Entscheidungsdatum: 14.10.2011
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.
I.
Der Beschuldigte, der deutscher Staatsangehöriger ist, wurde am 22. Februar 2011 vorläufig festgenommen und befindet sich seit diesem Tag mit einer Unterbrechung zwischen dem 22. Juli 2011 und dem 30. August 2011 zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe in Untersuchungshaft aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 18. Februar 2011 (2 BGs 64/11).
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich seit dem 1. September 2009 als Mitglied an der "Islamischen Bewegung Usbekistan" und damit an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen, strafbar als Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (§ 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB).
Die Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz zur Verfolgung aller bereits begangenen und zukünftigen Taten im Zusammenhang mit der "Islamischen Bewegung Usbekistan" liegt seit dem 23. Oktober 2009 vor.
II.
Die Voraussetzungen der Untersuchungshaft und ihrer Fortdauer über sechs Monate hinaus sind gegeben.
1. Der Beschuldigte ist der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, der "Islamischen Bewegung Usbekistan", dringend verdächtig.
a) Bei der im Jahr 1998 gegründeten Gruppierung "Islamische Bewegung Usbekistan" handelt es sich nach den Behördenzeugnissen des Bundesnachrichtendienstes vom 26. März 2009, vom 18. Februar 2011 und vom 30. Juni 2011 sowie den Gutachten des Dr. Guido Steinberg, Stiftung Wissenschaft und Politik Berlin, Stand: Oktober 2009 und Juli 2011, um eine im Ausland bestehende Vereinigung, deren Zwecke und Tätigkeiten darauf gerichtet sind, Mord oder Totschlag zu begehen:
Das in Zentralasien gelegene Ferganatal bildete ursprünglich einen einheitlichen Kulturraum. In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde es zwischen den usbekischen, tadschikischen und kirgisischen Sowjetrepubliken aufgeteilt.
Ab dem Jahr 1991 verstand sich die Vorgängerorganisation der "Islamischen Bewegung Usbekistan", deren Mitglieder überwiegend usbekische Islamisten sind, der aber auch Pakistanis und Deutsche angehören, als Befreiungsbewegung für das Ferganatal, wobei sie zunächst das säkulare Regime des Präsidenten Karimov in Usbekistan beseitigen und einen islamischen Staat errichten wollte. Etwa im Jahr 1998 verlegte sie ihr Operations- und Rückzugsgebiet nach Afghanistan. Am 16. Februar 1999 verübten Mitglieder einen Anschlag unter anderem auf den usbekischen Präsidenten, bei dem 13 Menschen starben und über 100 verletzt wurden. Nach der Tötung einer Vielzahl ihrer Mitglieder durch US-amerikanische Streitkräfte zog sie sich Ende des Jahres 2001 nach Waziristan zurück.
Nach der Abspaltung der "Islamischen Jihad Union" konzentrierten sich die Aktivitäten der "Islamischen Bewegung Usbekistan" auf einen Kampf gegen die pakistanische Regierung.
Spätestens seit dem Jahr 2008 richtete sich die "Islamische Bewegung Usbekistan" in stärkerem Maße international aus. Von ihr autorisierte Filmbotschaften definieren als Ziel des Jihad die Vertreibung der mit den USA verbündeten Streitkräfte aus Afghanistan und die Ausweitung des Wirkungsbereichs des Islam. Sie belegen die partnerschaftliche Kooperation der "Islamischen Bewegung Usbekistan" mit anderen terroristischen Vereinigungen im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet und ihre Bereitschaft, sich bei Einzelaktionen der Führung größerer Terrororganisationen unterzuordnen. Die "Islamische Bewegung Usbekistan" bekannte sich 2009 zu einem Selbstmordattentat, bei dem unter anderem sieben Zivilisten getötet wurden.
Die "Islamische Bewegung Usbekistan" ist als Personenverband hierarchisch strukturiert. Sie bindet ihre Mitglieder durch einen Gefolgschaftseid an die Gruppierung bzw. ihren Führer. Der Führungsspitze - seit dem Jahr 2009 um Usmon Odil - ist eine zehn- bis fünfzehnköpfige Shura nachgeordnet, die Organisationseinheiten in den Bereichen Sicherheit, Ausbildung, Finanzen, Medien / Propaganda sowie militärische Operationen umfasst.
