Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 12.07.2018


BVerwG 12.07.2018 - 8 B 43/17

Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsdatum:
12.07.2018
Aktenzeichen:
8 B 43/17
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2018:120718B8B43.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend VG Berlin, 31. August 2017, Az: 29 K 360.15, Urteil

Gründe

1

Die Kläger begehren eine höhere vermögensrechtliche Berechtigtenfeststellung und Entschädigungsberechtigung dem Grunde nach bezüglich ihrer Beteiligung an der ehemaligen M. E. AG. Von der nach dem Tod des Unternehmensgründers und Vorfahren der Kläger M. E. 1924 an Kinder und Enkel vererbten Beteiligung wurde ein Anteil von rund 23 % - nominell 185 000 RM - 1936 durch Übertragung an ein arisches Familienmitglied und 1937 durch Verkauf an die Deutsche Bank AG arisiert. Die Beklagte hat eine Berechtigung der Erbengemeinschaft nach einem der Enkel von M. E., G. H., in Höhe von nominell 80 000 RM und insoweit einen Entschädigungsanspruch dem Grunde nach festgestellt. Den Antrag der Kläger auf Berechtigtenfeststellung und Entschädigung wegen des Verlusts von Beteiligungen, die M. E. an seine Töchter P. S. und L. H. sowie an seine Enkel vererbt hatte, hat die Beklagte mit Ausnahme der Beteiligung von G. H. abgelehnt.

2

Das Verwaltungsgericht hat die auf Feststellung weitergehender Berechtigungen der Kläger gerichtete Klage abgewiesen. Der Verlust des Alleineigentums von G. H. an einer weiteren Beteiligung in Höhe von nominell 105 000 RM sei nicht nachgewiesen. Insoweit greife die Eigentumsvermutungswirkung des § 1006 Abs. 2 BGB nicht ein, weil ein dafür erforderlicher Eigenbesitz des G. H., der die Verkaufsverhandlungen im Zusammenhang mit der Arisierung auch für das Familienkonsortium geführt habe, nicht festgestellt werden könne. Außerdem hätten die Kläger nicht nachgewiesen, dass die von M. E. ererbten Beteiligungen von L. H. und zweier Enkelinnen im maßgeblichen Zeitpunkt der Vermögensschädigung noch in deren Alleineigentum gestanden hätten. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.

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Die hiergegen gerichtete, auf sämtliche Revisionszulassungsgründe gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

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1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) im Hinblick auf die von den Klägern geltend gemachte Abweichung des angegriffenen Urteils von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zuzulassen. Zwar kann die Abweichung des angegriffenen Urteils von einer Entscheidung eines anderen obersten Bundesgerichts auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache führen (BVerwG, Beschluss vom 18. Januar 2006 - 6 B 73.05 - juris Rn. 3). Die behauptete Divergenz zu den Urteilen des Bundesgerichtshofs vom 19. Januar 1994 - IV ZR 207/92 (NJW 1994, 939) und vom 4. Februar 2002 - II ZR 37/00 (NJW 2002, 2101) ist aber nicht gegeben.

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Beiden von ihnen angeführten Urteilen des Bundesgerichtshofs lag die tatbestandliche Feststellung eines unmittelbaren Besitzes an der streitbefangenen Sache zugrunde. Daraus hat der Bundesgerichtshof jeweils gefolgert, dass an den Besitzerwerb gemäß § 1006 Abs. 1 und 2 BGB auch die Vermutung des Erwerbs des Eigenbesitzes und des Eigentums an der Sache geknüpft sei. Davon weicht das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht ab. Es stellt weder in der von den Klägern bezeichneten Passage auf Seite 11 noch sonst einen dem abstrakten Rechtssatz der Vermutung von Eigenbesitz und Eigentum eines unmittelbaren Besitzers entgegenstehenden abstrakten, entscheidungstragenden Rechtssatz auf. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts greift die Vermutungswirkung des § 1006 Abs. 2 BGB zugunsten des Eigentums eines Besitzers nicht ein, wenn der Erwerb von Eigenbesitz nicht festgestellt werden kann. Zur Vermutung des Eigenbesitzes aufgrund des Erwerbs des unmittelbaren Besitzes gemäß § 1006 Abs. 1 BGB, die nach Auffassung der Kläger bei G. H. eingriff, verhält es sich nicht und stellt insoweit keinen abstrakten Rechtssatz auf. Eine lediglich unzutreffende Rechtsanwendung im Einzelfall könnte die Revisionszulassung wegen Divergenz nicht veranlassen. Das Verwaltungsgericht hat im Übrigen auch in tatsächlicher Hinsicht nicht ausdrücklich festgestellt, dass G. H. vor dem Verkauf unmittelbaren Besitz an der Aktienbeteiligung erworben hatte, auch wenn dies aufgrund der Verwaltung der Beteiligung und der zwischenzeitlichen Übertragung an seine arische Ehefrau eine naheliegende Möglichkeit war.

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2. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts weicht nicht von dem in der Beschwerdebegründung genannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. April 2002 - 8 C 9.01 - (Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 65) ab.

