Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 26.01.2011


BVerwG 26.01.2011 - 8 C 45/09

Höchstaltersgrenze für öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsdatum:
26.01.2011
Aktenzeichen:
8 C 45/09
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, 21. Januar 2009, Az: 6 A 10637/08, Urteilvorgehend VG Mainz, 5. Mai 2008, Az: 6 K 525/07.MZ, Urteilnachgehend BVerfG, 13. Juli 2011, Az: 1 BvR 1472/11, Kammerbeschluss ohne Begründung
Zitierte Gesetze
EGRL 78/2000
§ 22 IHKSachvO Rheinhessen

Leitsätze

1. Der Begriff des Zugangs zu selbstständiger Erwerbstätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 AGG setzt nicht voraus, dass es sich bei der selbstständigen Tätigkeit um einen eigenständigen Beruf im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 12 GG handelt.

2. Die Gewährleistung eines geordneten Rechtsverkehrs ist ein legitimes Ziel, das für öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige eine Ungleichbehandlung wegen des Alters durch Festsetzung eines Höchstalters von 68 Jahren rechtfertigen kann.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Verlängerung seiner öffentlichen Bestellung als vereidigter Sachverständiger.

2

Der am ... geborene Kläger ist von Beruf Rechtsanwalt. Nebenberuflich betätigt er sich als Sachverständiger für Philatelie, wofür er mit Urkunde der Beklagten vom 16. März 1999 für die Dauer von fünf Jahren erstmals öffentlich bestellt worden ist. Mit Schreiben vom 19. Januar 2005 beantragte er im Hinblick auf seine in Kürze auslaufende Bestallung deren Verlängerung um zwei Jahre. Dies wurde auf der Grundlage eines vom Kläger ausgefüllten kurzen Fragebogens umgehend von der Beklagten bewilligt. Mit Schreiben vom 26. Januar 2007 begehrte der Kläger eine weitere Verlängerung der Bestallung um drei Jahre. Das lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 6. März 2007 ab. Der Kläger habe alle satzungsrechtlich vorgesehenen Möglichkeiten ausgeschöpft, um nach Überschreiten der Altersgrenze eine Verlängerung seiner Rechtsposition zu erreichen.

3

Nach erfolglosem Vorverfahren erhob der Kläger Klage mit dem Antrag, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 6. März 2007 und des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 2007 zu verpflichten, seine öffentliche Bestellung als vereidigter Sachverständiger für Philatelie gemäß seinem Antrag vom 26. Januar 2007 zu verlängern. Das Verwaltungsgericht wies die Klage durch Urteil vom 5. Mai 2008 ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine weitere Verlängerung seiner Sachverständigenbestellung. Die Regelungen der Sachverständigenordnung (SVO), die eine Bestellung nur bis zum vollendeten 68. Lebensjahr und nur eine einmalige Verlängerung darüber hinaus zuließen, seien mit den Vorgaben höherrangigen Rechts, insbesondere dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und der ihm zugrunde liegenden Gleichbehandlungsrichtlinie vereinbar. Ob beides auf den Sachverhalt überhaupt anwendbar sei, unterliege bereits erheblichen Zweifeln. Jedenfalls sei nach diesem rechtlichen Maßstab nicht schlechthin jede Altersdiskriminierung verboten, sondern nur eine solche, die eines sachlichen Grundes entbehre oder unter Einsatz unverhältnismäßiger Mittel verwirklicht würde. Davon könne im vorliegenden Fall keine Rede sein.

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Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung hat der Kläger sein Anliegen weiter verfolgt und zur Begründung insbesondere vorgetragen, die in der Sachverständigenordnung der Beklagten vorgesehene Höchstaltersgrenze in Verbindung mit lediglich einer Verlängerungsmöglichkeit der Bestellung erfülle den Tatbestand einer unzulässigen Altersdiskriminierung. Dadurch werde ihm aus Altersgründen die Fortsetzung seiner Funktion unmöglich gemacht. Ohne öffentliche Bestellung sei im Bereich der Philatelie praktisch kein Gutachtenauftrag zu bekommen. Er sei der einzige Rechtsanwalt in Deutschland, der als Sachverständiger für Philatelie vereidigt sei. Aus dieser hochgradigen Spezialisierung könne er nach Ablauf seiner Bestellung keinen nennenswerten Nutzen mehr ziehen. Er sei aber aus wirtschaftlichen Gründen darauf angewiesen.

