Entscheidungsdatum: 18.05.2011
Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben.
1. Der Rechtssache kommt nicht die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
a) Die von ihr aufgeworfene Frage, ob es mit dem Gebot der äußeren Erkennbarkeit von Normen vereinbar ist, im Fall der Nichtigerklärung einer Norm mit entsprechender Bekanntmachung im Gesetzblatt zur Auslegung auf die Entscheidungsgründe, die nicht veröffentlicht werden, abzustellen, verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Dies ergibt sich allerdings nicht schon daraus, dass Gegenstand der vom Oberverwaltungsgericht vorgenommenen Auslegung der Tenor des Urteils des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt vom 16. Februar 2010 ist, durch den mit Gesetzeskraft § 6c Abs. 2 Satz 1 des Kommunalabgabengesetzes des Landes Sachsen-Anhalt (KAG LSA) in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 17. Dezember 2008 als mit der Landesverfassung unvereinbar und nichtig erklärt worden ist. Zwar gehören die allgemeinen Grundsätze über die Auslegung von Normen nicht als solche dem Bundesrecht im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO an; diesem sind sie nur zuzuordnen, wenn und soweit sie der Anwendung von Bundesrecht dienen (Urteil vom 18. Dezember 1987 - BVerwG 4 C 9.86 - BVerwGE 78, 347 <352> und Beschluss vom 11. Juni 1975 - BVerwG 7 B 62.74 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 133 S. 8). Die Beschwerde sieht als revisibel und grundsätzlich klärungsbedürftig aber nicht Auslegungsgrundsätze an, sondern das sich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG und damit aus Bundes(verfassungs-)recht ergebende Gebot der äußeren Erkennbarkeit von Normen (vgl. hierzu Urteil vom 10. August 1990 - BVerwG 4 C 3.90 - BVerwGE 85, 289 <292 f.>).
Die Frage, ob dieses Gebot dem Rückgriff auf die Entscheidungsgründe eines die Nichtigkeit einer Norm aussprechenden verfassungsgerichtlichen Urteils zum Zweck der Feststellung des Umfangs der Nichtigerklärung entgegensteht, erfordert nicht die Durchführung eines Revisionsverfahrens. Sie ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Danach sind auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Normenkontrollverfahrens die Entscheidungsgründe eines verfassungsgerichtlichen Urteils zur Ermittlung des Sinns der Urteilsformel heranzuziehen (BVerfG, Urteil vom 19. Juli 1966 - 2 BvF 1/65 - BVerfGE 20, 56 <86>). Gleiches gilt für die Bestimmung des Umfangs der Bindungswirkung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach § 31 Abs. 1 BVerfGG; auch insoweit ist außer auf die Entscheidungsformel zusätzlich auf die sie tragenden Gründe abzustellen (BVerfG, Beschluss vom 20. Januar 1966 - 1 BvR 140/62 - BVerfGE 19, 377 <391 f.> und Kammerbeschluss vom 17. Dezember 1998 - 1 BvL 19/98 - juris Rn. 10 und 12).
b) Grundsätzliche Bedeutung hat die Rechtssache auch nicht bezogen auf die weitere von der Beschwerde sinngemäß aufgeworfene Frage, ob ein Wiederaufleben der alten Rechtslage möglich ist, wenn durch das Urteil des Landesverfassungsgerichts neben der Unvereinbarkeitserklärung die Nichtigerklärung der verfassungswidrigen Vorschrift ohne Beschränkung auf eine Änderungsfassung ausgesprochen worden ist. Abgesehen davon, dass sich die Frage, welche Folgen der Unvereinbarkeits- und Nichtigerklärung einer Norm des Landesrechts mit der Landesverfassung beizumessen sind, nach nichtrevisiblem (§ 137 Abs. 1 VwGO) Landesrecht beurteilt, wäre die Frage auch bei unterstellter Betroffenheit von Bundesrecht deswegen nicht in einem Revisionsverfahren klärungsfähig, weil die Vorinstanz nicht über sie entschieden hat. Diese ist zu dem Ergebnis gekommen, dass sich sowohl die Unvereinbarkeitserklärung als auch die Nichtigerklärung in dem Urteil des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt vom 16. Februar 2010 ausschließlich auf die Neufassung des § 6c Abs. 2 Satz 1 KAG LSA und nicht auch auf die bis zum 31. Dezember 2008 geltende Fassung der Norm bezogen hat.
2. Auch die Divergenzrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) greifen nicht durch.
a) Die Beschwerde meint, das Oberverwaltungsgericht weiche dadurch von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. August 1990 - BVerwG 4 C 3.90 - (BVerwGE 85, 289) ab, dass nach seiner Auffassung für die Verdrängung der früheren Norm durch eine spätere Norm ein entsprechender Wille des Gesetzgebers notwendig sei. Entgegen der Behauptung der Beschwerde ist das Oberverwaltungsgericht jedoch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gefolgt und hat den ihm zugeschriebenen Rechtssatz weder ausdrücklich noch konkludent aufgestellt. Die Beschwerde übersieht, dass das Bundesverwaltungsgericht den gewohnheitsrechtlich anerkannten Grundsatz, dass die spätere Norm die frühere verdrängt, eingeschränkt hat für den Fall, dass wegen der Unwirksamkeit der späteren Norm die Möglichkeit der Normenkollision entfällt (a.a.O. S. 292 f.). Auf diese Aussage des Urteils vom 10. August 1990 nimmt die Vorinstanz mit der Formulierung Bezug, nur eine ausdrückliche Aufhebungsregelung hätte den Willen des Gesetzgebers indiziert, dass er "auf die vorgehende Gesetzesfassung wegen der ihr anhaftenden Fehler bzw. der Ungewissheit ihrer Gültigkeit auch in dem Fall, dass sich seine Neuregelung als ungültig erweisen sollte, nicht zurückgreifen will" (UA S. 10).
b) Eine Abweichung des Oberverwaltungsgerichts von dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. November 2001 - 1 BvL 19/93 u.a. - (BVerfGE 104, 126) sieht die Beschwerde darin, dass das Oberverwaltungsgericht den Rechtssatz aufgestellt habe, nur im Fall der bloßen Unvereinbarkeitserklärung einer Norm sei es Sache des Gesetzgebers, zu entscheiden, ob der Verfassungsverstoß auf die eine oder andere Weise bereinigt werden solle, während es im Fall des Nebeneinanders von Unvereinbarkeitserklärung und Nichtigerklärung einer gesetzlichen Vorschrift zum Wiederaufleben der alten Rechtslage kommen könne. Eine Divergenz besteht insoweit jedoch nicht. Die von der Beschwerde wiedergegebene Aussage der Vorinstanz entspricht der Rechtsprechung und der Tenorierungspraxis des Bundesverfassungsgerichts. Danach ist die Nichtigerklärung einer mit dem Grundgesetz nicht in Einklang stehenden Norm der Regelfall. Nur wenn die Voraussetzungen für eine bloße Unvereinbarkeitserklärung mit befristeter Weitergeltung bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber vorliegen, hat es mit der Unvereinbarkeitserklärung, gegebenenfalls ergänzt um eine Übergangsregelung, sein Bewenden (vgl. nur BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2333/08 u.a. - juris Tenor und Rn. 168 ff. und Beschluss vom 23. März 2011 - 2 BvR 882/09 - juris Tenor und Rn. 81 ). Soweit die Beschwerde auch in diesem Zusammenhang meint, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beschränke die Möglichkeit des Wiederauflebens einer Norm auf die Fälle, in denen "die Änderung als solche" für nichtig erklärt wird, findet sich hierfür in dem von der Beschwerde zitierten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. November 2001 kein Anhaltspunkt. Im Übrigen ist das Oberverwaltungsgericht, wie oben dargelegt, davon ausgegangen, dass die Nichtigerklärung durch das Landesverfassungsgericht nur die ab dem 1. Januar 2009 geltende Änderungsfassung des § 6c Abs. 2 Satz 1 KAG LSA betroffen hat.