Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 04.08.2016


BVerwG 04.08.2016 - 8 B 31/15

Entschädigungsberechtigung; Anspruch auf Bruchteilsrestitution


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsdatum:
04.08.2016
Aktenzeichen:
8 B 31/15
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2016:040816B8B31.15.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend VG Berlin, 3. September 2015, Az: 29 K 168.13, Urteil
Zitierte Gesetze
Art 3 REAO BE

Gründe

1

Die Klägerin, deren Berechtigung wegen der nationalsozialistischen Entziehung ihres Unternehmens durch Zwangsveräußerung ihres Dresdner und Berliner Bankgeschäfts nebst mitverkaufter Unternehmensbeteiligungen - unter anderem einer Aktienbeteiligung an der M. AG in Höhe von 13,936 % - bestandskräftig festgestellt ist, macht die Entziehung weiterer Aktien dieser Gesellschaft im Zeitraum bis 1941 geltend. Sie begehrt die Feststellung ihrer Entschädigungsberechtigung sowie eines Anspruchs auf Bruchteilsrestitution damaliger und mit Mitteln des Unternehmens hinzuerworbener Betriebsgrundstücke der M. AG wegen der Entziehung einer Aktienbeteiligung in Höhe von insgesamt 38,92 % statt der zuerkannten 13,936 %. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.

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Die dagegen erhobene Beschwerde, die sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO beruft und Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend macht, hat keinen Erfolg.

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1. Die Beschwerdebegründung wirft keine höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts auf, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukäme.

4

Die von der Klägerin für klärungsbedürftig gehaltene Frage:

"Überspannt es die Beweisanforderungen, wenn von einem jüdischen Antragsteller, der die Beteiligung an einem Unternehmen in den Jahren 1933-1936 nachgewiesen hat und Unterlagen vorgelegt hat, dass diese Beteiligung im Jahre 1938 auf ein anderes Unternehmen übertragen wurde und in der Aufstellung der eigenen Effekten und Beteiligungen aus dem Jahre 1941 nicht mehr vorhanden war, verlangt wird, den konkreten Entzugsakt nachzuweisen?",

würde sich im angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen, weil sie von anderen Tatsachen und rechtlichen Annahmen ausgeht als das angegriffene Urteil.

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Entgegen der Darstellung der Klägerin hat das Verwaltungsgericht nicht festgestellt, dass "diese Beteiligung", nämlich ihre gesamte "in den Jahren 1933-1936" gehaltene Beteiligung, 1938 auf ein anderes Unternehmen übertragen wurde. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht aufgrund seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung die konkrete Möglichkeit bejaht, dass ein Teil der Aktien der Klägerin an der M. AG erfolgreich treuhänderisch auf andere Personen übertragen und so vor der Entziehung mittels "Arisierung" bewahrt wurde. Seine Einschätzung stützt sich auf das Klagevorbringen zur Entwicklung der Beteiligung an der M. AG, unter anderem auf den Vortrag zur Verringerung der in den Generalversammlungen von der Klägerin selbst repräsentierten Aktienanteile seit 1933 und der gleichzeitig zunehmenden Repräsentation von Aktienanteilen durch ihren Syndikus Dr. R. und zwei ihrer Prokuristen, Konsul v. F. und Dr. K. So führt das angegriffene Urteil aus, die von der Klägerin mit Vertrag vom 2. Dezember 1935 im eigenen Namen veräußerten Vorzugsaktien dürften bei den vorhergehenden Generalversammlungen vom Syndikus der Klägerin, Dr. R., als Treuhänder gehalten worden sein.

