Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 19.04.2011


BVerwG 19.04.2011 - 8 B 7/11

Unterlassene Vorlage vor dem BVerfG kein revisibler Verfahrensmangel


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsdatum:
19.04.2011
Aktenzeichen:
8 B 7/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern, 14. Oktober 2010, Az: 6 A 397/08, Urteil
Zitierte Gesetze

Gründe

1

Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und eines Verfahrensmangels gestützte Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.

2

Das angefochtene Urteil ist auf zwei selbstständig tragende Begründungen gestützt. Zum einen hat das Verwaltungsgericht entschieden, dass die Beigeladene zu 1 Berechtigte im Sinne von § 3 Abs. 2 VermG ist, weil sie vor der Rechtsvorgängerin des Klägers als Eigentümerin des streitgegenständlichen Grundstücks von einer Maßnahme im Sinne des § 1 Abs. 1 Buchst. c VermG betroffen war. Der Rat der Gemeinde H. habe als staatlicher Verwalter das Grundstück an die Eheleute B. veräußert und damit die ihm zustehenden Befugnisse überschritten. Zum anderen hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass die Veräußerung des Grundstücks durch den Rat der Gemeinde nicht im Einklang mit den damals geltenden Rechtsvorschriften gestanden habe und daher nicht hätte erfolgen dürfen. Die Genehmigung des Verkaufs durch den Rat des Bezirkes R. sei in rechtswidriger Weise unter Verstoß gegen die geltenden Bestimmungen geschehen. Die staatlichen Behörden hätten einen Rechtsbruch durch den staatlichen Verwalter genehmigt. Aus diesem Grunde lägen auch die Voraussetzungen einer Maßnahme nach § 1 Abs. 3 VermG vor.

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Bei einer Mehrfachbegründung kann die Revision nur zugelassen werden, wenn gegen jede der tragenden Begründungen des Verwaltungsgerichts mindestens ein Beschwerdegrund geltend gemacht wird, der die Zulassung rechtfertigt. Diese Voraussetzung wird von der Beschwerde des Klägers nicht erfüllt. Jedenfalls liegt zur ersten Begründungsalternative, die Beigeladene zu 1 gelte gemäß § 3 Abs. 2 VermG als Berechtigte, weil sie als sog. Erstgeschädigte von einer Maßnahme gemäß § 1 Abs. 1 Buchst. c VermG betroffen gewesen sei, kein durchgreifender Zulassungsgrund vor. Auf die Rüge zur zweiten Begründungsalternative, der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 3 VermG sei infolge der Veräußerung nicht gegeben, kommt es mithin nicht mehr an.

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1. Entgegen der Auffassung der Beschwerde hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur dann zu, wenn die Beschwerde eine Rechtsfrage aufwirft, deren zu erwartende revisionsgerichtliche Klärung der Einheit oder der Fortentwicklung des Rechts zu dienen vermag. Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage diese Art ist in der Beschwerde nicht aufgeführt worden.

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Die für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage,

ob die Veräußerung eines gemäß § 6 der Verordnung zur Sicherung von Vermögenswerten vom 17. Juli 1952 unter vorläufige Verwaltung gestellten Grundstücks durch den staatlichen Verwalter den Verwaltungsvorschriften der DDR entsprach, wenn die Veräußerung auf Anweisung des übergeordneten Rates des Bezirkes, Abteilung Finanzen, erfolgte, der seinerseits befugt war, über die "weitere Verwendung" eines unter staatliche Verwaltung gestellten Grundstücks zu entscheiden,

kann schon deswegen nicht zum Erfolg des Rechtsbehelfs führen, weil sie die Auslegung und Anwendung von Vorschriften der DDR und damit kein revisibles Recht im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO zum Gegenstand hat, auf dessen Verletzung eine Revision allein gestützt werden kann.

6

Auch die Beantwortung der Frage,

ob eine Veräußerung unter den vorgenannten Bedingungen eine schädigende Maßnahme zu Lasten des Grundstückseigentümers, der infolge der Veräußerung sein Eigentum verliert, im Sinne des § 1 Abs. 1 Buchst. c VermG ausschließt,

rechtfertigt nicht die Durchführung eines Revisionsverfahrens, weil ihre Verneinung - ausgehend von den das Revisionsgericht bindenden Feststellungen, die das Verwaltungsgericht unter Anwendung nicht revisiblen Rechts getroffen hat - auf der Hand liegt. Das Verwaltungsgericht hat im Einzelnen dargelegt, dass allein der Rat der Gemeinde H. verfügungsbefugt über das Grundstück war und die vom Kläger angeführte Anweisung vom 18. Juli 1952 eine über die bloße Verwaltung hinausgehende Veräußerungsbefugnis gerade nicht enthielt. Angesichts dessen kann nicht ernsthaft bezweifelt werden, dass ein solcher Verkauf von der Vorschrift des § 1 Abs. 1 Buchst. c VermG erfasst wird.

