Entscheidungsdatum: 10.03.2011
I.
In seiner Sitzung am 26. November 2009 beschloss der Antragsteller unter gleichzeitiger Anordnung der sofortigen Vollziehung, die Wahl des Bürgermeisters und die Wahl für die Vertretung der Gemeinde K. vom 30. August 2009 im Wahlbezirk 130 - L. - wegen einer Unregelmäßigkeit für ungültig zu erklären und eine Wiederholungswahl anzuordnen. Auf die dagegen gerichtete Klage des Antragsgegners hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 24. Februar 2010 den Beschluss aufgehoben und den Antragsteller verpflichtet, die Wahl vom 30. August 2009 im Wahlbezirk 130 - L. - hinsichtlich der Bürgermeisterwahl und hinsichtlich der Ratswahl für gültig zu erklären. Mit Beschluss vom 15. März 2010 hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt.
Auf die Berufung des Antragstellers hat das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss vom 5. November 2010 das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Sie sei unzulässig, weil der Antragsgegner nicht klagebefugt sei. Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts hat der Antragsgegner Beschwerde eingelegt, die beim Bundesverwaltungsgericht unter dem Aktenzeichen BVerwG 8 B 5.11 anhängig ist.
Mit Schriftsatz vom 17. Februar 2011 hat der Antragsteller beim Bundesverwaltungsgericht beantragt, den Beschluss des Verwaltungsgerichts Minden vom 15. März 2010 gemäß § 80 Abs. 7 VwGO zu ändern und den Antrag des
Der Antragsgegner beantragt, den Abänderungsantrag gemäß § 80 Abs. 7 VwGO abzulehnen. Der Antrag sei bereits nicht zulässig. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts stelle keine veränderten Umstände im Sinne des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO dar. Eine Änderung der rechtlichen Beurteilung des Gerichts, auch eines Gerichts im Instanzenzug, reiche nicht aus. Jedenfalls sei der Antrag unbegründet, da kein Anhaltspunkt ersichtlich sei, hier vom gesetzlichen Regelfall des § 80 Abs. 1 VwGO abzuweichen. Im Rahmen der vom Gericht zu treffenden Interessenabwägung müsse zudem berücksichtigt werden, dass das Verwaltungsgericht bei der Neuauszählung der Stimmzettel festgestellt habe, dass die angeführte Unregelmäßigkeit keinen Einfluss auf das Wahlergebnis gehabt habe.
II.
Der Antrag bleibt ohne Erfolg.
Allerdings ist, entgegen der Auffassung des Antragsgegners, der Antrag des Antragstellers, gemäß § 80 Abs. 7 VwGO den Beschluss des Verwaltungsgerichts Minden vom 15. März 2010 zu ändern, nicht durch die Entscheidung des Senats vom 24. Februar 2011 (BVerwG 8 VR 1.11) gegenstandslos geworden. Mit diesem Beschluss hat der Senat keine inhaltliche Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage getroffen, sondern nur festgestellt, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts Minden weiterhin wirksam ist. Einer Änderung dieses Beschlusses bedarf es bei der Entscheidung im Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO nicht.
Gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wegen veränderter Umstände beantragen. Ob diese Voraussetzung hier bereits dadurch erfüllt ist, dass das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 5. November 2010 das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen hat (so wohl Beschluss vom 13. Juni 2007 - BVerwG 6 VR 5.07 - Buchholz 310 § 80 VwGO Nr. 74) oder ob die Annahme "veränderter Umstände" mehr erfordert als eine Änderung der Prozesslage durch eine abweichende Entscheidung im Instanzenzug, kann hier dahinstehen. Denn gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache jederzeit von Amts wegen einen Beschluss über die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ändern oder aufheben. Insoweit ist der Antrag des Antragstellers gleichzeitig als Anregung an das Gericht zu verstehen, den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 15. März 2010 von Amts wegen zu ändern.
