Entscheidungsdatum: 18.12.2014
Die zulässige, auf Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde ist zu einem Teil begründet.
1. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, soweit sie die Abweisung der Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Rückübertragung des Grundbesitzes „...“ (Grundbuch von S. Bd. 1 Bl. 58 (alt)) betrifft. Insoweit wurden keine Zulassungsgründe geltend gemacht.
2. Soweit die Beschwerde die Abweisung der Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Rückübertragung des Grundbesitzes des ehemaligen Gutes S. betrifft, hat sie Erfolg. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam beruht insoweit auf den von der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensfehlern.
a) Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, die Voraussetzungen für die gesetzliche Vermutung einer ungerechtfertigten Entziehung von Vermögensgegenständen nach § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 REAO lägen nicht vor, beruht auf einer Verletzung des Gebotes des rechtlichen Gehörs.
Danach ist das Gericht verpflichtet, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Zwar lässt sich nicht jede unterbliebene Auseinandersetzung mit dem Vorbringen von Beteiligten als Beleg für eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör werten. Geht das Gericht allerdings auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags eines Beteiligten zu einer Frage, die nach seiner eigenen Einschätzung für den Prozessausgang von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies darauf schließen, dass es dieses Vorbringen nicht berücksichtigt hat (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 20. November 1995 - 4 C 10.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267 S. 22 f.). So liegt es hier.
aa) Dies gilt allerdings nicht, soweit das Verwaltungsgericht eine gesetzliche Vermutung nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a) REAO wegen unmittelbarer Verfolgung des Alteigentümers verneint hat. Die Beschwerde legt nicht dar, dass das Verwaltungsgericht mit der Annahme, die für drei Tage andauernde Verhaftung des Alteigentümers durch die Gestapo und die darauf folgende Anklage wegen eines Verstoßes gegen das Heimtückegesetz hätten die Schwelle zur Individualverfolgung nicht überschritten, ein bestimmtes Vorbringen der Kläger übergangen hat. Sie beschränkt sich vielmehr auf die Darlegung ihrer gegenteiligen Wertung.
bb) Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts greift die gesetzliche Vermutung auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. b) REAO wegen der - unterstellten - Mitgliedschaft des Alteigentümers in der Bekennenden Kirche als einer durch die Nationalsozialisten kollektiv verfolgten Organisation. Dies setzte eine Absicht des nationalsozialistischen Regimes voraus, die Bekennende Kirche in ihrer Gesamtheit diskriminierend zu zerschlagen. Das sei jedenfalls bis Anfang des Jahres 1938 nicht der Fall gewesen. Zwar habe der nationalsozialistische Staat ein „Treuhänderregime“ in Gestalt einer staatlichen Finanzkontrolle („Finanzabteilungen“) über die evangelische Kirche eingerichtet, das ohne Weiteres als Mittel für den Kampf gegen Gemeindemitglieder oder Gemeinden der Bekennenden Kirche nutzbar gewesen sei. Es sei jedoch nur in Einzelfällen zu diskriminierenden Zugriffen auf „bestimmte Kirchenstrukturen“ und deren Eigentum gekommen. Zwei Schnellbriefe der Gestapo Stettin in den Jahren 1937 und 1938 belegten außerdem eine Überwachung der Gottesdienste der Bekennenden Kirche durch die Nationalsozialisten, vermutlich um gegebenenfalls weitere Maßnahmen einzuleiten. Daraus könne jedoch nicht gefolgert werden, dass die Nationalsozialisten die Absicht gehabt hätten, die Bekennende Kirche in ihrer Gesamtheit zu zerschlagen. Ohnehin seien sie darauf bedacht gewesen, sich in rein theologische Auseinandersetzungen nicht einzumischen.
