Entscheidungsdatum: 29.07.2010
Die Beschwerde ist unbegründet. Keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO ist gegeben. Weder kommt der Sache die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch weicht das Urteil des Verwaltungsgerichts von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ab (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Auch die gerügten Verfahrensmängel liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
1. Die von der Klägerin formulierte Rechtsfrage erfüllt die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht und kann deshalb die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht rechtfertigen. Eine Rechtssache ist nur dann grundsätzlich bedeutsam, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden entscheidungserheblichen Frage des revisiblen Rechts zu erwarten ist (stRspr; z.B. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
Die Klägerin möchte als rechtsgrundsätzlich bedeutsam folgende Frage geklärt wissen:
"Ist es für die Anwendung der Entziehungsvermutung gemäß § 1 Abs. 6 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO auf juristische Person notwendig, dass trotz einer an der juristischen Person objektiv bestehenden jüdischen Kapitalbeteiligung von mehr als 25 % nachgewiesen werden muss, dass die juristische Person zum Zeitpunkt der Veräußerung des Vermögenswertes, hinsichtlich dessen die Verfolgungsvermutung zur Anwendung kommen soll, als 'jüdisch' angesehen und behandelt wurde."
Diese Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, da sie sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen würde. Das Verwaltungsgericht hat nicht die Auffassung vertreten, trotz einer Kapitalbeteiligung von mehr als 25 % müsse nachgewiesen werden, dass die juristische Person als "jüdisch" angesehen oder behandelt wurde. Es hat vielmehr angenommen, dem Bankhaus Gebr. A. sei nur ein Kapitalanteil von 25 % zuzurechnen. Zwar ist es davon ausgegangen, dass dieses Bankhaus in den 20er Jahren eine Beteiligung von 49,7 % an der A. AG erwarb. Es hat jedoch gemeint, ein darin enthaltenes Aktienpaket von 24,7 % des Kapitals sei nicht zu berücksichtigen, weil es "damals" Fritz A. zur Einlegung in sein Depot und Stimmrechtsausübung überlassen wurde. Nach außen - so das Verwaltungsgericht - sei die Klägerin deshalb insoweit nicht in Erscheinung getreten. Ob die Beteiligungsverhältnisse hinsichtlich des verbleibenden 25%igen Anteils offenbar gewesen seien, könne dahinstehen. Denn nach Art. I § 1 Abs. 3 Buchst. b der Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. Juni 1938 hätten Gewerbebetriebe einer juristischen Person erst dann als jüdisch gegolten, "wenn Juden mit mehr als 1/4 des Kapitals am Unternehmen beteiligt waren".
Soweit das Verwaltungsgericht den Anteil der Klägerin in Höhe von 24,7 % des Kapitals nicht berücksichtigt hat, weil die Klägerin insoweit nach außen nicht in Erscheinung getreten sei, missversteht es offensichtlich das Urteil des Senats vom 21. Juni 2007 - BVerwG 8 C 8.06 - (BVerwGE 129, 76 = Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 43 S. 50 Rn. 42). Der Senat hat in dieser Entscheidung die Auffassung vertreten, nach § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO dürfe die Beurteilung, ob der Betroffene zu dem Personenkreis der Kollektivverfolgten "gehörte", allein auf Erkenntnisse und Erkenntnismittel gestützt werden, die zur Zeit der Herrschaft des Nationalsozialismus zur Verfügung standen. Hierbei kommt es - anders als für die Frage, ob der Betroffene als dem Personenkreis zugehörig behandelt wurde - nicht auf den damaligen (subjektiven) Kenntnisstand von Personen oder bestimmten Stellen an. Erst recht ist keine Offenkundigkeit erforderlich. Maßgeblich ist vielmehr, welche objektiven Erkenntnisquellen damals bestanden. Anderenfalls würde die Situation im NS-Staat, in dem der von Verfolgung Bedrohte bestrebt sein musste, die seine Verfolgung begründenden Umstände nicht offenbar werden zu lassen, verkannt und würden Wiedergutmachungsansprüche in einer mit dem Ziel des Vermögensgesetzes nicht zu vereinbarenden Weise eingeschränkt. Der Senat hat es deshalb in dem Urteil vom 21. Juni 2007 (lediglich) abgelehnt, die Annahme einer Verfolgungssituation maßgeblich auf eine erst nach 1945 entstandene Erkenntnisquelle zu stützen. Der Erwerb einer Beteiligung von 49,7 % des Aktienkapitals an der A. AG war dagegen bereits zur Zeit des Nationalsozialismus zu belegen.
2. Die von der Klägerin gerügten Verfahrensmängel liegen nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat weder gegen seine Hinweispflicht noch gegen seine Verpflichtung zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 und 3 VwGO) verstoßen. Ohne Erfolg rügt die Klägerin, das Verwaltungsgericht hätte sie darauf hinweisen müssen, dass nach Meinung des Gerichts die jüdische Abstammung von Dr. F. nicht erwiesen sei. Sie hätte dann Henry H. A. als Zeugen benannt, der aus eigener Kenntnis hätte bestätigen können, dass Dr. F. Jude war.