5

Mit dem aufgrund mündlicher Verhandlung vom 21. Januar 2009 ergangenen Urteil hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts abgeändert und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 6. März 2007 und des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 2007 verpflichtet, über die öffentliche Bestellung des Klägers als vereidigter Sachverständiger für Philatelie nach Maßgabe seines Antrages vom 26. Januar 2007 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Zur Begründung hat es ausgeführt, dem Kläger stehe zwar kein unbedingtes Recht auf die begehrte Leistung zu, denn die Sachverständigenordnung mache die öffentliche Bestellung neben der Höchstaltersgrenze von weiteren objektiven und subjektiven Voraussetzungen abhängig; insoweit liege keine Spruchreife vor. Der Kläger habe aber einen Anspruch auf Neubescheidung, weil sein Verlängerungsantrag zu Unrecht abgelehnt worden sei, ohne in der Sache die erforderliche Spruchreife herzustellen. Die Ablehnung des Antrags des Klägers vom 26. Januar 2007 stehe mit den Vorgaben der Sachverständigenordnung nicht in Einklang. Dies gelte unabhängig davon, ob § 22 Abs. 1 Buchst. d SVO mit höherrangigem Recht vereinbar sei. Falls dies wegen einer nicht völlig von der Hand zu weisenden unzulässigen Altersdiskriminierung nicht der Fall sei, habe das Begehren nicht unter Hinweis auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt abgelehnt werden dürfen. Anderenfalls müsse der vom Satzungsgeber vorgesehene spezifische Härtevorbehalt in § 22 Abs. 2 SVO geprüft werden. Sinn und Zweck dieser Regelung sei erkennbar, Unbilligkeiten aufzufangen, die sich aus der Höchstaltersgrenze des § 22 Abs. 1 Buchst. d SVO ergeben könnten. Die auf einem unzureichend ermittelten Sachverhalt beruhende Entscheidung verfehle den Zweck der satzungsrechtlichen Ermächtigungsnorm, sie sei ermessensfehlerhaft und sperre die Neubescheidung infolgedessen auch nicht im Hinblick auf das Einmaligkeitsgebot. Es obliege der Beklagten, den Sachverhalt im Hinblick auf das Normprogramm der §§ 2 und 3 SVO umfassend aufzuklären und im Zuge der Spruchreifmachung darauf hinzuwirken, dass die rechtlichen Belange der Beteiligten mit dem ihnen jeweils gebührenden Gewicht in den Abwägungsvorgang eingestellt würden. Das betreffe hauptsächlich den Schutzzweck des Erlöschenstatbestandes des § 22 Abs. 1 Buchst. d SVO, gegen dessen abstrakte Vereinbarkeit mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 (ABl EG Nr. L 303 S. 16) unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Altersdiskriminierung ernstzunehmende Bedenken vorgebracht würden. Dieser öffentliche Belang müsse mit dem gegenläufigen Interesse des Klägers an der sachgerechten Verlängerung seiner Bestellung nicht auf der abstrakten Normebene harmonisiert werden, weil die Streitfragen mit Hilfe der in § 22 Abs. 2 SVO vorgesehenen Härteklausel auf der Ebene des Normvollzuges einem einzelfallgerechten Interessenausgleich zugeführt werden könnten. Dazu bedürfe die Härteklausel allerdings einer europarechtskonformen Auslegung und Anwendung, indem die normative Reichweite des Ausnahmetatbestandes seinem gesteigerten Gewicht entsprechend im Verhältnis zum Regeltatbestand ausgedehnt werde. Finde dies im Zuge der gebotenen Abwägung hinreichende Berücksichtigung, dann spreche beim gegenwärtigen Stand der Erkenntnis einiges dafür, dass dem Verlängerungsbegehren des Klägers zu entsprechen sein werde.

6

Die Beklagte hat die vom Senat zugelassene Revision eingelegt, zu deren Begründung sie insbesondere vorträgt, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und die Richtlinie 2000/78/EG des Rates seien auf das Rechtsinstitut der öffentlichen Bestellung und Vereidigung von Sachverständigen nicht anwendbar, weil es sich bei der öffentlichen Bestellung nicht um eine Berufswahl-, sondern um eine Berufsausübungsregelung handele. Die Tätigkeit als öffentlich bestellter Sachverständiger habe kein eigenes Berufsbild. Jedenfalls wäre eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters nach § 10 Abs. 1 AGG zulässig.

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Die Beklagte beantragt,

das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 21. Januar 2009 ergangene Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz wird aufgehoben.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

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Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

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Er verteidigt das angefochtene Urteil.

10

Der Vertreter des Bundesinteresses unterstützt die Position der Beklagten ohne eigene Antragstellung.

Entscheidungsgründe

11

Der Kläger kann mit seiner in der mündlichen Verhandlung erhobenen Rüge der Zulassung der Revision nicht gehört werden. Der Senat hat die Revision mit Beschluss vom 19. Oktober 2009 zugelassen. Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

12

Die Revision ist begründet. Das Urteil des Berufungsgerichts verletzt revisibles Recht und stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).

