Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 21.12.2011


BVerwG 21.12.2011 - 8 B 72/11

Zur Reichweite des Rechtsstaatsprinzips für das Verkündungsverfahren; Selbstbindung der Gerichte durch frühere Entscheidungen


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsdatum:
21.12.2011
Aktenzeichen:
8 B 72/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 16. Mai 2011, Az: 12 B 9.08, Urteil
Zitierte Gesetze

Gründe

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zu Beiträgen durch das beklagte Versorgungswerk für den Zeitraum 1. Dezember 1996 bis Ende 1999 im Wesentlichen mit dem Vortrag, die den Beitragsbescheiden zugrunde liegende Satzung sei fehlerhaft zustande gekommen und deshalb nichtig. Die Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts vom 18. Dezember 2007 abgewiesen. Die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg.

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Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.

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1. Der von der Klägerin geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist hinsichtlich der von ihr aufgeworfenen Fragen nicht gegeben.

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a) Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung nur zu, wenn die Beschwerde eine abstrakte Rechtsfrage aufwirft, die einer revisionsgerichtlichen Klärung bedarf und von fallübergreifendem Gewicht ist. Daran fehlt es bezüglich der aufgeworfenen Frage:

"Kann der maßgebliche Wortlaut einer beschlossenen Rechtsvorschrift (hier: Satzung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts mit gesetzlich begründeter Pflichtmitgliedschaft) in Ermangelung eines Originaltextes in Urschrift durch eine richterliche Bewertung im Wege der Gesamtbetrachtung der übrigen Unterlagen erschlossen werden?"

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Es handelt sich hierbei lediglich um eine von den Umständen des Einzelfalles geprägte, nicht jedoch um eine abstrakte Rechtsfrage von fallübergreifender Bedeutung. Sofern sie sich gegen die der richterlichen Überzeugungsbildung zugrunde liegende Annahme im angefochtenen Urteil wendet, die vorliegenden Unterlagen ließen in ihrer Gesamtbetrachtung keinen vernünftigen Zweifel daran, welches der beschlossene Satzungstext sei, wird die Rechtsanwendung im konkreten Fall angegriffen.

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Sollte die Klägerin geklärt wissen wollen, ob Bundesrecht, insbesondere Art. 20 Abs. 3 GG, gebietet, dass es bei Rechtssetzungsakten generell einer Urschrift/eines Originals bedürfe, so bedarf es zur Klärung nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass Rechtsnormen nicht mit einem anderen als dem vom Normgeber gewollten Inhalt erlassen werden dürfen. Das Rechtsstaatsgebot verlangt die Identität der anzuwendenden Norm und ihres Inhalts mit dem vom Normgeber Beschlossenen. Der Inhalt der Norm muss zweifelsfrei feststellbar sein (Beschluss vom 16. Mai 1991 - BVerwG 4 NB 26.90 - BVerwGE 88, 204 <209> = Buchholz 406.11 § 12 BBauG/BauGB Nr. 18). Die Identität des Normtextes mit dem vom Normgeber Beschlossenen ("Identitätsfunktion") wird durch seine Ausfertigung bestätigt (Beschluss vom 16. Mai 1991 a.a.O. und Urteil vom 16. Dezember 1993 - BVerwG 4 C 22.92 - Buchholz 406.11 § 29 BauGB Nr. 52; Beschlüsse vom 27. Januar 1998 - BVerwG 4 NB 3.97 - Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 24 und vom 25. Juli 2000 - BVerwG 6 B 38.00 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 399).

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Nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts wurde die Satzung am 3. Juli 1996 in einer beschlussfähigen Vertreterversammlung mit Mehrheit beschlossen (vgl. UA S. 31 f.); der beschlossene Satzungstext wurde vom Vorsitzenden der Vertreterversammlung der Genehmigungsbehörde mit seinem Anschreiben vom 10. Juli 1996 zusammen mit einem von ihm unterzeichneten Ausfertigungsvermerk übersandt. Weiteres gibt das Bundesverfassungsrecht bezüglich der Identität des Normtextes nicht vor.

