Entscheidungsdatum: 16.05.2013
I.
Der Kläger, Rechtsnachfolger des jüdischen Geschäftsmanns Dr. Sally F., der 1942 ermordet wurde, begehrt die Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens bezüglich der Rückübertragung von Gesellschafteranteilen an der ehemaligen Sächsischen Hypothekengesellschaft mbH sowie die Begründung von Bruchteilseigentum an Grundstücken, die Bestandteil des Unternehmensvermögens gewesen sein sollen. Die Gesellschafteranteile sollen ursprünglich dem jüdischen Bankier Dr. Sally F. gehört haben. Zum Nachweis dafür hat der Kläger einen Kaufvertrag vom 16. Dezember 1936 vorgelegt, den sein Sohn Marcel D. nach Eintritt der Rechtskraft des ablehnenden Urteils vom 28. Oktober 1999 im Jahr 2000 in den Unterlagen des Sächsischen Hauptstaatsarchivs aufgefunden habe. Aus dieser Urkunde ergebe sich, dass Dr. F. seine Anteile an der Gesellschaft unter Wert verkauft habe. Das Verwaltungsgericht hat die Restitutionsklage des Klägers als unbegründet abgewiesen, weil die vorgelegte Urkunde unecht und daher ohne Beweiswert sei. Es hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
Die Beschwerde ist mit dem Ergebnis der Zurückverweisung an die Vorinstanz gemäß § 133 Abs. 6 VwGO begründet.
Das Verwaltungsgericht hat sich seine Überzeugung in verfahrensfehlerhafter Weise gebildet, so dass der auf § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO durchgreift. Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht seine richterliche Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verletzt. Die Beschwerde rügt insoweit zu Recht, dass es das Verwaltungsgericht unterlassen hat, den Sachverhalt bezüglich des Entstehens unterschiedlicher Lochmuster näher aufzuklären.
Das Verwaltungsgericht ist in rechtlicher Hinsicht zutreffend davon ausgegangen, dass die Restitutionsklage, die auf den Restitutionsgrund einer nachträglich aufgefundenen Urkunde gestützt wird (§ 153 VwGO i.V.m. § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO), nur Erfolg haben kann, wenn die Urkunde echt ist. Dem Kläger obliegt der Beweis für die Echtheit der von ihm zur Begründung seiner Restitutionsklage vorgelegten Urkunde. Die Beweisregel des § 415 ZPO kommt vorliegend nicht in Betracht, weil die Urkunde mangelbehaftet ist. Das Verwaltungsgericht hatte damit gemäß § 419 ZPO und den allgemeinen Regeln des Beweisrechts (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO) unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der mündlichen Verhandlung(en) und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob die vorgelegte Urkunde unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls echt ist oder nicht. Dabei durfte es keine unerfüllbaren Anforderungen stellen. Das Gericht darf und muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH; Urteil vom 17. Februar 1970 - III ZR 139/67 - BGHZ 53, 245 <255> = juris Rn. 72; vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Juli 1998 - BVerwG 2 C 12.98 - Buchholz 232 § 78 BBG Nr. 42). Gegen diesen rechtlichen Ausgangspunkt erhebt der Kläger mit seiner Beschwerde keine Einwände.
In tatsächlicher Hinsicht hat sich das Verwaltungsgericht nicht von der Echtheit der Urkunde überzeugen können, weshalb der Urkunde kein Beweiswert zukomme (UA S. 11, 16). Dies hat es auf vier Gesichtspunkte gestützt: auf den Umstand, dass nicht erwiesen sei, dass sich der notarielle Beglaubigungsvermerk (paginiert "176", so auch im Folgenden) auf die Abschrift des Kaufvertrages (paginiert "174" und "175") beziehe (UA S. 11 bis 14); auf Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Zeugen Marcel D. über die Umstände, unter denen der Zeuge die Urkunde aufgefunden haben will (UA S. 14 bis 16); auf Unstimmigkeiten im Inhalt der Urkunde (UA S. 16); schließlich auf Ähnlichkeiten mit einem Parallelverfahren (UA S. 16). Das Verwaltungsgericht hat diese Umstände in einer "Gesamtschau" gewürdigt (UA S. 16); der Schwerpunkt seiner Würdigung liegt dabei auf dem Umstand, dass die einzelnen Blätter der Urkunde ein Lochmuster aufweisen, das nicht in Einklang zu bringen sei.
