Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 28.10.2015


BPatG 28.10.2015 - 9 W (pat) 43/09

Patenteinspruchsbeschwerdeverfahren – "Pumpe mit integrierter Leistungsregelung" – Entscheidung einer Patentabteilung ist erst später als fünf Monate nach der Verkündung mit Gründen versehen worden - Begründungsmangel


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsdatum:
28.10.2015
Aktenzeichen:
9 W (pat) 43/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

In dem Einspruchsbeschwerdeverfahren

betreffend das Patent 198 12 784

hat der 9. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 28. Oktober 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Ing. Hilber sowie der Richter Dipl.-Ing. Bork, Paetzold und Dr.-Ing. Baumgart

beschlossen:

1. Auf die Beschwerde der Patentinhaberin wird der Beschluss der Patentabteilung 15 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 21. Juli 2009 aufgehoben.

2. Das Verfahren wird zur erneuten Bearbeitung des Einspruchs an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.

Gründe

I.

1

Gegen das Patent 198 12 784 mit der Bezeichnung „Pumpe mit integrierter Leistungsregelung“, dessen Erteilung am 31. Oktober 2007 veröffentlicht wurde, hat die Einsprechende am 30. Januar 2008 schriftlich mit Begründung Einspruch erhoben, dem die Patentinhaberin mit Schriftsatz vom 27. Mai 2008 entgegengetreten ist. Am 17. Dezember 2008 hat die Patentabteilung 15 eine Anhörung durchgeführt, an deren Ende der Beschluss verkündet worden ist, dass „das Patent 198 12 784 der W… GmbH in D… … widerrufen“ wird. Die Beschlussbegründung vom 29. Juli 2009 ist den Beteiligten mit Anschreiben mit gleichem Datum am 12. August 2009 zugesandt worden; die Patentinhaberin hat den schriftlichen Beschluss am 14. August 2009 erhalten.

2

Gegen den Widerruf wendet sie sich mit ihrer Beschwerde vom 14. September 2009, eingegangen am gleichen Tage, in der sie beantragt hat, den Beschluss aufzuheben und das Streitpatent in der erteilten Fassung, andernfalls gemäß beigefügtem Hilfsantrag beschränkt aufrecht zu erhalten.

3

Mit Schriftsatz vom 9. Dezember 2009 hat die Einsprechende beantragt, „die Beschwerde der W… SE zurückzuweisen …“.

4

Mit Beschluss vom 10. Mai 2010 hat die Patentabteilung 15 den schriftlichen Beschluss vom 29. Juli 2009 dahingehend berichtigt, dass sein Datum auf den 17. Dezember 2009 gesetzt und der Firmenname der Patentinhaberin von W…GmbH auf W… AG geändert werde. Das Aktenexemplar des Berichtigungsbeschlusses ist von keinem der beteiligten Mitglieder der Patentabteilung unterzeichnet, sondern trägt nur die Unterschrift der Tarifbeschäftigten, die den Beschluss ausgefertigt hat; auch der in der Akte befindliche handschriftliche Entwurf ist nicht unterschrieben.

5

Mit Schriftsatz vom 9. Juli 2012 beantragt die Patentinhaberin,

6

den Widerrufsbeschluss der Patentabteilung aufzuheben und das Verfahren an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.

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Hierzu verweist sie unter Bezugnahme auf den Berichtigungsbeschluss darauf, dass mit der verspäteten Zusendung des am 17. Dezember 2008 verkündeten schriftlichen Beschlusses die Fünf-Monats-Frist überschritten sei, innerhalb derer nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes eine bei Verkündung nicht vollständig abgefasste Entscheidung schriftlich niedergelegt, von den Richtern unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben sein müsse; ansonsten sei die Entscheidung nicht mit Gründen versehen. Diese Rechtsprechung müsse auch für Entscheidungen im Einspruchsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt gelten.

8

Hilfsweise beantragt die Patentinhaberin,

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den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts auch aus materiellen Gründen aufzuheben und die Aufrechterhaltung des Patents in seiner erteilten Fassung festzustellen.

10

Mit Bescheid vom 22. Juni 2015 an die Beteiligten hat der Senat mitgeteilt, dass er es für angezeigt halte, das Verfahren wegen schwerwiegender Mängel zurückzuverweisen. Hierbei handele es sich allerdings um eine Ermessensentscheidung, die von verschiedenen Faktoren abhängig sei und die der Senat im schriftlichen Verfahren treffen werde, falls sich die Beteiligten innerhalb von vier Wochen nicht anderweitig äußern würden. Daraufhin hat die Patentinhaberin mit Schreiben vom 22. Juli 2015 ihr Einverständnis auch zu der Zurückverweisung erklärt.

11

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

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Die Beschwerde ist zulässig und auch begründet.

13

Der angegriffene Beschluss ist aufzuheben, weil er mit schwerwiegenden Mängeln behaftet ist.

14

Zum einen liegt ein Begründungsmangel vor. Denn der am 17. Dezember 2008 am Ende der Anhörung verkündete Beschluss der Einspruchsabteilung ist nicht rechtzeitig mit Gründen versehen worden.

15

Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung gilt eine Entscheidung dann nicht mit Gründen versehen, wenn der notwendige Inhalt nicht innerhalb von fünf Monaten nach der Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden ist (vgl. BGH GRUR 2009, 191- TRAVELTAINMENT- unter Berufung auf die Entscheidung GmS-OBG NJW 1993, 2603).

16

Dies trifft auf den angegriffenen Beschluss zu. Denn er ist bereits in der Anhörung am 17. Dezember 2008 verkündet worden, und die schriftlichen Gründe sind erst am 21. Juli 2009 mit Unterschriften fertiggestellt worden. Jedenfalls ist der Amtsakte kein weiteres Exemplar mit einem früheren Datum zu entnehmen. Sonstige Hinweise, die die Aushändigung eines unterschriebenen Exemplars an die Geschäftsstelle erkennen lassen, sind nicht ersichtlich. Zwischen den beiden Daten von Verkündung und schriftlicher Begründung liegt ein Zeitraum von über sieben Monaten, der die zulässige Begründungsfrist um zwei Monate überschreitet.

17

Diese höchstrichterliche Rechtsprechung ist auch auf Entscheidungen der Patentabteilungen anzuwenden. Sie werden zwar im Rahmen eines verwaltungsrechtlichen Verfahrens tätig, haben hierbei aber auch zivilprozessuale Regeln anzuwenden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass es sich um ein gerichtsähnliches Verwaltungsverfahren (vgl. BGH GRUR 2007, 859 (861) – Informationsübermittlungsverfahren) mit kontradiktorischen Elementen handelt. Denn es wirken mehrere Beteiligte mit gegenteiligen Interessen mit, die Anspruch auf gleichberechtigte Behandlung haben (vgl. Schulte/Moufang, PatG, 9. Aufl. 2014, § 59 Rdn. 28 m. w. N.). Dementsprechend sind ungeachtet des Amtsermittlungsgrundsatzes im Rahmen der Anhörung gemäß § 59 Abs. 3 PatG Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetz über die Öffentlichkeit zu beachten. Über §§ 59 Abs. 5, 46 Abs. 2 Satz 2, 47 PatG werden die Vorschriften der §§ 160a, 162 und 163 ZPO entsprechend angewendet bzw. Vorgaben zur Form und Inhalt von Beschlüssen gemacht, die ersichtlich den §§ 315, 317 ZPO nachgebildet sind, wonach ein Urteil, das in dem Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wird, verkündet wird, jedenfalls mit Tatbestand und Entscheidungsgründen alsbald nachträglich anzufertigen, von den Richtern besonders zu unterschreiben und der Geschäftsstelle zu übermitteln ist, vgl. § 315 Abs. 2 Satz 3 ZPO. Die Vorschriften über die Berichtigung nach § 319 ZPO werden über § 95 PatG als allgemeiner Rechtsgedanke auch im Verfahren vor dem DPMA herangezogen (vgl. Schulte/Püschel, a. a. O., § 95 Rdn. 3 m. w. N.).

18

Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof bereits in einer Entscheidung von 1994 entschieden, dass § 315 Abs. 1 ZPO hinsichtlich des Unterschriftserfordernisses entsprechend auf die Beschlüsse der Patentabteilungen anzuwenden ist, und dies damit begründet, dass zwischen einem Urteil, das nach mündlicher Verhandlung in einem besonderen Verkündungstermin verkündet werde (§§ 310 Abs. 2, 311 Abs.4 ZPO), und einem Beschluss, der in einer Sitzung ohne mündliche Verhandlung gefasst und erst später vollständig schriftlich niedergelegt und dann zugestellt werde, keinen ins Gewicht fallenden sachlichen Unterschied gebe (vgl. BGH GRUR 1994, 724 (725 – Spinnmaschine).

19

Im Lichte dieser Parallelen ist es angezeigt, auch die zu § 315 Abs. 2 ZPO – wo es ja um die Begründung einer bereits verkündeten Entscheidung geht - ergangene Rechtsprechung über Verfahrensmängel wegen verspäteter Begründung auf Entscheidungen der Patentabteilungen anzuwenden. Hierbei ist besonders zu berücksichtigen, dass die Grundsätze über den Begründungsmangel einer Entscheidung wegen verspäteter Absetzung der Entscheidungsgründe vom Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe für alle Gerichtsbarkeiten aufgestellt worden sind (vgl. GmS-OBG a. a. O. S. 2605). Damit wird unterstrichen, dass es sich für alle gerichtlichen Verfahren um ein tragendes Prinzip handelt, eine Entscheidung nicht später als fünf Monate nach der Verkündung abzusetzen, weil dann nach allgemeiner Lebenserfahrung das Erinnerungsvermögen so stark nachgelassen hat, dass eine Zusammenstellung der Gründe, die zu der verkündeten Entscheidung geführt haben, nicht mehr gewährleistet ist; vielmehr muss dann davon ausgegangen werden, dass das Beratungsergebnis eher rekonstruiert als reproduziert wird (vgl. GmS a. a. O.). Dementsprechend sind diese Grundsätze auch in anderen gerichtlichen Vorschaltverfahren für anwendbar erklärt worden (vgl. BGH NJW-RR 2005, 1151 - Notarsenat; NJW-RR 2001, 1642 f. – AnwGH). Auch für das patentgerichtliche Verfahren.

