Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 20.08.2010


BVerwG 20.08.2010 - 8 B 1/10

Zum Zusammenhang von durch die öffentliche Hand verbürgten Liquiditätskrediten und vorgehenden Verbindlichkeiten fremder privater Gläubiger im Vermögensrecht


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsdatum:
20.08.2010
Aktenzeichen:
8 B 1/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend VG Gera, 24. Juni 2009, Az: 2 K 1053/08, Urteil
Zitierte Gesetze

Gründe

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Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Der Sache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Eine Divergenz ist nicht ordnungsgemäß dargelegt (§ 132 Abs. 2 Nr. 2, § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Der Beschwerde lässt sich auch kein Verfahrensmangel entnehmen, auf dem das angegriffene Urteil beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

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1. Die Grundsatzrüge setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14). Dazu genügt nicht, dass die Frage noch nicht Gegenstand einer höchstrichterlichen Entscheidung war. Nur wenn ihre Klärung gerade eine solche Entscheidung verlangt, muss zur Wahrung der Rechtseinheit einschließlich der gebotenen Rechtsfortentwicklung ein Revisionsverfahren durchgeführt werden. Das ist nicht der Fall, wenn die Frage sich anhand der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung ohne Weiteres beantworten lässt (vgl. Beschluss vom 24. August 1999 - BVerwG 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270> = Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 228).

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Die von der Beschwerdeführerin gestellte Frage,

ob von der öffentlichen Hand verbürgte Liquiditätskredite zu Gunsten von Verfügungsberechtigten "vorgehende Verbindlichkeiten fremder privater Gläubiger" im Sinne von § 6 Abs. 6a Satz 2 VermG sind,

lässt sich bereits anhand der üblichen Auslegungsregeln unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung - bejahend - beantworten. Der Wortlaut des § 6 Abs. 6a Satz 2 VermG stellt allein darauf ab, dass die Forderung einem Privaten zusteht, und differenziert nicht nach etwaigen Sicherungen oder der öffentlich-rechtlichen Rechtsnatur des Sicherungsgebers. Der systematische Zusammenhang mit den Vorschriften zur Unternehmensrestitution zeigt, dass § 6 Abs. 6a Satz 2 VermG eine Sonderregelung zur Übernahme von Verbindlichkeiten im Fall der Unternehmenstrümmerrestitution trifft, und dass der Grundsatz der Haftung des - ehemaligen - Betriebsvermögens für die im Zeitpunkt der Rückgabe bestehenden Verbindlichkeiten auch insoweit gelten soll (Urteile vom 17. Dezember 1993 - BVerwG 7 C 5.93 - Buchholz 112 § 6 VermG Nr. 4 S. 14 und vom 27. April 2006 - BVerwG 7 C 12.05 - Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 67 Rn. 15). Nur der Umfang der Haftung des Restitutionsberechtigten wird durch Teilsatz 5 der Vorschrift auf die Ansprüche der privaten Unternehmensgläubiger begrenzt (Urteil vom 27. April 2006 a.a.O.). Auch die Entstehungsgeschichte und der Sinn und Zweck der Vorschrift gebieten nicht, durch die öffentliche Hand gesicherte Kredite privater Dritter ebenso von der Anrechnung auszunehmen wie die in Teilsatz 5 genannten Forderungen der öffentlichen Hand. Diese Ausnahmeregelung wurde erlassen, weil die Wiedergutmachung staatlichen Unrechts nicht durch die Geltendmachung staatlicher Ansprüche geschmälert werden sollte (vgl. BTDrucks 12/103 S. 30). Staatliche Ansprüche entstehen nicht schon mit der Sicherung einer privaten Forderung durch die öffentliche Hand, sondern erst unter der weiteren Voraussetzung, dass der Sicherungsfall eintritt, der Sicherungsgeber in Anspruch genommen wird und die gesicherte Forderung auf ihn übergeht. Der Sinn und Zweck des § 6 Abs. 6a Satz 2 VermG, die Erfüllung der Forderungen privater Gläubiger zu sichern, bevor die Haftungsmasse durch die Rückgabe des Vermögenswerts verringert wird (Beschluss vom 4. Februar 1998 - BVerwG 7 C 2.97 - Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 32 S. 71 und Urteil vom 27. April 2006 a.a.O. Rn. 14), rechtfertigt ebenfalls keine Anwendung des Teilsatzes 5 auch auf öffentlich gesicherte Forderungen Privater. Der Regelungszweck bekräftigt den Grundsatz der Haftung des Betriebsvermögens für bestehende Verbindlichkeiten gegenüber Privaten. Maßgeblich ist danach nur, ob die Forderung einem privaten Gläubiger zusteht (vgl. Messerschmidt, in: Fieberg/Reichenbach/Messerschmidt/Neuhaus, VermG, Stand 1992 ff., § 6 Rn. 614). Auf dessen konkreten, angesichts etwaiger anderweitiger Sicherungen bestehenden Schutzbedarf kommt es ebenso wenig an wie auf die Frage, ob er auf den Wert der Kreditgrundlage des Unternehmens oder auf den Wert der anderweitigen Sicherheit vertraute. Die gegenteilige Annahme (Nolting, in: Kimme, Offene Vermögensfragen, Stand April 2004, § 6 VermG Rn. 404) unterläuft den Grundsatz der Haftung des Unternehmensvermögens und stellt den Sicherungsgeber bereits vor Eintritt des Sicherungsfalles einem Schuldner gleich. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Teilsatzes 5 auch nicht verfassungsrechtlich geboten. Insbesondere erlegt die Verpflichtung zur Ablösung der Gläubigervorrangverbindlichkeiten den Berechtigten kein Sonderopfer auf. Sie trägt vielmehr der Begrenzung der Restitution auf das noch vorhandene Vermögen Rechnung und ist für die Betroffenen zumutbar.

