgung von Taten nach den §§ 129 a, 129 b StGB in Deutschland, die im Zusammenhang mit der FDLR stehen, wurde am 8. Dezember 2008 erteilt.
4. Bereits der dringende Tatverdacht bezüglich der genannten Delikte rechtfertigt die Fortdauer der Untersuchungshaft. Es bedarf deshalb keiner näheren Betrachtung, ob der Beschuldigte weitere Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch, etwa wie im Haftbefehl angenommen nach § 8 Abs. 1 Nr. 2, 6 und 9, § 11 Abs. 1 Nr. 4 VStGB, jeweils i. V. m. § 4 VStGB, begangen hat. Der Senat weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass die endgültige Bewertung der Beweislage gegebenenfalls nach Durchführung der Beweisaufnahme in einer Hauptverhandlung zu treffen sein wird. Erst auf der Grundlage von deren Ergebnis wird auch abschließend zu beurteilen sein, ob sich eine für eine Verurteilung ausreichende richterliche Überzeugung insbesondere von denjenigen Übergriffen auf die kongolesische Zivilbevölkerung bilden lässt, für die unmittelbare Tatzeugen nicht zur Verfügung stehen und die nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen etwa lediglich durch Berichte verschiedener Organisationen mittelbar belegt sind.
5. Da der Beschuldigte der Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b StGB) dringend verdächtig ist, liegt der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO) vor. Daneben sind die Haftgründe der Flucht- und der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 und 3 StPO) gegeben.
Der Beschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer erheblichen, unter Umständen sogar lebenslangen Freiheitsstrafe zu rechnen. Von dieser Straferwartung geht ein hoher Fluchtanreiz aus. Dem stehen ausreichend gewichtige, die Fluchtgefahr hemmende Umstände nicht entgegen. Es ist deshalb wahrscheinlicher, dass der Beschuldigte, in Freiheit belassen, sich dem Verfahren entziehen als sich ihm stellen wird.
Daneben sind für den Fall, dass der Beschuldigte nicht in Haft gehalten wird, mit großer Wahrscheinlichkeit Verdunkelungshandlungen zu erwarten. Es ist davon auszugehen, dass er als Präsident der FDLR Kontakt zu seinen Untergebenen in der DRC aufnehmen und diese veranlassen würde, auf die namentlich bekannten Zeugen in unlauterer Weise einzuwirken, um diese an weiteren Aussagen zu hindern. Daneben ist zu erwarten, dass versucht werden würde, die anonymisierten Opferzeugen ausfindig zu machen, um sie ebenfalls von weiteren Bekundungen abzuhalten.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten nimmt der Senat jeweils auf die zutreffenden Ausführungen in dem Haftbefehl vom 16. November 2009 und dem Haftfortdauerbeschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 1. April 2010 Bezug.
Unter diesen Umständen vermögen Maßnahmen nach § 116 Abs. 1, 2 StPO nicht die Erwartung zu begründen, dass durch sie der Zweck der Untersuchungshaft auch erreicht werden kann bzw. die Verdunkelungsgefahr erheblich vermindert wird.
6. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft.
Nach der Festnahme des Beschuldigten waren zahlreiche, zum Teil aufwändige und zeitintensive Ermittlungsmaßnahmen vorzunehmen. Das Tatgeschehen hat sich zu einem großen Teil in der DRC und damit in einem zentralafrikanischen Land zugetragen. Seine Aufarbeitung durch die deutschen Strafverfolgungsbehörden erfordert u. a. zahlreiche Ermittlungshandlungen im Rechtshilfewege. Sowohl die Stellung der Rechtshilfeersuchen an mehrere Länder sowie die Vereinten Nationen als auch die Durchführung der erbetenen Rechtshilfe sind mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Dies gilt insbesondere für die Vernehmung von Zeugen in der DRC. Die dortige gegenwärtige Situation erfordert intensive Maßnahmen zur Lokalisierung von aussagebereiten Zeugen sowie zur Vorbereitung und Durchführung der Vernehmungen. Hinzu kommt, dass sich die Auswertung der überwachten Telekommunikation des Beschuldigten sowie der anlässlich der Durchsuchung sichergestellten Dokumente als besonders zeit- und arbeitsintensiv darstellt. So müssen etwa die zum größten Teil in der Sprache Kiryawanda geführten Gespräche in die deutsche Sprache übersetzt werden, was sich auch deswegen als schwierig gestaltet, weil der Kreis der zur Verfügung stehenden Dolmetscher begrenzt ist. Schließlich erfordert die Verknüpfung der vielen Einzelergebnisse ebenfalls einen erheblichen Aufwand.
7. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu den gegen den Beschuldigten erhobenen Tatvorwürfen nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Becker von Lienen Schäfer