Entscheidungsdatum: 30.01.2018
1. Bei Einreichung eines Rechtsmittels bei einem unzuständigen Gericht ist dieses nicht verpflichtet, auf seine Unzuständigkeit hinzuweisen. Jedoch muss das Gericht den Schriftsatz jedenfalls dann, wenn es bereits mit der Sache befasst war, im ordentlichen Geschäftsgang an das zuständige Gericht weiterleiten. Diese Grundsätze gelten - unabhängig von der Ordnungsgemäßheit der Rechtsmittelbelehrung - auch im Verwaltungsprozess (Anschluss an BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 1995 - 1 BvR 166/93 - BVerfGE 93, 99 <115>; Kammerbeschluss vom 3. März 2003 - 1 BvR 310/03 - NVwZ 2003, 728 <729>).
2. Aus einem Verstoß gegen die Weiterleitungspflicht folgt nicht die Unbeachtlichkeit der fehlerhaften Rechtsmitteleinlegung. Vielmehr ist dem Betroffenen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 VwGO zu gewähren, sofern die weiteren Voraussetzungen hierfür vorliegen.
I
Das Verwaltungsgericht gab der Anfechtungsklage der Kläger gegen einen Straßenausbaubeitragsbescheid der Beklagten statt und ließ die Berufung zu. Die Rechtsmittelbelehrung lautete hingegen, die Berufung bedürfe der Zulassung; der Antrag sei beim Verwaltungsgericht zu stellen. Die Beklagte legte beim Oberverwaltungsgericht Berufung ein. Daraufhin forderte das Oberverwaltungsgericht das Verwaltungsgericht auf, die Rechtsmittelbelehrung zu korrigieren; dann könne auch der Kläger erkennen, dass die Berufung beim Verwaltungsgericht einzulegen sei. Hiervon erhielten die Beteiligten einen Abdruck. Sodann änderte das Verwaltungsgericht sein Urteil bezüglich der Rechtsmittelbelehrung. Nachfolgend reichte die Beklagte die Berufungsbegründung beim Oberverwaltungsgericht ein, stellte jedoch beim Verwaltungsgericht keinen Berufungsantrag. Nach vorheriger Anhörung der Beteiligten verwarf das Oberverwaltungsgericht die Berufung.
II
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.
1. Die Revision ist nicht deshalb zuzulassen, weil ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zu Recht als unzulässig verworfen, weil sie innerhalb der Berufungsfrist entgegen § 124a Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht beim Verwaltungs-, sondern nur beim Oberverwaltungsgericht eingelegt wurde. Die Notwendigkeit, die Berufung allein beim Verwaltungsgericht einzulegen, und die daraus folgende Unzulässigkeit einer nur beim Oberverwaltungsgericht eingelegten Berufung begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 3. März 2003 - 1 BvR 310/03 - NVwZ 2003, 728 <729>). Auch sonst sind die Rügen der Beklagten unbegründet.
a) Zu Unrecht macht die Beklagte geltend, sie habe entsprechend der Rechtsmittelbelehrung im Urteil des Verwaltungsgerichts Berufung beim Oberverwaltungsgericht eingelegt. Denn sowohl die zunächst fehlerhafte als auch die mit Beschluss vom 4. Juli 2016 geänderte Rechtsmittelbelehrung wiesen darauf hin, dass das Rechtsmittel beim Verwaltungsgericht einzulegen ist.
b) Das Berufungsgericht hat darüber hinaus dem aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Anspruch auf ein faires Verfahren - ungeachtet der Frage, ob sich die Beklagte als kommunale Gebietskörperschaft hierauf berufen kann - insoweit Rechnung getragen, als es mit Schreiben an das Verwaltungsgericht vom 21. Juni 2016, von welchem dem Bevollmächtigten der Beklagten ein Abdruck zugeleitet wurde, ausdrücklich darauf hinwies, dass die Berufung beim Verwaltungsgericht einzulegen ist. Ob es unter diesen Umständen zusätzlich einer Weiterleitung der Berufung an das Verwaltungsgericht innerhalb der am 11. August 2016 abgelaufenen Berufungsfrist bedurft hätte, kann dahinstehen.