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b) Die Frage:

"Kann bei einer zu Gericht gebrachten Überprüfung der Einhaltung des rechtsstaatlichen Erfordernisses, dass bei einer Rechtsvorschrift die veröffentlichte Fassung nicht von der beschlossenen Fassung abweichen darf, hierfür anstelle einer Urschrift auch auf eine Gesamtbetrachtung der übrigen Unterlagen (hier: lose in einer unbeschrifteten Klarsichthülle abgelegter und nicht namentlich oder sonst wie gekennzeichneter mehrblättriger und unverklammerter Papierstapel) abgestellt werden?"

stellt wiederum auf die Besonderheit des Einzelfalles ab und greift zudem nur die Art und Weise der richterlichen Überzeugungsbildung an. Sie würde sich in einem Revisionsverfahren so auch nicht stellen. Den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ist zu entnehmen, dass es bei seiner Gesamtbetrachtung nicht lediglich sekundäre ungeordnete Unterlagen berücksichtigt hat, sondern der Satzungstext als Ganzes für seine Entscheidung maßgeblich war. Dies folgt schon aus der Bezugnahme auf die beigezogenen Aufsichtsvorgänge, wonach der Satzungstext der Aufsichtsbehörde mit Anschreiben vom 10. Juli 1996 übersandt worden ist. Entscheidend war für das Gericht ein Abgleich des Satzungstextes nach den Unterlagen der Beklagten mit demjenigen, der bei der Aufsichtsbehörde vorgelegt wurde.

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c) Die weiterhin gestellte Frage:

"Kann es sich bei wortersetzenden Veränderungen in der veröffentlichten Fassung einer Rechtsvorschrift gegenüber deren Beschlussfassung auch dann noch lediglich um eine statthafte Berichtigung einer (vermeintlichen) Unrichtigkeit handeln, wenn den jeweiligen Wörtern (hier: "Ruhegehalt" und "Ruhegeld" bzw. "Monatsbeitrag" und "Monatsbetrag") im konkreten Regelungszusammenhang jeweils eigenständige, aber unterschiedliche Inhaltsbedeutungen zukommen?"

wirft sinngemäß die Frage nach der Reichweite des Rechtsstaatsprinzips für das Verkündungsverfahren auf. Diese Frage ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Danach enthält das Rechtsstaatsprinzip für das Normsetzungsverfahren keine in allen Einzelheiten eindeutig bestimmten Gebote und Verbote. Es bedarf der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten. Dabei ist es grundsätzlich Sache des Normgebers, dem Rechtsstaatsprinzip bei der Normsetzung Rechnung zu tragen. Dies gilt auch für das Verkündungsverfahren. Dieses ist so auszugestalten, dass es die ihm zugedachte Funktion erfüllen kann, die betreffende Rechtsnorm der Öffentlichkeit so zugänglich zu machen, dass sich die Betroffenen von ihr verlässlich Kenntnis verschaffen können (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 2. April 1963 - 2 BvL 22/60 - BVerfGE 16, 6 und vom 22. November 1983 - 2 BvL 25/81 - BVerfGE 65, 283; BVerwG, Urteile vom 5. Dezember 1986 - BVerwG 4 C 31.85 - BVerwGE 75, 262 = Buchholz 406.11 § 155a BBauG Nr. 5 und BVerwG 4 C 29.86 - BVerwGE 75, 271 = Buchholz 406.11 § 12 BBauG Nr. 15). Das setzt, wie bereits höchstrichterlich geklärt ist, voraus, dass die Rechtsnorm nicht mit einem anderen als dem vom Normgeber gewollten Inhalt veröffentlicht wird (Beschluss vom 16. Mai 1991 - BVerwG 4 NB 26.90 - a.a.O.). Der bekannt gemachte Wortlaut darf nur ganz ausnahmsweise von dem Beschlossenen abweichen, ohne dass die zur Normsetzung berufene Körperschaft nochmals eingeschaltet wird. Der materielle Normgehalt darf auch in diesem Fall keinesfalls angetastet werden (BVerfG, Beschluss vom 15. Februar 1978 - 2 BvL 8/74 - BVerfGE 48, 1 <19>; BVerwG, Beschluss vom 8. Juli 1992 - BVerwG 4 NB 20.92 - NVwZ-RR 1993, 262 f.).

