Bundespatentgericht

Entscheidungsdatum: 26.09.2016


BPatG 26.09.2016 - 7 ZA (pat) 4/16

(Patentnichtigkeitsklageverfahren – "Akteneinsicht" – zur Akteneinsicht betreffend den Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG)


Gericht:
Bundespatentgericht
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsdatum:
26.09.2016
Aktenzeichen:
7 ZA (pat) 4/16
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Akteneinsicht betreffend den Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG

Der Wunsch, dass ein nach § 83 Abs. 1 PatG ergangener früher gerichtlicher Hinweis Dritten, insbes. Wettbewerbern, nicht zur Kenntnis gelangt, stellt - soweit der Hinweis keine geheimhaltungsbedürftigen betrieblichen Interna der Parteien enthält - kein der Einsicht in die Akten eines Patentnichtigkeitsverfahrens entgegenstehendes schutzwürdiges Interesse dar.

Tenor

In der Akteneinsichtssache

betreffend die Akten des Patentnichtigkeitsverfahrens 7 Ni 9/14

(DE 10 2008 037 095)

hat der 7. Senat (Juristischer Beschwerdesenat und Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts am 26. September 2016 durch den Vorsitzenden Richter Rauch, die Richterin Püschel und den Richter Dipl.-Ing. Univ. Richter

beschlossen:

Dem Antragsteller wird Einsicht in die Akten des Nichtigkeitsverfahrens 7 Ni 9/14 mit Ausnahme folgender Aktenbestandteile gewährt:

- Gegenstandswertinformation auf Seite 2 der Nichtigkeitsklage vom 12. Oktober 2012 (Bl. 7 und Bl. 32 d. A.);

- von der Anlage KP1 die Streitwertinformation auf Seite 1, der Text der Rdn. 1 auf Seite 6 sowie die Ausführungen von Seite 16, Rdn. 22 bis Seite 21, Rdn. 34;

- Anlage R1a1;

- Anlagen R1c, R1d, R1e, R1f, R1g und R1h.

Im Übrigen wird der Antrag der Nichtigkeitsbeklagten, Teile der Akte von der Akteneinsicht auszunehmen, zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller, ein Patentanwalt, hat mit Schriftsatz vom 15. Juli 2016 Einsichtnahme in die Akten des Nichtigkeitsverfahrens 7 Ni 9/14 beantragt.

2

Die Nichtigkeitsbeklagte beantragt, neben den im Rubrum genannten Aktenteilen, die Streitwertinformationen, die Verletzungsform sowie Rechnungen bzw. Frachtbriefe betreffen, auch folgende Aktenteile von der Einsichtnahme auszuschließen:

3

- Vergleichsvertrag vom 4. bzw. 7. Juli 2014, sofern dieser Vertrag durch Einreichung seitens der Nichtigkeitsklägerin zu der gerichtlichen Akte gelangt ist;

4

- früher gerichtlicher Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG vom 13. Mai 2014;

5

- im Hinblick auf die Anlage KP1 (Kopie von Klageschrift der Verletzungsklage) hat sie beantragt, „mindestens“ die im Rubrum genannten Teile dieser Anlage auszuschließen.

6

Hinsichtlich des frühen gerichtlichen Hinweises nach § 83 Abs. 1 PatG vom 13. Mai 2014 trägt die Nichtigkeitsbeklagte zur Begründung vor, dieser gebe die vorläufige Auffassung des Patentgerichts zu der Patentfähigkeit des Gegenstands des in Rede stehenden Patents wieder. Eine mündliche Verhandlung, in welcher die vorläufige Auffassung des Senats unter Wahrung des rechtlichen Gehörs (öffentlich) diskutiert worden wäre, habe nicht stattgefunden, dementsprechend sei auch kein (veröffentlichtes) Urteil ergangen. Vor diesem Hintergrund sei die vorläufige Auffassung des Senats als interner Meinungsaustausch zwischen dem Senat und den an dem Nichtigkeitsverfahren beteiligten Parteien zu verstehen. Die Kenntnis dieses internen Meinungsaustausches bei Wettbewerbern der Parteien des Nichtigkeitsverfahrens würde den Wettbewerbern Wettbewerbsvorteile dahingehend verschaffen, in welchem Umfang das Streitpatent potentiell zu beachten sei oder nicht. Diesen Wettbewerbsvorteil erhielten die Wettbewerber nicht aus der alleinigen Kenntnis des von der Nichtigkeitsklägerin zitierten Standes der Technik und dem diesbezüglichen Vortrag der Parteien.