Hinsichtlich des Umstands der notariellen Beglaubigung kann der vom Kläger vorgelegten Urkunde Beweiswert nur zukommen, wenn feststeht, dass sich diese Beglaubigung (paginiert S. 176) auf die Abschrift des Kaufvertrages (paginiert S. 174 und S. 175) bezog. Da dies aus dem Inhalt des Beglaubigungsvermerks nicht hervorgeht - die beglaubigte Abschrift wird darin nicht nach ihrem Gegenstand oder auf andere Weise näher bezeichnet -, kam es nach Ansicht des Verwaltungsgerichts entscheidend darauf an, ob der Beglaubigungsvermerk mit der Vertragsabschrift fest verbunden und ob gesichert ist, dass diese Verbindung auf den Notar zurückzuführen ist. Auch gegen diesen Ausgangspunkt erhebt der Kläger mit seiner Beschwerde keine Einwände.
Für die Annahme der fehlenden Echtheit der Urkunde war für das Verwaltungsgericht ausschlaggebend, dass die drei Blätter und der sie umschließende Heftstreifen unterschiedliche Lochungen aufweisen, die nicht miteinander in Übereinstimmung zu bringen seien und die belegten, dass die Urkunde zu keiner Zeit in ihrer Gesamtheit gelocht worden sei. Es ist damit dem Vortrag und der Auffassung des Klägers nicht gefolgt, dass eine körperliche Verbindung zwischen einerseits den Seiten 174 und 175 und anderseits der Seite 176 mit dem Beglaubigungsvermerk bestanden habe und diese erst vom Sächsischen Staatsarchiv gelöst worden sei, das dann auch die unstimmigen Lochungen angebracht habe.
Soweit der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht habe § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO dadurch verletzt, dass es bei seiner Überzeugungsbildung entscheidungserhebliche Umstände übergangen und so den Streitstoff nicht ausgeschöpft habe, trifft dies zu.
Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Aus dem Begriff "Gesamtergebnis" folgt, dass sich das Gericht seine Überzeugung auf der Grundlage des vollständigen Prozessstoffes bilden muss. Das Gericht darf bei seiner Überzeugungsbildung nicht einzelne Umstände und Elemente, sofern sie für die zu treffende Entscheidung von rechtlicher Relevanz sind, vollkommen außer Acht lassen. Es besteht insoweit ein Selektionsverbot (vgl. Urteil vom 31. Juli 2002 - BVerwG 8 C 37.01 - Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 35 = juris Rn. 41; Höfling, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 108 Rn. 24, 25 mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung). Ein Gericht verstößt gegen dieses Selektionsverbot, wenn es offenbar gewordene entscheidungserhebliche Umstände oder Erkenntnisquellen gar nicht oder nur teilweise heranzieht, in dem es etwa nur einen bestimmten Teil eines Gutachtens und nicht alle Aussagen eines Zeugen zugrunde legt. Maßstab für die Beurteilung können dabei nur die Entscheidungsgründe sein. Dass einzelne Umstände in den Entscheidungsgründen nicht erwähnt werden, zwingt allerdings nicht bereits zur Annahme eines Verstoßes, weil grundsätzlich davon auszugehen ist, dass das Gericht seiner Pflicht aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO genügt und seiner Entscheidung