Entscheidungsdatum: 11.07.2013
Die sachliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts für Streitigkeiten über fernstraßenrechtliche Planfeststellungsverfahren gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO umfasst nicht Streitigkeiten darüber, ob die konkrete Bauausführung sich im Rahmen des Planfeststellungsbeschlusses hält.
I.
Die Bezirksregierung Düsseldorf erließ am 21. Februar 2007 den Planfeststellungsbeschluss für den Neubau der Bundesautobahn A 44 zwischen Ratingen und Velbert. Auf die Klage zweier Grundstückseigentümer stellte das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 18. März 2009 - BVerwG 9 A 40.07 - die Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses in der Fassung der bis dahin erfolgten Änderungen und Ergänzungen fest, weil die Kläger jenes Verfahrens durch naturschutzrechtliche Kompensationsmaßnahmen unzumutbar betroffen würden. Die übrigen Klagen (BVerwG 9 A 31.07, 32.07 und 34.07 bis 39.07 sowie 41.07) wurden durch Urteile vom selben Tag abgewiesen.
Der Antragsteller zu 1) des vorliegenden Rechtsstreits, eine Naturschutzvereinigung, war an den vorgenannten Klageverfahren nicht beteiligt; bei dem Antragsteller zu 2) handelt es sich um einen der Kläger des damaligen Klageverfahrens BVerwG 9 A 31.07. Die Antragsteller machen geltend, wegen eines in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 19. Februar 2009 zu Protokoll erklärten Entscheidungsvorbehaltes dürfe der Antragsgegner als Vorhabenträger Bauarbeiten nicht durchführen. Die in Auftrag gegebenen Bauarbeiten wichen in wesentlichen Punkten vom Planfeststellungsbeschluss ab und bedürften teilweise zusätzlich einer wasserrechtlichen Erlaubnis, die nicht erteilt sei.
Die Antragsteller beantragen,
dem Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben,
1. Bauarbeiten im Bereich der geplanten Trasse der BAB A 44 von Bau-km 18+973 (Brücke L 156 über A 44) bis Bau-km 23+708 (B 227 Velbert) zu unterlassen, bis er der Planfeststellungsbehörde die geprüften Ausführungsunterlagen vorgelegt und diese die im Planfeststellungsbeschluss vorbehaltene Entscheidung getroffen hat,
2. die Errichtung einer Umfahrung der B 227 im Bereich der geplanten Anschlussstelle Heiligenhaus-Hetterscheidt bei Bau-km 23+708 zu unterlassen, bis er insoweit über eine genehmigte Änderungsplanung verfügt,
3. es zu unterlassen, das für die bauzeitliche Entwässerung geplante provisorische Regenrückhaltebecken im Bereich des RRB 3b nebst der Einleitungsstelle zu errichten und das in der provisorischen Regenrückhaltung gesammelte Wasser in den Laubecker Bach einzuleiten, bis er über die erforderliche Genehmigung hierfür verfügt.
Ferner stellen die Antragsteller mehrere Hilfsanträge. Der Antragsgegner tritt dem entgegen und bezweifelt die sachliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts.
Der Senat hat die Beteiligten zu der beabsichtigten Verweisung des Rechtsstreits angehört.
II.
Die Verweisung beruht auf § 83 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG.
1. Das Bundesverwaltungsgericht ist für die Entscheidung des Rechtsstreits sachlich unzuständig. Der als Zuständigkeitsnorm allein in Betracht kommende § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO, wonach das Bundesverwaltungsgericht im ersten und letzten Rechtszug über sämtliche Streitigkeiten entscheidet, die Planfeststellungsverfahren für die dort näher bezeichneten Fernstraßenvorhaben betreffen, erfasst den hier vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Sicherungsanordnung (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO) nicht. Zuständigkeitsbestimmend ist dabei allein das mit den Hauptanträgen verfolgte Begehren, während die Hilfsanträge insoweit außer Betracht bleiben (vgl. auch Ehlers, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand August 2012, § 41 Rn. 26 m.w.N.).
Der Zweck des § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO besteht darin, durch die Verkürzung des Verwaltungsgerichtsverfahrens auf eine Instanz die Verwirklichung der von der Vorschrift erfassten Infrastrukturvorhaben zu beschleunigen. Zugleich sollen durch die Konzentration der Streitsachen beim Bundesverwaltungsgericht divergierende Entscheidungen vermieden werden. Diesem Gesetzeszweck wird eine Auslegung der Vorschrift gerecht, die alle Rechtsstreitigkeiten erfasst, die einen unmittelbaren Bezug zu konkreten Planfeststellungs- (oder Plangenehmigungs-)Verfahren für Vorhaben nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO haben, also die genehmigungsrechtliche Bewältigung des Vorhabens betreffen (Beschluss vom 12. Juni 2007 - BVerwG 7 VR 1.07 - Buchholz 310 § 50 VwGO Nr. 25 Rn. 8; ähnlich bereits zu § 5 VerkPBG: Beschluss vom 18. Mai 2000 - BVerwG 11 A 6.99 - Buchholz 407.3 § 5 VerkPBG Nr. 11 S. 2, jeweils m.w.N.). Das gilt nicht nur für Anfechtungsklagen gegen den Planfeststellungsbeschluss bzw. Anträge Dritter nach § 80a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Aussetzung der Vollziehung oder - in entsprechender Anwendung dieser Vorschriften - auf Feststellung mangelnder Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses (s. etwa Beschluss vom 4. Juli 2012 - BVerwG 9 VR 6.12 - NVwZ 2012, 1126 Rn. 5). Der unmittelbare Bezug zu einem Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahren ist darüber hinaus beispielsweise auch vorhanden, wenn um Maßnahmen gestritten wird, die einem solchen Verfahren zeitlich und sachlich vorausgehen und seiner Vorbereitung dienen oder einen Ausschnitt der in einem laufenden Planfeststellungsverfahren zu lösenden Probleme darstellen, desgleichen, wenn der Streit die Frage betrifft, ob bestimmten Baumaßnahmen an dem betreffenden Verkehrsweg ein Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahren hätte vorausgehen müssen. Dagegen fehlt ein unmittelbarer Bezug in dem vorgenannten Sinne, wenn ein Kläger nach Unanfechtbarkeit eines Planfeststellungsbeschlusses nachträgliche Schutzauflagen gemäß § 75 Abs. 2 Satz 2 bis 4 VwVfG verlangt (Beschluss vom 18. Mai 2000 a.a.O. m.w.N.). Ebenso wird auch das Begehren, eine vermeintlich planwidrige Verwirklichung des bestandskräftig planfestgestellten Vorhabens zu verhindern, nicht von § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO erfasst (Beschlüsse vom 15. Juni 2011 - BVerwG 7 VR 8.11 - Buchholz 407.3 § 5 VerkPBG Nr. 20 Rn. 6 und vom 9. Oktober 2012 - BVerwG 7 VR 10.12 - Buchholz 310 § 50 VwGO Nr. 31 Rn. 5; anders noch zu dem früheren § 5 VerkPBG: Beschluss vom 31. Juli 2006 - BVerwG 9 VR 11.06 - Buchholz 406.400 § 61 BNatSchG 2002 Nr. 6 Rn. 2). Denn Auseinandersetzungen darüber beziehen sich nicht auf die genehmigungsrechtliche Bewältigung des Vorhabens, sondern allein auf dessen Umsetzung. Auch treffen die Erwägungen, die die beschleunigende Konzentration der richterlichen Überprüfung wichtiger Infrastrukturvorhaben auf eine Instanz rechtfertigen, auf Streitigkeiten über die Vollziehung eines bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses nicht oder nur eingeschränkt zu (vgl. auch zu § 48 Abs. 1 VwGO OVG Berlin, Beschluss vom 13. Dezember 1990 - 2 A 9.90 - DÖV 1991, 559; VGH Mannheim, Beschluss vom 20. Oktober 2010 - 5 S 2335/10 - NVwZ 2011, 126).
Gemessen an diesem Maßstab fehlt es hier an der sachlichen Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts. Die Antragsteller berufen sich darauf, dass der Antragsgegner mit den von ihm in Auftrag gegebenen Baumaßnahmen die Grenzen des Planfeststellungsbeschlusses vom 21. Februar 2007 überschreite. Die Streitigkeit betrifft damit nicht im Sinne des § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO das Planfeststellungsverfahren selbst, sondern lediglich die konkrete Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses. Auch soweit die Antragsteller monieren, dass für eine während der Bauzeit vorgesehene provisorische Entwässerungsmaßnahme die wasserrechtliche Erlaubnis fehle und die Ausführungsplanung darüber hinaus an anderer Stelle von der gleichzeitig mit dem Planfeststellungsbeschluss erteilten wasserrechtlichen Erlaubnis abweiche, mangelt es an dem notwendigen unmittelbaren Bezug zum Planfeststellungsverfahren. Nichts anderes gilt schließlich auch, soweit sie sich auf die in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 19. Februar 2009 abgegebene Protokollerklärung berufen, in der die Planfeststellungsbehörde die Vorlage der geprüften Ausführungsunterlagen vor Baubeginn angeordnet und sich eine abschließende Entscheidung für den Fall vorbehalten hat, dass Zweifel an der Durchführbarkeit des Vorhabens in technischer oder in verfahrensrechtlicher Hinsicht bestehen. Zwar kann ein Rechtsstreit um eine im Sinne von § 74 Abs. 3 VwVfG vorbehaltene Entscheidung von der Zuweisung gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO erfasst sein (vgl. zu § 48 VwGO auch VGH Mannheim, Urteil vom 11. Juli 1995 - 8 S 434/95 - NVwZ-RR 1996, 69; Bier/Panzer, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand August 2012, § 48 Rn. 9). Doch geht es darum hier nicht. Die erwähnte Protokollerklärung vom 19. Februar 2009 sollte nicht die Entscheidung über den Autobahnbau ganz oder teilweise offenhalten, sondern eine abschließende Prüfung ermöglichen, ob die Ausführungsplanung technisch geeignet ist und sich im Rahmen der Planfeststellung hält; der ergänzend formulierte Vorbehalt einer Planänderung bezieht sich lediglich auf einen nach ingenieurwissenschaftlicher Einschätzung nicht absehbaren Eventualfall, für den in der Planfeststellung keine Vorsorge getroffen werden musste (s. Urteil vom 18. März 2009 - BVerwG 9 A 39.07 - BVerwGE 133, 239 Rn. 100, wörtlich in Bezug genommen in dem den Antragsteller zu 2) betreffenden Urteil vom selben Tag - BVerwG 9 A 31.07 - dort Rn. 27). Auch im Zusammenhang mit der Protokollerklärung betrifft der vorliegende Rechtsstreit daher nicht gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO das Planfeststellungsverfahren, sondern die Frage, ob die umstrittenen Baumaßnahmen von dem vollziehbaren Planfeststellungsbeschluss gedeckt sind oder nicht.
2. Der Rechtsstreit ist an das Verwaltungsgericht Düsseldorf zu verweisen, das sachlich (§ 45 VwGO) und örtlich (§ 52 Nr. 1 VwGO) für die Entscheidung zuständig ist. Die Entscheidung über die Kosten bleibt gemäß § 83 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 17b Abs. 2 GVG der Endentscheidung vorbehalten.