13

Die Vorschriften der von der Beklagten als Körperschaft des öffentlichen Rechts auf der Grundlage von § 36 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 GewO als Satzung erlassenen Sachverständigenordnung (SVO) vom 5. Dezember 2001 sind als Landesrecht nicht revisibel. Die revisionsgerichtliche Prüfung muss von dem Inhalt der irrevisiblen Vorschriften des Landesrechts ausgehen, den das Berufungsgericht durch Auslegung ermittelt und seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat (§ 173 VwGO i.V.m. § 560 ZPO). Das Revisionsgericht kann insoweit lediglich nachprüfen, ob die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung oder deren Ergebnis Bundesrecht - insbesondere Bundesverfassungsrecht - oder das Recht der Europäischen Union verletzt (stRspr; vgl. u.a. Urteile vom 12. November 1993 - BVerwG 7 C 23.93 - Buchholz 160 Wahlrecht Nr. 38 S. 21 <23 f.> = BVerwGE 94, 288 und vom 9. Dezember 2009 - BVerwG 8 C 17.08 - Buchholz 415.1 AllgKommunalR Nr. 173). Das ist hier der Fall.

14

Zwar hat das Oberverwaltungsgericht zunächst die Vereinbarkeit der satzungsrechtlichen Regelung mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vom 14. August 2006 (BGBl I S. 1897, zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. Februar 2009 - BGBl I S. 160) und der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl EG Nr. L 303 S. 16 - im Folgenden: Richtlinie 2000/78/EG) offen gelassen, weil die gegenläufigen Interessen keiner Harmonisierung auf der abstrakten Normebene bedürften, sondern auf der Ebene des Normvollzuges einem einzelfallgerechten Interessenausgleich zugeführt werden könnten. Insoweit hat es seine Entscheidung allein auf den nicht revisiblen § 22 Abs. 2 SVO gestützt. Zugleich fordert die angefochtene Entscheidung aber eine europarechtskonforme Auslegung und Anwendung des § 22 Abs. 2 SVO, die die normative Reichweite des Ausnahmetatbestandes im Verhältnis zum Regeltatbestand ausdehnen soll. Damit hat das Oberverwaltungsgericht die durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz umgesetzte Richtlinie 2000/78/EG angewandt. Die Richtigkeit dieser Anwendung kann vom Revisionsgericht überprüft werden.

15

Entgegen dem angegriffenen Urteil verpflichtet das im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz umgesetzte unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung nicht zu einer erweiternden Auslegung des § 22 Abs. 2 SVO, die dem Kläger einen Anspruch vermittelte, seinen Antrag vom 26. Januar 2007 auf Verlängerung seiner öffentlichen Bestellung als Sachverständiger für Philatelie um drei Jahre unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts von der Beklagten erneut bescheiden zu lassen (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Gemäß § 22 Abs. 1 Buchst. d SVO erlischt die öffentliche Bestellung, wenn der Sachverständige das 68. Lebensjahr vollendet hat. Gemäß § 22 Abs. 2 SVO kann die Beklagte in begründeten Ausnahmefällen eine einmalige befristete Verlängerung der öffentlichen Bestellung zulassen. Von dieser Verlängerungsmöglichkeit hat der Kläger bereits Gebrauch gemacht, indem er unter dem 19. Januar 2005 im Hinblick auf seine in Kürze auslaufende Bestallung deren Verlängerung um zwei Jahre beantragt hatte. Diesem Antrag hatte die Beklagte entsprochen. Die vom Berufungsgericht unter dem Gesichtspunkt einer "europarechtskonformen Auslegung" geforderte erweiterte Auslegung mit dem Ziel einer Ausdehnung des Ausnahmetatbestandes verkennt die Voraussetzungen der Richtlinie 2000/78/EG. Die Ablehnung einer weiteren Verlängerung der öffentlichen Bestellung des Klägers durch die Beklagte verstößt weder gegen die Richtlinie 2000/78/EG noch gegen das die Richtlinie umsetzende Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz oder den allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz des Verbotes der Altersdiskriminierung.

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Nicht beanstandet werden kann, dass das Berufungsgericht weder die Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl EG Nr. L 255 S. 22) noch die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl EG Nr. L 376 S. 36) berücksichtigt hat. Beide setzen einen grenzüberschreitenden Sachverhalt voraus (vgl. Art. 1 und 2 Richtlinie 2005/36/EG bzw. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Nr. 10 der Richtlinie 2006/123/EG), woran es hier fehlt. Es liegt auch kein Fall der Inländerdiskriminierung vor, weil die Höchstaltersgrenze für die öffentliche Bestellung und Vereidigung von Sachverständigen unabhängig von der Staatsangehörigkeit für alle Sachverständigen gilt, die eine Bestellung anstreben.

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Die auf § 22 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Buchst. d SVO gestützte Ablehnung des Verlängerungsantrages verstößt nicht gegen die Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, zu dessen Zielen es nach § 1 AGG gehört, Benachteiligungen wegen des Alters zu verhindern oder zu beseitigen. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG umfasst sein sachlicher Anwendungsbereich bei selbstständiger Erwerbstätigkeit die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg.