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Das Bundesverwaltungsgericht hat in der von der Klägerin bezeichneten Urteilspassage den abstrakten Rechtssatz aufgestellt, der Wille, die Sache wie ein Eigentümer zu beherrschen, mache den Besitz zum Eigenbesitz. Die Behauptung des Besitzers, Eigentümer zu sein, belege ohne Weiteres seinen Eigenbesitzwillen. Die Beschwerde legt nicht dar, dass das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung einen hiervon abweichenden abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hätte. Das angegriffene Urteil geht davon aus, dass die Feststellung eines Eigenbesitzes Voraussetzung der Eigentumsvermutung nach § 1006 Abs. 2 BGB sei, hier aber der Nachweis eines Eigenbesitzes von G. H. an der streitgegenständlichen, an die Deutsche Bank AG verkauften Aktienbeteiligung nicht geführt worden sei. Soweit die Kläger geltend machen, G. H. habe behauptet, Eigentümer und damit Eigenbesitzer der Aktien gewesen zu sein, und soweit sie meinen, sein Eigenbesitz sei nach § 1006 Abs. 1 BGB zu vermuten, kritisieren sie lediglich die Rechtsanwendung des Gerichts im Einzelfall. Das Verwaltungsgericht hat außerdem in Würdigung der ihm vorliegenden Erklärungen nicht festgestellt, dass G. H. behauptet hat, Eigentümer der Beteiligung (gewesen) zu sein. Vielmehr hat es aus der Darstellung G. H.s in dessen eidesstattlicher Erklärung vom 18. März 1958 und dessen Schreiben vom 15. Juli 1937 an die Deutsche Bank AG abgeleitet, dass seine Angaben in sich widersprüchlich seien, aber insgesamt dafür sprächen, dass er selbst vom Eigentum des Familienkonsortiums an der Beteiligung ausgegangen sei, für die er die Verkaufsverhandlungen geführt habe.

8

Das Verwaltungsgericht ist auch nicht von dem abstrakten Rechtssatz in dem genannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen, dass ein nachgewiesener Eigenbesitz gemäß § 1006 Abs. 2 BGB eine widerlegliche Eigentumsvermutung nach sich ziehe. Da nach seiner tatsächlichen Feststellung schon kein Eigenbesitz G. H.s an der Beteiligung nachgewiesen war, soweit sie die zwischen den Beteiligten unstreitige Höhe von nominell 80 000 RM überstieg, hat es sich mit der Eigentumsvermutung als Rechtsfolge eines Eigenbesitzes weder in abstrakter Hinsicht noch bezogen auf den Einzelfall befasst, sondern schon ihre Voraussetzung verneint.

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3. Schließlich bleiben auch die Rügen der Kläger zum Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) erfolglos.

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Soweit die Kläger die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts hinsichtlich des Eigentums von L. H. an deren ursprünglich ererbter Aktienbeteiligung im maßgeblichen Zeitpunkt der Vermögensschädigung kritisieren, gehen sie selbst im Ergebnis nicht vom Vorliegen eines Verfahrensmangels aus. Mit ihrer weiteren Rüge, das Verwaltungsgericht habe die in dem Schreiben von G. H. vom 25. Juli 1937 (zitiert in dem Schreiben der Deutschen Bank AG an die JCC vom 18. November 2010) angesprochene Schenkung von Aktien aus "dessen Besitz" an seine Ehefrau nicht zur Kenntnis genommen, machen sie in der Sache die Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) geltend. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nur verletzt, wenn das Gericht entscheidungserhebliches Vorbringen der Beteiligten nicht in ausreichendem Maße zur Kenntnis genommen und sich mit ihm nicht in der gebotenen Weise auseinandergesetzt hat (BVerwG, Beschluss vom 27. April 2012 - 8 B 7.12 - juris Rn. 2). Das ist hier nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat sich mit der betreffenden Passage des Schreibens ausdrücklich auseinandergesetzt, ihr jedoch gegenüber den aus seiner Sicht stärkeren tatsächlichen Anhaltspunkten für einen Besitz des Familienkonsortiums an der streitgegenständlichen Beteiligung kein maßgebliches Gewicht beigemessen.

11

Auch die in der Sache als verfahrensfehlerhaft gerügte Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes wegen Widersprüchlichkeit der tatsächlichen Bewertung des Verwaltungsgerichts, wonach sowohl ein Erwerb u.a. der Beteiligung von L. H. durch G. H. als auch deren Eigentum an ihrer ursprünglich ererbten Aktienbeteiligung im maßgeblichen Schädigungszeitpunkt nicht nachgewiesen seien, wird in der Beschwerdebegründung nicht hinreichend dargelegt. Die Kläger führen in ihrer Beschwerde nicht aus, warum aus der Feststellung, ein Erwerb von Beteiligungen durch G. H. über seinen ursprünglichen Aktienbestand von nominell 80 000 RM hinaus sei nicht nachgewiesen, zur Vermeidung eines inhaltlichen Widerspruchs zwingend darauf hätte geschlossen werden müssen, dass L. H. als eine der weiteren Familienmitglieder im Schädigungszeitpunkt noch unverändert über ihre ursprünglich ererbte Beteiligung verfügte. Ein solcher Zusammenhang lag angesichts der vom Verwaltungsgericht gewürdigten Erklärungen von G. H., in denen die an die Deutsche Bank AG verkaufte Beteiligung rechnerisch nicht vollständig aufgeschlüsselt ist, auch nicht auf der Hand.

12

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.