Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 05.12.2011


BVerwG 05.12.2011 - 8 B 53/11

Abtretungsanzeige analog § 409 BGB bei Verwaltungsverfahren, die auf eine Rechtsgestaltung zielen


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsdatum:
05.12.2011
Aktenzeichen:
8 B 53/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend VG Leipzig, 15. Dezember 2010, Az: 1 K 611/07, Urteil
Zitierte Gesetze

Gründe

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Die Beigeladene wendet sich gegen die Rückübertragung des mit einem Mietwohnhaus bebauten Grundstücks K.-Straße ... in L. Die Klägerin hatte 1985 auf ihr Eigentum am Grundstück verzichtet. 1990 beantragte sie die Rückübertragung. Im Juni 1993 trat sie ihren Restitutionsanspruch notariell zum Preis von 200 000 DM an die R. GmbH ab, die den Anspruch anschließend weiter an die G. GmbH abtrat. An diese übertrug die Beklagte das Grundstück zurück. Die verfügungsberechtigte Beigeladene erhob dagegen Anfechtungsklage. Während des Prozesses trat die G. GmbH den Restitutionsanspruch an eine dritte Zessionarin ab. Mit Urteil vom 11. August 2004 hob das Verwaltungsgericht Leipzig den Rückübertragungsbescheid auf. Nach Rechtskraft dieses Urteils hat die Klägerin auf Rückübertragung des Grundstücks an sich selbst geklagt und geltend gemacht, die Abtretung an die R. GmbH sei sittenwidrig und unwirksam gewesen. Das Verwaltungsgericht hat ihrer Klage stattgegeben und die Revision nicht zugelassen. Die dagegen erhobene Beschwerde der Beigeladenen, die Verfahrensmängel rügt und sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Sache beruft, hat keinen Erfolg.

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1. Aus der Beschwerdebegründung ergeben sich keine Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, auf denen das angegriffene Urteil beruhen kann.

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a) Soweit die Beigeladene die Unzulässigkeit der Klage rügt, kann offen bleiben, ob die von ihr geltend gemachten Verstöße jeweils als Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO oder als sachlich-rechtliche, nicht mit der Verfahrensrüge angreifbare Fehler der Entscheidungsfindung selbst einzuordnen wären. Jedenfalls liegt keiner der angeblichen Mängel vor.

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Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Rechtskraft des Urteils vom 11. August 2004 einer Sachentscheidung nicht entgegenstand. In die Rechtskraft werden gemäß § 121 VwGO nur die Beteiligten und deren Rechtsnachfolger einbezogen. Das Urteil bindet damit nur die seinerzeit klagende, hier beigeladene Beschwerdeführerin, die Beklagte und die im Anfechtungsprozess zuletzt allein beigeladene Frau ... D., der die G. GmbH den Restitutionsanspruch abgetreten hatte. Die Rechtskraft des im Anfechtungsprozess ergangenen Urteils bindet jedoch nicht die Klägerin des vorliegenden Verfahrens, die damals lediglich als Zeugin vernommen wurde. Aus der Bindungswirkung des Rückübertragungsbescheides und der Gestaltungswirkung des Anfechtungsurteils ergibt sich entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nichts anderes. Die Bindungswirkung des Bescheides endete mit dessen rechtskräftiger Aufhebung. In dieser Aufhebung erschöpft sich die Gestaltungswirkung des Anfechtungsurteils. Auch seine Tatbestandswirkung hat nur zur Folge, dass das Verwaltungsgericht von der Existenz des Urteils und von der Aufhebung der Rückübertragung an die G. GmbH ausgehen muss. Eine Bindung an die im Urteil getroffenen Tatsachenfeststellungen ergibt sich daraus nicht. Soweit die Beigeladene meint, das Verwaltungsgericht habe eine solche Bindung wegen einer Parallele zur Inkassozession annehmen müssen, rügt sie eine - vermeintlich - fehlerhafte Anwendung des Abtretungsrechts und damit einen sachlich-rechtlichen Mangel, der nicht mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden kann.

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Die Annahme eines Rechtsschutzbedürfnisses wird durch den Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens der Klägerin nicht in Frage gestellt. Es genügt, dass das Klageziel weder gegenstandslos geworden noch auf einfachere Weise zu erreichen ist.