das Vorbringen der Beteiligten sowie den festgestellten Sachverhalt vollständig und richtig zugrunde gelegt hat. Auch hier kann sich das Gericht auf die Angabe der wesentlichen Gründe beschränken. Lässt das Gericht bei seiner Entscheidung jedoch gewichtige Tatsachen oder Tatsachenkomplexe, deren Entscheidungserheblichkeit sich aufdrängt, unerwähnt, hat es gegen das Selektionsverbot verstoßen (Urteile vom 25. März 1987 - BVerwG 6 C 10.84 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183 und vom 18. Juni 1970 - BVerwG 5 C 128.69 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 48). Das ist vorliegend der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die Restitutionsklage des Klägers für zulässig erachtet und die Klage als unbegründet abgewiesen, weil es die vom Kläger in das Verfahren eingeführte beglaubigte Abschrift des Kaufvertrages vom 16. Dezember 1936 nicht als echte Urkunde angesehen und diesem Dokument daher keinen Beweiswert zugesprochen hat. Wesentlicher Grund für diese Einschätzung war, dass auf den drei Blättern der Urkunde und dem Heftstreifen nach Lösung des Heftgarns deutlich ein durch vielfache Lochungen entstandenes Lochmuster zu erkennen sei, das nicht in Übereinstimmung zu bringen sei. Dies belege zur Überzeugung der Kammer, dass die Urkunde zu keiner Zeit in ihrer Gesamtheit gelocht worden sei, sondern lediglich Teile hiervon. Die in der mündlichen Verhandlung vom 11. Januar 2012 geäußerte Ansicht des Sachverständigen, das vorgefundene Lochbild ließe sich durch ein "Herausrutschen" der Blätter 174 und 175 aus dem Heftstreifen erklären (GA Bl. 277, vorletzter Absatz), hat es als unwahrscheinlich angesehen, weil die Einstichstellen für das Heftgarn, das die Urkunde in ihrer ursprünglichen Gestalt verbunden habe, auf den einzelnen Blättern aus sehr dünnem Papier nicht ausgefranst seien und weil die unterschiedlichen Lochungen insgesamt nicht übereinstimmten.
Das Verwaltungsgericht hat sich allerdings in diesem Zusammenhang mit der Aussage im schriftlichen Gutachten des Sachverständigen vom 18. Februar 2011 nicht auseinandergesetzt, dass die drei losen Blätter der Urkunde übereinandergelegt und mit dem angelegten Heftstreifen mindestens zwei übereinstimmende Heftlochungen (Lochpaare) für alle Papiere ergäben. Gleichfalls liege - so der Sachverständige - eine dritte Lochung aller Papiere vor, die keinem hier bekannten Standard einer Heftlochung zuzuordnen sei, und die drei für das Heftgarn vorgesehenen Löcher stimmten bei Deckungsgleichheit der beiden übereinstimmenden Lochpaare in ihrer Positionierung gleichfalls überein. Bei seinen Erwägungen zu den Mehrfachlochungen hat das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Überzeugungsbildung auch nicht die vergrößerte Darstellung durch den Sachverständigen berücksichtigt, wonach auf Blatt 176 der Urkunde drei sich am Seitenrand befindliche Löcher augenscheinlich gerissen sind und es möglicherweise deshalb in diesem Bereich zu einer weiteren Lochung gekommen ist (vgl. Gutachten vom 18. Februar 2011 S. 5, GA Bl. 200 ff.).
