Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 18.06.2018


BVerwG 18.06.2018 - 8 B 12/17

Erlaubnis zur Veranstaltung von Sportwetten; Vermittlung an im EU-Ausland konzessionierte Anbieter; Nordrhein-Westfalen; faktische Erlaubnissperre


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsdatum:
18.06.2018
Aktenzeichen:
8 B 12/17
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2018:180618B8B12.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 23. Januar 2017, Az: 4 A 3244/06, Urteilvorgehend VG Köln, 6. Juli 2006, Az: 1 K 1030/05, Urteil
Zitierte Gesetze
§ 4a GlüStVtr NW
§ 9a Abs 5 GlüStVtr NW
§ 29 GlüStVtr NW
§ 4 GlSpielWStVtrAG NW
§ 10a Abs 2 GlSpielWStVtrAG NW
§ 13 Abs 2 GlSpielWStVtrAG NW
§ 22 Abs 2 SpielbGDV NW

Gründe

1

Die Klägerin betreibt ein Wettbüro für Pferdewetten. Sie beantragte ursprünglich eine Erlaubnis zur Veranstaltung von Sportwetten mit festen Gewinnquoten sowie zur Vermittlung derartiger Wetten an im EU-Ausland konzessionierte Anbieter. Nachdem die seinerzeit zuständige Behörde den Antrag mit Bescheid vom 19. Januar 2005 abgelehnt hatte, hat sie Klage erhoben, mit der sie zuletzt die Feststellung begehrt hat, dass sie berechtigt sei, Sportwetten mit festen Gewinnquoten an im EU-Ausland konzessionierte Veranstalter zu vermitteln, und hilfsweise die Verpflichtung des beklagten Landes, ihr die Erlaubnis zur Veranstaltung derartiger Wetten zu erteilen. Das Berufungsgericht hat auf den Hauptantrag hin festgestellt, dass das Fehlen einer Erlaubnis nach §§ 4, 13 Abs. 2 des nordrhein-westfälischen Ausführungsgesetzes zum Glücksspiel-Staatsvertrag (AG GlüStV NRW) die Klägerin bis zu einer Änderung der Sach- und Rechtslage, insbesondere solange private Anbieter tatsächlich keine Konzessionen nach § 10a Abs. 2 des Glücksspiel-Staatsvertrages (GlüStV) erlangen können und deshalb Vermittlungserlaubnisse in Nordrhein-Westfalen nicht erteilt werden, nicht daran hindert, Sportwetten mit feststehenden Gewinnquoten an im EU-Ausland - mit Ausnahme der Isle of Man - konzessionierte Sportwettenveranstalter zu vermitteln. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

2

Das Berufungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des beklagten Landes, für die es sich auf alle drei Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO beruft, bleibt ohne Erfolg.

3

1. Den Ausführungen des Beklagten zur Begründung seiner Beschwerde lässt sich nicht entnehmen, dass der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukäme (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Hierzu hätte es der Bezeichnung einer Rechtsfrage des revisiblen Rechts sowie der näheren Darlegung bedurft, inwiefern diese der - ggf. erneuten oder weitergehenden - höchstrichterlichen Klärung bedarf, inwiefern mit dieser Klärung in dem angestrebten Revisionsverfahren zu rechnen ist und inwiefern dies zu einer Fortentwicklung des Rechts über den anhängigen Rechtsstreit hinaus führen wird. Das leistet die Beschwerdebegründung nicht. Sie bezeichnet zwar eine Mehrzahl von Rechtsfragen, die jedoch durchweg so allgemein gehalten sind, dass sie den rechtlichen Erwägungen, welche das angefochtene Urteil tragen, nicht gerecht werden.