aa) Die Einreichung eines Rechtsmittels bei einem unzuständigen Gericht wahrt nicht die Fristen im Rechtsmittelverfahren. Dieses ist nicht verpflichtet, die Partei oder ihren Prozessbevollmächtigten auf seine Unzuständigkeit hinzuweisen. Jedoch hat das Gericht jedenfalls dann, wenn es bereits mit der Sache befasst war, gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, den Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang an das zuständige Gericht weiterzuleiten. Einen hinreichenden zeitlichen Abstand zwischen der Einlegung des Rechtsmittels und dem Ablauf der Rechtsmittelfrist vorausgesetzt, darf die Partei nicht nur auf die Weiterleitung des Schriftsatzes, sondern auch darauf vertrauen, dass dieser noch fristgerecht beim zuständigen Gericht eingeht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 1995 - 1 BvR 166/93 - BVerfGE 93, 99 <115>; Kammerbeschlüsse vom 3. Januar 2001 - 1 BvR 2147/00 - NJW 2001, 1343 und vom 17. März 2005 - 1 BvR 950/04 - NJW 2005, 2137 <2138>). Diese Grundsätze gelten nicht nur im Zivil-, sondern auch im Verwaltungsprozess (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 3. März 2003 - 1 BvR 310/03 - NVwZ 2003, 728 <729>; a.A. zuvor OVG Greifswald, Beschluss vom 29. Oktober 1998 - 3 M 118/98 - NVwZ 1999, 201; offen gelassen von OVG Hamburg, Beschluss vom 4. September 1997 - Bs IV 68/97 - NJW 1998, 696 <697>), und zwar auch dann, wenn die Rechtsmittelbelehrung ordnungsgemäß erfolgte.
bb) Dahingestellt bleiben kann, ob eine Weiterleitungspflicht auch für ein unzuständiges Gericht besteht, das vorher nicht mit der Sache befasst war (offen gelassen von BVerfG, Kammerbeschluss vom 3. Januar 2001 - 1 BvR 2147/00 - NJW 2001, 1343; OVG Münster, Beschluss vom 3. Juli 1997 - 16 A 1968/97 - NVwZ 1997, 1235 <1236>; hiervon ausgehend hingegen BVerfG, Kammerbeschluss vom 3. März 2003 - 1 BvR 310/03 - NVwZ 2003, 728 <729>; für eine uneingeschränkte Weiterleitungspflicht W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 60 Rn. 17, § 124a Rn. 18; Rudisile, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 124a Rn. 36; Happ, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 42; einschränkend Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 124a Rn. 28), oder ob eine Vorbefassung des Berufungsgerichts vorliegend daraus folgen kann, dass es mit Eingang der Berufungsschrift das Verwaltungsgericht angehalten hat, die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung in seinem Urteil vom 1. Juni 2016 zu berichtigen.
Denn selbst aus einem Verstoß gegen die vorbezeichnete Weiterleitungspflicht ergäbe sich nicht automatisch die Unbeachtlichkeit der fehlenden Einlegung der Berufung beim Verwaltungsgericht. Folge einer Verletzung des Grundsatzes eines fairen Verfahrens ist vielmehr, dass dem Betroffenen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 VwGO zu gewähren ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 1995 - 1 BvR 166/93 - BVerfGE 93, 99 <115>; Kammerbeschlüsse vom 3. Januar 2001 - 1 BvR 2147/00 - NJW 2001, 1343 und vom 17. März 2005 - 1 BvR 950/04 - NJW 2005, 2137 <2138>; BVerwG, Beschluss vom 15. Juli 2003 - 4 B 83.02 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 248 S. 47 f.; BGH, Urteil vom 1. Dezember 1997 - II ZR 85/97 - NJW 1998, 908). Einen dahingehenden Antrag hat die Beklagte indes weder gestellt noch hat sie innerhalb der Antragsfrist die versäumte Rechtshandlung nachgeholt, sodass gemäß § 60 Abs. 2 Satz 3, 4 VwGO auch eine Wiedereinsetzung von Amts wegen nicht zu gewähren war.
2. Die Revision ist darüber hinaus nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Eine Rechtsfrage, die sich für die Vorinstanz nicht gestellt hat, kann grundsätzlich - und auch hier - nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 5. Oktober 2009 - 6 B 17.09 - Buchholz 442.066 § 24 TKG Nr. 4 Rn. 7 und vom 6. Mai 2010 - 6 B 73.09 - juris Rn. 4). Mit der von der Beklagten aufgeworfenen Frage der Straßenbaulast für kombinierte Geh- und Radwege hat sich das Berufungsgericht aufgrund der Unzulässigkeit der Berufung nicht befasst.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.