Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 04.04.2012


BVerwG 04.04.2012 - 9 B 95/11

Planfeststellungsrecht; überörtliches Straßenbauvorhaben; Verfahrensposition des Drittbetroffenen; Gemeinde


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsdatum:
04.04.2012
Aktenzeichen:
9 B 95/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 29. September 2011, Az: 11 D 93/09.AK, Urteil
Zitierte Gesetze

Gründe

1

Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

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1. Die Grundsatzrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) greifen nicht durch.

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a) Die Beschwerde hält sinngemäß für grundsätzlich klärungsbedürftig,

ob die in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Dezember 1988 - BVerwG 4 C 40.86 - (BVerwGE 81, 95) entwickelten Grundsätze zu einer selbstständig durchsetzbaren Verfahrensposition kommunaler Selbstverwaltungskörperschaften auf luftrechtliche Vorhaben beschränkt sind oder ob diese Grundsätze in gleicher Weise auch für ein überörtliches Straßenbauvorhaben und eine angrenzende kommunale Gebietskörperschaft Geltung haben,

ob ein Abwehranspruch einer Gemeinde gegen ein überörtliches Fachplanungsvorhaben, das ohne das notwendige Genehmigungsverfahren und dessen Abschluss mit einer Sachentscheidung durchgeführt worden ist, neben einer Verletzung des kommunalen Beteiligungsrechtes auch eine Verletzung der Gemeinde in dem materiellen Recht des Art. 28 GG voraussetzt.

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Sie meint, das Oberverwaltungsgericht gehe zu Unrecht davon aus, dass die Umwandlung des Standstreifens in eine Hauptfahrbahn weder einer Planfeststellung noch einer Plangenehmigung bedürfe. Vielmehr liege in dieser Maßnahme eine Änderung im Sinne des § 17 Satz 1 FStrG. An einem solchen Verfahren hätte die Klägerin beteiligt werden müssen. Deshalb seien subjektive Abwehrrechte der Klägerin als kommunale Gebietskörperschaft verletzt. Aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Dezember 1988 ergebe sich für die Klägerin eine selbstständig durchsetzbare Verfahrensposition. Schon allein aus einer Verletzung ihres Beteiligungsrechtes folge ein Anspruch der Klägerin auf nachträgliche Anordnung von aktiven Schallschutzmaßnahmen, ohne dass darüber hinaus auch eine Verletzung der kommunalen Planungshoheit oder eine Beeinträchtigung kommunaler Grundstücke oder Einrichtungen gegeben sein müsse.

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Die aufgeworfenen Fragen rechtfertigen jedoch nicht die Zulassung der Revision. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtsfrage dann, wenn für die Entscheidung des vorinstanzlichen Gerichts eine konkrete fallübergreifende Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) von Bedeutung war, deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>, vom 23. April 1996 - BVerwG 11 B 96.95 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 10 S. 15, vom 30. März 2005 - BVerwG 1 B 11.05 - NVwZ 2005, 709 und vom 2. August 2006 - BVerwG 9 B 9.06 - NVwZ 2006, 1290). Daran fehlt es.

6

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass Drittbetroffenen grundsätzlich kein subjektives Recht auf Einleitung und Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens (§ 17 FStrG) - Entsprechendes gilt für Plangenehmigungen (§ 74 Abs. 6 VwVfG) - zusteht, so dass ein am Verwaltungsverfahren zu Beteiligender die Befugnis zur Anfechtung der getroffenen Verwaltungsentscheidung grundsätzlich nicht allein aus der Verletzung der ihn betreffenden Verfahrensvorschriften herleiten kann. Vielmehr muss sich aus seinem Vorbringen darüber hinaus auch ergeben, dass sich der gerügte Verfahrensfehler möglicherweise auf seine Rechte selbst ausgewirkt hat.