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Zwar stellen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Maßnahmen, die die öffentliche Bestellung von Sachverständigen einschränken, keine Regelungen der Berufswahlfreiheit, sondern Berufsausübungsregelungen dar, weil sich öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige von den übrigen Sachverständigen nicht durch die Zugehörigkeit zu einem eigenständigen Beruf, sondern nur durch die staatliche Feststellung ihrer Qualifikation als Sachverständige unterscheiden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. März 1992 - 1 BvR 298/86 - BVerfGE 86, 28 <38>). Der Zugang zu selbstständiger Erwerbstätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 AGG ist aber nicht gleichzusetzen mit dem Begriff der Berufswahl, wie ihn das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der sog. "Dreistufentheorie" zu Art. 12 Abs. 1 GG entwickelt hat, sondern geht über diesen hinaus. Als selbstständige Erwerbstätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG ist jede Tätigkeit anzusehen, die unabhängig von Weisungen, also frei in Bezug auf die Organisation der Arbeit ist sowie gegen Vergütung und auf eigene Rechnung erfolgt. Erfasst sind damit u.a. freiberufliche und unternehmerische Dienste (vgl. dazu u.a. Meinel/Heyn/Herms, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2. Aufl. 2010, § 2 Rn. 9 ff. m.w.N. und § 6 Rn. 24 ff.). Die Tätigkeit des Klägers als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger stellt eine solche selbstständige Tätigkeit im Sinne der Vorschrift dar, da sie gegen Vergütung, auf eigene Rechnung und frei von Weisungen in Bezug auf die Organisation der Arbeit erfolgt.

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Zu den Bedingungen für den Zugang zu einer selbstständigen Erwerbstätigkeit zählen die Voraussetzungen, die für die Ausübung der Tätigkeit erforderlich sind oder die rechtliche Grundlage für die Aufnahme der Tätigkeit darstellen. Entscheidend dafür, ob der "Zugang" zu einer selbstständigen Erwerbstätigkeit durch die in Rede stehende Höchstaltersgrenze des § 22 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Buchst. d SVO beschränkt wird, ist, ob die Regelung geeignet ist, die Nachfrage nach den vom Kläger angebotenen Dienstleistungen zu beschränken (EuGH, Urteil vom 12. Januar 2010 - Rs. C-341/08, Domnica Petersen - juris Rn. 33).

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Zwar übt auch ein nicht öffentlich bestellter Sachverständiger eine selbstständige Tätigkeit aus, die sich in der Tätigkeit selbst nicht von der des öffentlich bestellten Sachverständigen unterscheiden muss. Bestimmte Gutachtertätigkeiten sind aber dem öffentlich bestellten Sachverständigen vorbehalten, der aufgrund der öffentlichen Bestellung auch wesentliche Wettbewerbsvorteile gegenüber dem nicht öffentlich bestellten Sachverständigen hat. Mit der öffentlichen Bestellung werden einem Sachverständigen diejenigen Eigenschaften amtlich bestätigt, die für seinen beruflichen Erfolg entscheidend sind: fachliche Kompetenz und persönliche Integrität. Daraus ergibt sich ein erheblicher Wettbewerbsvorsprung gegenüber denjenigen Sachverständigen, die auf keine staatliche Anerkennung ihrer Kompetenz verweisen können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. März 1992 a.a.O. <37>). Wer Sachverstand benötigt, wird sich im Zweifelsfall zunächst an öffentlich bestellte Sachverständige wenden. Den Gerichten wird dies sogar in den Prozessordnungen ausdrücklich vorgeschrieben; sie sollen Gutachten nach Möglichkeit bei öffentlich bestellten Sachverständigen anfordern (§ 404 Abs. 2 ZPO; § 73 Abs. 2 StPO; § 98 VwGO). Wo in Gesetzen an komplizierte Sachverhalte bestimmte Rechtsfolgen geknüpft werden, wird vielfach ebenfalls zur Feststellung des Sachverhalts das Gutachten eines öffentlich bestellten Sachverständigen gefordert (vgl. z.B. § 2 Nr. 18 BattG; § 6 Nr. 1 AltfahrzeugV).

21

Damit ist das Erlöschen der öffentlichen Bestellung aufgrund des in § 22 Abs. 1 Buchst. d i.V.m. Abs. 2 SVO geregelten Höchstalters geeignet, die Nachfrage nach den vom Kläger angebotenen Dienstleistungen als öffentlich bestellter Sachverständiger für Philatelie zu beschränken. Das reicht nach der o.g. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aus, um den sachlichen Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG zu eröffnen (vgl. EuGH, Urteil vom 12. Januar 2010 - Domnica Petersen - a.a.O.). Diese Rechtsprechung zum Kassen(zahn-)arztrecht - das nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ebenfalls keinen eigenen Beruf zum Gegenstand hat (vgl. BVerfG, Urteil vom 23. März 1960 - 1 BvR 216/51 - BVerfGE 11, 30 <41>) - ist hier auch bei der Auslegung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG zu berücksichtigen und dementsprechend der sachliche Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zu bejahen.

