Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 11.01.2012


BVerwG 11.01.2012 - 8 PKH 8/11, 8 PKH 8/11 (8 B 81/11)

Anforderung an einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsdatum:
11.01.2012
Aktenzeichen:
8 PKH 8/11, 8 PKH 8/11 (8 B 81/11)
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 16. Juni 2011 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihm Rechtsanwalt Dr. P. beizuordnen, wird abgelehnt.

Gründe

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1. Gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO kann Prozesskostenhilfe nur bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall für die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 16. Juni 2011 nicht gegeben. Nach § 132 Abs. 2 VwGO ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), das Urteil auf einer Abweichung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts beruht (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) oder die angefochtene Entscheidung auf einem geltend gemachten und vorliegenden Verfahrensmangel beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die weitgehend in Form einer Berufungsbegründung gehaltene Beschwerdebegründung lässt das Vorliegen eines dieser Gründe nicht erkennen.

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2. Das Verwaltungsgericht hat den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nicht verletzt.

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Es gehört zu der dem Tatsachengericht durch § 108 Abs. 1 VwGO übertragenen Aufgabe, sich im Wege der freien Beweiswürdigung seine Überzeugung von dem entscheidungserheblichen Sachverhalt zu bilden (vgl. etwa Beschluss vom 14. März 1988 - BVerwG 5 B 7.88 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 199 S. 31 <32 f.>). Das Gericht hat seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zu legen. Wie es seine Überzeugung bildet, wie es also die ihm vorliegenden Tatsachen und Beweise würdigt, unterliegt seiner "Freiheit". Die Einhaltung der daraus entstehenden verfahrensmäßigen Verpflichtungen ist nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter das vorliegende Tatsachenmaterial anders würdigen oder aus ihm andere Schlüsse ziehen will als das Gericht. Die "Freiheit" des Gerichts ist erst dann überschritten, wenn es entweder seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt oder wenn die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen; diese Verstöße gegen den Überzeugungsgrundsatz können als Verfahrensmängel gerügt werden (vgl. Urteile vom 2. Februar 1984 - BVerwG 6 C 134.81 - BVerwGE 68, 338 <339 f.> = Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 145 und vom 19. Januar 1990 - BVerwG 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 <272 f.> = Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 225; Beschlüsse vom 26. Mai 1999 - BVerwG 8 B 193.98 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 4, vom 28. Oktober 2010 - BVerwG 8 B 23.10 - juris und vom 17. Mai 2011 - BVerwG 8 B 88.10 - juris, jeweils m.w.N.).

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Einen Verstoß gegen Denkgesetze zeigt die Beschwerde nicht auf. Vielmehr setzt sie mit ihren umfangreichen Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts ihre Würdigung der vorhandenen Dokumente an die Stelle derjenigen des Gerichts. Dass der Kläger einen anderen Schluss aus den von ihm vorgelegten Dokumenten zieht, führt nicht zu einem Verstoß gegen die Denkgesetze. Auch die von ihm im Beschwerdeverfahren vorgelegten Pläne und Kopien sind nicht geeignet, einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz darzulegen; denn auch das Revisionsgericht ist an die Beweiswürdigung der Tatsacheninstanz gebunden.

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Soweit der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht habe den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht vollständig ermittelt, rügt er in Wirklichkeit eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO). Eine Aufklärungsrüge setzt unter anderem die Darlegung (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) voraus, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wären, welche Beweismittel zu welchen Beweisthemen zur Verfügung gestanden hätten und welches Ergebnis diese Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte. Dem genügt die Beschwerde nicht; der Kläger trägt nicht vor, welchen zusätzlichen Sachverhalt das Gericht hätte ermitteln müssen.

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3. Auch die gerügte Divergenz wird nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargelegt. Der Zulassungsgrund der Divergenz ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (stRspr; vgl. u.a. Beschluss vom 1. September 1997 - BVerwG 8 B 144.97 - Buchholz 406.11 § 128 BauGB Nr. 50 S. 7 <11>). Die Beschwerde muss also die angeblich widersprüchlichen abstrakten Rechtssätze einander gegenüberstellen. Daran fehlt es hier.

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Der Kläger zitiert zwar eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu der hier nicht einschlägigen Norm des § 4 Abs. 3 VermG unter "dem Aspekt der Beweislastumkehr", benennt aber keinen vom Verwaltungsgericht ausdrücklich oder sinngemäß aufgestellten Rechtssatz, mit dem es von dieser Entscheidung abgewichen sein könnte. Er rügt nur, dass das Verwaltungsgericht bei der Würdigung der neuen Dokumente nicht der von ihm vertretenen Rechtsauffassung gefolgt ist und zu einer anderen Beweislastverteilung hätte kommen müssen. Damit kann eine Divergenz nicht geltend gemacht werden.

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4. Der Kläger legt mit seiner Beschwerde auch keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dar (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die von ihm aufgeführten vier Fragen betreffen jeweils nur den konkreten Einzelfall und lassen nicht erkennen, inwieweit ihnen eine darüber hinaus gehende Bedeutung zukommen könnte, inwieweit sie klärungsbedürftig und klärungsfähig sind und dass mit einer solchen Klärung in dem angestrebten Revisionsverfahren zu rechnen wäre. Vielmehr ergeben sich aus den Fragestellungen allein Einwendungen gegen die sachliche Richtigkeit des Urteils; damit kann die Zulassung der Revision nicht erreicht werden.

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5. Soweit der Schriftsatz des Klägers vom 7. November 2011 neues Vorbringen enthält, kann dies nicht berücksichtigt werden, weil er erst nach Ablauf der zweimonatigen Frist zur Begründung der Beschwerde (§ 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO) eingegangen ist. Zu seinem Vorbringen, den - im Ausgangsverfahren am 15. Juni 2006 beim Verwaltungsgericht eingegangenen - Schriftsatz des Beklagten vom 13. Juni 2006 nicht zur Kenntnis bekommen zu haben, ist darauf hinzuweisen, dass ausweislich der Akten des Verwaltungsgerichts (VG 29 A 311/00 Bl. 101R) eine Durchschrift dieses Schriftsatzes am 15. Juni 2006 dem Klägerbevollmächtigten zur Kenntnis übersandt wurde.

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6. Da Prozesskostenhilfe wegen Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung dem Kläger nicht bewilligt werden kann, entfällt auch die beantragte Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten im Sinne des § 121 ZPO.