Entscheidungsdatum: 11.07.2017
Die Klägerin begehrt als Nacherbin des 1945 enteigneten Großherzogs von M. die Rückgabe beweglicher Sachen, die ehemals im Eigentum des Erblassers standen. Den 1992 gestellten Antrag des Vorerben auf Rückübertragung des beweglichen Vermögens lehnte das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen des Landes Mecklenburg-Vorpommern (im Folgenden: Landesamt) mit Bescheid vom 29. Mai 1995 wegen des besatzungshoheitlichen Charakters der Enteignung ab. Mit Schreiben vom 3. und 16. Februar 1995 verlangte der Vorerbe die Rückgabe von Kunstgegenständen (Anlagen 1 bis 3) und von Inventargegenständen und Kulturgütern aus dem Schloss L. (Anlagen 4 bis 6) nach dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz. Diese Anträge wurden unter Bezugnahme auf eine gütliche Einigung der Klägerin mit der Beigeladenen betreffend einen Teil des beanspruchten beweglichen Vermögens durch bestandskräftigen Bescheid des Landesamtes vom 27. Oktober 1997 beschieden. Mit Schreiben vom 9. Februar 2010, vom 25. Juli 2011, vom 29. August 2012 und vom 7. Oktober 2014 beantragte die Klägerin die Rückgabe weiterer, zwischenzeitlich von ihr ermittelter Gegenstände. Diese Anträge lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 9. Juli 2015 ab. Das Verwaltungsgericht hat der dagegen erhobenen Klage auf Neubescheidung nach Begrenzung des Begehrens auf die im Schriftsatz der Klägerin vom 28. September 2015 aufgeführten Positionen stattgegeben und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
Die Beschwerde, die sich auf eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO und auf Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO beruft, ist begründet. Zwar liegt die gerügte Divergenz nicht vor. Das angegriffene Urteil beruht aber auf einem ebenfalls geltend gemachten Verfahrensmangel.
1. Das Verwaltungsgericht hat keinen die angegriffene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz zur Wirksamkeit einer Anmeldung aufgestellt, der einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widerspräche. Die angeblichen Divergenzentscheidungen (BVerwG, Urteile vom 24. November 2004 - 8 C 15.03 - BVerwGE 122, 219, vom 3. November 2005 - 7 C 24.04 - Buchholz 428 § 30a VermG Nr. 34 und vom 28. November 2007 - 8 C 12.06 - Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 41) betreffen die Anforderungen an die Wirksamkeit einer Globalanmeldung, die sich nach der bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung von den Anforderungen an die Wirksamkeit einer Einzelanmeldung unterscheiden (BVerwG, Beschluss vom 17. Mai 2011 - 8 B 88.10 - juris Rn. 4). Das Verwaltungsgericht ist nicht von einer Globalanmeldung, sondern von einer - umfangreichen - Einzelanmeldung von beweglichen Gegenständen aus den Schlössern L. und G. ausgegangen. Es hat die Rechtssätze zweier zur Individualisierbarkeit von Einzelanmeldungen ergangenen bundesverwaltungsgerichtlichen Entscheidungen herangezogen (BVerwG, Urteile vom 5. Oktober 2000 - 7 C 8.00 - Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 21 S. 16 f. = juris Rn. 9 ff. und vom 19. Dezember 2007 - 8 C 8.07 - Buchholz 428 § 30a VermG Nr. 38. Rn. 16 f.) und teils wörtlich übernommen. Eine fehlerhafte Anwendung dieser Rechtssätze kann nicht mit der Divergenzrüge geltend gemacht werden.