4

Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass Erlaubnisse zum Vermitteln von Sportwetten in Wettvermittlungsstellen in Nordrhein-Westfalen derzeit und auf absehbare Zeit tatsächlich nicht zu erlangen seien, und zwar auch dann nicht, wenn sich die der Erlaubnis zugrundeliegende Prüfung auf unionsrechtskonforme, monopolunabhängige Voraussetzungen beschränke. Den Grund für diese Sachlage sieht das Berufungsgericht in § 22 Abs. 2 der nordrhein-westfälischen Glücksspiel-Verordnung (GlüSpVO NRW), demzufolge "der Antrag auf Erteilung einer Wettvermittlungsstelle" - gemeint offenbar: der Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis zum Vermitteln von Sportwetten in einer Wettvermittlungsstelle - nur von einem Konzessionsnehmer gestellt und nur diesem erteilt werden kann. Da es bislang keine Veranstalter von Sportwetten gebe, denen eine Konzession nach den §§ 4a ff. GlüStV erteilt wurde, und da das Konzessionierungsverfahren beim Land Hessen nicht fortbetrieben werde, schließe die genannte Vorschrift der Glücksspielverordnung die Erteilung von Erlaubnissen zur Vermittlung von Sportwetten faktisch aus. In der Folge dauere das staatliche Sportwettenmonopol wegen § 29 GlüStV an. Diese Sach- und Rechtslage sei mit der unionsrechtlichen Dienstleistungsfreiheit, welche nicht nur Veranstalter, sondern auch Vermittler von Sportwetten schütze, unvereinbar; wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts dürfe sie der Klägerin insoweit nicht entgegengehalten werden. Deshalb schließe es der Anwendungsvorrang des Unionsrechts aus, der Klägerin das Fehlen einer Vermittlungserlaubnis entgegenzuhalten, solange die faktische Erlaubnissperre in Nordrhein-Westfalen andauere.

5

Die von dem Beklagten bezeichneten Fragen gehen an dieser Begründung des angefochtenen Urteils vorbei und sind deshalb nicht geeignet, eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darzutun. Namentlich lässt der Beklagte den entscheidungstragenden Umstand außer Betracht, dass die gesetzlich vorgesehene Erlaubnis für das Vermitteln von Sportwetten nach der Sach- und Rechtswürdigung des Berufungsgerichts aufgrund des Verordnungsrechts des beklagten Landes und nach dessen Verwaltungspraxis derzeit und auf absehbare Zeit faktisch schlechterdings nicht erlangt werden kann, und zwar auch nicht auf der Grundlage einer Prüfung allein unionsrechtskonformer, monopolunabhängiger Umstände. Ebenso wenig stellt er in Rechnung, dass das Berufungsgericht die Feststellung, dass das Fehlen dieser Erlaubnis, solange sie faktisch nicht erlangt werden kann, die Klägerin an der Vermittlung von Sportwetten an im europäischen Ausland konzessionierte Veranstalter nicht hindere, auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts, nämlich der Dienstleistungsfreiheit, gestützt hat. Der Beklagte wirft in verschiedenen Fassungen (Rechtsfragen Nr. I. 1., 2., 3., 5., III. 1.) die Frage auf, ob ein deutsches Verwaltungsgericht die Feststellung treffen dürfe, dass ein Wettvermittler keiner Erlaubnis bedürfe, obwohl das Gesetz die Vermittlungstätigkeit erlaubnispflichtig macht. In dieser allgemeinen Form ist die Frage ohne Weiteres jedenfalls für diejenigen Fälle zu bejahen, in denen die Erlaubnispflicht vom Anwendungsvorrang des Unionsrechts verdrängt wird. Ob das Berufungsgericht die Voraussetzungen für einen derartigen Fall mit Recht angenommen hat oder nicht, thematisieren diese Fragen nicht.

6

Auch die Fragen Nr. I. 4. und 6. gehen an der angefochtenen Entscheidung vorbei. Mit ihnen hält der Beklagte für klärungsbedürftig, ob in Nordrhein-Westfalen ein unionsrechtskonformes, namentlich ein transparentes, diskriminierungsfreies und gleichheitssatzgemäßes Erlaubnisverfahren für die Vermittlung von Sportwetten besteht. Das Berufungsgericht hat nicht in Abrede gestellt, dass das in Nordrhein-Westfalen geltende Glücksspielrecht ein Erlaubnisverfahren für die Vermittlung von Sportwetten vorsieht, und es hat ungeprüft gelassen, ob dieses als solches den Anforderungen des Unionsrechts genügt. Es hat maßgebend darauf abgestellt, dass die Klägerin dieses Verfahren nicht einleiten und aufgrund eines solchen Verfahrens auch keine Erlaubnis erlangen kann, weil nach § 22 Abs. 2 GlüVO NRW der Antrag nur von einem Konzessionsinhaber gestellt und eine Erlaubnis auch nur einem Konzessionsinhaber erteilt werden darf. Das lässt der Beklagte unberücksichtigt. Er legt namentlich nicht dar, dass ein Wettvermittler in Nordrhein-Westfalen einen Antrag auf Erteilung einer Vermittlungserlaubnis für sich selbst stellen und damit ein Verfahren in Gang setzen könnte, bei dem nur monopolunabhängige Versagungsgründe geprüft werden.

