Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 11.07.2018


BVerwG 11.07.2018 - 8 B 45/17

Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsdatum:
11.07.2018
Aktenzeichen:
8 B 45/17
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2018:110718B8B45.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend VG Leipzig, 28. Juli 2017, Az: 1 K 7/16, Urteil

Gründe

1

Die Klägerin und ihr zwischenzeitlich verstorbener Ehemann waren in ehelicher Vermögensgemeinschaft Eigentümer des Grundstücks G.straße 26 in Leipzig. Die Klägerin verließ die ehemalige DDR 1988 ohne Beachtung der damals geltenden polizeilichen Meldevorschriften. Ihr Vermögen wurde daraufhin unter staatliche Verwaltung gestellt. Im gleichen Jahr beantragte ihr Ehemann die Ausreise aus der DDR. Anfang 1989 veräußerte er zusammen mit dem staatlichen Verwalter das streitgegenständliche Grundstück. Mit Bescheid vom 13. März 1996 stellte die Beklagte fest, dass der Klägerin und ihrem Ehemann wegen des Verlusts ihrer Miteigentumsanteile an dem Grundstück ein Anspruch auf Entschädigung zustehe. Der Miteigentumsanteil der Klägerin habe einer schädigenden Maßnahme nach § 1 Abs. 1 Buchst. c VermG und der ihres Ehemannes einer solchen nach § 1 Abs. 3 VermG unterlegen. Mit Bescheid vom 10. Juli 2014 nahm die Beklagte ihren Bescheid vom 13. März 1996 insoweit zurück, als der Klägerin wegen des Verlusts ihres Miteigentumsanteils an dem Grundstück ein Anspruch auf Entschädigung zuerkannt worden war. Der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 1 Buchst. c VermG habe nicht vorgelegen, weil der Verwalter den Verkauf ihres Miteigentumsanteils nicht aktiv betrieben, sondern lediglich an dem von ihrem Ehemann betriebenen Verkauf mitgewirkt habe. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Es hat ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 48 VwVfG i.V.m. § 1 SächsVwVfZG vorlägen. Insbesondere sei die Rücknahmebefugnis der Beklagten nicht verwirkt.

2

Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) und § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (Verfahrensfehler) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

3

1. Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache liegt nicht vor. Die Grundsatzrüge setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14).

4

Die Klägerin hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam, ob eine von der Verwaltung zu vertretende (überlange) Verfahrensdauer, d.h. wie hier von 18 Jahren, für sich genommen bereits zur Verwirkung des Rechts auf Rücknahme führen kann. Sie meint, die Klärung dieser Frage diene der einheitlichen Anwendung des § 48 Abs. 4 VwVfG.

5

Der von der Klägerin aufgeworfenen Frage kommt rechtsgrundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht zu. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, unter welchen Voraussetzungen eine Rücknahme- oder Widerrufsbefugnis verwirkt sein kann. Voraussetzung ist jeweils, dass die Behörde die Ausübung ihres Rechts unter Verstoß gegen Treu und Glauben während eines langen Zeitraumes verzögert hat, und dass der Bürger als Folge dieses Verhaltens darauf vertraut hat, von der Befugnis werde kein Gebrauch gemacht, und sich darauf eingerichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 14. Dezember 1989 - 3 C 30.87 - Buchholz 418.21 ApBO Nr. 11 = juris Rn. 14, vom 20. Dezember 1999 - 7 C 42.98 - Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 97 = juris Rn. 28, vom 20. September 2001 - 7 C 6.01 - Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 103 = juris Rn. 15 und vom 18. August 2010 - 8 C 39.09 - Buchholz 428 § 32 VermG Nr. 2 Rn. 33; Beschlüsse vom 4. August 1993 - 3 B 7.93 - juris Rn. 6, vom 17. August 2011 - 3 B 36.11 - juris Rn. 5 und vom 29. August 2014 - 4 B 1.14 - juris Rn. 9). Insoweit ist auch geklärt, dass alleine der Ablauf eines bestimmten Zeitraumes für die Annahme einer Verwirkung nicht ausreicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 1999 a.a.O.; Beschlüsse vom 4. August 1993 a.a.O. und vom 12. Juli 2006 - 8 B 14.06 - juris Rn. 3 m.w.N.). Erneuten oder weiteren Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.

6

2. Die Klägerin hat auch keinen Verfahrensmangel gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3, § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO bezeichnet. Sie meint, das Verwaltungsgericht habe den Inhalt der Verwaltungsakten nicht bzw. nicht vollständig zur Kenntnis genommen. Nach Aktenlage habe die Beklagte sich im Zeitraum 1996 bis 2003 intensiv mit den streitgegenständlichen Akten befasst und nicht nur eine "Sichtung" der Akten vorgenommen, wie das Verwaltungsgericht ausgeführt habe. Diese Argumentation führt insbesondere nicht auf einen Verstoß gegen § 108 Abs. 1 VwGO. Die Verfahrensrüge aktenwidriger Sachverhaltsfeststellung setzt die schlüssig vorgetragene Behauptung voraus, zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt bestehe ein offensichtlicher Widerspruch (BVerwG, Beschluss vom 8. Mai 2017 - 5 B 39.16 - juris Rn. 14). Einen solchen Widerspruch hat die Klägerin nicht aufgezeigt. Sie setzt vielmehr lediglich ihre Einschätzung über die Einordnung des Umfangs und der Qualität der Verfahrenshandlungen in den Jahren 1996 bis 2003 gegen diejenige des Verwaltungsgerichts, ohne näher zu erläutern, warum die Würdigung des Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht den tatrichterlichen Wertungsrahmen verlassen haben soll.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.