Entscheidungsdatum: 30.06.2015
1. Die Klägerin begehrt die Feststellung ihrer Berechtigung an einem Grundstück wegen des verfolgungsbedingten Vermögensverlustes einer Beteiligung an einem Unternehmen; ihren Anspruch hat sie auf Entschädigung beschränkt. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der der Klägerin grundsätzlich zustehende Anspruch auf ergänzende Singularrestitution bzw. Entschädigung nach § 1 des NS-Verfolgtenentschädigungsgesetzes (NS-VEntschG) i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 4 Vermögensgesetz (VermG) sei nach § 1 Abs. 2 Satz 2 NS-VEntschG ausgeschlossen. Es hat die Revision gegen dieses Urteil nicht zugelassen.
2. Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Die von ihr formulierten Rechtsfragen erfüllen die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht und können deshalb die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht rechtfertigen. Eine Rechtssache ist nur dann grundsätzlich bedeutsam, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden entscheidungserheblichen Frage des revisiblen Rechts zu erwarten ist (stRspr; z.B. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
a) Die Klägerin möchte geklärt wissen,
ob dieselben Umstände, die einerseits einen Anspruch auf ergänzende Singularrestitution oder -entschädigung nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG erst begründen - namentlich das Ausscheiden eines im Osten belegenen Grundstücks aus dem unmittelbaren oder mittelbaren Vermögen eines Westunternehmens durch nach der Unternehmens- oder Anteilsentziehung erfolgten freihändigen Verkauf und Rückgabe dieses Unternehmens nach dem Krieg aufgrund alliierten Rückerstattungsrechts - zugleich den Ausschluss dieser Ansprüche wegen bereits erhaltener rückerstattungsrechtlicher Leistungen nach § 1 Abs. 2 Satz 2 NS-VEntschG begründen können,
und
ob ein Anspruch auf ergänzende Singularentschädigung nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG ausgeschlossen ist, wenn der Kaufpreis oder die sonstige Gegenleistung für das Grundstück im Zeitpunkt der Unternehmensrückgabe nach alliiertem Rückerstattungsrecht (noch) im zurückgegebenen Unternehmen vorhanden war.
Diese Fragen bedürfen keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Die Vorschrift des § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG gibt dem Berechtigten in Höhe seiner früheren Unternehmensbeteiligung einen Anspruch auf Einräumung von Bruchteilseigentum an solchen Vermögensgegenständen, die mit einem nach § 1 Abs. 6 i.V.m. § 6 VermG zurückzugebenden oder einem bereits zurückgegebenen Unternehmen entzogen oder von ihm später angeschafft worden sind und nicht mehr zum Vermögen dieses Unternehmens gehören. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass der Gesetzgeber damit beabsichtigte, die Restitutionslücke zu schließen, die dadurch entstehen kann, dass es in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR keine Wiedergutmachungsgesetze gab, die den im Westen Deutschlands geltenden gleichwertig waren. Deshalb sollen nicht nur die zwischen dem 30. Januar 1933 und 8. Mai 1945 geschädigten Unternehmen selbst nach den Vorschriften des Vermögensgesetzes zurückverlangt werden können, sondern im Wege der Einzelrestitution auch die Vermögensgegenstände, die nach der Schädigung des Unternehmens aus dessen Vermögen ausgeschieden sind. Die vom Gesetzgeber angestrebte Gleichstellung mit den rückerstattungsrechtlichen Vorschriften wird mithin dadurch erreicht, dass § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG den Durchgriff - und im Fall einer mittelbaren Unternehmensbeteiligung auch den "doppelten Durchgriff" - des Berechtigten auf sog. "weggeschwommene" Gegenstände des Unternehmensvermögens zulässt. Die Wiedergutmachungslücke, die das Gesetz schließen will, ist dabei nicht auf die Unternehmen mit Sitz im späteren Beitrittsgebiet beschränkt, sie kann vielmehr auch dann auftreten, wenn ein „Westunternehmen“ betroffen war, dem Vermögensgegenstände im Beitrittsgebiet gehörten (BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1997 - 7 C 53.96 - Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 18 S. 16).
Weiterhin ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass der Ausschluss von NS-Verfolgtenentschädigung nach § 1 Abs. 2 Satz 2 NS-VEntschG voraussetzt, dass hinsichtlich desselben Vermögensverlustes eine rückerstattungsrechtliche Wiedergutmachung bereits tatsächlich erfolgt ist (BVerwG, Urteil vom 17. März 2015 - 8 C 5.14 - juris). Danach kann ein auf § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 NS-VEntschG gestützter Anspruch auf Entschädigung gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 NS-VEntschG ausgeschlossen sein, wenn sich die im Rückerstattungsverfahren seinerzeit vorgenommene Wiedergutmachung auch auf denjenigen Vermögensgegenstand erstreckt, dessen Entschädigung nunmehr begehrt wird. Sind die Leistungen im Rückerstattungsverfahren auch für die im Beitrittsgebiet gelegenen Vermögenswerte erbracht worden, besteht keine vermögensrechtlich zu schließende Restitutionslücke. Denn es wäre in der Vergangenheit bereits das geschehen, was § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG nachzuholen bezweckt (BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1997 - 7 C 53.96 - Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 18 S. 19).