Auch den Angaben der Zeugin P. in der mündlichen Verhandlung vom 10. März 2010, dass sie sich definitiv daran erinnern könne, die Akte selbst "in die Plastikheftung gebracht" zu haben - wenn sie eine Akte "in Ordnung" bringe, habe sie "kein Problem damit, weitere Löcher darin anzubringen"; sie habe allerdings "Bedenken, ob die Löcher von ihr angebracht wurden (GA Bl. 106) - sind für die Beurteilung der Lochmuster wichtige Anhaltspunkte zu entnehmen, die das Verwaltungsgericht in seiner Gesamtbetrachtung hätte in Erwägung ziehen müssen. Auch hat die Zeugin bereits in der mündlichen Verhandlung vom 6. Dezember 2001 (GA Az.: 7 K 873/00 Bl. 615/617) bei ihrer informatorischen Befragung angegeben, sie erinnere sich, dass der Vertrag lose in der Akte gelegen sei, man ihn dann in eine ordentliche Reihenfolge habe bringen wollen und deshalb geheftet habe. Eine Berücksichtigung dieses Sachverhalts durfte nicht schon deshalb unterbleiben, weil nach Einschätzung des Verwaltungsgerichts die Zeugin unglaubwürdig sei, zumal die Zeugin bei ihrer weiteren Vernehmung am 28. März 2012 erneut bekräftigt hat, dass das vorliegende Aktenstück vermutlich aus Stiftungsakten stamme; dabei seien Verwaltungsvorgänge verschiedener Behörden zusammengeführt worden. Auf diese Weise könnten Akten mit unterschiedlichen Lochungen zusammengekommen sein (GA Bl. 392). Auf ihre zwei Jahre zurückliegende Aussage vom 10. März 2010 angesprochen, dass sie "kein Problem damit habe, weitere Löcher anzubringen, wenn sie eine Akte in Ordnung bringe", hat die Zeugin diese Aussage nicht in Abrede gestellt. Auch damit hat sich das Verwaltungsgericht nicht auseinandergesetzt. Das wäre erforderlich gewesen; denn unter Berücksichtigung der Angaben der Zeugin, dass im Sächsischen Hauptstaatsarchiv eine Neuordnung nach Sichtung des Archivbestandes vorgenommen worden sei und die bis dahin verwendeten Metallschienen ausgewechselt worden seien und die Urkunde möglicherweise neu gelocht worden sei, ist nicht auszuschließen, dass das Verwaltungsgericht bezüglich der Wertung der unterschiedlichen Lochungen zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Gleiches gilt für die unterbliebene Auseinandersetzung mit der schriftlichen Aussage des Sachverständigen bezüglich der übereinstimmenden Heftlochungen und der Einstichlöcher für den Heftfaden. Die Würdigung dieses Sachverhalts ist auch nicht im Hinblick darauf entbehrlich, dass das Verwaltungsgericht die Echtheit der Urkunde allein aufgrund der Einnahme des Augenscheins negativ bewertet hat; denn der vom Tatsachengericht angenommene indizielle Beweiswert der unterschiedlichen Lochungen auf den einzelnen Blättern der Urkunde, auf die das Verwaltungsgericht maßgeblich abgestellt hat, wird durch die von der Zeugin P. dargestellten historischen Vorgänge bei der Zusammenführung und Neuordnung der Akten stark eingeschränkt.
Unabhängig davon, ob der Ansatz des Verwaltungsgerichts zutreffend ist, von der Echtheit der Urkunde könne nur ausgegangen werden, wenn diese in ihrer Gesamtheit durchgängig einheitlich gelocht worden sei, hätte das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang dem Beweisantrag der Klägerseite vom 20. Februar 2012 nachgehen bzw. von sich aus aufklären müssen (§ 86 Abs. 1 VwGO), wie sich das unterschiedliche Lochmuster auf den Seiten 174 und 175 einerseits sowie auf der Seite 176 und dem Heftstreifen andererseits erklärt. Im Hinblick auf die Tatsache, dass laut Sachverständigengutachten vom 16. Mai 2008 die maschinenschriftlich abgefassten Texte auf Durchschlag- bzw. Kohlepapier gefertigt worden sind und diese Blätter zwei übereinstimmende Lochpaare und eine dritte Lochung aufweisen, die keinem bekannten Standard einer Heftlochung zuzuordnen ist, hätte es nahegelegen, der Frage nachzugehen, ob die Durchschläge der mit dem Datum 16. Dezember 1936 gefertigten beglaubigten Abschrift des Vertrages bereits zu diesem Zeitpunkt einmal gelocht worden und in diesem Zustand 1941erneut notariell beglaubigt worden sind. Überdies hat die Zeugin P. bei ihrer Vernehmung in der mündlichen Verhandlung vom 10. März 2010 angegeben, dass sie den alten Locher noch habe und man anhand dessen feststellen könnte, ob die Urkunde durch Bedienstete des Sächsischen Hauptstaatsarchivs einmal oder mehrmals gelocht worden ist. Das Verwaltungsgericht wird somit der Frage bezüglich des Zustandekommens der unterschiedlichen Lochmuster auf der Urkunde weiter nachgehen müssen, falls es unter Einbeziehung der Angaben des Sachverständigen und der Zeugin noch von einem indiziellen Beweiswert der unterschiedlichen Lochungen ausgeht. Hierbei hat es zu klären, ob es sich bei den Seiten 174 und 175 um sogenannte Durchschläge einer bereits am 16. Dezember 1936 gefertigten beglaubigten Abschrift auf Kohlepapier handelt, deren Entstehungszeitpunkt vom Zeitpunkt der notariellen Beglaubigung1941 abweicht und die deshalb bereits früher gelocht worden sein kann. Dies könnte auch eine Erklärung für das unterschiedliche Lochmuster sein. Da der alte Locher des Sächsischen Hauptstaatsarchivs offensichtlich noch vorhanden ist, lässt sich anhand dessen möglicherweise aufklären, welche Lochungen dort vorgenommen worden sind. In diesem Zusammenhang ist auch zu klären, welche Locher 1936 bzw. 1941 im Handel üblich waren und welche Lochungen diesen Geräten zugeordnet werden können. Gerade im Hinblick auf eine möglicherweise erfolgte Zusammenführung unterschiedlicher Aktenbestände und damit im Zusammenhang stehende unterschiedliche Lochungen hätte eine weitere Aufklärung des Sachverhalts zur Klärung der Frage, ob die Urkunde echt ist, beitragen können.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts war die erforderliche Aussagekraft der Urkunde auch deshalb nicht mehr gegeben, weil deren Heftung vor der Untersuchung durch den Sachverständigen nicht mehr vollständig gewesen sei. Bei dieser Wertung hat es sowohl die Bekundungen der Zeugin P. außer Acht gelassen als auch bei der Würdigung der Angaben des Zeugen Marcel D. wesentlichen Akteninhalt übergangen. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts auf den Seiten 14 und 15 seines Urteils zu den Umständen des Auffindens der Urkunde können sich erkennbar nur auf Tatsachen bezüglich der Glaubwürdigkeit des Zeugen beziehen, weil das Verwaltungsgericht die Restitutionsklage als zulässig erachtet hat. Die Zeugin P. hat in der mündlichen Verhandlung vom 10. März 2010 angegeben, dass der Heftfaden seiner Art nach aus der Vorkriegszeit stamme und bis 1945 verwendet worden sei. Es gebe einige Akten, bei denen der Faden gerissen sei. Der Riss könne durch einen normalen Alterungsprozess bedingt sein. Zum Zustand des Heftfadens zum Zeitpunkt des Auffindens der Urkunde hat der Zeuge Marcel D. bei seiner Einvernahme am 10. März 2010 angegeben, dass einzelne Fäden danach gerissen gewesen seien, der Faden insgesamt angegriffen gewesen sei, aber "so schlimm wie Heute" nicht ausgesehen habe. Beide Aussagen enthalten wichtige Umstände zur Beurteilung der Urkunde als echt oder falsch, mit denen sich das Verwaltungsgericht hätte auseinandersetzen müssen.
Die Argumente, die das Verwaltungsgericht zur Unglaubwürdigkeit des Zeugen D. anführt, finden in den Akten keine Stütze. Das Gericht wirft dem Zeugen vor, er habe anlässlich seiner Zeugeneinvernahme am 10. März 2010 nicht erwähnt, dass er sich das fragliche Aktenstück am Tag des Auffindens der Urkunde bereits zum dritten Male habe vorlegen lassen. Dieser Umstand sei erst durch die gerichtlich angeforderte Vorlage des noch vorhandenen Benutzerblattes offenbar geworden. Aus diesem ergebe sich eine Einsichtnahme im Oktober und im Dezember 1999. Außerdem sei die Vertragsurkunde in einer Akte zu den Sächsischen Serumwerken gefunden worden. Ein Bezug zu der streitgegenständlichen Sächsischen Hypothekengesellschaft sei nicht erkennbar. Dieses Dokument gehöre ersichtlich nicht in diese Akte. Beide Gesichtspunkte treffen nicht zu. Das Benutzerblatt ist bereits mit dem Schriftsatz des Beklagten vom 18. September 2000 zu den Gerichtsakten gelangt (vgl. GA Az.: 7 K 873/00 Bl. 61, 69) und nicht erst durch eine gerichtlich angeforderte Vorlage in dem Verfahren 6 K 1188/09. Bereits mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2000 hat sich der Bevollmächtigte des Klägers zu den Besuchen des Zeugen im Sächsischen Hauptstaatsarchiv geäußert und diese bestätigt (vgl. GA Az.: 7 K 873/00 Bl. 77). Der Zeuge hatte keine Veranlassung, ungefragt auf seine mehrmalige Vorsprache im Sächsischen Hauptstaatsarchiv besonders hinzuweisen, schon weil er davon ausgehen konnte, dass dieser Sachverhalt dem Gericht aus den Akten bekannt war.
Zum Aufbewahrungsort des aufgefundenen Schriftstücks haben der Zeuge D. und die Zeugin P. in der mündlichen Verhandlung vom 10. März 2010 übereinstimmend erklärt, dass sich die Urkunde in dem Vorgang des Ministeriums des Inneren (Nr. 12023) befand, dem auch Stiftungsakten zugeordnet gewesen seien. Weiter hat die Zeugin P. angegeben, das fragliche Schriftstück sei Teil einer Akte gewesen, die 1943/1944 gebildet worden und im Keller des gemeinsamen Archivs des Gesamtministeriums wegen des Krieges aufbewahrt worden sei. Nach dem Krieg seien diese Akten unversehrt aufgefunden und neu geordnet worden. Dies sei in den Unterlagen des Hauptstaatsarchivs vermerkt. Weder der Zeuge D. noch die Zeugin P. haben davon berichtet, dass die Vertragsurkunde in einer Akte zu den Sächsischen Serumwerken aufgefunden worden sei, die sich zunächst im Sächsischen Staatsarchiv in Leipzig befunden habe. Die Angaben des Zeugen D. wegen seiner dem Gericht verschwiegenen mehrmaligen Einsichtnahmen in die Unterlagen des Hauptstaatsarchivs als nicht glaubhaft einzustufen, hat damit aufgrund des Akteninhalts keine Grundlage.
Soweit das Verwaltungsgericht seine Zweifel an der Echtheit der Urkunde auf einen ähnlichen Sachverhalt stützt, der sich in dem Verfahren 6 K 3168/00 betreffend die Sächsischen Serumwerke herausgestellt hat, hat es auch hier wesentlichen Akteninhalt unberücksichtigt gelassen. Mit Schriftsatz vom 18. April 2007 (GA Az.: 13 K 1568/03 Bl. 371 f.) hatten die Klägervertreter vorgetragen, dass es sich bei den vorgelegten Urkunden zum Sächsischem Serumwerk und zur Sächsischen Hypothekengesellschaft um zentrale Abschriften handele, die durch die gleiche Person gefertigt worden seien, und beide Urkunden seien am 31. Januar 1941 notariell beurkundet worden. In dieser Zeit sei Dr. F. bereits verschiedenen Verfolgungsmaßnahmen und Folterungen ausgesetzt gewesen, bis er schließlich im Juni 1942 durch die Gestapo ermordet worden sei. Die Angaben werden durch die Ausführungen des Sachverständigen im Gutachten vom 18. Februar 2011 bestätigt, wonach die Seiten 163 und 164 der Abschrift des Dokuments vom 30. Januar 1936 und die Seiten 174 und 175 der Abschrift des Vertrages vom 16. Dezember 1936 auf derselben Schreibmaschine gefertigt worden seien und die Seiten 167 und 176 (Beglaubigung) ebenfalls in den allgemeinen Systemmerkmalen übereinstimmten. Mit dieser plausiblen Erklärung hätte sich das Verwaltungsgericht auseinandersetzen müssen.
Das Verwaltungsgericht ist ferner der Auffassung, dass der Inhalt der Urkunde nicht für ihre Authentizität spricht, weil darin Erklärungen von Herrn Dr. F. zur Gründung der Gertrud Hoffmann Stiftung und zum anschließenden Verkauf der Anteile an der Sächsischen Hypothekengesellschaft durch Herrn Dr. F. verwoben werden. Die vom Kläger für diese Verbindung beider Vorgänge angebotene Erklärung, dass die Gründe dafür in dem damaligen Arisierungsdruck und den Umständen der Arisierung zu suchen seien, vermochten das Gericht vom Erklärungswert der Urkunde nicht zu überzeugen. Zu Recht rügt die Beschwerde in diesem Zusammenhang, dass das Verwaltungsgericht bei diesem Sachverhalt das Vorbringen zum damals bestehenden Arisierungsdruck nicht hinreichend in seine Überzeugungsbildung eingestellt hat. Die mit der freien Überzeugungsgewinnung in § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO statuierte Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung ist nicht grenzenlos. Einschränkungen erfährt der Grundsatz durch gesetzlich normierte Beweisregeln. Über § 173 VwGO, § 286 Abs. 2 ZPO gelten die gesetzlichen Beweisregeln der ZPO im Verwaltungsprozess. Für Beweisregeln, die in anderen Gesetzen normiert sind, kann sich deren Bindungswirkung für den Verwaltungsrichter aus diesen Gesetzen ergeben (Höfling, a.a.O. Rn. 44, 47, 51, 54, 88). Das ist hier der Fall. Der Kläger begehrt über die Restitutionsklage letztlich die Rückübertragung von Anteilen an der ehemaligen Sächsischen Hypothekengesellschaft bzw. die Begründung von Bruchteilseigentum an Grundstücken, die zum Zeitpunkt seiner Schädigung Gesellschaftseigentum gewesen sein sollen. Dieser Anspruch setzt unter anderem die Schädigung von Bürgern und Vereinigungen voraus, die in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt wurden und deshalb ihr Vermögen infolge von Zwangsverkäufen, Enteignungen oder auf andere Weise verloren haben. Zugunsten des Berechtigten wird ein verfolgungsbedingter Vermögensverlust nach Maßgabe des II. Abschnitts der Anordnung BK/O (49) 180 der Alliierten Kommandantur Berlin vom 26. Juli 1949 (VOBl für Groß-Berlin I S. 221) vermutet. Diese gesetzliche Vermutungsregel zugunsten der Klagepartei hätte das Verwaltungsgericht im Hinblick auf den geltend gemachten Arisierungsdruck bei der inhaltlichen Bewertung der Urkunde berücksichtigen müssen. Dies hat das Verwaltungsgericht nicht erkannt.
