Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 10.04.2019


BVerwG 10.04.2019 - 9 B 3/19

Politische Partei als Gebührenschuldner für Sondernutzungsgebühr; individuelle Zurechenbarkeit von Parteiwerbung; erfolglose Nichtzulassungsbeschwerde


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
9. Senat
Entscheidungsdatum:
10.04.2019
Aktenzeichen:
9 B 3/19
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2019:100419B9B3.19.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 26. September 2018, Az: OVG 1 B 14.18, Urteilvorgehend VG Potsdam, 27. März 2014, Az: 10 K 2449/12, Urteil
Zitierte Gesetze
§ 21 Abs 1 StrG BB
§ 21 Abs 2 S 2 StrG BB

Gründe

I

1

Nachdem der Beklagte im Stadtgebiet Parteienwerbung der D in Form von migrationskritischen Aufklebern auf Straßenschildern, Verkehrszeichen, Papierkörben, Ampeln, Straßenlaternen etc. festgestellt hatte, zog er die Klägerin - die D - Landesverband Brandenburg - gemäß §§ 1 und 3 seiner Sondernutzungssatzung zu einer Sondernutzungsgebühr in Höhe von insgesamt 305 € heran. Nach § 1 der Satzung wird für den Gebrauch der öffentlichen Straßen und Plätze im Stadtgebiet über den Gemeingebrauch hinaus eine Sondernutzungsgebühr erhoben. Nach § 3 Abs. 1 der Satzung sind Gebührenschuldner: a) der Antragsteller, b) der Erlaubnisnehmer und c) derjenige, der die Sondernutzung tatsächlich ausübt oder in seinem Interesse ausüben lässt.

2

Die gegen den Bescheid gerichtete Klage blieb vor dem Verwaltungsgericht erfolglos: Zwar habe die Klägerin vorgetragen, dass sie die Sondernutzung nicht beantragt habe und dass nicht auszuschließen sei, dass Werbematerial in unbefugte Hände gelangt sei. Dieser Vortrag reiche aber nicht aus, um substantiiert die vorgenommenen Beklebungen im gesamten Stadtgebiet zu bestreiten. Auf die Berufung der Klägerin änderte das Oberverwaltungsgericht das Urteil und hob den Bescheid des Beklagten auf. Die Klägerin könne mangels feststellbarer individueller Zurechnung der Sondernutzung nicht als Gebührenschuldnerin in Anspruch genommen werden. Es sei weder nachgewiesen, dass die Klägerin die Sondernutzung tatsächlich ausgeübt habe noch in ihrem Interesse habe ausüben lassen. Für die Annahme einer Beweislastumkehr bestehe kein Raum.

II

3

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.

4

1. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu.

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Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Den Darlegungen der Beschwerde (vgl. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) lässt sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.

6

a) Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen:

1. Ist es mit dem Grundsatz der individuellen Zurechenbarkeit im Gebührenrecht vereinbar, die Verwirklichung eines Sondernutzungstatbestandes durch "Ausübenlassen" - also im Sinne von § 3 Abs. 1 Buchst. c der hier in Rede stehenden Gebührensatzung des Beklagten vom 26. Oktober 2011 - bereits dann anzunehmen, wenn ein Ursachenzusammenhang zwischen dem Verhalten des in Anspruch genommenen Gebührenschuldners und der die Sondernutzung begründenden tatsächlich ausgeübten Nutzung besteht und der in Anspruch genommene Gebührenschuldner als Veranlasser der Sondernutzung festgestellt werden kann oder muss darüber hinaus ein "Duldungswille" des Gebührenschuldners gegeben sein ?

2. Ist im Hinblick auf den Tatbestand des "Ausübenlassens" ein die individuelle Zurechnung der Gebührenverantwortung begründender Ursachenzusammenhang - bzw. ein gegebenenfalls darüber hinaus als erforderlich anzusehender Duldungswille ("wissendes Dulden") - im Falle einer Sondernutzung des öffentlichen Straßenraums durch Bekleben einer Vielzahl von Anlagen mit Aufklebern dann anzunehmen, wenn diese Aufkleber von einer politischen Partei mit dem Ziel vertrieben wurden, ihre auf den Aufklebern befindlichen politischen Botschaften zu verbreiten, ohne dass diese Partei bei dem Vertrieb darauf hingewiesen hat, dass das Verkleben einer Vielzahl dieser Aufkleber im öffentlichen Straßenraum eine Sondernutzung darstellt und einer entsprechenden Genehmigung bedarf?

3. Ist es mit dem Grundsatz der individuellen Zurechnung im Gebührenrecht vereinbar, einen adäquaten Ursachenzusammenhang bzw. einen konkreten Duldungswillen des Gebührenschuldners im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal des "Ausübenlassens" dann widerleglich zu vermuten, wenn der Gebührenschuldner auf Internetportalen, über Infostände und Wurfsendungen etc. Aufkleber zum Zwecke politischer Werbung verbreitet, ohne dabei ausdrücklich zu erklären, dass eine bestimmungsgemäße Verwendung dieser Aufkleber im öffentlichen Straßenraum eine Sondernutzung darstellt und einer entsprechenden Genehmigung bedarf?

betreffen sämtlich die Auslegung und Anwendung nicht revisiblen Landesrechts in einem konkreten Einzelfall. Sie zielen darauf ab, wie § 3 Abs. 1 Buchst. c der in Streit stehenden Sondernutzungsgebührensatzung auszulegen ist (Frage 1) bzw. ob der Beklagte die Klägerin unter den hier vorliegenden Umständen in Anspruch nehmen durfte (Fragen 2 und 3). Fallübergreifende abstrakte Fragen des revisiblen Rechts, die in einem Revisionsverfahren geklärt werden könnten, wirft die Beschwerde nicht auf.

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Im Ansatz geht die Beschwerde selbst zutreffend davon aus, dass es an einem allgemeinen bundesrechtlichen Gebührenbegriff fehlt. Bundesrechtliche Voraussetzung für die Erhebung einer Gebühr ist allerdings, dass zwischen der kostenverursachenden Leistung der Verwaltung und dem Gebührenschuldner eine besondere Beziehung besteht, die es gestattet, die Amtshandlung dem Gebührenschuldner individuell zuzurechnen. In der individuellen Zurechenbarkeit liegt die Rechtfertigung dafür, dass die Amtshandlung nicht aus allgemeinen Steuermitteln, sondern ganz oder teilweise zu Lasten des Gebührenschuldners über Sonderlasten finanziert wird (stRspr, vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. Mai 2008 - 1 BvR 645/08 - NJW 2008, 2770 Rn. 19 unter Hinweis auf den Beschluss vom 6. Februar 1979 - 2 BvL 5/76 - BVerfGE 50, 217 <226>; BVerwG, Urteil vom 25. August 1999 - 8 C 12.98 - BVerwGE 109, 272 <276>). Unter Beachtung dieser Kriterien verfügt der Gebührengesetzgeber über einen weiten Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum, welche individuell zurechenbaren öffentlichen Leistungen er einer Gebührenpflicht unterwerfen, welche Gebührenmaßstäbe und Gebührensätze er hierfür aufstellen und welche über die Kostendeckung hinausreichenden Zwecke, etwa einer begrenzten Verhaltenssteuerung in bestimmten Tätigkeitsbereichen, er mit einer Gebührenregelung anstreben will (stRspr, BVerfG, vgl. nur Urteil vom 19. März 2003 - 2 BvL 9/98 u.a. - BVerfGE 108, 1 <18>).

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Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass "die Voraussetzungen der individuellen Zurechnung einer Gebührenverantwortung im Bereich der Sondernutzungen" über das Vorstehende hinaus weiter klärungsbedürftig sind. Vielmehr wendet sie sich mit der 1. Frage lediglich gegen die Auslegung der hier maßgeblichen satzungsrechtlichen Zurechnungsnorm (§ 3 Abs. 1 Buchst. c der Sondernutzungsgebührensatzung) durch das Oberverwaltungsgericht, das diese - für das Revisionsgericht bindend - dahin ausgelegt hat, dass der Wortlaut "die Sondernutzung ... in seinem Interesse ausüben lässt" nicht einen bloßen Ursachenzusammenhang genügen lässt, sondern eine irgendwie geartete "Veranlassung" im Sinne eines bewussten Handelns oder zumindest "wissenden Duldens" voraussetzt (UA S. 10). Die Beschwerde hält diese Auslegung unter Bezugnahme auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt vom 25. Januar 2018 - 12 K 3895/16.F - (juris Rn. 19) für zu eng. Allein mit dem Hinweis auf eine andere Auslegungsmöglichkeit kann aber die grundsätzliche Bedeutung - zumal von nicht revisiblem Landesrecht - nicht dargelegt werden.

9

Auch bezüglich der Anwendung der Norm legt die Beschwerde keinen abstrakten Klärungsbedarf dar. Das Oberverwaltungsgericht hat insoweit - in Würdigung des konkreten Sachverhalts - ausgeführt, dass es für die Annahme des "Ausübenlassens" nicht ausreiche, dass die Klägerin die Aufkleber (unstreitig) in Verkehr gebracht habe. Hieraus folge nicht bereits, dass sie dafür auch gebührenrechtlich einzustehen habe, zumal durch den Online-Materialversand hinsichtlich des Anbringens von Plakaten und Aufklebern ausdrücklich auf das Einverständnis des Eigentümers hingewiesen worden sei, ohne dies auf Privateigentümer zu beschränken (UA S. 12 ff.). Auch insoweit setzt die Beschwerde lediglich ihre eigene Sachverhaltswürdigung an die Stelle derjenigen des Berufungsgerichts, zeigt aber nicht auf, welche abstrakten Fragen des revisiblen Rechts geklärt werden sollen.

10

b) Die Frage,

ob nach den Regeln des Anscheinsbeweises davon ausgegangen werden kann, dass Gebührenschuldner einer Sondernutzung im Sinne des hier in Rede stehenden Gebührentatbestandes ("derjenige, der die Sondernutzung ... in seinem Interesse ausüben lässt") eine politische Partei ist, die zum Zwecke ihrer politischen Werbung Aufkleber herstellt und über Internetportale, Wurfsendungen, Infostände, etc. vertreibt, ohne dabei ausdrücklich zu erklären, dass eine bestimmungsgemäße Verwendung dieser Aufkleber im öffentlichen Straßenraum eine Sondernutzung darstellt und einer entsprechenden Genehmigung bedarf,

rechtfertigt schon deshalb nicht die Zulassung der Revision, weil es sich hierbei der Sache nach nicht um eine Rechtsfrage, sondern um eine Tatfrage handelt, die einer Grundsatzrüge nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 3 B 90.11 - ZOV 2012, 213 Rn. 20).

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2. Die Revision ist nicht deshalb zuzulassen, weil ein Verfahrensfehler geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Das angefochtene Urteil verletzt nicht dadurch den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO), dass das Berufungsgericht den vom Beklagten angeführten Anscheinsbeweis verneint hat.

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Ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO und damit ein Verfahrensfehler ist ausnahmsweise dann gegeben, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, missachtet, ferner wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Januar 2018 - 9 B 11.17 - juris Rn. 3).

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Ein derartiger Verstoß liegt nicht vor. Das Oberverwaltungsgericht hat zunächst zutreffend erläutert, dass der Beweis des ersten Anscheins (prima facie), der es erlaubt, gestützt auf Erfahrungssätze Schlüsse von bewiesenen auf zu beweisende Tatsachen zu ziehen, ein Erfahrungssatz sein muss, der stark genug ist, die volle Überzeugung des Gerichts von einem bestimmten Geschehensablauf selbst dann zu begründen, wenn nicht alle Einzelheiten des Sachverhaltsgeschehens ermittelt werden konnten. Vorausgesetzt wird damit regelmäßig eine gewisse Typizität des zu beweisenden Geschehensablaufs.

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Sodann hat es einen Erfahrungssatz, wonach derjenige, für den auf einem Aufkleber geworben wird, den Aufkleber auch selbst verklebt oder dies veranlasst habe, verneint. Die (verbotswidrige) Verwendung von Aufklebern stehe im allgemeinen nicht in einem so engen Wirkungs- und Verantwortungszusammenhang mit der Urheberschaft, der Herstellung oder dem Vertrieb, dass dem Urheber, Hersteller oder Vertreiber ohne Weiteres die ordnungsrechtliche - und erst recht nicht die gebührenrechtliche - Verantwortung für einen verbotswidrigen Umgang mit den Aufklebern zuzuweisen wäre. Auch der Inhalt der Aufkleber reiche nicht aus, einen Anschein dahingehend zu setzen, dass die Klägerin die Sondernutzung habe ausüben lassen.

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Der Senat vermag in diesen Ausführungen keinen Verfahrensfehler zu erkennen, denn die tatrichterliche Würdigung ist jedenfalls nicht willkürlich (vgl. auch LG Berlin, Urteil vom 17. März 2014 - 1 O 38/13 - nicht veröffentlicht ). Soweit die Beschwerde kritisiert, das Berufungsgericht habe bei seiner Argumentation den Sachverhalt nicht ausgeschöpft, da es "zum Wesen der hier gegenständlichen politischen Botschaften" gehöre, "dass ihre Verwendung im öffentlichen Straßenraum von ihren Urhebern nicht nur 'geduldet' wird, sondern vielmehr veranlasst und gewollt", gibt sie erneut nur ihre eigene - abweichende - Bewertung des Wirkungs- und Ursachenzusammenhangs wieder, belegt aber nicht die verfahrensfehlerhafte Nichtausschöpfung des Sachverhalts. Gleiches gilt für die Kritik, das Gericht sei nicht auf den Vortrag des Beklagten eingegangen, die in Rede stehende "Klebeaktion" habe in zeitlich engem Zusammenhang mit weiteren politischen Aktionen der Klägerin gestanden, unter anderem einer von ihr angekündigten Verteilaktion. Wie die Beschwerde selbst erkennt, hat das Gericht diesen Vortrag nicht übersehen; vielmehr wird er im Tatbestand des Urteils ausdrücklich erwähnt (UA S. 6). Die Behauptung einer angeordneten "Klebeaktion" wurde allerdings seitens der Klägerin bestritten und war nach den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts nicht mit der erforderlichen Überzeugungssicherheit festzustellen, so dass auch insoweit ein Verfahrensfehler nicht erkennbar ist.

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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.