Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 16.10.2012


BVerwG 16.10.2012 - 7 VR 7/12, 7 VR 7/12 (7 A 15/12)

Eilantrag gegen Elbvertiefung; Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsdatum:
16.10.2012
Aktenzeichen:
7 VR 7/12, 7 VR 7/12 (7 A 15/12)
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Gründe

I.

1

Die Antragsteller sind anerkannte Umwelt- und Naturschutzvereinigungen. Sie begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Anfechtungsklage gegen den Planfeststellungsbeschluss der Antragsgegnerin vom 23. April 2012 für die Fahrrinnenanpassung der Unter- und Außenelbe für 14,5 m tiefgehende Containerschiffe. Sie machen vor allem geltend, der Planfeststellungsbeschluss beruhe auf falschen Grundannahmen und unzureichenden Berechnungsmodellen hinsichtlich der hydromorphologischen und hydro- bzw. morphodynamischen Auswirkungen des Ausbaus und verstoße gegen zwingende Vorschriften des Gewässer-, Gebiets- und Artenschutzes. Die Antragsgegnerin habe weder die zwingenden Vorgaben des Wasserhaushaltsgesetzes und der Wasserrahmenrichtlinie, etwa das wasserrechtliche Verschlechterungsverbot und Verbesserungsgebot, noch des Habitat- und Artenschutzrechts beachtet und die Auswirkungen des Vorhabens auf das FFH-Gebiet "Neßsand und Mühlenberger Loch", das besondere Vogelschutzgebiet "Unterelbe bis Wedel" und das faktische Vogelschutzgebiet "Holzhafen" sowie die Veränderungen der Lebensraumkompartimente "Tideröhricht" und "Schlickwatt" und die Betroffenheit von Schierlings-Wasserfenchel, Finte, Schnäpel, Schweinswal und Stör nicht ausreichend geprüft. Diese Mängel schlügen auch auf die fachplanerische Abwägung durch.

II.

2

Der Antrag ist begründet. Das Interesse der Antragsteller am Unterbleiben von Vollzugsmaßnahmen bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens überwiegt das Interesse der Antragsgegnerin und der Beigeladenen an der sofortigen Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses.

3

Der Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache ist offen. Auf der Grundlage des Klagevorbringens stellen sich zahlreiche teils schwierige Tatsachen- und Rechtsfragen, die den Gewässer-, Gebiets- und Artenschutz betreffen. Eine Beantwortung dieser Fragen kann im vorläufigen Rechtsschutzverfahren im Wege einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht hinreichend sicher prognostiziert werden, zumal entgegen der Auffassung der Beigeladenen weder der Dauer des Planfeststellungsverfahrens von fast sechs Jahren noch dem Umfang des Planfeststellungsbeschlusses von circa 2 600 Seiten Indizwirkung für dessen Rechtmäßigkeit zukommt.

4

Davon ausgehend ist es im Hinblick auf den Grundsatz effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) vorliegend trotz des gesteigerten Vollzugsinteresses, das aus der (internationalen) Verkehrsbedeutung des Ausbauvorhabens folgt und in der durch § 14e Abs. 2 Satz 1 WaStrG gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses zum Ausdruck kommt, geboten, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern; denn diese könnten zur Folge haben, dass gewichtige, auch unionsrechtlich geschützte Gemeinwohlbelange des Gewässer-, Gebiets- und Artenschutzes beeinträchtigt werden (vgl. Beschluss vom 14. April 2005 - BVerwG 4 VR 1005.04 - BVerwGE 123, 241 <243 ff.> = Buchholz 310 § 80 VwGO Nr. 69 S. 11 ff.).

5

Aus dem Vorbringen der Antragsgegnerin, ein erheblicher Teil der Maßnahmen sei - soweit die Eingriffsflächen der streitgegenständlichen Fahrrinnenanpassung nicht ohnehin mit den Eingriffsflächen der heutigen Unterhaltungsbaggerungen übereinstimmten - bei Einstellung der Ausbau- und Unterhaltungsmaßnahmen reversibel, folgt nichts anderes. Unter Berücksichtigung des substantiierten Vortrags der Antragsteller lässt sich nicht mit der nötigen Sicherheit feststellen, dass die durch die Initialbaggerung und die sonstigen strombaulichen Maßnahmen ausgelösten morphologischen Veränderungen und morpho- bzw. hydrodynamischen Auswirkungen ohne Weiteres reversibel sind. Die streitgegenständlichen Ausbaumaßnahmen gehen im Hinblick auf das Maß der Vertiefung der Fahrrinnensohle und die Baggermenge aus Feinsand/Feinkies, Klei, Schluff und Geschiebemergel von 37,8 Mio. cbm (Bauablaufplan, PÄ III Teil 1, S. 22) nach Art und Umfang über die bisherigen Ausbaumaßnahmen weit hinaus. Allein die zeitnah geplanten Ausbaggerungen und strombaulichen Maßnahmen zur Herstellung der Unterwasserablagerungsflächen Medemrinne-Ost und Neufelder Sand sowie der Umlagerungsstelle Neuer Luechtergrund, bei denen es sich um die drei größten Bauwerke des Ausbauvorhabens handelt, betreffen ausweislich der Übersicht über das Strombau- und Verbringungskonzept (PÄ III Teil 1, S. 21) eine Fläche von circa 1 496 ha; Teilflächen der Unterwasserablagerungsflächen werden mit Hartsubstraten abgedeckt. Auch der Planfeststellungsbeschluss geht insoweit - von den Antragstellern im Einzelnen benannt - teilweise von dauerhaften Veränderungen der Unterwassertopographie, der Hydrologie und Morphologie, der Sedimentstruktur und der allgemeinen Lebensraumfunktion aquatischer Arten und Lebensgemeinschaften sowie von Individuen- und Laichverlusten aus. Überdies lässt sich nicht mit der erforderlichen Gewissheit ausschließen, dass aufgrund der Vorbelastungen durch frühere Ausbaumaßnahmen und der Dimension des geplanten Vorhabens bereits als Folge der Initialbaggerung und der strombaulichen Maßnahmen ein "Umkippen" des Ökosystems im Elbästuar droht. Schließlich kann nach den eigenen Angaben der Antragsgegnerin nicht von einer Reversibilität der morphologischen Veränderungen (und der damit verbundenen Folgewirkungen) ausgegangen werden, soweit bindige bzw. andere erosionsfeste Sedimente entfernt werden. Nach dem Bauablaufplan machen bindige Sedimente einen Anteil von 12,5 Mio. cbm und damit von mehr als 25 % an der Gesamtbaggermenge von 37,8 Mio. cbm aus; sie sind danach schon mengenmäßig nicht zu vernachlässigen.

6

Hinsichtlich der Maßnahmen zur Umsetzung des Ufersicherungskonzepts Altenbrucher Bogen und zur Baufeldräumung überwiegt hingegen das Interesse der Antragsgegnerin und der Beigeladenen an der sofortigen Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses. Die Antragsteller haben auch im Nachgang zum Beschluss des Senats vom 20. August 2012 nicht dargetan, inwieweit durch eine zeitnahe Umsetzung dieser Maßnahmen (dauerhafte) nachteilige Auswirkungen für Umweltgüter drohen.