2. Das angegriffene Urteil leidet aber an einem vom Beklagten gerügten Verfahrensverstoß.
a) Allerdings ist der Vorwurf aktenwidriger Feststellungen nicht berechtigt. Feststellungen sind aktenwidrig, wenn sie in offensichtlichem Widerspruch zum Inhalt der Akten stehen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht waren und von diesem ausgewertet worden sind. Offensichtlich ist der Widerspruch nur, wenn es keiner weiteren Beweiserhebung zur Klärung des Sachverhalts bedarf; er muss also frei von verbleibenden Zweifeln offen zutage liegen (BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1995 - 7 C 63.94 - Buchholz 428 § 17 VermG Nr. 1; Beschluss vom 30. Juli 2001 - 4 BN 41.01 - NVwZ 2002, 87 <88>). Daran fehlt es hier. Ob die Angaben der Klägerin zur Herkunft bestimmter Gegenstände aus dem Schloss W. zutreffen und es ausschließen, dass diese Gegenstände sich zumindest im Enteignungszeitpunkt oder spätestens im Zeitpunkt der Antragstellung entweder im Schloss L. oder im Jagdschloss G. befanden, ist nicht ohne weitere Sachverhaltsaufklärung festzustellen. Erst recht fehlt ein offenkundiger Widerspruch, soweit die Klägerin keine Angaben zur Herkunft von Gegenständen gemacht, deren Verbleib sie in früheren Anmeldeschreiben als ungeklärt bezeichnet oder zu dem sie nur Vermutungen angestellt hat.
b) Das angegriffene Urteil beruht jedoch auf der ebenfalls gerügten Verletzung des Rechts des Beklagten auf rechtliches Gehör. Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO gewährleisten, dass die Beteiligten sich zu allen entscheidungserheblichen tatsächlichen und rechtlichen Fragen äußern können. Sie verbieten, eine Gerichtsentscheidung ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt zu stützen, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem Prozessverlauf nicht rechnen musste (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 <190>; Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1934/93 - BVerfGE 96, 189 <204> und Plenumsbeschluss vom 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 - BVerfGE 107, 395 <409>; BVerwG, Beschlüsse vom 9. September 2016 - 9 B 81.15 - juris Rn. 4 und vom 20. Dezember 2016 - 8 B 41.16 - juris Rn. 7). Das wird im angegriffenen Urteil nicht berücksichtigt. Obwohl sich die Anmeldung von Ansprüchen auf Rückgabe beweglichen Vermögens nach der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts nur auf Gegenstände erstreckte, die sich als Teile des beweglichen Vermögens des Erblassers entweder (im Zeitpunkt der Antragstellung) im Schloss L. oder im Jagdschloss G. befanden oder (im Enteignungszeitpunkt) in einem dieser beiden Schlösser befunden hatten, bejaht das Urteil die wirksame Anmeldung eines Rückgabeanspruchs für sämtliche im Schriftsatz der Klägerin vom 28. September 2015 aufgezählten Gegenstände unabhängig davon, ob eine entsprechende Herkunft dieser Gegenstände belegt oder auch nur behauptet wurde. Damit musste der Beklagte auch unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht rechnen.
c) Im Übergehen der nach der Rechtsauffassung der Vorinstanz erheblichen Angaben der Klägerin zur Herkunft der Gegenstände liegt auch ein - vom Beklagten sinngemäß gerügter - Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz wegen Übergehens entscheidungserheblichen Prozessstoffs (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 17. Mai 2011 - 8 B 88.10 - juris Rn. 8).
3. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit der Zurückverweisung der Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch. Da eine Anwendung des § 113 Abs. 3 Satz 1 VwGO im zurückverwiesenen Verfahren nicht in Betracht kommt, wird dort neben dem Vorliegen einer wirksamen Anmeldung für die einzelnen im Schriftsatz vom 28. September 2015 aufgeführten Gegenstände auch deren jeweilige Einbeziehung in die besatzungshoheitliche Enteignung zu prüfen sein, die sich nicht schon zwangsläufig aus dem Aufbewahrungsort im Zeitpunkt der Anmeldung ergibt, sowie gegebenenfalls das Vorliegen der weiteren Rückgabevoraussetzungen.
4. Die Beiladung aufzuheben, bestand nach Anhörung der Beteiligten kein Anlass. Die Änderung der ministeriellen Zuständigkeit für das Staatliche Museum Schwerin lässt die Notwendigkeit der Beiladung des Landes als des Verfügungsberechtigten gemäß § 65 Abs. 2 VwGO nicht entfallen, da die Klägerin ihr Begehren nicht auf Gegenstände im Besitz des Museums beschränkt hat.