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2. Die gerügte Divergenz zum Urteil vom 27. April 2006 (a.a.O.) liegt nicht vor. Unabhängig von Bedenken, ob eine Abweichung ordnungsgemäß dargelegt ist, besteht jedenfalls kein Rechtssatzwiderspruch zwischen dem zitierten Urteil und der angegriffenen Entscheidung. Das Urteil vom 27. April 2006 bestimmt nur den Zeitpunkt der Rückgabe oder der investiven Veräußerung als maßgeblichen Zeitpunkt für die Berechnung der Gläubigervorrangverbindlichkeiten (a.a.O. Rn. 17). Zur Konkretisierung dieses Zeitpunkts stellt es auch unter der von der Klägerin pauschal in Bezug genommenen "Ziffer 2.) der Gründe" keinen Rechtssatz auf. Insbesondere verhält es sich weder zu § 34 VermG noch zur Frage, ob der Berechtigte die vollständige Verfügungsbefugnis über den Gegenstand erlangt haben muss.

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Hinsichtlich der Anwendung des § 6 Abs. 6a Satz 2 VermG auf durch die öffentliche Hand gesicherte Forderungen privater Gläubiger liegt ebenfalls keine Abweichung vor. Das Urteil vom 27. April 2006 (a.a.O.) stellt keinen abstrakten Rechtssatz auf, dass nach dem Bestehen solcher Sicherungen zu differenzieren wäre. Es lässt genügen, dass die Forderung einem privaten Gläubiger zusteht. Auch aus dem Sinn und Zweck der Regelung entwickelt es kein Ausschlusskriterium einer Sicherung durch die öffentliche Hand. Der Beschwerde ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Sie stellt nur eigene Erwägungen zur teleologischen Begründung eines solchen Ausschlussmerkmals an.

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3. Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, auf denen das angegriffene Urteil beruhen kann, sind nicht substantiiert dargelegt bzw. liegen nicht vor.

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Der Vorwurf einseitiger Sachbehandlung genügt nicht, einen Verfahrensmangel darzutun. Die angedeuteten, nach dem Beschwerdevorbringen bereits wegen der Verhandlungsführung entstandenen und später lediglich vertieften Zweifel an der Unparteilichkeit des Verwaltungsgerichts hätte die Klägerin dort im Termin zur mündlichen Verhandlung geltend machen müssen (vgl. § 173 VwGO i.V.m. § 295 Abs. 1 ZPO; Beschluss vom 26. Juli 1996 - BVerwG 1 B 121.96 - juris).