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In rechtlicher Hinsicht hat das Verwaltungsgericht nicht verlangt, den konkreten Akt nachzuweisen, mit dem die 1941 nicht mehr in der Effekten- und Beteiligungsliste der Klägerin verzeichneten Aktien der M. AG entzogen wurden. Es hat das Tatbestandsmerkmal des Vermögensverlustes gemäß § 1 Abs. 6 des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz - VermG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 9. Februar 2005 (BGBl. I S. 205), zuletzt geändert durch Art. 587 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474), auch nicht - unzutreffend - auf rechtsgeschäftliche Entziehungen reduziert, sondern lediglich darauf hingewiesen, dass die Vermutungsregel des § 1 Abs. 6 VermG i.V.m. Art. 3 REAO zwar für die Verfolgungsbedingtheit des rechtsgeschäftlich (oder durch Aufgabe des Vermögenswertes) herbeigeführten Vermögensverlustes gilt, nicht aber für das Vorliegen eines solchen (oder durch Enteignung oder "auf andere Weise" herbeigeführten) Vermögensverlustes selbst (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Juni 2002 - 7 C 28.01 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 16 S. 74 und vom 31. August 2006 - 7 C 16.05 - Buchholz 428 § 31 VermG Nr. 12 Rn. 17 und 19; Beschlüsse vom 29. Juli 2005 - 7 B 21.05 - juris Rn. 3, vom 16. Dezember 2010 - 8 B 17.10 - ZOV 2011, 81 Rn. 11 und vom 30. Juni 2014 - 8 B 94.13 - ZOV 2014, 174 Rn. 5). Deshalb hat das Verwaltungsgericht geprüft, ob ein vollständiger und endgültiger Verlust der geltend gemachten höheren Aktienbeteiligung von weiteren (mindestens) 25 % durch den vorgelegten Brief des F. M. vom 10. April 1964 und die in das Verfahren eingeführten Indizien nachgewiesen wurde. Es hat dies verneint, weil es aufgrund seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung für nicht ausgeschlossen hielt, dass die Aktienbeteiligung im Zeitraum bis 1941 auf eine Weise aus dem Aktienbestand der Klägerin ausgeschieden war, die keinen vollständigen und endgültigen Vermögensverlust im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG herbeiführte. Für möglich hält das Verwaltungsgericht insbesondere eine erfolgreiche treuhänderische Übertragung der Aktien. In diesem Zusammenhang weist es darauf hin, dass die Herren v. F. und Dr. K., die als Vertreter der Klägerin in den Aufsichtsrat der M. AG berufen worden waren und nach dem Klagevorbringen in den Generalversammlungen 1934 und 1935 erhebliche Stammaktienanteile repräsentierten - ihre Aufsichtsratsmandate auch 1938 noch innehatten - ohne dass erkennbar sei, ob sie als loyale Treuhänder der Klägerin handelten oder nunmehr deren "Arisierung" durch die D. Bank unterstützten.

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Der Vortrag, das Verwaltungsgericht habe nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises einen verfolgungsbedingten Vermögensverlust bejahen müssen, geht mit der Annahme, der Vermögensverlust "als solcher" sei für die geltend gemachte höhere Beteiligung belegt, wiederum von anderen Tatsachen aus als das angegriffene Urteil. Dabei kritisiert die Klägerin die verwaltungsgerichtliche Beweiswürdigung, ohne eine klärungsbedürftige revisible, fallübergreifende Rechtsfrage zum Anscheinsbeweis aufzuwerfen.

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2. Die mit der Beschwerde gerügten Verfahrensmängel liegen, soweit sie substantiiert gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt wurden, ebenfalls nicht vor. Das angegriffene Urteil verletzt weder den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO noch die gerichtliche Pflicht zur Amtsaufklärung gemäß § 86 Abs. 1 VwGO.

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a) Zu Unrecht meint die Klägerin, das Verwaltungsgericht habe ihr die Möglichkeit zu weiterem entscheidungsrelevanten Sachvortrag genommen, weil es seine Bedenken gegen die Beweiskraft des Schreibens des F. M. vom 10. April 1964 im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht ausreichend erörtert habe. Die Gewährleistung rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht nicht, grundsätzlich vor der Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinzuweisen. Ein Hinweis ist nur erforderlich, wenn ein Beteiligter bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt nicht zu erkennen vermag, auf welchen Vortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Das ist nicht der Fall, wenn ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens damit rechnen musste, dass ein rechtlicher Gesichtspunkt für die Entscheidung erheblich sein könnte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 <190>, Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1934/93 - BVerfGE 96, 189 <204> und Plenumsbeschluss vom 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 - BVerfGE 107, 395 <409>). Hier musste ein solcher Prozessbeteiligter auch ohne gerichtlichen Hinweis in Betracht ziehen, dass dem Beweiswert des Schreibens des F. M. vom 10. April 1964 wegen seiner Äußerung zum Übergang der Sperrminorität an der M. AG auf die D. Bank streitentscheidende Bedeutung zukommen konnte. Naheliegend war ebenfalls, dass der Beweiswert dieses Schreibens wegen des großen zeitlichen Abstands zur Schädigung, wegen der Auslegungsfähigkeit seiner Formulierungen sowie mangels Hinweisen auf eine unmittelbare Beteiligung des Verfassers am streitigen Geschehen bezweifelt werden könnte. Selbst ohne ausführliche gerichtliche Erörterung bestand daher für die Beteiligten Anlass, mögliche Bedenken gegen die Aussagekraft des Schreibens und dessen Beweiswert aufzugreifen und dazu Stellung zu nehmen.