Entgegen der Auffassung der Beschwerde trifft es danach nicht zu, dass in nahezu allen Fällen von "West-Unternehmen mit Ost-Grundstücken" eine Singularentschädigung nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG über den "Kunstgriff" § 1 Abs. 2 Satz 2 NS-VEntschG ausgeschlossen wäre. Vielmehr kommt es entscheidend darauf an, ob die im Rückerstattungsverfahren erbrachten Leistungen auch die im Beitrittsgebiet gelegenen Vermögenswerte erfasst haben, eine Wiedergutmachungslücke mithin nicht besteht. Dementsprechend hat das Verwaltungsgericht in dem angegriffenen Urteil maßgeblich auf die konkreten Umstände des Einzelfalles abgestellt. Es ist unter eingehender Würdigung des im Jahr 1951 von der Rechtsvorgängerin der Klägerin im Rückerstattungsverfahren geschlossenen Vergleichs zu dem Ergebnis gelangt, dass durch den Vergleich der geltend gemachte Vermögensverlust in Höhe des entzogenen Aktienpakets der V. AG mit Wirkung vom 17. August 1938 (Zeitpunkt des verfolgungsbedingten Zwangsverkaufs) vollständig wieder ausgeglichen worden sei und dass eine Identität zwischen den geschädigten und dem wiedergutgemachten Vermögenswert vorliege. Durchgreifende Verfahrensrügen sind gegen die dem zugrunde liegenden Tatsachenfeststellungen nicht erhoben worden. Daran ändere auch nichts, dass sich die Brauerei als Eigentümerin des Grundstücks bereits seit 1921 in Liquidation befunden habe und unmittelbar nach Verkauf des Grundstücks als letzten Vermögenswert im Handelsregister gelöscht worden sei. Es seien keine Anhaltspunkte erkennbar, dass der Liquidationsüberschuss im Verhältnis ihrer Beteiligung nicht auch der V. AG zugeflossen und im Kapitalwert der AG enthalten sei (UA S. 9). Insgesamt gelangt das Verwaltungsgericht unter Würdigung des Inhalts des gerichtlichen Vergleichs von 1951 zu dem Ergebnis, dass Bezugspunkt dieses Vergleichs die Beteiligung an der V. AG und damit mittelbar an der Aktienbrauerei war, wie sie zum Zeitpunkt des Vermögensverlustes am 17. August 1938 bestanden hatte. Dieser Vermögensverlust habe in vollem Umfang wiedergutgemacht werden sollen. Zu dem genannten Zeitpunkt habe das Grundstück in N. noch zum Betriebsvermögen der Aktienbrauerei gehört. Folglich seien rückerstattungsrechtliche Leistungen auch für die durch das Aktienpaket vermittelte vermögensrechtliche Beteiligung an diesem Grundstück erbracht worden. Der Umstand, dass die Klägerin diese Würdigung des Verwaltungsgerichts nicht teilt, verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung.
Eine grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit der ersten beiden aufgeworfenen Rechtsfragen ergibt sich auch nicht aus dem Einwand der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe sich in dem angegriffenen Urteil von seiner eigenen früheren Rechtsprechung auf befremdliche Weise abgekehrt. Das von der Klägerin in diesem Zusammenhang in Bezug genommene Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 24. Mai 2012 - 29 K 422.10 - (juris) betrifft einen anderen Sachverhalt, in dem das Gericht bei der gebotenen Würdigung des konkreten Einzelfalls die Frage, ob bereits im Rückerstattungsverfahren eine Wiedergutmachung des nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG beanspruchten Vermögensgegenstands geleistet worden war, verneint hat (VG Berlin, Urteil vom 24. Mai 2012 - 29 K 422.10 - juris Rn. 25). Es hat darin die Annahme, der Gegenwert eines Grundstücksverkaufs von 1940 sei im Zeitpunkt der Rückgabe der Unternehmensanteile im Jahr 1969 noch im Kontoguthaben der Gesellschaft enthalten gewesen, im konkreten Fall für spekulativ gehalten und einer solchen generellen Annahme eine Absage erteilt.
b) Die weiteren Fragen der Klägerin (wer trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass bzw. ob die aus dem Grundstücksverkauf erlangte Gegenleistung noch im Unternehmen vorhanden war; wie ist im Falle eines "non liquet" zu verfahren; kann im Fall eines "non liquet" der Anspruch mit der Begründung abgelehnt werden, es seien keine Anhaltspunkte erkennbar, dass der Grundstückserlös nicht dem Unternehmen zugeflossen und im Kapitalwert der zurückgegebenen Gesellschaft enthalten gewesen sei, sowie nach welchen Kriterien wäre Letzteres zu beurteilen) rechtfertigen eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache ebenfalls nicht. Die aufgeworfenen Fragen würden sich in einem Revisionsverfahren so nicht stellen. Das Verwaltungsgericht ist in dem angegriffenen Urteil - wie ausgeführt - davon ausgegangen, dass der Vermögensverlust der Rechtsvorgängerin der Klägerin im Wiedergutmachungsverfahren durch den 1951 geschlossenen Vergleich vollständig ausgeglichen wurde und auch das in Rede stehende Grundstück in N. dem Vergleich unterfiel (UA S. 9 f.). Zweifel daran, dass der Liquidationsüberschuss im Kapitalwert der V. AG enthalten war, bestanden nicht. Für eine "non liquet"-Situation, deren rechtliche Behandlung die Klägerin mit den von ihr für grundsätzlich gehaltenen Fragen geklärt wissen möchte, fehlt es damit an einer Grundlage.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.