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Unschädlich ist, dass die Höchstaltersgrenze des § 22 Abs. 1 Buchst. d i.V.m. Abs. 2 SVO nicht den Beginn, sondern das Ende der öffentlichen Bestellung des Klägers darstellt. Da die Bestellung gemäß § 2 Abs. 4 SVO immer befristet ist, muss sie, wie im Fall des Klägers, nach Ablauf neu erteilt werden. Diese "Verlängerung" wurde dem Kläger unter Hinweis auf sein Alter, das über dem vorgesehenen Höchstalter liegt, verweigert. Damit ist der Zugang zur Tätigkeit als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger betroffen.

23

Auch der persönliche Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist eröffnet, denn gemäß § 6 Abs. 3 AGG gelten die Vorschriften des zweiten Abschnitts für Selbstständige entsprechend, soweit es die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg betrifft.

24

Aufgrund seines Alters erfährt der Kläger eine weniger günstige Behandlung als eine andere - jüngere - Person in einer vergleichbaren Situation erfahren würde. Es liegt deshalb eine unmittelbare Ungleichbehandlung wegen des Alters vor (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG). Nach dem Erwägungsgrund 25 der Richtlinie 2000/78/EG können Ungleichbehandlungen wegen des Alters unter bestimmten Umständen gerechtfertigt sein und erfordern daher besondere Bestimmungen, die je nach der Situation der Mitgliedstaaten unterschiedlich sein können. Danach ist zu unterscheiden zwischen einer Ungleichbehandlung, die insbesondere durch rechtmäßige Ziele im Bereich der Beschäftigungspolitik, des Arbeitsmarktes und der beruflichen Bildung gerechtfertigt ist, und einer Diskriminierung, die zu verbieten ist. Erwägungsgründe stellen nicht nur unbeachtliche Programmsätze dar, sondern geben für die Auslegung der Regelungen einer Richtlinie entscheidende Hinweise (vgl. BAG, Urteil vom 25. Februar 2010 - 6 AZR 911/08 - DB 2010, 960 ff. - juris Rn. 28 m.w.N.).

25

Hier ist die Ungleichbehandlung gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 AGG gerechtfertigt. Danach ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen angemessen und erforderlich sein.

26

Lässt sich das verfolgte Ziel nicht unmittelbar aus einer gesetzlichen Regelung ableiten, ist es wichtig, dass andere, aus dem allgemeinen Kontext der betreffenden Maßnahme abgeleitete Anhaltspunkte die Feststellung des hinter der jeweiligen Maßnahme stehenden Ziels ermöglichen (vgl. EuGH, Urteile vom 16. Oktober 2007 - Rs. C-411/05, Palacios de la Villa - Slg. 2007, I-08531 = juris Rn. 56 f. und vom 12. Januar 2010, Domnica Petersen - a.a.O. Rn. 40). Aus der Sachverständigenordnung der Beklagten ergibt sich nicht unmittelbar ein Ziel, das die Höchstaltersgrenze rechtfertigt. Ein solches Ziel erschließt sich aber aus dem Zusammenhang mit der Ermächtigung der Beklagten nach § 36 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 GewO durch Satzung die erforderlichen Vorschriften über die Voraussetzungen für die Bestellung zu erlassen. Dazu gehören insbesondere auch die persönlichen Voraussetzungen einschließlich altersmäßiger Anforderungen und der Beginn und das Ende der Bestellung. Damit wird die Einführung einer Höchstaltersgrenze ermöglicht (vgl. BTDrucks 10/3290, S. 16). Das Regelungsziel des § 36 GewO besteht nach einhelliger Ansicht darin, im Interesse eines reibungslosen Rechtsverkehrs und einer funktionierenden Rechtspflege allen Behörden, Gerichten und privaten Interessenten für komplizierte Sachverhaltsfeststellungen und Prüfungen kompetente und glaubwürdige Fachleute anzubieten. Schwierige und zeitraubende Nachforschungen über den Ruf und die Eignung eines Gutachters sollen durch die öffentliche Bestellung entbehrlich werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. März 1992 a.a.O. <42>). Für dieses Ziel der Gewährleistung eines geordneten Rechtsverkehrs durch die Institution öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger wollte der Gesetzgeber die jederzeit verlässliche Leistungsfähigkeit der Sachverständigen sicherstellen und zu diesem Zweck die Möglichkeit eröffnen, durch die Festlegung einer Höchstaltersgrenze potenziell nicht mehr so leistungsfähige Sachverständige auszuschließen. Von dieser Möglichkeit hat die Beklagte durch § 22 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Buchst. d SVO nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen Gebrauch gemacht.

27

Die Gewährleistung eines geordneten Rechtsverkehrs ist ein legitimes Ziel im Sinne des § 10 Satz 1 AGG. Es dient dem öffentlichen Interesse. Allerdings ist es kein sozialpolitisches Ziel, wie die in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG beispielhaft aufgeführten Bereiche Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung. Wie sich aus der beispielhaften Aufzählung ("insbesondere") ergibt, sind die im Sinne des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie legitimen Ziele aber nicht auf diese sozialpolitischen Bereiche beschränkt (Urteil vom 19. Februar 2009 - BVerwG 2 C 18.07 - BVerwGE 133, 143 Rn. 16).

