Entscheidungsdatum: 21.06.2011
Die Beschwerde der Beklagten kann keinen Erfolg haben.
Der Beschwerde lässt sich nicht entnehmen, dass der im beschleunigten Berufungsverfahren nach § 130a VwGO ergangene Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs unter Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) erlassen worden ist und damit an einem Verfahrensfehler im Sinne des von der Beklagten allein in Bezug genommenen Revisionszulassungsgrundes gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO leidet.
Die Beschwerde macht als Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend, dass der Verwaltungsgerichtshof den Schriftsatz der Beklagten vom 15. September 2010 nicht vor Erlass des die Berufung zurückweisenden Beschlusses der Klägerin zur Stellungnahme übersandt hat. Ein Gehörsverstoß ist jedoch in dieser Hinsicht zu verneinen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG sichert, wie sich schon aus dem Wortlaut dieser Verfassungsnorm ergibt, nur die Anhörung des Rechtsträgers selbst und die Berücksichtigung seines eigenen Vorbringens; er vermittelt dagegen keinen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Anhörung Dritter oder darauf, eine angebliche Gehörsverletzung eines anderen Prozessbeteiligten rügen zu können (vgl. zur Anhörung Dritter BVerfG, Beschluss vom 15. Juni 1994 - 1 BvR 1194/93 - NVwZ 1995, 157).
Als weiteren Gehörsverstoß rügt die Beschwerde, der Verwaltungsgerichtshof habe dem aus § 130a VwGO folgenden Anhörungserfordernis nicht hinreichend Rechnung getragen, weil er den angefochtenen Beschluss ohne erneute Anhörung zu der beabsichtigten Entscheidung im vereinfachten Berufungsverfahren erlassen habe, obwohl die Beklagte auf die Anhörung vom 5. August 2010 in ihrem Schriftsatz vom 15. September 2010 darauf hingewiesen habe, dass der Gemeinderat der Beklagten beabsichtige, am 6. Oktober 2010 eine neue Abwassersatzung einschließlich Gebührenkalkulation für die Jahre 1989 bis 2010 zu beschließen, wodurch der angefochtene Gebührenbescheid voraussichtlich in voller Höhe geheilt werde.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gebietet es der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs, die Verfahrensbeteiligten durch eine erneute Anhörung von der fortbestehenden Absicht des Gerichts in Kenntnis zu setzen, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, wenn nach der entsprechenden Ankündigung ein erheblicher Beweisantrag gestellt wurde (vgl. etwa Urteile vom 28. Juni 1983 - BVerwG 9 C 15.83 - Buchholz 312 EntlG Nr. 32 und vom 16. März 1994 - BVerwG 11 C 48.92 - Buchholz 442.151 § 46 StVO Nr. 10 S. 3 und Beschluss vom 2. März 2010 - BVerwG 6 B 72.09 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 80 Rn. 7). Einer erneuten Anhörungsmitteilung bedarf es daneben dann, wenn sich die prozessuale Lage des Rechtsstreits nach einer Anhörungsmitteilung in anderer Hinsicht wesentlich ändert, etwa dadurch, dass ein Prozessbeteiligter seinen bisherigen Sachvortrag in erheblicher Weise ergänzt oder erweitert (vgl. Urteil vom 6. März 1990 - BVerwG 9 C 90.89 - Buchholz 312 EntlG Nr. 60 S. 18). Das Gebot der erneuten Anhörung soll das Berufungsgericht veranlassen, in eine Überprüfung seiner beabsichtigten Vorgehensweise einzutreten und - bei Fortbestand der Absicht, im Verfahren nach § 130a VwGO zu entscheiden - die Beteiligten über die unverändert vorgesehene Vorgehensweise zu informieren.
Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor. Auf ihre Absicht, das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 11. März 2010 zum Anlass zu nehmen, den bei der streitgegenständlichen Satzung vorliegenden Mangel zu heilen und im Rahmen der anhängigen Anfechtungsklagen eine Entscheidung des Berufungsgerichts über die Rechtmäßigkeit der geänderten Satzung zu erreichen, hat die Beklagte bereits mit Schriftsatz vom 28. Mai 2010 und damit vor Erlass des Anhörungsschreibens hingewiesen. Ausweislich der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde (S. 4) war zudem bereits vor diesem Schriftsatz das Gericht durch den Prozessbevollmächtigten der Beklagten telefonisch darüber informiert worden, dass die Beklagte so rasch wie möglich "eine überarbeitete Satzung, die den Anforderungen des Senats im Urteil vom 11.03.2010 Rechnung trägt, noch in diesem Jahr, voraussichtlich noch im Oktober beschließen und dazu auch sämtliche Gebührenkalkulationen ab dem Jahr 1989 bis zum Gebührenzeitraum 2010 überarbeiten und der dann 'gesplitterten' Abwassergebühr zu Grunde legen" werde. Angesichts dessen hat der Schriftsatz der Beklagten vom 15. September 2010 kein wesentlich neues Vorbringen enthalten, sondern lediglich die bereits dem Gericht und der Klägerin bekannte Vorgehensweise der Beklagten erneut geschildert und hinsichtlich des genauen Zeitpunktes der beabsichtigten Beschlussfassung über die geänderte Satzung präzisiert.