Das Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO dient nicht in der Art eines Rechtsmittelverfahrens der Überprüfung, ob die vorangegangene Entscheidung - hier der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 15. März 2010 - formell und materiell richtig ist (vgl. Beschluss vom 4. Juli 1988 - BVerwG 7 C 88.87 - BVerwGE 80, 16 <17> = Buchholz 310 § 80 VwGO Nr. 48 S. 7). Es eröffnet vielmehr die Möglichkeit, einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage Rechnung zu tragen. Prüfungsmaßstab für die Entscheidung ist daher allein, ob nach der jetzigen Sach- und Rechtslage die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage geboten ist (vgl. Beschluss vom 25. August 2008 - BVerwG 2 VR 1.08 - juris).
Die Interessenabwägung, die der Senat im Rahmen des § 80 Abs. 7 VwGO vorzunehmen hat, wird im vorliegenden Fall nicht durch die Erfolgsaussichten des Verfahrens der Hauptsache bestimmt, an denen sie sich regelmäßig in erster Linie auszurichten hat. Nach gegenwärtigem Erkenntnisstand ist offen, ob die Beschwerde des Klägers zur Zulassung der Revision führen und ob gegebenenfalls der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts im Revisionsverfahren Bestand haben wird.
Dabei geht der Senat davon aus, dass das Oberverwaltungsgericht seine Entscheidung tragend allein darauf gestützt hat, klagebefugt im Sinne des § 41 Abs. 1 KWahlG sei nur, wer zuvor Einspruch gemäß § 39 KWahlG eingelegt habe. Dagegen ist die Entscheidung nicht selbstständig tragend auch auf das Argument gestützt, einspruchsberechtigt sei nicht ein Gemeindeverband, sondern nur die für das Wahlgebiet zuständige Leitung einer Partei. Für diese Auslegung sprechen insbesondere die Ausführungen, dass es auf die Erwägungen dazu letztlich nicht ankomme, weil die Klage aus den Gründen des fehlenden Einspruchs auch dann unzulässig wäre, wenn sie von der zuständigen Parteileitung erhoben worden wäre (BA S. 10). Dafür, dass das Oberverwaltungsgericht auf dieses Argument nicht selbstständig tragend abgestellt hat, spricht auch, dass der angefochtene Beschluss des Antragstellers auf den Einspruch eines örtlichen Gemeindeverbandes einer Partei und nicht der für das Wahlgebiet zuständigen Leitung der Partei ergangen ist.
Ob die sich auf die Frage der Klagebefugnis ohne vorherigen Einspruch beschränkende Beschwerdebegründung zur Zulassung der Revision führen kann, ist nach bisherigem Erkenntnisstand offen. Unklar ist insoweit insbesondere die von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam formulierte Rechtsfrage, ob - im Einzelnen aufgeführtes - Bundesverfassungsrecht zu einer verfassungskonformen Auslegung der §§ 39 ff. KWahlG dergestalt zwinge, dass dem Gemeindeverband einer politischen Partei eine Klagebefugnis nach § 41 KWahlG auch dann zustehen müsse, "wenn dieser zuvor keinen Einspruch gegen den Beschluss der neuen Vertretung gemäß § 40 Abs. 1 KommWahlG NRW eingelegt hat". Die so formulierte Frage ist in sich nicht schlüssig. Allerdings könnte sich aus der Begründung dieser Frage ergeben, dass die Beschwerde meint, es führe zu einem Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien, wenn der Landesgesetzgeber politischen Parteien das Recht zur Erhebung eines wahlprüfungsrechtlichen Einspruchs zubilligt, es aber für im politischen Wettbewerb konkurrierende Parteien keine Möglichkeit gebe, chancengleich die infolge dieses Einspruchs ergehende Entscheidung der neuen Vertretung überprüfen zu lassen. Die dazu vorgebrachte Argumentation der Beschwerde schließt bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen überschlägigen Prüfung einen Erfolg der Beschwerde nicht von vornherein aus. Ebenso verbietet sich danach ein Wahrscheinlichkeitsurteil über den Ausgang des etwaigen Revisionsverfahrens.