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Das Oberverwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang festgestellt, dass im Verfahren der Veröffentlichung Berichtigungen durchgeführt worden sind, die den materiellen Normgehalt nicht berührt haben. Für die Berichtigung von Interpunktionsfehlern und kleinen grammatikalischen Unrichtigkeiten liegt das auf der Hand. Auch die Abänderung des Wortes "Ruhegeld" in "Ruhegehalt" und "Monatsbeitrag" in "Monatsbetrag" hat es unter Bezug auf §§ 12, 18 Abs. 1 und § 27 der Satzung des Beklagten nicht als Verfälschung des Normsetzungswillens der Vertreterversammlung gewertet. Auch insoweit hat es nicht den rechtlichen Maßstab verkannt, der aus Art. 20 Abs. 3 GG für die Veröffentlichung einer Norm folgt. Fragen, die im Zusammenhang mit der Sachverhaltswürdigung stehen, werden im Rahmen einer Grundsatzrüge vom Revisionsgericht nicht überprüft.

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d) Die übrigen Fragen:

"War die erste (bestimmte) Vertreterversammlung nicht aufgerufen gewesen, die Voraussetzungen für die Wahl der nachfolgenden (gewählten) Vertreterversammlung zu schaffen?",

"Darf ein von der Exekutive bestimmtes Rechtssetzungsorgan, das gesetzlich abschließend dazu verpflichtet ist, innerhalb einer bestimmten Frist (hier: ein Jahr) eine die Angelegenheiten einer Körperschaft des öffentlichen Rechts regelnden Satzung zu erlassen, dies tun, ohne zugleich nähere Bestimmungen dafür zu treffen, wie nach der (vermeintlichen) Erfüllung dieser Pflicht ein sodann erstmals durch die Mitglieder zu wählendes Nachfolgeorgan ins Amt kommt?",

"Können Bestimmungen, die die erstmalige Wahl eines Organs einer Körperschaft des öffentlichen Rechts nach Ablauf der Amtszeit des Vorgängerorgans (hier: sechs Jahre) regeln, erstmalig durch das bereits mittels "Wahl" ins Amt gekommene Organ (selbst) geregelt werden?"

betreffen irrevisibles Landesrecht und wären in einem Revisionsverfahren nicht zu prüfen. Einen Bezug zu Bundesrecht, insbesondere Bundesverfassungsrecht, legt die Beschwerde nicht dar (vgl. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

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2. Der Zulassungsgrund der Divergenz liegt nicht vor, § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.

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Die Divergenzrüge setzt die Darlegung voraus, dass dem angefochtenen Urteil ein entscheidungstragender abstrakter Rechtssatz zugrunde liegt, der von einem ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz der angegebenen höchstrichterlichen Entscheidung abweicht (stRspr, vgl. u.a. Beschluss vom 1. September 1997 - BVerwG 8 B 144.97 - Buchholz 406.11 § 128 BauGB Nr. 50).

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Derartige voneinander abweichende Rechtssätze zeigt die Beschwerde nicht auf. Sie entnimmt zwar dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Oktober 2006 - BVerwG 10 CN 2.05 - (BVerwGE 126, 388 = Buchholz 11 Art. 20 GG Nr. 185) den aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleiteten Rechtssatz, dass bestehende Vorschriften über Bekanntmachungsformen eingehalten werden müssen, soweit das tatsächlich möglich ist. Sie legt indessen nicht dar, inwiefern sich das Oberverwaltungsgericht hierzu in Widerspruch gesetzt hätte. Das ist auch nicht ersichtlich. Im Gegenteil ist das Oberverwaltungsgericht erkennbar davon ausgegangen, dass die bestehende Vorschrift des § 18 Abs. 3 Satz 1 BbgRAVG, derzufolge die Satzung des Beklagten mit dem Genehmigungsvermerk im Amtsblatt für Brandenburg bekanntzugeben ist, beachtet werden müsse. Die weitere Frage, ob die Anforderungen dieser Vorschrift auch bei einer Bekanntgabe in einer Beilage zum Amtsblatt erfüllt sind, betrifft die Auslegung des § 18 Abs. 3 Satz 1 BbgRAVG und damit Landesrecht. Dass das Oberverwaltungsgericht diese Frage bejaht hat, lässt eine Abweichung von der genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht erkennen.

