Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 26.01.2010


BVerwG 26.01.2010 - 8 B 43/09

Vorliegen tatsächlicher Voraussetzungen für einen redlichen Erwerb


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsdatum:
26.01.2010
Aktenzeichen:
8 B 43/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend VG Chemnitz, 12. Dezember 2008, Az: 4 K 1479/01, Urteil
Zitierte Gesetze

Tenor

Die Beschwerde der Beigeladenen zu 2 und 3 gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 12. Dezember 2008 wird zurückgewiesen.

Die Beigeladenen zu 2 und 3 tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1, die diese selbst trägt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 220 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von den Beigeladenen zu 2 und 3 geltend gemachten Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO liegen nicht vor.

2

1. Die Divergenzrüge gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO greift nicht durch. Die Beschwerde hat nicht dargelegt, mit welchem das angefochtene Urteil unmittelbar tragenden abstrakten Rechtssatz das Verwaltungsgericht von eben einem solchen Rechtssatz in den genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen sein soll. Insbesondere hat das Verwaltungsgericht keinen Rechtssatz aufgestellt, der den im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Februar 2001 - BVerwG 8 C 10.00 - niedergelegten Rechtssätzen widerspricht. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht den Entscheidungsgründen einen mit diesem Urteil konformen Rechtssatz vorangestellt. Er lautet: „Hierbei gilt der Grundsatz, dass dann, wenn sich nicht abschließend aufklären lässt, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für einen redlichen Erwerb gegeben sind, ein anspruchsausschließender Erwerb nicht angenommen werden kann. Dies gilt allerdings nur dann, wenn überhaupt greifbare Anhaltspunkte für eine mögliche Unredlichkeit des Erwerbers bestehen, die aber für sich allein genommen zur Überzeugungsbildung noch nicht ausreichen.“ (UA S. 8 oben). Diese Formulierung entspricht nahezu wörtlich dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Januar 2000 - BVerwG 7 C 39.98 - und den vorausgegangenen Beschlüssen vom 16. Oktober 1995 - BVerwG 7 B 163.95 - (Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 22) und vom 2. November 1998 - BVerwG 8 B 211.98 - (Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 59). Mit ihren Ausführungen versucht die Beschwerde, nach Art einer Berufungsbegründung, die Rechtsausführungen des Verwaltungsgerichts anzugreifen, was aber zur Begründung einer Divergenzrüge nicht ausreicht.

3

2. Erfolglos bleibt auch die erhobene Verfahrensrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

4

Soweit die Beschwerdeführer geltend machen, das Verwaltungsgericht sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass in der DDR nach § 8 Abs. 2 der Wohnraumlenkungsverordnung vom 14. September 1967 die Mitwirkung der Wohnungskommission unter anderem „bei der Prüfung der Zuweisungsanträge und für die Unterbreitung eines Vergabevorschlages“ obligatorisch gewesen sei, rügen sie keine Verletzung einer Verfahrensvorschrift im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, also einer für das verwaltungsgerichtliche Verfahren maßgeblichen Regelung des Prozessrechts.

5

Soweit die Beschwerde mit dem Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe unter Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO keine hinreichenden Aufklärungen für seine Feststellungen getroffen, dass die Beschwerdeführer mit ihrer vor dem Wohnungstausch zusammen mit einem Kind bewohnten Vier-Zimmer-Wohnung - Plattenbau - bereits "überversorgt" gewesen seien und dass eine Wohnraumzuweisung für das Einfamilienhaus vom 27. März 1979 nicht vorliege, ist die Verfahrensrüge unzulässig, weil sie nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 VwGO entspricht. Bei einem behaupteten Verstoß gegen das Amtsermittlungsgebot (§ 86 Abs. 1 VwGO) muss substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären; weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. Beschluss vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B 81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265).

6

Diesen Anforderungen wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.

7

Hinsichtlich der behaupteten Aufklärungsbedürftigkeit der für die Wohnraumvergabe in Karl-Marx-Stadt maßgeblichen besonderen Vergabekriterien ("Belegungsnormative") wird in der Beschwerde jedenfalls nicht dargelegt, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Ebenso wird weder dargelegt noch ist ersichtlich, dass bereits im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen.

8

Soweit die Beschwerdeführer rügen, der Notar sei zu Unrecht nicht als Zeuge dazu vernommen worden, ob die Wohnraumzuweisung vom 27. März 1979 beim Kaufvertragsabschluss tatsächlich vorgelegen habe, ist nicht ersichtlich, dass sie einen entsprechenden Beweisantrag in der ersten Instanz gestellt haben, obwohl das Verwaltungsgericht ausdrücklich auf die fehlende Auffindbarkeit der Wohnraumzuweisung vom 27. März 1979 hingewiesen hatte. Die anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer haben auch keine Umstände dafür dargetan, dass sich eine Vernehmung des Notars - ohne Beweisantrag - dem Verwaltungsgericht aufdrängen musste. Dagegen spricht im Übrigen, dass das Verwaltungsgericht auf Grund der bei den Akten befindlichen Wohnraumzuweisung vom 1. November 1979 auf Grund der von ihm gewürdigten Gesamtumstände offenbar zu der Schlussfolgerung gelangt ist, dass für dasselbe Wohnobjekt keine weitere Zuweisung bestanden habe und dass der Hinweis in dem notariellen Kaufvertrag vom 20. September 1979 auf eine am 27. März 1979 erfolgte Zuweisung angesichts der Gesamtumstände nicht der Wahrheit entsprach, zumal im Schreiben der VEB Gebäudewirtschaft an den Rat des Stadtbezirks Süd vom 19. März 1979 u.a. mitgeteilt worden war, dass den Beschwerdeführern vom Stadtbezirk Süd die Wohnraumzuweisung bereits zu diesem Zeitpunkt erteilt gewesen sei, was wiederum - in einer weiteren Version - von den Angaben im notariellen Kaufvertrag abwich.

9

Auch soweit die Beigeladenen im Hinblick auf die Umstände des Wohnungstausches vom 12. Februar 1979 die unterbliebene Vernehmung der Zeugen N. und Sch. als Aufklärungsmangel rügen, wird in der Beschwerde jedenfalls nicht dargelegt, dass sie im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht einen diesbezüglichen Beweisantrag gestellt haben oder aus welchem Grund sich dem Gericht die Notwendigkeit der Zeugenvernehmung von sich aus hätte aufdrängen müssen.

10

Soweit die Beschwerdeführer das Unterbleiben weiterer gerichtlicher Feststellungen zu den Umständen und Hintergründen der am 22. Oktober 1979 erfolgten grundbuchrechtlichen Eintragung des Nutzungsrechts rügen, legen sie mit ihrer Beschwerde weder dar, welche weiteren gerichtlichen Aufklärungsmaßnahmen in Betracht gekommen wären noch welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Auch ist wiederum nicht ersichtlich, dass sie bereits im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme einer diesbezüglichen Sachverhaltsaufklärung hingewirkt haben oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen.

11

Gleiches gilt hinsichtlich des Vortrages der Beschwerdeführer, das Verwaltungsgericht habe keine hinreichenden Feststellungen zum Einbau der Warmwasserheizung  und den daraus von ihm gezogenen rechtlichen Schlussfolgerungen getroffen. Soweit die Beschwerdeführer sich sinngemäß gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts wenden, dass ein bereits vor der Grundstücksverkehrsgenehmigung und der Verleihung des dinglichen Nutzungsrechts vorgenommener Einbau einer Warmwasserheizung (Rechnung vom 25. September 1979)  gegen die Redlichkeit des Erwerbs spreche, legen sie insbesondere nicht dar, welche Beweismittel das Verwaltungsgericht zur Feststellung der von ihnen angeführten Verwaltungspraxis hätte nutzen müssen sowie welche entscheidungsrelevanten tatsächlichen Feststellungen bei Vernehmung der von ihnen angeführten Zeugen Sch. und N. voraussichtlich getroffen worden wären. Die Zeugen Sch. und N. sind von den Beschwerdeführern lediglich als Zeugen dafür benannt worden, dass die letzte Mieterin des Hauses Ende Juni 1979 ausgezogen sei.

12

Soweit die Beschwerdeführer sinngemäß einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO rügen, hat ihre Beschwerde ebenfalls keinen Erfolg.

13

Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Tatsachengericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Diese Pflicht verletzt es dann, wenn es seiner Entscheidung den ermittelten Sachverhalt unrichtig oder unvollständig zugrunde legt (vgl. dazu Urteile vom 2. Februar 1984 - BVerwG 6 C 134.81 - BVerwGE 68, 338 = Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 145 und vom 25. März 1987 - BVerwG 6 C 10.84 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183). § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO verlangt zudem, dass im Urteil die Gründe angegeben werden, die für die richterliche Überzeugungsbildung leitend gewesen sind. Wie umfangreich und detailliert dies zu geschehen hat, lässt sich nicht abstrakt umschreiben. Im Allgemeinen genügt es, wenn der Begründung entnommen werden kann, dass das Gericht eine vernünftige und der jeweiligen Sache angemessene Gesamtwürdigung und Beurteilung vorgenommen hat (Beschluss vom 12. Juli 1999 - BVerwG 9 B 374.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 43). Das Tatsachengericht muss das Ergebnis seiner Würdigung in den Entscheidungsgründen in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise darlegen. Es verstößt gegen § 108 Abs. 1 VwGO, wenn es gewichtige Tatsachen oder Tatsachenkomplexe in den Entscheidungsgründen übergeht.

14

Das Vorbringen der Beschwerdeführer lässt eine Verletzung dieser rechtlichen Vorgaben nicht erkennen.

15

Soweit die Beschwerdeführer rügen, die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass bereits vor dem notariellen Kaufvertrag vom 20. September 1979 das Nutzungsrecht an dem Grundstück eingeräumt worden sei (S. 10, letzter Absatz der Urteilsgründe), stehe im Widerspruch zum Akteninhalt und zu den eigenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts, liegt offenbar ein Fehlverständnis vor. Das Verwaltungsgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass die "Nutzungsurkunde" vom 12. Oktober 1979 datiert und dass die Eintragung des Nutzungsrechts in das Grundbuch am 22. Oktober 1979 vorgenommen wurde, also jeweils nach dem Kaufvertrag vom 20. September 1979. Mit der gerügten Formulierung hat das Verwaltungsgericht ersichtlich zum Ausdruck bringen wollen, dass das Nutzungsrecht rückwirkend zum 1. Juli 1979 und damit auf einen Zeitpunkt vor Abschluss des Kaufvertrages eingeräumt wurde, was auch die Beschwerdeführer nicht in Zweifel ziehen.

16

Soweit die Beschwerdeführer die Würdigung der Aussage der Zeugin K. durch das Verwaltungsgericht angreifen und auch insoweit einen Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO geltend machen, führt dies ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision. (Vermeintliche) Fehler in der Beweiswürdigung des Tatsachengerichts sind regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen und können daher einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht begründen. Eine Ausnahme kommt bei einer aktenwidrigen, gegen die Denkgesetze verstoßenden oder sonst von objektiver Willkür geprägten Beweiswürdigung in Betracht (vgl. u.a. Beschluss vom 22. Mai 2008 - BVerwG 9 B 34.07 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 65 S. 29 f. m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Insbesondere ist entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer keine Aktenwidrigkeit gegeben. Das Verwaltungsgericht hat mit der „bevorzugten Behandlung“ der Eintragung des Nutzungsrechts in diesem Zusammenhang allein auf den zeitlichen Aspekt („die Eintragung sofort vorzunehmen“) abgestellt, den es der Aussage der Zeugin entnommen hat. Diesen zeitlichen Aspekt räumen auch die Beschwerdeführer ein (S. 9 der Beschwerdebegründung).

17

Die Darlegungen der Beschwerdeführer, dass die vom Verwaltungsgericht herangezogenen Indizien keine Hinweise auf die Absicht ergäben, den Erwerbsvorgang gezielt zu beeinflussen, und dass das Verwaltungsgericht sich nicht mit den subjektiven Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Buchst. a VermG befasst habe, betreffen keine Verfahrensfehler, sondern gehören zur materiell-rechtlichen Beurteilung des Falles.

18

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 47, 52 GKG.