Schließlich hat das Verwaltungsgericht auch deshalb gegen den Überzeugungsgrundsatz verstoßen, weil es seiner Überzeugungsbildung ein Beweismaß zugrunde gelegt hat, das der angesichts der vorliegenden Umstände sachtypischen Beweisnot der Klagepartei nicht Rechnung trägt. Das Beweismaß unterliegt der revisionsrechtlichen Überprüfung (BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 1981 - 1 BvR 898/79 u.a. - BVerfGE 59, 128; BVerwG, Urteil vom 27. September 1982 - BVerwG 8 C 62.81 - BVerwGE 66, 168 <171>; BGH, Urteil vom 14. Januar 1993 - IX ZR 238/91 - NJW 1993, 935 f.). Nach §§ 419, 286 ZPO i.V.m. § 173 VwGO hat der Tatrichter nach freier Überzeugung zu entscheiden, inwiefern Durchstreichungen, Radierungen, Einschaltungen oder sonstige äußere Mängel die Beweiskraft einer Urkunde ganz oder teilweise aufheben oder mindern. Er ist dabei nicht an Beweisregeln gebunden und nur seinem Gewissen unterworfen. Er hat die Entscheidung zu treffen, ob er mögliche Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann. Jedoch setzt das Gesetz eine von allen Zweifeln freie Überzeugung nicht voraus. Das Gericht darf keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit bei der Prüfung verlangen, ob eine Behauptung wahr und erwiesen ist. Das bedeutet, dass sich ein Gericht in zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen muss, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH, Urteile vom 17. Februar 1970 - III ZR 139/67 - BGHZ 53, 245 <255 f.> und vom 27. Mai 1982 - III ZR 201/80 - NJW 1982, 2874 <2875>). Im Anwendungsbereich des § 1 VermG geht zwar die Unerweislichkeit von Tatsachen, aus denen eine Partei ihr günstige Rechtsfolgen herleitet, grundsätzlich zu ihren Lasten. Dies gilt aber dann nicht, wenn das Gesetz selbst - wie im Fall des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG - eine besondere Regelung trifft (stRspr; vgl. etwa Urteile vom 23. Mai 1962 - BVerwG 6 C 39.60 - BVerwGE 14, 181 <186 f.>, vom 19. Februar 1964 - BVerwG 6 C 107.61 - BVerwGE 18, 66 <71> und vom 16. Januar 1974 - BVerwG 7 C 117.72 - BVerwGE 44, 265 <270>; Beschlüsse vom 26. März 1975 - BVerwG 2 C 11.74 - BVerwGE 47, 365 <375> und vom 3. August 1988 - BVerwG 9 B 257.88 - Buchholz 412.6 § 1 HHG Nr. 28). Ob und inwieweit mit Blick auf einzelne Schädigungstatbestände des § 1 VermG eine Umkehr der Beweislast oder Beweiserleichterungen in Betracht zu ziehen sind, lässt sich nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles beantworten (vgl. Beschluss vom 1. November 1993 - BVerwG 7 B 190.93 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 11; Neuhaus, in: Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus, VermG, Kommentar, Stand: Juli 2004, § 1 Rn. 66d zu typischen Zwangslagen im Rahmen des § 1 Abs. 3 VermG). Da die Restitutionsklage stattfindet, wenn die Partei eine Urkunde auffindet, die eine ihr günstigere Entscheidung im vermögensrechtlichen Rückübertragungsverfahren herbeigeführt haben würde, sind die Anforderungen, die an die Echtheit der Urkunde im Rahmen der Restitutionsklage zu stellen sind, daran auszurichten.
Im Streitfall hat das Gericht den Prozessstoff nicht umfassend gewürdigt, sondern im Wesentlichen nur die Tatsachen angeführt, die gegen die Echtheit der Urkunde und die Glaubwürdigkeit des Zeugen D. sprechen. Damit hat es zu erkennen gegeben, dass es die an das Beweismaß zu stellenden Anforderungen nicht zutreffend eingeschätzt hat. Für die Tatsache der Echtheit der beglaubigten Abschrift von der Kaufvertragsurkunde vom 16. Dezember 1936 befindet sich der Kläger aufgrund der historischen Geschehnisse, der spezifischen Umstände während der NS-Herrschaft, der langjährigen und zudem wechselnden Aufbewahrung der Urkunde in verschiedenen Archivbeständen außerhalb seines Verantwortungsbereichs sowie der dort erfolgten Einwirkungen auf den Zustand der Urkunde durch Dritte, insbesondere das Archivpersonal, in einer Art sachtypischer Beweisnot; denn es kann schon erfahrungsgemäß davon ausgegangen werden, dass Dokumente, die den Zweiten Weltkrieg überdauert und über sechs Jahrzehnte in Archiven gelagert haben, zum Teil neu zusammengeführt und archiviert worden sind, vielfach nicht mehr ihren Originalzustand aufweisen. Dies hat das Gericht mit den von ihm zugrunde gelegten Anforderungen an die Echtheit eines Dokuments verkannt.