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3. Die geltend gemachten Verfahrensrügen sind nicht begründet, § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

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a) Ein Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1, § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegt nicht darin, dass das Oberverwaltungsgericht die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge nicht durch einen begründeten Gerichtsbeschluss vorab beschieden hat und der Beweisantrag Nummer 22 vom Oberverwaltungsgericht inhaltlich nicht behandelt worden ist. Nach seiner für die Beurteilung von Verfahrensfehlern maßgeblichen Rechtsauffassung kam es für das Oberverwaltungsgericht auf die von der Klägerin im Beweisantrag Nummer 22 aufgestellte Tatsachenbehauptung nicht an, weil es den Satzungstext für entscheidungserheblich erachtet hat, der mit einem vom Vorsitzenden der Vertreterversammlung unterzeichneten Ausfertigungsvermerk versehen und mit Zuleitungsschreiben am 10. Juli 1996 an die Genehmigungsbehörde geschickt wurde.

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Unabhängig davon war das Oberverwaltungsgericht nicht verpflichtet, über die in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge vorab durch Gerichtsbeschluss zu entscheiden. Letzteres ist nur dann erforderlich, wenn in der mündlichen Verhandlung ein Beweisantrag gemäß § 86 Abs. 2 VwGO unbedingt gestellt wird. Ausweislich der Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung vom 13. April 2011 wurden sämtliche Beweisanträge hilfsweise gestellt. Dem Sitzungsprotokoll ist auch nicht zu entnehmen, dass die Bevollmächtigten der Klägerin mit der Vorgehensweise des Gerichts nicht einverstanden gewesen wären. Gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 165 ZPO kann die Beachtung der für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten nur durch das Protokoll bewiesen werden. Zu diesen Förmlichkeiten gehört ein bedingter oder unbedingt gestellter Beweisantrag.

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Soweit die Klägerin sinngemäß auch einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) gerügt haben sollte, hat die Beschwerde ebenfalls keinen Erfolg. Ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz hat den Charakter eines Verfahrensfehlers, wenn das Tatsachengericht seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt, sondern den Prozessstoff nur unvollständig oder unzutreffend erfasst hat. Das Oberverwaltungsgericht hat bei seiner Entscheidungsfindung den gesamten Tatsachenvortrag der Klägerin, soweit er für das Gericht entscheidungserheblich gewesen ist, berücksichtigt. Die unter Nummer 22 aufgestellte Behauptung, dass es hinsichtlich einer am 3. Juli 1996 beschlossenen Satzung nicht nur einen einzigen, sondern gleich mehrere Ausfertigungsvermerke im Original und auf verschiedenen Schriftstücken gibt, war aus den dargelegten Gründen für die Entscheidung ohne rechtliche Relevanz.

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b) Das Oberverwaltungsgericht hat auch nicht gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verstoßen, weil es den Vortrag der Klägerin übergangen habe, 2006 sei die Beilage "Amtlicher Anzeiger" mit dem Amtsblatt für Brandenburg zusammengelegt worden; die für die Erstellung dieser beiden Publikationsblätter verantwortlichen Stellen seien bis dahin davon ausgegangen, dass diese Organe getrennt zu betrachten gewesen seien; dies sei auch Grundlage für die 2002 getroffene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Brandenburg gewesen, wonach die Veröffentlichung einer Rechtsnorm in dem als Beilage zum Amtsblatt für Brandenburg erschienen Amtlichen Anzeiger den rechtsstaatlichen Anforderungen grundsätzlich nicht genüge, wenn das Gesetz eine Veröffentlichung im Amtsblatt vorsehe.