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b) Eine Verletzung der gerichtlichen Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen gemäß § 86 Abs. 1 VwGO ist dem Beschwerdevorbringen nicht zu entnehmen. Ein förmlicher Beweisantrag gemäß § 86 Abs. 2 VwGO, den als Zeugen benannten Adressaten des Schreibens vom 10. April 1964 zu vernehmen, wurde im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nicht gestellt. Die Beschwerdebegründung legt auch nicht dar, weshalb sich die Zeugenvernehmung dem Verwaltungsgericht ohne einen solchen Antrag hätte aufdrängen müssen. Dazu wäre nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO im Einzelnen darzulegen gewesen, welche aus der materiell-rechtlichen Sicht des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblichen Beweisfragen dem Zeugen hätten gestellt werden müssen, welche Aussagen seine Vernehmung voraussichtlich erbracht hätte und inwieweit diese zu einer für die Klägerin günstigeren Entscheidung hätten führen können (vgl. BVerwG, Urteile vom 12. Februar 1998 - 3 C 55.96 - BVerwGE 106, 177 <182> und vom 20. April 2004 - 1 C 13.03 - BVerwGE 120, 298 <303>). Die pauschale Behauptung, die Beweiserhebung hätte die Richtigkeit des Inhalts des Schreibens ergeben, reicht dazu nicht aus.

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c) Der Vortrag der Klägerin, der Verfasser des Schreibens habe keine genaue Kenntnis oder Erinnerung an den Aktienbesitz haben müssen, da der Begriff der Sperrminorität jeden Aktienbestand von mehr als 25 % und weniger als 50 % der Aktien bezeichne, ist ebenso wie das weitere Vorbringen der Klägerin zur Beweiswürdigung ungeeignet, einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) oder einen anderen Verfahrensmangel darzutun. Ihre Einwände lassen unberücksichtigt, dass der Prüfung von Verfahrensmängeln die materiell-rechtliche Rechtsauffassung der Vorinstanz zugrunde zu legen ist. Danach setzte die begehrte Berechtigtenfeststellung wegen einer höheren Anteilsschädigung den Nachweis des vollständigen und endgültigen Verlustes bestimmter weiterer, nicht in die bestandskräftige Berechtigtenfeststellung einbezogener Aktien der M. AG voraus. Das Vorliegen eines solchen Nachweises verneint das Verwaltungsgericht nicht etwa, weil es einen Übergang der Sperrminorität auf die D. Bank im Jahr 1938 in Abrede gestellt hätte. Es geht vielmehr davon aus, die D. Bank habe seit 1935 teils unmittelbar, teils über ihr Tochterunternehmen, die B. GmbH, die Kontrolle über die ursprünglich mehrheitlich von der Klägerin gehaltene M. AG gewonnen. Das Verwaltungsgericht hält aber nicht für erwiesen, dass der Erwerb der dazu erforderlichen Aktien durch die D. Bank auf eine Entziehung weiterer, eine Beteiligung von 13,936 % übersteigender Aktien der Klägerin an der M. AG zurückzuführen war. Nach seiner Beweiswürdigung liefern die festgestellten Tatsachen keine Informationen zum Schicksal einer solchen, über den bestandskräftig festgestellten Umfang hinausgehenden Beteiligung zwischen 1933 und 1941; sie lassen weder auf deren Entziehung schließen, noch erlauben sie, eine solche Entziehung im Umkehrschluss daraus zu folgern, dass jede nicht als Vermögensverlust der Klägerin zu qualifizierende Übertragung solcher Aktien auszuschließen wäre. Vielmehr hält das Verwaltungsgericht es für möglich, dass die Klägerin einen vollständigen und endgültigen Verlust ihrer nicht in den Vertragsanlagen aufgeführten Aktien der M. AG durch erfolgreiche treuhänderische Übertragung an dauerhaft loyale Mitarbeiter abwenden konnte. Für den Fall einer treuhänderischen Übertragung an die beiden Prokuristen v. F. und Dr. K. vermochte das Verwaltungsgericht auch nicht die Überzeugung zu gewinnen, dass die Aktien der Klägerin bei diesen oder durch diese entzogen worden wären. Vielmehr ist seiner Beweiswürdigung zufolge nicht zu erkennen, ob - und gegebenenfalls mit welchem Erfolg - die beiden Prokuristen bis 1938 als loyale Treuhänder der Klägerin handelten oder ob sie deren "Arisierung" unterstützten. Die Kritik der Klägerin an dieser verwaltungsgerichtlichen Beweiswürdigung zeigt keine denkfehlerhaften, nach den Gesetzen der Logik von vornherein ausgeschlossenen tatsächlichen Schlussfolgerungen auf. Sie bezeichnet auch keine anderen Verfahrensmängel, sondern stellt nur die eigene Beweiswürdigung der verwaltungsgerichtlichen gegenüber.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 4 Nr. 3 GKG.