8

Mit ihrer Kritik an der verwaltungsgerichtlichen Berechnung der vorgehenden Verbindlichkeiten wendet die Klägerin sich gegen die materiell-rechtliche Bestimmung des maßgeblichen Bilanzstichtages und gegen die tatrichterliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung, die grundsätzlich gleichfalls dem materiellen Recht zuzuordnen ist. Ein als Verfahrensmangel einzuordnender Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz durch denkfehlerhafte Schlüsse von Indizien auf Haupttatsachen wird damit nicht gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO bezeichnet, ebenso wenig ein Verstoß gegen die richterliche Aufklärungspflicht.

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Eine Verletzung des Grundsatzes der Gewährung rechtlichen Gehörs lässt sich dem Beschwerdevorbringen ebenfalls nicht entnehmen. Der Einwand, das Verwaltungsgericht habe die Tatbestandsberichtigung im Verfahren - 2 K 1702/07 Ge - zu Unrecht abgelehnt, mag auf eine Gehörsrüge zielen, berücksichtigt jedoch nicht, dass es für die Frage der Erheblichkeit eines angeblich zu Unrecht nicht berücksichtigten Vorbringens auf die materiellrechtliche Rechtsauffassung der Vorinstanz ankommt.

10

Auch im Übrigen liegt keine Verletzung rechtlichen Gehörs nach § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG vor. Entgegen der Darstellung der Klägerin hat das Verwaltungsgericht die Einwände der Klägerin gegen eine Anrechnung der durch die Treuhand gesicherten Liquiditätskredite zur Kenntnis genommen und sich damit sachlich auseinandergesetzt. Das angegriffene Urteil weist darauf hin, das Kriterium des Vertrauens privater Gläubiger auf "zusätzliche" Sicherungen durch die Treuhandanstalt finde "im Gesetz keine Stütze" und führt weiter aus, solche Sicherungen berührten den Regelungszweck nicht. Damit lässt es erkennen, dass das Verwaltungsgericht eine teleologische Erweiterung des Ausschlussgrundes in Teilsatz 5 der Norm gegen den klaren Wortlaut der Bestimmung nicht für gerechtfertigt hielt.

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Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ergibt sich schließlich nicht aus dem Beschluss des Gerichts gemäß § 116 Abs. 2 VwGO, das Urteil zuzustellen, und aus der Übergabe des unterschriebenen Tenors an die Geschäftsstelle. Dieses Vorgehen ist zulässig, wenn entsprechend § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO die vollständige Urteilsfassung alsbald niedergelegt wird (vgl. Beschluss vom 24. Juni 1971 - BVerwG 1 CB 4.69 - BVerwGE 38, 220 <223> = Buchholz 310 § 116 VwGO Nr. 5 S. 6). Das ist hier geschehen.

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Unter welchen Voraussetzungen ein Beschluss nach § 116 Abs. 2 VwGO gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK verstößt, muss entgegen der Auffassung der Klägerin nicht geklärt werden, da nicht substantiiert dargelegt ist, dass das Urteil auf einem Verstoß gegen diese Vorschrift beruhen kann. Dazu genügen weder der Hinweis auf die telefonische Erkundigung der Beigeladenen nach dem niedergelegten Tenor noch die damit verbundenen Andeutungen versuchter Beeinflussung. Die gerichtliche Entscheidung war bereits mit der Unterzeichnung und Niederlegung des Tenors getroffen. Nachfolgende Ereignisse konnten das Entscheidungsergebnis nicht mehr ändern.

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Ausführungen zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren - 2 K 1702/07 Ge - sind wegen der rechtlichen Selbstständigkeit dieses Verfahrens hier nicht zu berücksichtigen. Neues Rügevorbringen, das dem Gericht erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist am 17. November 2009 mit Schriftsatz vom 26. Februar 2010 übermittelt wurde, muss ebenfalls außer Betracht bleiben.