Diese auf vereinzelte Schädigungen kirchlichen Eigentums beschränkten Ausführungen zeigen, dass das Verwaltungsgericht Vorbringen der Kläger übergangen hat, das für die Beurteilung der auch nach Auffassung des Gerichts entscheidungserheblichen Frage von zentraler Bedeutung ist, ob die Nationalsozialisten zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags zwischen dem Alteigentümer und der Stadt Berlin über das Gut S. im Jahre 1937 die Zerschlagung der Bekennenden Kirche in ihrer Gesamtheit beabsichtigten. Die Kläger hatten unter Angabe von Quellen vorgebracht, dass es sich bei der Bekennenden Kirche um eine im Verhältnis zur Gesamtzahl der Protestanten im Deutschen Reich kleine Gruppierung gehandelt habe, deren Mitglieder sich dazu verpflichtet hatten, durch ihr Bekenntnis zum unverfälschten Evangelium das - ebenfalls durch Quellenangaben belegte - Bestreben des Regimes zu bekämpfen, den Nationalsozialismus als neue Religion mit Adolf Hitler als neuen Erlöser einzusetzen. Sie hatten ferner Belege dafür benannt, dass die Bekennende Kirche damit in ihrer Gesamtheit aus Sicht der Nationalsozialisten zu den wichtigsten Weltanschauungsgegnern zählte. Schließlich hatten sie dargelegt, dass der nationalsozialistische Staat gegenüber der Bekennenden Kirche nicht nur zum Mittel der Finanzaufsicht gegriffen, sondern die Ausbildung und Ordination von Pfarrern sowie die Publikation oder Kanzelabkündigung von kirchenpolitischen Äußerungen und von Beschlüssen der Bekenntnissynoden verboten hatte. Der Bekennenden Kirche sei es daher nur noch durch illegale Verbreitung von Flugblättern und Schriften möglich gewesen, gegen die antichristlichen Bestrebungen des nationalsozialistischen Regimes anzugehen; die Verfasser, Austräger und Verleger dieser Schriften seien verfolgt worden.
Dieses Vorbringen ist geeignet zu belegen, dass das Regime die Absicht hatte, die relativ kleine, in Opposition zur nationalsozialistischen Ideologie stehende Gruppierung der Bekennenden Kirche in ihrer Gesamtheit aus Gründen der Religion vom kulturellen und wirtschaftlichen Leben Deutschlands auszuschließen (vgl. BVerwG, Urteile vom 2. August 2001 - 7 C 28.00 - Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 60 S. 44 ff. und vom 22. Februar 2001 - 7 C 12.00 - BVerwGE 114, 68 <70 f.>). Das Verwaltungsgericht hätte sich daher zwingend mit diesem Vorbringen auseinandersetzen und gegebenenfalls ein Sachverständigengutachten zur Frage der Kollektivverfolgung der Bekennenden Kirche durch den nationalsozialistischen Staat einholen müssen.
b) Die alternativ tragende Erwägung des Verwaltungsgerichts, die gesetzliche Vermutung eines verfolgungsbedingten Zwangsverkaufs des Gutes S. sei hier widerlegt, beruht ebenfalls auf einem Verfahrensmangel.
Die Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) ist verletzt, wenn das Gericht seine Entscheidung auf ein Sachverständigengutachten stützt, das unter anderem deshalb ungeeignet ist, weil es grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweist oder weil es von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgeht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. März 2013 - 4 B 15.12 - BeckRS 2013, 49811 Rn. 19). Ausgehend davon lassen es die Ausführungen im angegriffenen Urteil nicht zu, von einer Eignung des gerichtlich eingeholten Gutachtens auszugehen.
Die Beschwerde rügt zu Recht, es sei nicht nachvollziehbar, weshalb der vom Gericht beauftragte Gutachterausschuss für Grundstückswerte im Landkreis Oberhavel den Verkehrswert des Gutes S. zum Wertermittlungsstichtag 13. Oktober 1937 allein nach den Einheitswerten bestimmt habe, obwohl der von den Klägern beauftragte Gutachter auf einen Vergleichsverkaufsfall, nämlich die Veräußerung eines Waldareals an die Stadt Berlin, verwiesen habe. Ausweislich dieses Parteigutachtens kaufte die Stadt Berlin im Jahre 1938 ein direkt an den Wald des Gutes S. grenzendes geschlossenes Waldgelände von 319 ha zu einem Preis von 4 231,97 RM/ha; demgegenüber hatte der Verkaufserlös für den qualitätsgleichen, 475 ha großen Wald des Gutes S. danach nur 1 308,61 RM/ha betragen (GA Bd. VI Bl. 1127, 1135; vgl. undatierten Bescheid des Bundesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen, GA Bd. 2 Bl. 105 ff., 133 f. zur Qualität des Waldbestandes des Gutes S. und zur Lage der beiden an die Stadt Berlin verkauften Waldareale). Das Verwaltungsgericht hat die Vergleichbarkeit lediglich mit der Begründung verneint, dass der Verkauf eines Waldstücks wertmäßig nicht mit der hier in Rede stehenden Veräußerung eines Unternehmens verglichen werden könne. Das wäre allenfalls dann nachvollziehbar, wenn zum maßgeblichen Zeitpunkt der Verkehrswert einer reinen Waldfläche ganz erheblich über demjenigen eines land- und forstwirtschaftlichen Unternehmens mit einem vergleichbaren Waldareal gelegen hätte. Dazu findet sich jedoch im angegriffenen Urteil nichts.