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Das Verwaltungsgericht musste auch nicht von einer Verwirkung des Klagerechts ausgehen. Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Anfechtungsprozesses war aus dem Untätigbleiben der Klägerin nicht zu schließen, dass sie keinen Rückübertragungsanspruch mehr geltend machen würde. Vielmehr konnte ihr Verhalten so verstanden werden, dass sie den Ausgang des Verfahrens abwarten und sich keinem unnötigen Prozessrisiko aussetzen wollte. Nach Rechtskraft des stattgebenden Urteils im Anfechtungsprozess ist sie innerhalb von sieben Monaten tätig geworden, um die Rückübertragung an sich selbst durchzusetzen. Diese Zeitspanne konnte kein Vertrauen darauf begründen, dass sie keine eigenen Rechte mehr geltend machen würde.

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b) Die Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO) greift ebenfalls nicht durch. Aus der Beschwerdebegründung geht nicht hervor, dass sich dem Verwaltungsgericht auf der Grundlage seiner materiell-rechtlichen Rechtsauffassung auch ohne förmliche Beweisanträge der bereits in der Vorinstanz anwaltlich vertretenen Beigeladenen die Ermittlung des Zeitwerts des Grundstücks im Jahr 1993 oder eine Aufklärung etwaiger Aufwendungsersatzansprüche oder Freistellungskosten sowie sonstiger möglicher Ansprüche hätte aufdrängen müssen. Nach der materiell-rechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts war für das wucherische Verhältnis von Leistung und Gegenleistung im Zeitpunkt der Abtretungsvereinbarung das besonders grobe Missverhältnis von Verkehrswert und Kaufpreis maßgeblich. Auf den Zeitwert kam es danach nicht an. Zur Bestimmung des Verkehrswerts hat das Verwaltungsgericht auf den Bodenwert von 660 000 DM abgestellt, der mehr als das Dreifache des Kaufpreises (200 000 DM) betrug und dabei noch unter dem von der Beigeladenen intern angenommenen Verkehrswert des unsanierten Grundstücks (696 000 DM) lag. Eine Klärung der Höhe etwaiger Aufwendungsersatzansprüche oder Freistellungskosten war nach der materiell-rechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht geboten, weil deren Wert nach seiner Auslegung des § 3c des Abtretungsvertrages vom Kaufpreis abzuziehen gewesen wären. Angebliche Mängel der Vertragsauslegung können, da sie die Anwendung materiellen Rechts (§§ 133, 157 BGB) betreffen, nicht Gegenstand der Verfahrensrüge sein. Im Übrigen war das Verwaltungsgericht der Auffassung, die Beigeladene habe die Investitionskosten nicht nach § 7 VermG geltend machen können. Schließlich hat es die Annahme eines Wuchergeschäfts hilfsweise damit begründet, dass der Verkehrswert des sanierten Grundstücks, den es mit 1 389 000 DM beziffert hat, selbst bei Berücksichtigung der von der Beigeladenen substantiierten Freistellungskosten (rund 853 000 DM und 870 000 DM) noch in einem groben Missverhältnis zum Kaufpreis stehe. Die Bezifferung dieser Positionen, die auf Zahlenmaterial der Beigeladenen zurückgreift, ist nicht prozessordnungsgemäß gerügt. Insbesondere legt die Beschwerdebegründung nicht dar, dass die entsprechenden Feststellungen denkfehlerhaft oder sonst willkürlich wären.

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2. Die Grundsatzrüge führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision. Sie formuliert keine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukäme (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14).

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Auf die Frage:

"Entfaltet ein verwaltungsgerichtliches Urteil Tatbestandswirkung, die von anderen Verwaltungsgerichten bei ihren Entscheidungen über denselben Streitgegenstand zu beachten ist, auch wenn nur zwei von drei Verfahrensbeteiligten am Folgeprozess beteiligt sind?"

käme es im angestrebten Revisionsverfahren nicht an. Wie oben erläutert, kann aus der Tatbestandswirkung keine Bindung an die Tatsachenfeststellungen abgeleitet werden und erstreckt sich die - weitergehende - Rechtskraftbindung nicht auf die Klägerin des vorliegenden Verfahrens.

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Die Frage:

"Ist § 409 BGB auf Verwaltungsverfahren, die auf eine Rechtsgestaltung zielen, entsprechend anwendbar mit der Folge, dass nach Vorliegen einer bestands- oder rechtskräftigen Entscheidung ein Zedent keine Neubescheidung verlangen kann?"

bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, weil sie sich ohne Weiteres anhand der üblichen Methoden der Gesetzesauslegung und der bisherigen Rechtsprechung beantworten lässt. Danach sind die zivilrechtlichen Vorschriften über die Abtretung von Forderungen auf Abtretungen öffentlich-rechtlicher Ansprüche entsprechend anzuwenden, soweit eine Regelungslücke vorliegt und materiell-rechtliche Besonderheiten des öffentlichen Rechts eine Analogie nicht ausschließen (vgl. Beschluss vom 28. März 2003 - BVerwG 6 B 22.03 - Buchholz 442.066 § 53 TKG Nr. 2; Urteile vom 18. März 2004 - BVerwG 3 C 24.03 - BVerwGE 120, 227 <238 f.> = Buchholz 442.40 § 32 LuftVG Nr. 10 und vom 11. Dezember 2008 - BVerwG 3 C 37.07 - BVerwGE 132, 324 = Buchholz 428.2 § 8 VZOG Nr. 11; zum Abtretungsrecht etwa Beschluss vom 22. März 1984 - BVerwG 6 P 5.82 - BVerwGE 69, 100 <103> = Buchholz 238.3 A § 44 BPersVG Nr. 10). Eine analoge Anwendung des § 409 BGB kann aber keine weitergehende als die dort vorgesehene Rechtsfolge auslösen. Diese erschöpft sich darin, dem Schuldner eine Leistung an den Zessionar mit befreiender Wirkung zu ermöglichen, ohne ihn jedoch dazu zu verpflichten (BGH, Urteil vom 3. Dezember 2003 - XII ZR 238/01 - NJW-RR 2004, 656 <657> unter cc); Roth, in: Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl. 2007, § 409, Rn. 11 f. m.w.N.). Der Schuldner ist also nach § 409 BGB nicht gehindert, bei Unwirksamkeit der Abtretung an den ursprünglichen Gläubiger zu leisten. Eine analoge Anwendung des § 409 BGB würde auch nichts daran ändern, dass die Rückübertragung an den Zessionar nicht bestandskräftig und das Anfechtungsurteil der Klägerin gegenüber nicht rechtskräftig geworden ist.

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Auf die Zusatzfrage, ob eine analoge Anwendung des § 409 BGB in den Fällen des § 138 BGB ausgeschlossen ist, kommt es danach nicht mehr an.

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Die Fragen:

"Muss sich die Unerfahrenheit im Sinne von § 138 BGB auf das Wirtschaftsleben insgesamt beziehen oder reicht es aus, wenn diese nur auf bestimmten Gebieten vorliegt?"

und

"Kann zur Beurteilung des Vorliegens der Nichtigkeitsvoraussetzungen gemäß § 138 BGB noch ca. drei Jahre nach Einführung einer anderen Wirtschaftsordnung im Beitrittsgebiet die Herkunft einer Person (1.) überhaupt und (2.) als alleiniger Umstand für ihren Mangel an Urteilsvermögen herangezogen werden?"

wären in einem Revisionsverfahren ebenfalls nicht entscheidungserheblich. Auf die Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Unerfahrenheit käme es nicht an, weil das verwaltungsgerichtliche Urteil selbstständig tragend auf das alternative Tatbestandsmerkmal eines Mangels an Urteilsvermögen abstellt. In Bezug darauf benennt die Beigeladene keine rechtsgrundsätzliche Auslegungsfrage, die der Klärung in einem Revisionsverfahren zugänglich wäre. Mit ihrer letzten Frage wendet sie sich vielmehr gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, bestimmte Hilfstatsachen - die Herkunft der Klägerin und der zeitliche Abstand zur Umstellung des Wirtschaftssystems im Beitrittsgebiet - seien als Indizien für die Haupttatsache - eine unzureichende Urteilsfähigkeit - heranzuziehen. Damit greift die Beigeladene eine Indizienbeweisführung an, die als Element der Tatsachenfeststellungen nicht Gegenstand der Grundsatzrüge sein kann. Entsprechende Verfahrensrügen hat sie nicht erhoben. Selbst wenn ihre Grundsatzrüge dahin umzudeuten wäre, bliebe sie ohne Erfolg, weil dem Verwaltungsgericht kein Verstoß gegen die Denkgesetze unterlaufen ist. Dazu genügt nicht, dass es nach Meinung der Beschwerdeführerin unrichtige oder fern liegende Schlüsse gezogen hat. Logisch schlechthin ausgeschlossene, von Willkür geprägte Schlussfolgerungen (vgl. Beschluss vom 10. Dezember 2003 - BVerwG 8 B 154.03 - NVwZ 2004, 627) weist die eingehende Beweiswürdigung des Tatsachengerichts zu den Fähigkeiten der Klägerin in der damaligen Situation nicht auf.

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3. Soweit die Beschwerde die zivilgerichtliche Rechtsprechung zu § 138 BGB zitiert, benennt sie keine nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO divergenzfähige Entscheidung. Unabhängig davon arbeitet sie auch keinen Rechtssatzwiderspruch heraus, sondern zählt nur teils abweichende Einzelfallentscheidungen auf.