28

Zwar hat das Bundesarbeitsgericht (BAG, Beschluss vom 17. Juni 2009 - 7 AZR 112/08 - juris Rn. 47 ff.) dem Europäischen Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens die Frage vorgelegt, ob nach den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts ein legitimes Ziel im Sinne von § 10 Satz 1 AGG nur ein Ziel sozialpolitischer Art oder ob auch sonstige dem Gemeinwohl dienende Ziele legitim in diesem Sinne sein können. Dem lag die Feststellung des Bundesarbeitsgerichts zugrunde, dass der Gesetzgeber des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes eine Beschränkung auf eine bestimmte Art von Zielen nicht vornehmen wollte (BAG, Beschluss vom 17. Juni 2009 a.a.O. Rn. 55).

29

Die vom Bundesarbeitsgericht aufgeworfene Frage ist aber durch die seitdem ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geklärt: Der Gerichtshof hatte zunächst durch das Urteil der Großen Kammer vom 22. November 2005 (Rs. C-144/04, Mangold - Slg. 2005, I-09981) für die Legitimität eines Ziels im Sinne des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG nur auf das Allgemeininteresse abgestellt (a.a.O. Rn. 60). Auch im Urteil der Großen Kammer vom 16. Oktober 2007 (Rs. C-411/05, Palacios de la Villa - Slg. 2007, I-08531 Rn. 64) wird nur die Rechtmäßigkeit eines im Allgemeininteresse liegenden Ziels geprüft. Allerdings stellte die 3. Kammer des Gerichtshofs in der Entscheidung vom 5. März 2009 (Rs. C-388/07, Age Concern England - Slg. 2009, I-1569 = juris), ohne sich mit der Abgrenzung zu sonstigen Allgemeinwohlzielen auseinanderzusetzen, nur auf - im konkreten Fall vorliegende - sozialpolitische Ziele ab. Darauf nahm die 3. Kammer in einer weiteren Entscheidung vom 18. Juni 2009 (Rs. C-88/08, Hütter - Slg. 2009, I-5325 = juris Rn. 41 f.) Bezug, in der die sozialpolitischen Ziele aber nur noch als eine Kategorie von legitimen Zielen bezeichnet werden. Eine Einschränkung auf die sozialpolitischen Ziele hat auch die nachfolgende Rechtsprechung der Großen Kammer des EuGH nicht vorgenommen. Im Urteil vom 12. Januar 2010 (Domnica Petersen - a.a.O. Rn. 45) weist sie auf die bisherige Rechtsprechung hin, derzufolge auch die Aufrechterhaltung einer qualitativ hochwertigen ärztlichen Versorgung oder die Vermeidung einer erheblichen Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit ebenso wie der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung legitime Ziele sein können. In den Urteilen der Großen Kammer vom 19. Januar 2010 (Rs. C-555/07, Kücükdeveci - NJW 2010, 427 <428> Rn. 33) und vom 12. Oktober 2010 (Rs. C-499/08, Andersen - juris Rn. 26) wird ebenso auf den beispielhaften Charakter der Bereiche Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung verwiesen wie auf den Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten bei der Festlegung der Ziele (EuGH, Urteil vom 12. Oktober 2010 - Rs. C-45/09, Rosenbladt - juris Rn. 38, 40). Im Urteil vom 18. November 2010 (Rs. C -250/09 und 268/09, Georgiev - juris) hat schließlich auch die 2. Kammer entschieden, dass die Schaffung einer hochwertigen Lehre an der Universität und die optimale Verteilung der Professorenstellen auf die Generationen legitime Ziele sein können, die die zwangsweise Versetzung in den Ruhestand von Universitätsprofessoren mit Vollendung des 68. Lebensjahres rechtfertigen (können). Im Hinblick auf diese seit dem Vorlagebeschluss des Bundesarbeitsgerichts ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs stellt sich deshalb keine dem Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung vorzulegende Rechtsfrage mehr.

30

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist ein legitimes Ziel grundsätzlich als eine "objektive und angemessene" Rechtfertigung einer von den Mitgliedstaaten vorgesehenen Ungleichbehandlung wegen des Alters anzusehen (vgl. EuGH, z.B. Urteile vom 22. November 2005, Mangold - a.a.O. Rn. 61 und vom 16. Oktober 2007, Palacios de la Villa - a.a.O. Rn. 66).