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Der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht aber sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen (BVerfG, Beschluss vom 1. Februar 1978 - 1 BvR 426/77 - BVerfGE 47, 182 <187>; BVerwG, Urteil vom 29. November 1985 - BVerwG 9 C 49.85 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 177). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das Vorbringen sowohl zur Kenntnis genommen als auch in seine Erwägungen mit einbezogen hat, so dass nur bei Vorliegen deutlich gegenteiliger Anhaltspunkte ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs angenommen werden kann (Beschluss vom 9. Juni 1981 - BVerwG 7 B 121.81 - Buchholz 312 EntlG Nr. 19). Derartige Anhaltspunkte bestehen im vorliegenden Fall nicht. Von seinem Rechtsstandpunkt aus musste sich das Oberverwaltungsgericht mit dem in Rede stehenden Vortrag der Klägerin nicht im Einzelnen auseinandersetzen. Für das Oberverwaltungsgericht war bezüglich der Veröffentlichung der Satzung relevant, dass diese im Amtlichen Anzeiger als Beilage zum Amtsblatt für Brandenburg erfolgte und damit dem Bekanntmachungserfordernis Genüge getan war. Wer für die jeweiligen Publikationsblätter verantwortlich ist, war nicht entscheidend. Deshalb kann auch keine Rede davon sein, das Urteil des Oberverwaltungsgerichts sei nicht mit Gründen versehen (Beschluss vom 24. Februar 1999 - BVerwG 2 B 62.98 - juris).

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c) Das Oberverwaltungsgericht hat auch insoweit den Anspruch auf rechtliches Gehör der Klägerin und den Grundsatz des fairen Verfahrens nicht verletzt und die materielle Bindungswirkung rechtskräftiger Entscheidungen nicht verkannt, indem es die frühere Rechtsprechung bezüglich der Anforderungen an die Veröffentlichung von Rechtsnormen geändert hat.

22

Das Gericht ist nicht verpflichtet, den Beteiligten vorab die von ihm beabsichtigte rechtliche Würdigung des Sachverhalts mitzuteilen. Den von der Beschwerde behaupteten Grundsatz der Prozessfairness, der es gebieten soll, eine beabsichtigte Änderung der Rechtsprechung den Beteiligten mitzuteilen, gibt es nicht (Beschluss vom 2. August 2007 - BVerwG 8 B 23.07 - juris). Unabhängig davon dürfte den Beteiligten der Rechtsstandpunkt des Oberverwaltungsgerichts zur Veröffentlichung von Rechtsnormen aufgrund der Entscheidungen vom 22. Januar und 16. November 2009 bekannt gewesen sein. Das Oberverwaltungsgericht hat in der hier angefochtenen Entscheidung darauf hingewiesen und dargelegt, weshalb es an dieser Rechtsprechung festhält. Das angefochtene Urteil stellt sich damit auch nicht als Überraschungsentscheidung dar (Beschluss vom 29. Januar 2010 - BVerwG 5 B 37.09 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 83).

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Ein Grundsatz der Selbstbindung des Gerichts an seine früheren Entscheidungen gilt nur für das Rechtsmittelgericht bei erneuter Befassung mit derselben Sache im Falle eines sogenannten Rückläufers (vgl. § 144 Abs. 6 VwGO). Ansonsten ist der Richter bei der Gesetzesanwendung nur an das Gesetz und an sein Gewissen gebunden (Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 6. Februar 1973 - GmS-OBG 1/72 - BVerwGE 41, 363 <367>; Urteil vom 26. August 1959 - BVerwG 6 C 313.57 - BVerwGE 9, 117 <119>). Ein allgemeiner Grundsatz der Selbstbindung des Gerichts an seine früheren Entscheidungen lässt sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt der materiellen Rechtskraft (vgl. § 121 VwGO) ableiten, weil das Gericht an frühere Entscheidungen nur in derselben Rechtssache und innerhalb der Instanz gebunden ist (§ 318 ZPO; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, 32. Aufl. 2011, § 318 Rn. 1). Eine derartige Bindung besteht vorliegend nicht, weil das Oberverwaltungsgericht im Jahre 2009 nicht in "derselben Rechtssache" entschieden hat, die im Jahre 2002 streitgegenständlich war.