b) Der Beschuldigte, der als deutscher Staatsangehöriger auch für in Pakistan begangene mitgliedschaftliche Betätigungshandlungen nach § 129b Abs. 1, § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB deutscher Strafgewalt unterliegt (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juli 2009 - StB 34/09, BGHR StPO § 129b Anwendbarkeit 1; Beschluss vom 15. Dezember 2009 - StB 52/09, BGHSt 54, 264, 267), ist dringend verdächtig, seit dem 1. September 2009 Mitglied der "Islamischen Bewegung Usbekistan" zu sein:
Ausweislich der gemäß dem Artikel 10-Gesetz erstellten Gesprächsprotokolle, die zugleich die Einlassung des Beschuldigten widerlegen, er habe sich lediglich längere Zeit in der Türkei aufgehalten und dort einen Verkehrsunfall gehabt, reiste der Beschuldigte im Sommer 2009 von Deutschland nach Istanbul und anschließend weiter über den Iran nach Waziristan. Spätestens am 1. September 2009 erreichte er ein Ausbildungslager der "Islamischen Bewegung Usbekistan", absolvierte dort eine Ausbildung und wurde bei dem Umgang mit Kampfmitteln verletzt. Wegen der Einzelheiten des Tatvorwurfs nimmt der Senat im Übrigen Bezug auf den Inhalt des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 18. Februar 2011.
Nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis gliederte sich der Beschuldigte durch seine intensive Mitwirkung anlässlich seiner Ausbildung willentlich und mit dem Einverständnis der für sie verantwortlich Handelnden in die "Islamische Bewegung Usbekistan" ein. Zwar fehlt es bisher an unmittelbaren Beweisen dafür, dass der Beschuldigte einen Gefolgschaftseid leistete. Außerdem ist die Beteiligung an Kampfhandlungen nicht zweifelsfrei belegt, da sich der Beschuldigte Anfang des Jahres 2010 verletzte, ausweislich der Vermerke des Bundeskriminalamts vom 11. November 2010 (dort S. 55) und vom 31. Januar 2011 (dort S. 112) in den Wintermonaten aber witterungsbedingt die Ausbildung im Vordergrund steht und Kampfhandlungen erschwert sind. Die gemäß dem Artikel 10-Gesetz erstellten Gesprächsprotokolle ergeben aber, dass der Beschuldigte mit ausdrücklicher Zustimmung der dort Verantwortlichen Aufnahme in das nicht jedem Interessierten zugängliche Ausbildungslager fand und anschließend in enger persönlicher Verbindung mit dem laut Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 7. Januar 2010 hochrangigen Mitglied der "Islamischen Bewegung Usbekistan", Y. , stand, der den Kontakt zur Familie des Beschuldigten in Deutschland vermittelte. Diese Umstände belegen den Erwerb der Mitgliedschaft mit der zur Annahme eines dringenden Tatverdachts hinreichenden Sicherheit. In einer Hauptverhandlung wird Gelegenheit bestehen, zu dieser Frage - gegebenenfalls unter sachverständiger Beratung - weitere Feststellungen zu treffen und abschließend zu klären, ob die Mitgliedschaft des Beschuldigten in der Organisation mit der zu einer Verurteilung erforderlichen Sicherheit zu belegen ist.
Die nach Erlass des Haftbefehls durchgeführten Ermittlungen haben den gegen den Beschuldigten bestehenden dringenden Tatverdacht noch verdichtet. Insbesondere ergibt die Auswertung von Asservaten jihadistischen Inhalts, die bei einer beim Beschuldigten am 22. Februar 2011 durchgeführten Durchsuchung sichergestellt wurden, Aufschluss über seine Motivation und seine fortdauernde Verbundenheit mit den Zielen der "Islamistischen Bewegung Usbekistan".
2. Es besteht aus den im Haftbefehl dargestellten Gründen nach wie vor der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO), so dass es auf den weiteren Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO nicht ankommt. Dass der Beschuldigte - nach den Ergebnissen der Telekommunikationsüberwachung von seiner Familie nachdrücklich dazu angehalten - kurz vor seiner Verhaftung in eine Eheschließung nach islamischen Grundsätzen einwilligte, ändert daran nichts, weil er sich dadurch nicht an einem Verlassen Deutschlands gehindert sähe. Der Zweck der Untersuchungshaft kann durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug nicht erreicht werden (§ 116 Abs. 1 StPO). Die bisherige Dauer der Untersuchungshaft steht auch noch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden erheblichen Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
3. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang des Verfahrens haben ein Urteil noch nicht zugelassen.
Seit der Inhaftierung des Beschuldigten wurden weitere Ermittlungen durchgeführt, die sich - auch wegen des Auslandsbezugs - als besonders schwierig erweisen. Beim Beschuldigten und weiteren Mitbeschuldigten wurden Wohn- und Geschäftsräume durchsucht. Dabei wurde eine Vielzahl von Beweismitteln sichergestellt. Deren Auswertung beansprucht einen erheblichen Zeitaufwand, weil ein großer Teil der Asservate nur mit Hilfe von Dolmetschern und Islamwissenschaftlern erschlossen werden kann.
Dies hat bisher ein Urteil nicht zugelassen. Indes geht der Senat davon aus, dass - wie vom Generalbundesanwalt angekündigt - gegen den Beschuldigten nunmehr alsbald Anklage erhoben werden wird.
Becker Pfister Menges