31

Die zur Erreichung eines solchen legitimen Ziels eingesetzten Mittel müssen angemessen und erforderlich sein (§ 10 Abs. 1 Satz 2 AGG). Insoweit verfügt der nationale Normgeber über einen weiten Ermessensspielraum bei der Wahl der Maßnahmen zur Erreichung seiner Ziele (vgl. EuGH, Urteile vom 22. November 2005, Mangold - a.a.O. Rn. 63 und vom 16. Oktober 2007, Palacios de la Villa - a.a.O. Rn. 68). Es ist jedoch darauf zu achten, dass die in diesem Zusammenhang vorgesehenen Maßnahmen nicht über das hinausgehen, was angemessen und erforderlich ist, um das verfolgte Ziel zu erreichen (EuGH, Urteil vom 16. Oktober 2007, Palacios de la Villa - a.a.O. Rn. 71). Eine Regelung ist zudem nur dann geeignet, die Verwirklichung des geltend gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, es in kohärenter und systematischer Weise zu verwirklichen (vgl. EuGH, Urteil vom 12. Januar 2010, Domnica Petersen - a.a.O. Rn. 53).

32

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Festsetzung eines Höchstalters, mit dessen Erreichen die öffentliche Bestellung endet, ist geeignet und damit angemessen, dem Ziel der Gewährleistung eines geordneten Rechtsverkehrs zu dienen. Der Normgeber konnte und durfte davon ausgehen, dass mit fortschreitendem Alter - im Umfang individuell unterschiedlich, im Ergebnis aber bei jedem Menschen - die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit nachlässt. Ein generelles Höchstalter ist geeignet, Sachverständige, bei denen (inzwischen) nicht mehr die Gewähr gegeben ist, dass sie jederzeit die an sie gestellten Anforderungen voll erfüllen, aus dem Kreis der öffentlich bestellten Sachverständigen herauszunehmen und damit der Gefahr, dass sich der Rechtsverkehr nicht mehr auf ihre Leistung verlassen kann, zu begegnen.

33

Die Höchstaltersgrenze ist auch erforderlich. Zwar wäre eine individuelle Überprüfung der Leistungsfähigkeit des jeweiligen Sachverständigen ein milderes Mittel, das sowohl den individuellen Leistungsabbau als auch die individuellen Anforderungen je nach dem Sachgebiet, für das die Bestellung besteht, berücksichtigen könnte. Sie ist aber nicht in gleicher Weise wie eine Höchstaltersgrenze dazu geeignet, weil sie zu spät käme. Eine altersbedingt nicht mehr ausreichende Leistungsfähigkeit würde erst festgestellt werden, wenn sie bereits eingeschränkt ist. Die öffentliche Bestellung würde noch fortbestehen bis bei der nächsten Überprüfung die Mängel zu Tage treten.

34

Das Ziel der Sicherung des Rechtsverkehrs setzt zudem eine mittelfristige Betrachtung voraus. Der Sachverständige muss nicht nur im Zeitpunkt der Beauftragung über die volle Leistungsfähigkeit zur Erstellung eines Gutachtens verfügen, sondern, insbesondere wenn er vom Gericht im Rahmen einer Beweiserhebung beauftragt wurde, für die gesamte Dauer des Verfahrens für Erläuterungen oder Nachfragen zur Verfügung stehen. Das kann sich bei Gerichtsverfahren über mehrere Jahre hinziehen. Die Erfüllung dieser an die uneingeschränkte Wahrnehmung der besonders anspruchs- und verantwortungsvollen Aufgaben eines öffentlich bestellten Sachverständigen zu stellenden Anforderungen wird bei der gebotenen typisierenden Betrachtung durch die abstrakte Normierung einer Höchstaltersgrenze gesichert.

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Es liegt im Ermessen des Normgebers, hier der Beklagten, festzulegen, in welchem Maß das Risiko minimiert werden soll, dass ein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger die an diese Institution gebundenen Erwartungen nicht mehr erfüllt. Dabei darf er von der allgemeinen Erfahrungstatsache ausgehen, dass mit fortgeschrittenem Alter der Anteil der voraussichtlich nicht mehr voll leistungsfähigen Sachverständigen größer wird. Er muss dafür nicht das Erreichen eines empirisch belegten konkreten Prozentsatzes abwarten, sondern kann selbst bestimmen, in welchem Maß er das Ziel des Schutzes des Rechtsverkehrs sichern will. Die Beklagte konnte hier auch berücksichtigen, dass die in § 22 Abs. 1 Buchst. d SVO festgelegte Höchstaltersgrenze von 68 Jahren mit der Möglichkeit einer einmaligen Verlängerung deutlich über die allgemeine Altersgrenze, die derzeit noch bei 65 Jahren liegt, hinausgeht. Auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs beanstandet es nicht, eine im Übrigen zulässige Altersgrenze bei 68 Jahren anzusetzen (vgl. EuGH, Urteile vom 12. Januar 2010, Domnica Petersen - a.a.O. Rn. 52 und vom 18. November 2010, Georgiev - a.a.O. Rn. 54).