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2. Dem Verwaltungsgericht ist auch kein Verfahrensfehler im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO unterlaufen, weil es den Rechtsstreit gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG nicht ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 2 VermG im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG vorgelegt hat. Die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts hält die Beschwerde deshalb für erforderlich, weil die Rechtsvorgängerin des Klägers in ihren Eigentumsrechten mindestens ebenso betroffen sei wie die Beigeladene zu 1; es gebe keinen sachlichen Grund, der eine Ungleichbehandlung des Klägers rechtfertige.

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In der von der Beschwerde als Verfahrensmangel gerügten Nichtvorlage kann jedenfalls kein die Revision rechtfertigender Verfahrensmangel gesehen werden (Beschluss vom 17. Juli 1975 - BVerwG 2 B 2.75 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 136). Ein für das Revisionsverfahren bedeutsamer Verfahrensmangel liegt nur vor, wenn das Verwaltungsgericht formelle Vorschriften verletzt hat, das Urteil darauf beruht und das Revisionsgericht die Sache zurückverweisen muss, weil es selbst diesen Mangel (z.B. eine mangelnde Sachaufklärung) nicht beheben kann. Hier scheidet eine Zurückverweisung schon allein deshalb aus, weil das Bundesverwaltungsgericht ebenso wie alle anderen Gerichte selbst verpflichtet ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG für die Einholung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegeben sind. Ist das Verwaltungsgericht dieser Pflicht nicht nachgekommen, so liegt, wenn sich die Entscheidung zu dieser Frage als nicht zutreffend erweist, kein die Aufhebung des Urteils rechtfertigender Verfahrensmangel vor. Das Revisionsgericht hat vielmehr dann selbst die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen (Urteil vom 22. Januar 1971 - BVerwG 7 C 42.70 - BVerwGE 37, 116 = Buchholz 442.15 § 4 StVO Nr. 9).

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Das Beschwerdevorbringen, dem Urteil lasse sich nicht entnehmen, ob das Verwaltungsgericht Zweifel an der Vereinbarkeit des § 3 Abs. 2 VermG mit dem Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG habe, lässt Gründe vermissen, die gemäß § 132 Abs. 2 VwGO zur Zulassung der Revision führen könnten. Auch wenn sich das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen nicht im Einzelnen mit Art. 3 Abs. 1 GG auseinandergesetzt hat, so lässt die Entscheidung doch erkennen, dass das Vorbringen der Klagepartei zu Art. 3 Abs. 1 GG zur Kenntnis genommen und abgewogen wurde (vgl. UA S. 6 unten und S. 13).

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Dessen ungeachtet hat das Bundesverwaltungsgericht in dem vom Verwaltungsgericht angeführten Beschluss vom 27. April 2006 - BVerwG 7 B 37.06 - (LKV 2006, 467) bereits entschieden, dass es sich bei der den Restitutionsanspruch des Zweitgeschädigten verdrängenden Regelung des § 3 Abs. 2 VermG um eine verfassungsgemäße Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums handelt. Damit hat es zugleich eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes unter diesem Blickwinkel verneint. Die Sozialverträglichkeit dieser gesetzlichen Konkurrenzregelung, die für einen nachrangigen redlichen Erwerber mit einer gewissen Härte verbunden ist, wird durch § 1 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 des Entschädigungsgesetzes vom 27. September 1994 (BGBl I S. 2624) gewährleistet. Diese Vorschrift stellt den nach § 3 Abs. 2 VermG weichenden redlichen Erwerber hinsichtlich der Entschädigung einem nach § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG Berechtigten gleich, bei dem die Rückgabe des Vermögenswertes gesetzlich ausgeschlossen ist (Beschluss vom 23. Juni 1995 - BVerwG 7 C 13.94/ 7 PKH 2.94 - Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 20). Ebenso wenig ist es zu beanstanden, dass diese Personengruppen keinen vollen Wertausgleich bekommen. Der Gesetzgeber darf bei der Bemessung von Wiedergutmachungsleistungen im Rahmen des ihm ohnehin zustehenden Gestaltungsraumes darauf Rücksicht nehmen, welche finanziellen Möglichkeiten er unter Berücksichtigung der sonstigen Staatsaufgaben hat. Angesichts der desolaten wirtschaftlichen Lage in den neuen Bundesländern, deren Bereinigung Zuschüsse in Höhe eines dreistelligen Milliardenbetrages erfordert, besteht eine (originäre) verfassungsrechtliche Verpflichtung zu einer Wiedergutmachung, die wertmäßig einer Restitution gleichkäme, nicht (BVerfG, Urteil vom 23. April 1991 - 1 BvR 1170/90 u.a. - BVerfGE 84, 90 <130 f.>).