Entgegen dem Beschwerdevorbringen begründet das angegriffene Urteil seine Schlussfolgerung, die A. AG sei nicht als jüdisches Unternehmen einzuordnen, nicht mit dem Fehlen eines Nachweises, dass Dr. F. Jude gewesen sei. Vielmehr ist es für die rechtliche Prüfung von der Mitgliedschaft Dr. F. im Aufsichtsrat der A. AG und vom Vorbringen der Klägerin ausgegangen, er sei Jude gewesen. Der Hinweis auf den fehlenden Nachweis dafür ("- ein Beleg insoweit fehlt allerdings -") ist lediglich als Parenthese und damit als die rechtliche Aussage nicht tragender Zusatz eingeschoben. Danach ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, die Mitgliedschaft eines Juden im Aufsichtsrat qualifiziere die Gesellschaft noch nicht als "jüdisches" Unternehmen. Diese Auffassung des Verwaltungsgerichts ist unzutreffend. Nach Art. I § 1 Abs. 3 Buchst. a der Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz galt der Gewerbebetrieb einer juristischen Person als jüdisch, wenn eines oder mehrere von den Mitgliedern des Aufsichtsrats Juden waren. Gleichwohl ist nach ständiger Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts die Frage, ob das vorinstanzliche Verfahren an einem Mangel leidet, vom materiellrechtlichen Standpunkt der Vorinstanz aus zu beurteilen, auch wenn dieser Standpunkt verfehlt sein sollte (z.B. Beschluss vom 23. Januar 1996 - BVerwG 11 B 150.95 - Buchholz 424.5 GrdstVG Nr. 1). Auf der Grundlage der - unzutreffenden - Auffassung des Verwaltungsgerichts bestand keine Verpflichtung zu einem Hinweis, dass die jüdische Abstammung des Dr. F. nicht erwiesen sei, und zu einer weiteren Sachaufklärung.
3. Die geltend gemachte Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts führt nicht zur Zulassung der Revision. Eine solche Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt einen abstrakten Rechtssatzwiderspruch voraus und ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerdeführerin einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (Beschluss vom 21. Juni 1995 - BVerwG 8 B 61.95 - Buchholz 310 § 133
a) Die Klägerin entnimmt dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Februar 2006 - BVerwG 7 C 4.05 - (Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 35) den Rechtssatz, dass die Entziehungsvermutung des Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO auf juristische Personen Anwendung finde, bei denen mehr als ein Viertel des Kapitals Juden gehörte oder bei denen die Stimmen von Juden die Hälfte der Gesamtstimmenzahl erreichten; dies gelte vom 30. Januar 1933 an für die gesamte nationalsozialistische Zeit. Demgegenüber habe das Verwaltungsgericht den Rechtssatz aufgestellt, dass die Entziehungsvermutung nach § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO für juristische Personen, bei denen mehr als ein Viertel des Kapitals Juden gehört habe, nur dann gelte, wenn sich nachweisen lasse, dass die juristische Person als jüdisches Unternehmen angesehen oder behandelt worden sei.
Der von der Klägerin gerügte abstrakte Rechtssatzwiderspruch besteht nicht. Das Verwaltungsgericht hat, wie bereits dargelegt (oben im Abschnitt 1), mit Blick auf Art. I § 1 Abs. 3 Buchst. b der Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. Juni 1938 (RGBl I S. 627) keinen Rechtssatz des Inhalts aufgestellt, dass die dort genannten Voraussetzungen nur dann gegolten hätten, wenn sich nachweisen lasse, dass die juristische Person als "jüdisches" Unternehmen angesehen oder behandelt worden sei. Vielmehr ist das Verwaltungsgericht aufgrund einer anderen Bewertung der Beteiligung des Bankhauses Gebr. A. an der A. AG zu dem Ergebnis gekommen, für die rechtliche Beurteilung nach der genannten Vorschrift der Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz sei allein ein Aktienanteil von 25 % am Kapital der A. AG zugrunde zu legen. Im Übrigen wird auf die Ausführungen im Abschnitt 1 hingewiesen.
b) Die Klägerin sieht eine Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ferner darin, dass das Verwaltungsgericht folgenden Rechtssatz aufgestellt habe: Die Vermutung des verfolgungsbedingten Vermögensverlustes gemäß § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG könne durch den Nachweis widerlegt werden, dass die Veräußerung keinen verfolgungsbedingten Anlass hatte. Dies stehe im Widerspruch zu der - von der Klägerin angeführten - ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass die Verfolgungsvermutung gemäß § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO ausschließlich durch die in Art. 3 Abs. 2 und 3 REAO vorgesehenen Beweise widerlegbar und der direkte Gegenbeweis nicht zulässig ist.
Die gerügte Divergenz rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, denn sie ist nicht entscheidungserheblich. Das Verwaltungsgericht hat sein Urteil auf mehrere selbstständig tragende Gründe gestützt. Zum einen fehle es an einer Schädigung im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG, zum anderen sei jedenfalls aber die Verfolgungsvermutung des § 1 Abs. 6 VermG widerlegt. Wenn ein Urteil auf mehrere selbstständig tragende Begründungen gestützt ist, kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund vorliegt. Wenn nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben ist, kann diese Begründung nämlich hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert (stRspr; z.B. Beschluss vom 9. Dezember 1994 - BVerwG 11 PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4 S. 4 m.w.N.). Da gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, es liege keine durch rassische Verfolgung bedingte Vermögensentziehung und damit keine Schädigung im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG vor, durchgreifende Revisionszulassungsgründe nicht vorliegen, kommt es auf die Frage der Widerlegung der Verfolgungsvermutung nicht an.