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Schließlich unterliegen die Ermittlungen, die der Normgeber zur Festlegung der konkreten Altersgrenze trifft, keinen spezifischen Verfahrensvorschriften. Die Beklagte durfte mit ihrer Regelung, die eine einmalige Verlängerung bis zur Vollendung des 71. Lebensjahres zulässt, davon ausgehen, dass es bei einem Sachverständigen im achten Lebensjahrzehnt häufiger zu Problemen kommen kann, die eine mittelfristige Sicherung seiner vollen Leistungsfähigkeit gefährden. Dass es im konkreten Einzelfall immer Sachverständige geben wird, bei denen derartige Probleme individuell nicht auftreten, ist einer typisierenden Regelung immanent und musste von der Beklagten nicht berücksichtigt werden.

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Die Regelung des § 22 SVO ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne und dem betroffenen Kläger zumutbar. Mit der Festlegung des Höchstalters auf die Vollendung des 68. Lebensjahres in § 22 Abs. 1 Buchst. d SVO hat die Beklagte das generelle Ende der öffentlichen Bestellung bereits deutlich über der allgemeinen Altersgrenze angesetzt. Darüber hinaus bietet § 22 Abs. 2 SVO die Möglichkeit einer einmaligen weiteren Verlängerung der Bestellung, die sie dem Kläger bereits gewährt hat. Dass der Kläger diese nur für zwei Jahre beantragt hatte, obwohl sie ihm unter Umständen für drei Jahre erteilt worden wäre, ist dabei ohne Relevanz, denn die Beklagte konnte bei der Verlängerung nicht über den vom Kläger begehrten Zeitraum hinausgehen.

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Obwohl der Kläger ebenso wie andere, nicht öffentlich bestellte Sachverständige ohne Bestellung auch über die Höchstaltersgrenze hinaus als Sachverständiger tätig sein kann, ist die Regelung des § 22 SVO geeignet, das mit ihr verfolgte Ziel in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen. Denn das Ziel besteht nicht darin, Auftraggeber vor der Inanspruchnahme nicht mehr ausreichend leistungsfähiger Sachverständiger zu schützen. Die Regelung soll vielmehr einen geordneten Rechtsverkehr gewährleisten, der auf die mit der öffentlichen Bestellung und Vereidigung bescheinigte besondere Sachkunde und Zuverlässigkeit dieser Sachverständigen vertraut. Die Gewährleistung der Voraussetzungen dieses Vertrauens soll gesichert werden.

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Da somit die Voraussetzungen des § 10 AGG erfüllt sind, stellt die Höchstaltersgrenze des § 22 SVO keine Altersdiskriminierung, sondern eine zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters dar. Etwas anderes ergibt sich auch weder aus einer direkten Anwendung der Richtlinie 2000/78/EG noch aus dem vom Europäischen Gerichtshof als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts bezeichneten Verbot der Diskriminierung wegen des Alters (vgl. EuGH, Urteil vom 22. November 2005, Mangold - a.a.O. Rn. 75). Die Richtlinie 2000/78/EG wurde durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz umgesetzt, sodass für eine unmittelbare Anwendung ihres Art. 6, dem § 10 Satz 1 und 2 AGG entspricht, oder anderer einschlägiger Vorschriften zugunsten des Klägers kein Raum bleibt. Der allgemeine Grundsatz des Verbotes der Diskriminierung wegen des Alters wiederum wird durch die Richtlinie 2000/78/EG konkretisiert (EuGH, Urteil vom 19. Januar 2010 - Rs. C-555/07, Kücükdeveci - NJW 2010, 427 Rn. 21). Damit sind weitergehende, unmittelbar auf das primäre Unionsrecht gestützte Ansprüche ausgeschlossen.

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Die Höchstaltersgrenze stellt auch keine unzulässige Beeinträchtigung der Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG dar. Die Regelung des § 22 SVO findet ihre Ermächtigungsgrundlage in § 36 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 GewO. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass die Vorschrift zur Festsetzung von Höchstaltersgrenzen ermächtigen sollte (vgl. BTDrucks 10/3290, S. 16). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Kammerbeschluss vom 16. November 1990 - 1 BvR 1280/90 - GewArch 1991, 103 f.) dient die Festsetzung von Höchstaltersgrenzen dem Gemeinwohl. Nach allgemeiner Erfahrung lässt das körperliche und geistige Leistungsvermögen des Menschen mit zunehmendem Lebensalter nach (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 1983 - 1 BvL 46/80, 1 BvL 47/80, Prüfingenieur - BVerfGE 64, 72 <82>). Die gutachterliche Tätigkeit eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen, der nicht mehr über eine hinreichende Leistungsfähigkeit verfügt, stellt das Vertrauen des Rechtsverkehrs in die besondere Qualifikation dieser Sachverständigen in Frage und kann erhebliche Gefahren für Auftraggeber und Allgemeinheit begründen. Die Festsetzung einer Altersgrenze bei Vollendung des 68. Lebensjahres mit der Möglichkeit einer einmaligen Verlängerung der Bestellung ist zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich. Die Beendigung der Tätigkeit als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger ist auch zumutbar, weil der Sachverständige ohne öffentliche Bestellung weiterhin als solcher tätig sein kann.

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Da weitere Tatsachenfeststellungen nicht erforderlich waren, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO).