Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 29.09.2015


BVerwG 29.09.2015 - 9 B 42/15

Erschließung durch Wohnweg


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsdatum:
29.09.2015
Aktenzeichen:
9 B 42/15
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2015:290915B9B42.15.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 26. Februar 2015, Az: OVG 5 B 20.14, Urteilvorgehend VG Potsdam, 7. September 2012, Az: 12 K 1922/10
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Ein Grundstück, das an eine Anbaustraße und einen diese Anbaustraße mit einer weiteren Anbaustraße verbindenden unbefahrbaren Wohnweg grenzt, wird durch diesen Wohnweg im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB erschlossen, sofern das Bebauungsrecht eine Erreichbarkeit in Form einer nur fußläufigen Zugänglichkeit für die Bebaubarkeit des Grundstücks ausreichen lässt (im Anschluss an Urteil vom 1. März 1996 - 8 C 26.94 - Buchholz 406.11 § 131 BauGB Nr. 101).

Gründe

I

1

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Vorausleistung auf einen Erschließungsbeitrag für eine mit Kraftfahrzeugen nicht befahrbare Verkehrsanlage.

2

Die Kläger sind Eigentümer eines mit einem zweigeschossigen Wohngebäude bebauten Grundstücks, das sowohl an die M.-Straße, eine Anbaustraße, als auch an den S.-steig angrenzt. Der ausschließlich für den Rad- und Fußgängerverkehr freigegebene S.-steig führt von der H.-straße im Westen bis zur G.-Straße im Osten; das Teilstück zwischen der M.-Straße und der G.-Straße ist ca. 89 m lang. Der S.-steig findet an beiden Enden eine Verlängerung in Form bestehender Anbaustraßen.

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Für die Herstellung des S.-steiges setzte die beklagte Stadt eine Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag fest. Das Verwaltungsgericht hat den an die Kläger gerichteten Vorausleistungsbescheid aufgehoben, da der als durchgehende Rad- und Fußgängerverbindung konzipierte Weg die Erschließungssituation der anliegenden Grundstücke nicht verbessere. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es darauf abgestellt, dass der S.-steig, soweit hier von Belang, ein Wohnweg i.S.d. § 127 Abs. 2 Nr. 2 BauGB sei. Denn nach Maßgabe des einschlägigen Bauordnungsrechts (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 BbgBauO) vermittele eine 50 m lange Teilstrecke des Weges, ausgehend von der G.-Straße, dem anliegenden Grundstück der Kläger die Bebaubarkeit und damit eine beitragsfähige Zweiterschließung zu dieser Straße hin. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger.

II

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Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

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1. Die Revision ist nicht wegen eines Abweichens des Berufungsurteils von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.

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Eine solche Divergenz ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Vorschrift widersprochen hat. Hieran fehlt es. Die Beschwerde stellt in keinem der behaupteten Divergenzfälle konkrete Rechtssätze des Bundesverwaltungsgerichts und des Berufungsgerichts einander gegenüber, sondern beschränkt sich in weiten Teilen darauf, im Stil einer Revisionsbegründung eine vermeintlich fehlerhafte Auslegung bzw. Anwendung der Rechtssätze des Bundesverwaltungsgerichts aufzuzeigen. Dies genügt nicht den Darlegungsanforderungen der Divergenzrüge (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14 m.w.N.).

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Darüber hinaus liegt ungeachtet der unzureichenden Darlegung eine Divergenz zu den von den Klägern genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts nicht vor. Von dem Urteil vom 10. Dezember 1993 - 8 C 58.91 - (Buchholz 406.11 § 127 BauGB Nr. 71) weicht die angefochtene Entscheidung bereits deshalb nicht ab, weil das Berufungsgericht den von den Klägern behaupteten Rechtssatz, jede (Zweit-)Erschließung sei unabhängig von ihrer konkreten Nutzbarkeit ein beitragsrechtlicher Vorteil für den Grundstückseigentümer, nicht aufgestellt hat. Vielmehr hat es darauf abgestellt, der S.-steig verschaffe dem klägerischen Grundstück eine zusätzliche Erschließung über die G.-Straße; darüber hinaus ermögliche er eine Teilung der anliegenden Grundstücke dergestalt, dass auch die hierdurch entstehenden Hinterliegergrundstücke erschlossen seien. Dies steht nicht in Widerspruch zu dem in der vorgenannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts enthaltenen Rechtssatz, dass, wenn ein Wohnweg nicht zwei Anbaustraßen miteinander verbindet, sondern lediglich von einer Anbaustraße abzweigt, Grundstücke, die sowohl an den Wohnweg als auch an die Anbaustraße grenzen, ausschließlich durch die letztere Anlage, nicht jedoch auch durch den Wohnweg erschlossen werden (BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 1993 - 8 C 58.91 - Buchholz 406.11 § 127 BauGB Nr. 71 S. 107). Auch weicht das angefochtene Urteil damit nicht von dem im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. März 1996 - 8 C 26.94 - (Buchholz 406.11 § 131 BauGB Nr. 101) aufgestellten Rechtssatz ab, wonach ein Grundstück, das an eine Anbaustraße und einen diese Anbaustraße mit einer weiteren Anbaustraße verbindenden unbefahrbaren Wohnweg grenzt, durch diesen Wohnweg i.S.d. § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB erschlossen wird, sofern das Bebauungsrecht eine Erreichbarkeit in Form einer nur fußläufigen Zugänglichkeit für die Bebaubarkeit des Grundstücks ausreichen lässt. Einen Rechtssatz des Inhalts, dass die Beitragsfähigkeit über die Zweiterschließung hinaus eine (weitere) "reale" Verbesserung der Erschließungsqualität voraussetzt, enthält die letztgenannte Entscheidung entgegen dem Vorbringen der Kläger nicht. Vielmehr hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 10. Februar 1978 - 4 C 4.75 - (Buchholz 406.11 § 127 BBauG Nr. 29 S. 26; bestätigt durch BVerwG, Urteil vom 3. März 1995 - 8 C 25.93 - Buchholz 406.11 § 129 BauGB Nr. 28 S. 3) ausgeführt, hinsichtlich der Erforderlichkeit einer Anlage könnten allenfalls dann Zweifel bestehen, wenn alle angrenzenden Grundstücke bereits anderweitig erschlossen und schon dadurch bebaubar oder gewerblich nutzbar seien und die Zweitanlage den von ihr erschlossenen Grundstücken ausnahmsweise keine prinzipiell bessere Qualität der Erschließung im bebauungsrechtlichen Sinne vermittele, weil sie beispielsweise ihrer Zweckbestimmung nach keine Erschließungsfunktion übernehmen soll. Diese Rechtssätze hat das Berufungsgericht der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegt.

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2. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

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Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (BVerwG, Beschluss vom 9. März 1993 - 3 B 105.92 - NJW 1993, 2825). Den Darlegungen der Beschwerde lässt sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.

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a) Die von der Beschwerde als rechtsgrundsätzlich bezeichnete Frage, welche Anforderungen an den erschließungsbeitragsrechtlichen Vorteil bei einer Zweiterschließung durch Fußwege zu stellen sind, ist vorliegend nicht entscheidungserheblich. Das angefochtene Urteil verhält sich nicht zu den Voraussetzungen einer Erschließung durch Fußwege. Vielmehr hat das Berufungsgericht unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der zufolge Wohnwege - aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen - unbefahrbare öffentliche Verkehrsanlagen sind, an denen zulässigerweise Wohngebäude errichtet werden dürfen (BVerwG, Urteile vom 1. März 1996 - 8 C 26.94 - Buchholz 406.11 § 131 BauGB Nr. 101 S. 67 und vom 17. Juni 1998 - 8 C 34.96 - Buchholz 406.11 § 131 BauGB Nr. 108 S. 98), auf der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen sowie der landesrechtlichen Regelung des § 4 Abs. 1 Nr. 2 BbgBauO entschieden, dass der S.-steig bis zu einer Länge von 50 m, gerechnet von der Einmündung in die G.-Straße, die Bebaubarkeit der angrenzenden Grundstücke einschließlich des Grundstücks der Kläger vermittelt und daher erschließungsbeitragsrechtlich als Wohnweg i.S.d. § 127 Abs. 2 Nr. 2 BauGB zu qualifizieren ist. Die Frage, ob bzw. welche zusätzlichen Anforderungen für eine Erschließung durch reine Fußwege gelten (vgl. hierzu Grziwotz, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Mai 2015, § 127 Rn. 15q; Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 127 Rn. 25; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 12 Rn. 69), stellt sich damit vorliegend nicht.

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b) Sofern die Beschwerde sinngemäß die Frage aufwirft, unter welchen Voraussetzungen Wohnwege einen erschließungsbeitragsrechtlich relevanten Vorteil für solche Grundstücke vermitteln, die bereits über eine anderweitige Erschließung verfügen, lässt sich diese Frage anhand der vom Bundesverwaltungsgericht bereits entschiedenen und unter a) dargelegten Grundsätze beantworten, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.

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Der Erschließungsvorteil, zu dessen Abgeltung der Erschließungsbeitrag erhoben wird, ist danach die durch die Anlage und die damit bewirkte Erreichbarkeit vermittelte bauliche oder gewerbliche Nutzbarkeit des Grundstücks. Dabei steht der Annahme eines Erschließungsvorteils nicht entgegen, dass ein Grundstück gleichzeitig eine Zufahrt zu einer anderen Erschließungsanlage besitzt; diese ist vielmehr hinwegzudenken. Insoweit ist es deshalb unerheblich, dass der Grundstückseigentümer die zusätzliche Erschließung nicht selten als überflüssig oder gar lästig empfindet. Es kommt vielmehr allein darauf an, dass die Zweitanlage dem Grundstück durch die - von der tatsächlichen Nutzung unabhängige - Möglichkeit der Inanspruchnahme eine prinzipiell bessere Qualität der Erschließung im bebauungsrechtlichen Sinne vermittelt (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 12. November 2014 - 9 C 4.13 - BVerwGE 150, 308 Rn. 11, 15 m.w.N.). Indes kann einer weiteren Erschließungsanlage ausnahmsweise die Erforderlichkeit i.S.d. § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB fehlen, wenn sie - bezogen allerdings nicht nur auf ein einzelnes Grundstück, sondern auf das gesamte zu erschließende Gebiet (BVerwG, Urteile vom 6. Mai 1966 - 4 C 136.65 - Buchholz 406.11 § 133 BBauG Nr. 8 S. 43, vom 21. Mai 1969 - 4 C 93.67 - Buchholz 406.11 § 129 BBauG Nr. 2 S. 4, vom 13. August 1976 - 4 C 23.74 - BRS 37 Nr. 142 S. 288 und vom 3. März 1995 - 8 C 25.93 - Buchholz 406.11 § 129 BauGB Nr. 28 S. 2 f.) - ihrer Zweckbestimmung nach keine Erschließungsfunktion i.S.d. §§ 127, 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB übernehmen, sondern beispielsweise nur den Zugang zu einem Sportgelände oder einem Aussichtsturm gewährleisten soll (BVerwG, Urteile vom 10. Februar 1978 - 4 C 4.75 - Buchholz 406.11 § 127 BBauG Nr. 29 S. 26 und vom 3. März 1995 - 8 C 25.93 - Buchholz 406.11 § 129 BauGB Nr. 28 S. 3). Für die Beantwortung der Frage, ob es auch unter Berücksichtigung des den Gemeinden hierbei zukommenden weiten Entscheidungsspielraums an der Erforderlichkeit fehlt, kommt es stets auf die Situation des Einzelfalls an; sie ist daher einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.

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c) Aus den vorstehenden Ausführungen folgt zugleich, dass sich die weiteren von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen, wodurch sich Wohnwege und Fußwege i.S.v. § 127 Abs. 2 Nr. 2 BauGB unterscheiden und wie Wohnwege im bauordnungsrechtlichen Sinne von Wohnwegen und Fußwegen im erschließungsbeitragsrechtlichen Sinne (§ 127 Abs. 2 Nr. 2 BauGB) abzugrenzen sind, vorliegend nicht stellen und damit gleichfalls nicht die Zulassung der Revision rechtfertigen.

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO, die Festsetzung des Streitwertes auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.