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Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann eine Verfahrensvorschrift dem durch sie Begünstigten ein eigenständiges subjektives öffentliches Recht nur dann einräumen, wenn sie nicht nur der Ordnung des Verfahrensablaufs, insbesondere einer umfassenden Information der Verwaltungsbehörde dient, sondern dem betroffenen Dritten in spezifischer Weise und unabhängig vom materiellen Recht eine eigene, nämlich selbstständig durchsetzbare verfahrensrechtliche Rechtsposition gewähren will, sei es im Sinne eines Anspruchs auf die Durchführung eines Verwaltungsverfahrens überhaupt, sei es im Sinne eines Anspruchs auf die ordnungsgemäße Beteiligung an einem (anderweitig) eingeleiteten Verwaltungsverfahren. Die Frage, ob eine solche verfahrensrechtliche Rechtsposition im Rahmen einer konkreten gesetzlichen Regelung anzunehmen ist, beantwortet sich dabei nicht nach der Art und Beschaffenheit desjenigen materiellen Rechts, auf das sich das vorgeschriebene Verwaltungsverfahren bezieht, sondern allein nach der Zielrichtung und dem Schutzzweck der Verfahrensvorschrift selbst. Aus ihrem Regelungsgehalt muss sich ergeben, dass die Regelung des Verwaltungsverfahrens mit einer eigenen Schutzfunktion zu Gunsten einzelner ausgestattet ist, und zwar in der Weise, dass der Begünstigte unter Berufung allein auf einen ihn betreffenden Verfahrensmangel, d.h. ohne Rücksicht auf das Entscheidungsergebnis in der Sache, die Aufhebung bzw. den Erlass einer verfahrensrechtlich gebotenen behördlichen Entscheidung gerichtlich soll durchsetzen können (Urteile vom 22. Februar 1980 - BVerwG 4 C 24.77 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 33 S. 101 f., vom 15. Januar 1982 - BVerwG 4 C 26.78 - BVerwGE 64, 325 <331 ff.>, vom 5. Oktober 1990 - BVerwG 7 C 55.89, 7 C 56.89 - BVerwGE 85, 368 <374 f.>; Beschlüsse vom 15. Oktober 1991 - BVerwG 7 B 99.91 und 7 ER 301.91 - Buchholz 445.5 § 17 WaStrG Nr. 2 und vom 5. März 1999 - BVerwG 4 VR 3.98 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 149 S. 18; Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl. 2008, § 73 Rn. 17, § 74 Rn. 269; Vallendar, in: Hermes/Sellner, Beck'scher AEG Kommentar, § 18 Rn. 274 f.; Hoppe/Schlarmann/Buchner/Deutsch, Rechtsschutz bei der Planung von Verkehrsanlagen und anderen Infrastrukturvorhaben, 4. Aufl. 2011, § 12 Rn. 458 ff.).

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In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist ebenfalls geklärt, dass die verfahrensrechtliche Ausgestaltung des Planfeststellungsverfahrens im Bundesfernstraßengesetz nichts für die Annahme hergibt, das Gesetz habe dem durch eine Straßenbaumaßnahme betroffenen Dritten eine in diesem Sinne selbstständig durchsetzbare Verfahrensposition eingeräumt (Urteil vom 15. Januar 1982 - BVerwG 4 C 26.78 - a.a.O.; Beschluss vom 5. März 1999 - BVerwG 4 VR 3.98 - a.a.O.). Das von der Beschwerde herangezogene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Dezember 1988 - BVerwG 4 C 40.86 - (BVerwGE 81, 95 = Buchholz 442.40 § 30 LuftVG Nr. 1) rechtfertigt auch bezogen auf Gemeinden keine andere Beurteilung. In dieser Entscheidung ist das Bundesverwaltungsgericht zwar davon ausgegangen, dass das in einem luftverkehrsrechtlichen Genehmigungsverfahren den Gemeinden zustehende formelle Recht auf Beteiligung ihnen in spezifischer Weise und unabhängig vom materiellen Recht eine eigene, selbstständig durchsetzbare verfahrensrechtliche Rechtsposition einräumt (a.a.O. S. 106; vgl. zu der besonderen Rechtsstellung der Gemeinden gerade in diesem Genehmigungsverfahren: Urteil vom 20. November 1987 - BVerwG 4 C 39.84 - Buchholz 442.40 § 6 LuftVG Nr. 17 S. 3 f.). Diese Rechtsprechung beruht aber auf der Eigenart des in das Genehmigungs- und das Planfeststellungsverfahren gegliederten luftverkehrsrechtlichen Verfahrens und kann daher auf das hier in Rede stehende Planfeststellungsverfahren nach dem Bundesfernstraßengesetz, dem keine gesonderte Genehmigungsentscheidung vorangeht, nicht übertragen werden (vgl. zum Wasserstraßenrecht: Beschluss vom 15. Oktober 1991 a.a.O. S. 2).