7

Mit einer Klärung der unter II. bezeichneten "Rechtsfragen mit europarechtlichem Hintergrund" wäre in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht zu rechnen, weshalb sie der Rechtssache ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung verleihen. Es ist unerheblich, "wie das in der Bekanntmachung vom 8. August 2012 aufgeführte maßgebliche Auswahlkriterium des ‚wirtschaftlich günstigsten Angebots‘ zu verstehen ist" (Frage II. 1.). Dabei mag dahinstehen, ob darin eine hinlänglich konkrete Rechtsfrage gesehen werden kann. Jedenfalls hinge von ihrer Beantwortung nicht ab, ob das Berufungsurteil Bestand haben könnte oder nicht. Selbst wenn das Berufungsgericht insofern die Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH Kassel, Beschluss vom 16. Oktober 2015 - 8 B 1028/15 - NVwZ 2016, 171) zu Unrecht gebilligt haben sollte, änderte dies doch nichts an seinen Feststellungen, dass Konzessionen nach §§ 4a ff. GlüStV bislang nicht erteilt wurden, dass das Konzessionsverfahren stockt und dass deshalb in Nordrhein-Westfalen derzeit und auf absehbare Zeit faktisch keine Vermittlungserlaubnisse erteilt werden. Nichts anderes gilt für die weitere Frage, "ob sich aus dem Unionsrecht eine sofortige Eröffnung des Marktes für alle Glücksspielanbieter einschließlich der Vermittler von Sportwetten ohne jede präventive Kontrolle ergibt" (Frage II. 2.). Dies war für das Berufungsgericht nicht der Grund, der Feststellungsklage in dem noch strittigen Umfang stattzugeben.

8

Die Fragen Nr. III. 2. bis 4. zum Prozessrecht rechtfertigen die Durchführung eines Revisionsverfahrens ebenfalls nicht. Es ist geklärt und bedarf nicht einer erneuten Behandlung in einem Revisionsverfahren, dass ein Rechtsverhältnis zu der für die Erteilung von Erlaubnissen zuständigen Behörde oder deren Trägerkörperschaft besteht, wenn Bestehen und Umfang der Erlaubnispflicht auch im konkreten Fall im Streit stehen. Hierfür ist gleichgültig, ob diese Frage zugleich für die von der Erlaubnisbehörde verschiedene Vollzugsbehörde von Bedeutung ist. Ebenso ist zweifelsfrei, dass das Begehren, die Erlaubnisfreiheit unter bestimmten Bedingungen festzustellen, gegenüber dem Begehren, eine unbedingte Erlaubnisfreiheit festzustellen, ein Minus und kein Aliud mit der Folge ist, dass im Wechsel des Antrags kein Auswechseln des Streitgegenstandes zu sehen ist. Auf den in der Frage III. 4. zusätzlich erwähnten Verpflichtungsantrag kommt es insofern nicht an; ihre Klageanträge hatte die Klägerin bereits vor dem Verwaltungsgericht in der auch vom Berufungsgericht verbeschiedenen - und teilweise abgewiesenen - Fassung gestellt.

9

2. Der Zulassungsgrund der Abweichung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist nicht hinlänglich dargelegt. Hierzu wäre erforderlich gewesen, einen rechtlichen Obersatz zu bezeichnen, den das Berufungsgericht aufgestellt hat und der seine Entscheidung trägt, und diesen einem gegenteiligen rechtlichen Obersatz aus der Rechtsprechung eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Höchstgerichte gegenüberzustellen. Dem genügt die Beschwerdebegründung nicht. Der Beklagte zitiert zwar die Voraussetzungen, die nach dem Urteil des Senats vom 20. Juni 2013 - 8 C 47.12 - erfüllt sein müssen, damit eine behördliche Untersagung eines gesetzwidrigen Verhaltens wegen einer geplanten Gesetzesänderung als ermessensfehlerhaft anzusehen ist; namentlich müsse die Rechtsänderung zu einer Legalisierung des untersagten Verhaltens führen (vgl. die Parallelentscheidung vom selben Tage - 8 C 46.12 - BVerwGE 147, 81 Rn. 42). Er legt aber nicht dar, dass das Berufungsgericht seiner Entscheidung einen hiervon abweichenden rechtlichen Obersatz zugrundegelegt hätte. Im Gegenteil zitiert er das Berufungsgericht dahin, dass eine geplante Rechtsänderung schon deshalb nicht zu berücksichtigen sei, weil sie an der vom Berufungsgericht angenommenen Unionsrechtswidrigkeit der derzeitigen Rechtslage voraussichtlich nichts ändern werde.

10

3. Schließlich ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen auch nicht, dass dem Berufungsgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen wäre (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

11

a) Das Berufungsgericht hat seine Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht verletzt.

12

Der Beklagte meint, das Berufungsgericht hätte eine amtliche Auskunft des hessischen Innenministeriums darüber einholen müssen, ob im ländereinheitlichen Verfahren bereits Sportwettenkonzessionen erteilt worden seien. Einen dahingehenden Beweisantrag hat er freilich nicht gestellt; er meint aber, die Einholung einer solchen Auskunft hätte sich dem Berufungsgericht auch ohne Beweisantrag aufdrängen müssen. Dem kann nicht gefolgt werden. Dabei muss bedacht werden, dass die Frage, ob derartige Konzessionen erteilt wurden oder absehbar erteilt werden würden, während des lang andauernden Berufungsverfahrens von den Beteiligten immer wieder thematisiert worden war. Gerade deshalb hat das Berufungsgericht den Beklagten aufgefordert, einen Mitarbeiter des Innenministeriums zum Verhandlungstermin mitzubringen, der hierzu Auskunft geben könne. Dieser Mitarbeiter hat im Verhandlungstermin auf Frage bekundet, dass seines Wissens keine Konzessionen erteilt worden seien, und sich hierzu auf öffentliche Bekundungen des hessischen Innenministers berufen (vgl. Niederschrift vom 23. Januar 2017, S. 4). Dieser Bekundung durfte das Berufungsgericht auch deshalb besondere Bedeutung beimessen, weil das Innenministerium des Beklagten mittels des Glücksspielkollegiums besondere Kenntnis auch über die Konzessionierungspraxis des Landes Hessen erhält (vgl. § 9a Abs. 5 GlüStV). Angesichts dessen musste sich dem Berufungsgericht die Einholung einer zusätzlichen amtlichen Auskunft bei dem hessischen Innenminister nicht aufdrängen.

13

Ferner meint der Beklagte, das Berufungsgericht hätte tatsächliche Ermittlungen zu dem Merkmal des "wirtschaftlich günstigsten Angebots" anstellen müssen. Auch dem kann nicht gefolgt werden. Dieser Punkt war für die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht tragend; es wurde bereits erwähnt, dass das Berufungsgericht tragend allein darauf abgestellt hat, dass das Land Hessen seiner Verwaltungspraxis die Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs zugrundelegt, wofür aber gleichgültig ist, ob dieser Rechtsprechung in der Sache auch zu folgen wäre. Im Übrigen legt der Beklagte nicht dar, welche konkreten Ermittlungen er vermisst.

14

b) Ob das Berufungsgericht, wie der Beklagte meint, zu Unrecht das Bestehen eines feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses der Klägerin zu ihm, dem Beklagten, angenommen hat, betrifft keine Verfahrensfrage, sondern eine Frage des sachlichen Rechts. Im Grunde macht der Beklagte geltend, das Berufungsgericht habe falsch entschieden. Das gilt namentlich für den Vortrag, ein Rechtsverhältnis zur Klägerin könne schon deshalb nicht bestehen, weil die Klägerin eine Vermittlungserlaubnis selbst gar nicht beantragen dürfe. Ob ihr dies entgegengehalten werden dürfe, stand gerade im Streit.

15

c) Schließlich leidet das Berufungsgericht nicht deswegen an einem Verfahrensmangel, weil es ein Feststellungsinteresse der Klägerin zu Unrecht bejaht und deshalb die Klage mit deren hauptsächlichem Feststellungsantrag zu Unrecht für zulässig erachtet hätte. Es mag zutreffen, dass das Bestehen einer Erlaubnispflicht für die Klägerin auch in ihrem Verhältnis zur Vollzugsbehörde von Interesse ist. Daraus ergibt sich aber noch nicht, dass ihr ein Rechtsschutzinteresse für eine Klärung ihrer Erlaubnispflicht in ihrem Verhältnis zur Erlaubnisbehörde abgesprochen werden müsste.

16

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.