Das nach § 80 Abs. 7 VwGO zu einer vorläufigen Entscheidung berufene Revisionsgericht muss in diesem Fall eine vom Ausgang des Hauptsacheverfahrens unabhängige Interessenabwägung durchführen (vgl. Beschluss vom 13. Juni 2007 - BVerwG 6 VR 5.07 - a.a.O. m.w.N.). Diese Interessenabwägung fällt hier zuungunsten des Antragstellers aus. Sie ergibt, dass der Nachteil, den der Antragsgegner bei sofortigem Vollzug des angefochtenen Beschlusses und bei schließlich erfolgreicher Revision hinzunehmen hätte, eindeutig den Nachteil überwiegt, der für den Antragsteller bei aufschiebender Wirkung der Klage entstünde, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde oder eine sich gegebenenfalls anschließende Revision erfolglos bleiben sollte. Im ersteren Fall würde sich nämlich mit der vom Antragsteller beabsichtigten Durchführung einer Wiederholungswahl das beim Bundesverwaltungsgericht anhängige Streitverfahren in der Hauptsache erledigen, ohne dass die Rechtsfragen endgültig geklärt wären. Im zuletzt genannten Fall dagegen würde sich die Durchführung der Wiederholungswahl zwar um einen weiteren Zeitraum verschieben. Das ist selbst im Hinblick auf das Erfordernis, Wiederholungswahlen baldmöglichst stattfinden zu lassen, jedoch vertretbar. Denn der Gesetzgeber geht in § 42 Abs. 4 Satz 1 KWahlG davon aus, dass die Wiederholungswahl erst nach Unanfechtbarkeit des Beschlusses der Vertretung oder nach einer rechtskräftigen Bestätigung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren stattfindet. Nachdem seit der ursprünglichen Wahl vom 30. August 2009 inzwischen bereits mehr als eineinhalb Jahre vergangen und deshalb nicht mehr dieselben Wählerverzeichnisse anzuwenden sind (§ 42 Abs. 2 KWahlG), ist es dem Antragsteller zumutbar, mit der Durchführung der Wiederholungswahl die Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Dies entspricht Art. 19 Abs. 4 GG und dem gesetzlichen Grundsatz des § 80 Abs. 1 VwGO, nach dem die Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung hat. Art. 19 Abs. 4 GG gewährt nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes; die Vorschrift gewährleistet einen substanziellen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 19. Juni 1973 - 1 BvL 39/69 und 14/72 - BVerfGE 35, 263 <274>, vom 18. Juli 1973 - 1 BvR 23, 155/73 - BVerfGE 35, 382 <401 f.> und vom 16. Mai 1995 - 1 BvR 1087/91 - BVerfGE 93, 1 <13>); stRspr). Die Garantie effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 1995 a.a.O.; stRspr) soll auch irreparable Entscheidungen, etwa infolge Sofortvollzugs einer hoheitlichen Maßnahme, soweit als möglich ausschließen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Juni 1973 a.a.O.). Der Rechtsschutzanspruch darf gegenüber dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug einer Maßnahme umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 18. Juli 1973 a.a.O. und vom 27. Oktober 2009 - 1 BvR 1876/09 - NVwZ-RR 2010, 109). Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist demgemäß ausdrücklich zu begründen und als Ausnahme eng anzuwenden.
Unberücksichtigt muss bei der Interessenabwägung bleiben, dass zwischenzeitlich bereits ein Termin für die Wiederholungswahl auf den 20. März 2011 festgesetzt wurde und entsprechende Wahlvorbereitungen mit den damit verbundenen Kosten erfolgten. Denn dies geschah unter Missachtung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Minden vom 15. März 2010, mit dem die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet worden war. Damit sollte gerade im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes verhindert werden, dass trotz Inanspruchnahme des gerichtlichen Rechtsschutzes vollendete Tatsachen geschaffen werden (vgl. Beschluss vom 24. Februar 2011 - BVerwG 8 VR 1.11 -).