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Demzufolge bedarf auch keiner grundsätzlichen Klärung, dass einer Gemeinde ein Abwehrrecht gegen eine fernstraßenrechtliche Maßnahme, ungeachtet des Verfahrens, das dieser Maßnahme zu Grunde liegt, nur dann zusteht, wenn die Gemeinde einen Eingriff in eine materielle Rechtsposition geltend machen kann. Eine solche Rechtsposition kann in dem nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Selbstverwaltungsrecht bestehen. Dessen Verletzung macht die Klägerin aber ebenso wenig geltend wie etwa die Beeinträchtigung kommunaler Einrichtungen.

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b) Soweit die Beschwerde des Weiteren als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnet,

ob die - dauerhafte - Umwandlung einer Standspur, die von den Hauptfahrspuren durch entsprechende Markierungen getrennt ist, in eine Hauptfahrbahn die Voraussetzungen einer Änderung einer Straße im Sinne von § 17 Satz 1 FStrG erfüllt und planfeststellungsbedürftig ist,

ist die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache schon deshalb zu verneinen, weil diese Frage in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich wäre. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann die Revision gegen ein Urteil, das nebeneinander auf mehrere, je selbstständig tragende Begründungen gestützt ist, nur dann zugelassen werden, wenn im Hinblick auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 28. September 1990 - BVerwG 9 B 107.90 - NVwZ 1991, 376 m.w.N.). Daran fehlt es hier. Denn das Oberverwaltungsgericht hat auch darauf abgestellt, dass der Klägerin keine Abwehrrechte zustünden, selbst wenn die von ihr behauptete Änderung einer Straße im Sinne von § 17 Satz 1 FStrG vorläge und diese planfeststellungsbedürftig wäre. Denn die Klägerin könne sich weder auf eine Verletzung des nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgten Selbstverwaltungsrechts stützen noch auf eine Beeinträchtigung kommunaler Grundstücke oder Einrichtungen. Hiergegen hat die Beschwerde Revisionszulassungsgründe nicht vorgebracht. Auf ein Abwehrrecht, das sich allein aus der Verletzung einer Verfahrensposition ableitet, kann sich die Klägerin, wie oben dargestellt, nicht stützen.

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2. Die Voraussetzungen einer Zulassung der Revision wegen entscheidungserheblicher Abweichung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) sind nicht erfüllt. Eine Abweichung im Sinne dieser Vorschrift liegt nur dann vor, wenn sich das Oberverwaltungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz zu einem in einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Widerspruch gesetzt hat; die Beschwerdebegründung muss darlegen, dass und inwiefern dies der Fall ist (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, stRspr; vgl. z.B. Beschlüsse vom 21. Juli 1988 - BVerwG 1 B 44.88 - Buchholz 130 § 8 RuStAG Nr. 32 und vom 12. Dezember 1991 - BVerwG 5 B 68.91 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 302). Daran fehlt es hier.

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Die Beschwerde rügt, das angefochtene Urteil weiche mit der Auffassung, eine selbstständig durchsetzbare Verfahrensposition für kommunale Gebietskörperschaften sei auf luftrechtliche Vorhaben beschränkt, vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Dezember 1988 (a.a.O.) ab. Bei Heranziehung der allgemeinen Grundsätze in der genannten Entscheidung zum Verhältnis zwischen kommunaler Bauleitplanung und überörtlicher Fachplanung hätten weder das formelle Recht kommunaler Selbstverwaltungskörperschaften auf Beteiligung auch an straßenrechtlichen Genehmigungsverfahren noch der sich daraus ergebende Anspruch auf Durchführung der für die Zulassung straßenrechtlicher Vorhaben notwendigen Verwaltungsverfahren verneint werden können. Darüber hinaus weiche die angegriffene Entscheidung von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Dezember 1988 deshalb ab, weil das Oberverwaltungsgericht verkenne, dass sich der Abwehranspruch einer Gemeinde bei Durchführung eines überörtlichen Fachplanungsvorhabens ohne Durchführung des dafür notwendigen Genehmigungsverfahrens nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts allein aus einer Verletzung des Beteiligungsrechts ergebe und nicht zusätzlich eine Betroffenheit der Gemeinde in ihren Rechten aus Art. 28 GG voraussetze.

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Diese Rüge genügt schon deshalb nicht den Darlegungsanforderungen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), weil die einander gegenübergestellten Rechtssätze jedenfalls nicht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt worden sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat eine selbstständige Verfahrensposition von Gemeinden auf § 6 LuftVG gestützt, während das Oberverwaltungsgericht seiner Entscheidung § 17, § 17b Abs. 1 Nr. 6 Satz 1 FStrG i.V.m. § 74 Abs. 7 VwVfG NRW zugrunde gelegt hat.