Ferner macht die Beschwerde detailliert geltend, das gerichtlich eingeholte Gutachten sei auch deshalb ungeeignet, weil trotz entsprechender Anhaltspunkte nicht geklärt worden sei, ob Bauerwartungsland vorgelegen habe. Eine Untersuchung dieser Frage habe sich schon deshalb aufgedrängt, weil das Verwaltungsgericht selbst unter Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen angenommen habe, dass sich der Verkauf des Gutes S. „in eine Reihe von Abverkäufen im Zusammenhang mit Siedlungsvorhaben im Berliner Umland“ eingereiht habe (UA S. 23; GA Bd. 2 Bl. 134). Vor diesem Hintergrund kann die bloße Feststellung des Verwaltungsgerichts, eine „alsbaldige Bebauung“ habe sich damals noch nicht „hinreichend“ abgezeichnet, nicht die Schlüssigkeit der Annahme belegen, dass das Gerichtsgutachten geeignet sei.
Für die Unschlüssigkeit der vom Verwaltungsgericht angenommenen Eignung des Gerichtsgutachtens spricht im Übrigen neben diesen Ungereimtheiten auch der Umstand, dass der tatsächlich vereinbarte Kaufpreis den gutachterlich ermittelten Verkehrswert um gut das Dreifache übersteigt. Auch insoweit lässt das angegriffene Urteil jede nachvollziehbare Erklärung vermissen.
Im weiteren Verfahren wird zu beachten sein, dass nach der Rechtsprechung des Senats eine nationalsozialistische Verfolgung eines Verbandes oder einer Vereinigung in ihrer Gesamtheit dann anzunehmen ist, wenn diese von den Nationalsozialisten als ein Hindernis auf dem Weg zur Durchsetzung des nationalsozialistischen Totalitätsanspruchs wahrgenommen wurden (vgl. BVerwG, Urteile vom 22. Februar 2001 - 7 C 12.00 - BVerwGE 114, 68 <70 f.> und vom 2. August 2001 - 7 C 28.00 - Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 60 S. 44 ff.). Die umfangreichen Quellenangaben der Kläger geben hierfür mit Blick auf die Bekennende Kirche gewichtige Anhaltspunkte (so auch Neuhaus, in: Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus, VermG, Kommentar § 1 Rn. 140). Danach haben sich die Mitglieder der Bekennenden Kirche verpflichtet, den quasireligiösen Totalitätsanspruch der nationalsozialistischen Ideologie, wie er in der Vereinnahmung der evangelischen Kirche in Gestalt der „Deutschen Christen“ zum Ausdruck kam, durch ein Bekenntnis des christlichen Glaubens zu bekämpfen. Den Quellen ist weiter zu entnehmen, dass die nationalsozialistischen Machthaber diese grundlegende Gegnerschaft zu der auch den Bereich der Religion umfassenden Totalität der nationalsozialistischen Idee wahrgenommen haben und deshalb bestrebt waren, der Bekennenden Kirche - neben gezielten Eingriffen in die Vermögensgrundlage - durch umfassende strafbewehrte Verbote der Ausbildung von Pfarrern und jeglicher öffentlicher Äußerung des Bekenntnisses in ihrer Gesamtheit die Existenzgrundlage zu entziehen.
3. Der Senat übt das ihm im Rahmen von § 133 Abs. 6 VwGO eingeräumte Ermessen dahin gehend aus, dass die Sache - im Umfang der im Tenor näher bezeichneten Aufhebung - zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen wird. Die Kostenentscheidung ist der Schlussentscheidung vorzubehalten. Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 VwGO.