7

Der Antragsteller hat dem Antrag der Nichtigkeitsbeklagten widersprochen, soweit danach der frühe gerichtliche Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG von der Akteneinsicht ausgenommen werden soll.

II.

8

Die beantragte Akteneinsicht ist zu gewähren, hiervon ausgenommen sind lediglich - entsprechend dem Antrag der Nichtigkeitsbeklagten, dem der Antragsteller insoweit nicht widersprochen hat - die im Rubrum genannten Aktenbestandteile. Im Übrigen ist der Antrag der Nichtigkeitsbeklagten, Teile der Akte von der Akteneinsicht auszunehmen, zurückzuweisen.

9

Nach § 99 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 31 Abs. 1 Satz 2 PatG steht die Einsicht in die Nichtigkeitsakten grundsätzlich jedermann frei. Nur ausnahmsweise wird die Akteneinsicht nicht gewährt, wenn und soweit der Patentinhaber - oder der Nichtigkeitskläger (BGH GRUR 1972, 441 – Akteneinsicht IX) - ein entgegenstehendes schutzwürdiges Interesse dartut (§ 99 Abs. 3 Satz 3 PatG). Dies kann für die in Streit stehenden Aktenteile nicht angenommen werden.

10

1. Der zwischen den Parteien geschlossene Vergleichsvertrag wurde nicht zu den Akten des Nichtigkeitsverfahrens gereicht und kann daher auch nicht von der Einsicht ausgenommen werden.

11

2. Was die von der Nichtigkeitsklägerin als Anlage KP1 eingereichte, seitens der Nichtigkeitsbeklagten erhobene Verletzungsklage anbelangt, ist kein hinreichendes schutzwürdiges Interesse dargetan, diese gänzlich von der Akteneinsicht auszunehmen. Hinweise auf ein laufendes Verletzungsverfahren sowie Kopien von Aktenteilen eines Verletzungsprozesses, die von den Parteien im Nichtigkeitsverfahren eingereicht worden sind, unterliegen nämlich grundsätzlich der freien Akteneinsicht (st. Rspr., vgl. BGH GRUR 2007, 133 – Akteneinsicht XVII; GRUR 2008, 633 – Akteneinsicht XIX). Die Parteien des Nichtigkeitsverfahrens können zwar ein berechtigtes Interesse daran haben, dass eine im Verletzungsprozess angegriffene und dort technisch näher erläuterte Ausführungsform einem Wettbewerber nicht durch eine uneingeschränkte Akteneinsicht offenbart wird; untrennbar damit verbundene Ausführungen zum Schutzumfang des Klagepatents können ebenfalls von der Akteneinsicht ausgenommen werden (vgl. BGH a. a. O.; Schulte, PatG, 9. Aufl., § 99 Rdn. 30, m. w. N.). Diesem Interesse wird vorliegend aber durch die Ausnahme der im Rubrum genannten Teile der Anlage KP1 von der Akteneinsicht ausreichend Rechnung getragen.

12

3. Ebenso wenig hat die Nichtigkeitsbeklagte ein hinreichendes schutzwürdiges Interesse dargetan, den frühen gerichtlichen Hinweis gemäß § 83 Abs. 1 PatG vom 13. Mai 2014 von der Akteneinsicht auszunehmen.