Das Berufungsverfahren leidet auch nicht deswegen an einem Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, weil der Verwaltungsgerichtshof ermessenswidrig von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen hat. Ob das Gericht den ihm eröffneten Weg der Entscheidung im Beschlussverfahren beschreitet, steht in seinem Ermessen, das grundsätzlich nur auf sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen überprüfbar ist (stRspr; vgl. Urteil vom 30. Juni 2004 - BVerwG 6 C 28.03 - BVerwGE 121, 211 <213>). Hieran gemessen ist die Durchführung des vereinfachten Berufungsverfahrens nicht zu beanstanden.
Der Sache nach rügt die Beklagte, dass der Verwaltungsgerichtshof ihr durch seine Entscheidung im Beschlussweg kurz vor In-Kraft-Treten der neuen Abwassersatzung die Möglichkeit genommen habe, die Frage der Rechtmäßigkeit der geheilten Abwassersatzung in dem bereits anhängigen Verfahren klären zu lassen und dadurch weitere Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Eine grobe Fehleinschätzung des Berufungsgerichts ist damit nicht dargetan.
Aus dem Umstand, dass ein bei Erhebung der Anfechtungsklage rechtswidriger Abgabenbescheid nicht der gerichtlichen Aufhebung unterliegt, wenn er aufgrund des nachträglichen Erlasses einer ordnungsgemäßen Satzungsgrundlage im Zeitpunkt der abschließenden mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz rechtmäßig ist (vgl. Urteil vom 25. November 1981 - BVerwG 8 C 14.81 - BVerwGE 64, 218 <221>), folgt nicht, dass das angerufene Gericht auf Wunsch der Beklagten zuwarten musste, um ihr Gelegenheit zu geben, die rechtswidrig erlassenen Verwaltungsakte zu heilen. Ein Anspruch darauf, dass das angerufene Gericht, das verfassungsrechtlich verpflichtet ist, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 1995 - 1 BvR 1087/91 - BVerfGE 93, 1 <13>), trotz Entscheidungsreife eines Verfahrens vorübergehend nicht entscheidet, steht den Beteiligten nur nach Maßgabe des jeweiligen Verfahrensrechts zu. Gemäß § 251 Satz 1 ZPO, der über § 173 VwGO im Verwaltungsprozess Anwendung findet, kann das Berufungsgericht von einer Entscheidung oder Förderung des Verfahrens nur dann absehen, wenn beide Parteien dessen Ruhen beantragen. An dieser Voraussetzung fehlte es hier offensichtlich. Die Klägerin hat einem weiteren Zuwarten ausdrücklich widersprochen und auf eine zügige Entscheidung des Gerichts gedrungen. Unerheblich ist dabei, ob sie dies auch deshalb getan hat, um ihren Prozessbevollmächtigten die Abrechnung einer Terminsgebühr, die nach Nr. 3202 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz auch im Fall einer Entscheidung nach § 130a VwGO anfällt, zu ermöglichen. Eine Verpflichtung, dem Ruhen des Verfahrens zuzustimmen und nach eingetretener Rechtsänderung die Hauptsache gegebenenfalls für erledigt zu erklären, um dem Gegner Kosten zu ersparen, kennt das Prozessrecht nicht. Dass die Klägerin mehr als neun Jahre nach Erlass des Abwasserabgabenbescheides und mehr als vier Jahre nach Klageerhebung auf einer unverzüglichen Entscheidung des Berufungsgerichts bestanden hat, ist im Übrigen ohne Weiteres nachvollziehbar und ihr durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistetes Recht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11). Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht daher, auch soweit es den Aspekt der Verfahrensdauer und das Drängen der Klägerin auf eine baldige Entscheidung berücksichtigt, nicht auf sachfremden Erwägungen.
Die Entscheidung, von einer mündlichen Verhandlung abzusehen und das beschleunigte Berufungsverfahren durchzuführen, erweist sich auch nicht mit Blick auf die nach Angaben der Beschwerde von dem Verwaltungsgericht Freiburg auf den 8. Dezember 2010 terminiert gewesenen 17 weiteren Verfahren der "Klägergruppe" als grob fehlerhaft. Mangels Angabe des Streitgegenstandes ist schon nicht ausreichend dargelegt und auch sonst nicht eindeutig ersichtlich, welche Bedeutung dem Ausgang der beim Berufungsgericht anhängigen Verfahren für die genannten erstinstanzlichen Verfahren beim Verwaltungsgericht zugekommen wäre. Ebenso wenig ist erkennbar, dass es dem Berufungsgericht möglich gewesen wäre, noch vor dem bereits anberaumten Termin des Verwaltungsgerichts Freiburg seinerseits eine mündliche Verhandlung durchzuführen und über die sich nach Ansicht der Beklagten im Zusammenhang mit der geänderten Abwasserabgabensatzung stellenden grundsätzlichen Fragen zu entscheiden.