20

Gegen die Anwendung dieser Grundsätze spricht nicht, dass die Erwägungen des GmS-OBG zur Auslegung des Begriffs „alsbald“ in §§ 117 Abs. 4 S. 2 VwGO, 315 ZPO aufgeführt sind. Denn zusätzlich hat der Senat darauf hingewiesen, dass nicht erkennbar sei, dass „ein Urteil nicht innerhalb von fünf Monaten mit Tatbestand und Entscheidungsgründen versehen, von den Richtern unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben werden könnte“ (BGH a. a. O.). Dementsprechend hat er auch in einer patentgerichtlichen Entscheidung zu §§ 83 Abs. 3 Nr. 6, 79 Abs. 2 MarkenG entschieden, dass ein Beschluss nicht mit Gründen versehen sei, wenn die Gründe nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden sei (BGH GRUR-RR 2009, 191 – TRAVELTAINMENT), obwohl nach § 79 Abs. 2 MarkenG die Entscheidungen des Patentgerichts zu begründen sind, ohne dass wie in § 315 Abs. 2 ZPO das Wort „alsbald“ hinzugesetzt ist.

21

Damit schließt sich der Senat der Rechtsprechung des 19. Senats an, der die Anwendung der Fünf-Monats-Frist auf verkündete Beschlüsse der Patentabteilung bejaht (vgl. BPatGE 54, 189, 205 f.  = GRUR 2014, 913 (919) - elektrischer Winkelstecker II).

22

Neben diesem Begründungsmangel liegen weitere Mängel des angegriffenen schriftlichen Beschlusses vor. Zum einen trägt er nicht das Datum seiner Verkündung, sondern das Datum seiner vermutlichen Fertigstellung. Zum anderen ist die Einsprechende mit der falschen Rechtsformangabe benannt. Ein Grund dafür ist nicht ersichtlich, zumal in der Beschlussverfügung die Angabe richtig ist. Diese beiden Mängel sind auch nicht durch den späteren Berichtigungsbeschluss der Patentabteilung behoben worden. Denn dieser Beschluss ist unwirksam. Das Original in der Akte trägt nämlich nicht die Unterschriften der beteiligten Mitglieder der Patentabteilung. Derartige „Beschlüsse“ sind lediglich als Entwurf zu bewerten und damit als unwirksam (vgl. BPatGE 41, 44, 45; Benkard/Schäfers, PatG,.11. Aufl. 2015, § 47 Rdn. 5j), die fehlende Unterschrift auf der Papierurschrift kann auch nicht durch den Abdruck des Namens des Amtsträgers zusammen mit dem Dienstsiegel auf der Ausfertigung des Entwurfs eines Beschlusses ersetzt werden (vgl. BPatG Entsch. vom 21. Februar 2013 - Az. 10 W (pat) 19/12). Zwar könnten die Unterschriften grundsätzlich nachgeholt werden (vgl. BPatGE, 52, 184), allerdings nur innerhalb der Fünf-Monats-Frist (vgl. BPatGE 54, 184).

23

Nach alledem war die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache gemäß § 79 Abs. 3 S. 1 PatG an das DPMA zurückzuverweisen. Zwar liegt die Zurückverweisung nach dieser Vorschrift im Ermessen des Gerichts. Hierbei sind Instanzenverlust, Verfahrensverzögerung und ausreichende Prüfungsmöglichkeit des Patentstreitfalls zu berücksichtigen (vgl. Schulte/Püschel a. a. O. § 79 Rdn. 18 m. w. N). Im vorliegenden Fall bestehen jedoch mehrere Mängel des angegriffenen Beschlusses, die eine Zurückverweisung erforderlich erscheinen lassen. Zwar rechtfertigt ein solcher Mangel allein keine Zurückverweisung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 PatG, wenn der Beschluss in der Sache zutreffend ist und damit eine eigene Entscheidung des Senats möglich ist (vgl. Schulte/Püschel, a. a. O. § 79 Rn. 10 und 18 m. w. N.). Im vorliegenden Fall hat die Patentinhaberin aber ausdrücklich die Zurückverweisung unter Hinweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung beantragt und zudem Hilfsanträge gestellt, was gemäß § 79 Abs. 3 Nr. 3 PatG ebenfalls die Zurückverweisung rechtfertigt (vgl. Benkard/ Schäfers/Schwarz, a. a. O., § 79 Rdn. 50 m. w. N.), weil möglicherweise weitere Recherchen zum Stand der Technik erforderlich werden.