13

Dieser gerichtliche Hinweis enthält mit seiner Behandlung der geltend gemachten Nichtigkeitsgründe und der Würdigung des vorgelegten Standes der Technik ausschließlich Informationen über die Patentfähigkeit des Streitpatents. Es ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass in dem Hinweis geheimhaltungsbedürftige betriebliche Interna der Parteien oder dergleichen Erwähnung finden. Dies ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass es sich bei dem Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG - der gesetzlichen Regelung entsprechend - nur um eine vorläufige Einschätzung durch den Senat handelt. Denn die freie Akteneinsicht umfasst grundsätzlich die gesamten Akten des Nichtigkeitsverfahrens (vgl. BGH GRUR 2007, 815 – Akteneinsicht XVIII), unabhängig davon, welche Informationen über das Streitpatent hierdurch vermittelt werden (vgl. BPatGE 51, 235 - Umfang der Akteneinsicht). Dass dem gerichtlichen Hinweis hier aufgrund der Klagerücknahme weder eine öffentliche mündliche Verhandlung noch ein (veröffentlichtes) Urteil nachgefolgt ist, rechtfertigt ebenfalls keine andere Beurteilung. Es ist nämlich keineswegs erforderlich, dass die von der Akteneinsicht betroffenen Informationen schon anderweitig, d. h. durch eine mündliche Verhandlung oder durch das Urteil, öffentlich geworden sind. Die freie Akteneinsicht bezieht sich vielmehr grundsätzlich auch auf die Akten solcher Nichtigkeitsverfahren, in denen es dazu nicht gekommen ist, sei es wie hier wegen vorheriger Klagerücknahme (vgl. BPatGE 34, 9, 10) oder wegen Eintritts der Rücknahmefiktion nach § 6 Abs. 2 PatKostG (vgl. BPatGE 53, 64, 65 - Zulässigkeit der Akteneinsicht). Soweit sich die Nichtigkeitsbeklagte daher darauf beruft, dass es sich bei der in dem gerichtlichen Hinweis aufgezeigten vorläufigen Senatsauffassung um einen internen Meinungsaustausch zwischen dem Senat und den an dem Nichtigkeitsverfahren beteiligten Parteien handele, kann sie daraus kein schutzwürdiges Interesse i. S. des § 99 Abs. 3 PatG herleiten.

14

Soweit die Nichtigkeitsbeklagte weiter darauf verweist, die Kenntnis des gerichtlichen Hinweises würde ihren Wettbewerbern Wettbewerbsvorteile dahingehend verschaffen, in welchem Umfang das Streitpatent potentiell zu beachten sei oder nicht, macht sie damit ein privates Interesse am Bestand bzw. der Durchsetzung ihres Patents geltend, und ein solches privates Interesse ist kein schutzwürdiges Interesse i. S. des § 99 Abs. 3 PatG (vgl. BPatG Mitt. 2005, 367 - Akteneinsicht bei Nichtigkeitsverfahren). Vielmehr steht es Dritten und somit auch Wettbewerbern frei, jederzeit selbst das dem Nichtigkeitsverfahren zugrunde liegende Patent mit der Nichtigkeitsklage anzugreifen und sich zur Vorbereitung eines solchen Verfahrens im Wege der Einsicht in die Akten des Ausgangsverfahrens Kenntnisse über den Patentgegenstand zu verschaffen und sich zu informieren, inwieweit, mit welchen Mitteln und mit welchem Erfolg das Streitpatent angegriffen und verteidigt worden ist. Das Begehren des Antragstellers auf Einsichtnahme in die Akte, einschließlich des Hinweises nach § 83 Abs. 1 PatG, steht gerade im Einklang mit dem allgemeinen Anliegen der Öffentlichkeit, bestehende Patente auf ihre Rechtsbeständigkeit überprüfen zu lassen (vgl. BPatG Mitt. 2005, 367 - Akteneinsicht bei Nichtigkeitsverfahren; BPatGE 34, 9, 10; BPatGE 22, 66, 67).

15

4. Da die Nichtigkeitsbeklagte auch für den übrigen Akteninhalt ein schutzwürdiges Interesse nicht dargetan hat, bedarf es für die Gewährung der Akteneinsicht in den im Tenor genannten Umfang weder der Geltendmachung eines eigenen berechtigten Interesses seitens des Antragstellers noch der Darlegung, für wen um Akteneinsicht nachgesucht wird (vgl. Schulte, a. a. O., § 99 Rdn. 26 ff. m. w. N.).