Entscheidungsdatum: 31.01.2011
Auch Lärm unterhalb der einschlägigen Grenzwerte ist im Planfeststellungsverfahren grundsätzlich abwägungserheblich (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung). Deshalb können auch in einem wasserrechtlichen Planfeststellungsbeschluss, mit dem eine Nassauskiesung zugelassen wird, Auflagen zur Reduzierung von Lärm, der die Grenzwerte der TA-Lärm nicht überschreitet, getroffen werden.
I.
Die Klägerin betreibt ein Kalkwerk, das aus Steinbrüchen zur Gewinnung von Kalkstein und Anlagen zu dessen Verarbeitung besteht. Auf ihren Antrag hin erließ der Beklagte einen wasserrechtlichen Planfeststellungsbeschluss für einen neuen Steinbruch. In dem Steinbruch soll Gestein bis unterhalb des natürlichen Grundwasserstands abgegraben werden. In Nebenbestimmungen des Planfeststellungsbeschlusses wurden - zum Schutz einer nahegelegenen Wohnsiedlung vor Lärm - unter anderem Sprengungen und lärmintensive Zerkleinerungsarbeiten an Samstagen verboten. Zur Begründung wird ausgeführt: Die immissionsschutzrechtlichen Anforderungen würden zwar eingehalten. Im Planfeststellungsverfahren sei aber eine Abwägung aller Belange vorzunehmen. Die Betriebsbeschränkungen an Samstagen würden im Rahmen der Abwägung angeordnet. Hierdurch werde dem besonderen Ruhebedürfnis der Anwohner Rechnung getragen. Die Beschränkungen seien für die Klägerin nicht unzumutbar. Der Abbaubetrieb werde wirtschaftlich nicht unverhältnismäßig beschränkt.
Gegen diese Nebenbestimmungen richtet sich die Klage, die das Verwaltungsgericht abgewiesen hat. Das Oberverwaltungsgericht hat die dagegen eingelegte Berufung zurückgewiesen. Die Klage sei zulässig, aber unbegründet. Auch ohne die Nebenbestimmungen würden zwar die Anforderungen der TA-Lärm beachtet und damit schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG vermieden. Die Beklagte habe die - über das zwingende Immissionsschutzrecht hinausgehenden - Auflagen aber rechtsfehlerfrei im Wege der Abwägung erlassen.
II.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts ist unbegründet. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
1. Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage,
ob Immissionen - insbesondere Lärmeinwirkungen - auch dann Eingang in die planerische Abwägung in der wasserrechtlichen Planfeststellung finden mit dem Ergebnis, dass dem Vorhabenträger zusätzliche Einschränkungen abverlangt werden können, wenn die durch das Bundes-Immissionsschutzgesetz und die untergesetzlichen Regelwerke hierzu festgesetzten Grenzwerte nicht überschritten werden.
Diese Frage kann aufgrund der vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bejaht werden, ohne dass es hierzu der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.
Diese Rechtsprechung wird in dem Berufungsurteil zutreffend dargestellt. Danach gilt Folgendes: Soweit Geräusche schädliche Umwelteinwirkungen sind, sind sie unzumutbar. Die fachplanerische Abwägung beschränkt sich aber nicht auf solche Nachteile eines Vorhabens, die unzumutbar sind und deshalb nicht hingenommen werden müssen. Bei der Abwägung sind vielmehr alle vom Vorhaben berührten öffentlichen sowie privaten Belange zu berücksichtigen und - sofern zwischen ihnen Konflikte auftreten - einer umfassenden planerischen Problembewältigung zuzuführen. Dabei sind abwägungserheblich alle im jeweiligen Einzelfall von der Planung betroffenen Belange mit Ausnahme derjenigen, die geringwertig oder nicht schutzwürdig sind (vgl. Urteil vom 28. März 2007 - BVerwG 9 A 17.06 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 64 und Beschluss vom 5. Oktober 1990 - BVerwG 4 B 249.89 - Buchholz 442.40 § 9 LuftVG Nr. 6). Schutzwürdig ist auch der Belang, nicht von mehr als nur geringfügigem Lärm unterhalb der Schwelle der Unzumutbarkeit betroffen zu sein. Dies gilt selbst bei normativ festgesetzten Immissionsgrenzwerten (vgl. Beschlüsse vom 11. November 2008 - BVerwG 9 A 56.07 - Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 51 und vom 5. März 1999 - BVerwG 4 A 7.98 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 149).
§ 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG, wonach dem Träger des Vorhabens Schutzmaßnahmen aufzuerlegen sind, die zum Wohl der Allgemeinheit oder zur Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf Rechte anderer erforderlich sind, besagt nichts anderes. Im Gegenteil kennzeichnet die Vorschrift in Übereinstimmung mit dem Vorstehenden eine im Wege der Abwägung nicht zu überwindende Schwelle zum Schutz von Rechtspositionen (vgl. Urteile vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A 1075.04 - BVerwGE 125, 116 = Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 23 und vom 1. September 1999 - BVerwG 11 A 2.98 - Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 52). Sie vermittelt einen Rechtsanspruch auf die Anordnung von Schutzmaßnahmen und lässt nicht im Gegenschluss zu, dass nachteilige Wirkungen unterhalb dieser Schwelle Dritte nicht in schutzwürdigen und - nach den jeweiligen Umständen - schutzbedürftigen Interessen betreffen. Planbetroffene haben Anspruch auf fehlerfreie Abwägung gerade auch dann und insoweit, als ihr Betroffensein die Behörde nicht nach § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG zu Schutzanordnungen verpflichtet. Ebenso wenig hindert § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG die Behörde, abwägungserhebliche Belange nach Maßgabe der jeweiligen Gegebenheiten als so gewichtig zu betrachten, dass der Vorhabenträger zur Vornahme von Schutzmaßnahmen verpflichtet wird, obwohl die in Frage stehenden Einwirkungen Rechte anderer nicht unzumutbar beeinträchtigen.
Diese Rechtsprechung sieht auch die Beschwerde. Sie meint jedoch, in der vorliegenden Fallkonstellation müsse etwas anderes gelten. Die im Wesentlichen in Rechtsstreitigkeiten über die Planfeststellung für Verkehrsinfrastruktur-Projekte entwickelte Rechtsprechung lasse sich auf den vorliegenden Fall nicht übertragen. In Planfeststellungsverfahren zu Verkehrsinfrastruktur-Vorhaben bildeten Beeinträchtigungen durch Lärm regelmäßig den zentralen Konfliktpunkt. Die planerische Abwägungsentscheidung diene gerade der Bewältigung der aus der Lärmentwickelung resultierenden Konflikte. Bei der wasserrechtlichen Planfeststellung dagegen spielten Lärmimmissionen nur ausnahmsweise und auch dann nur eine eher ungeordnete Rolle. Würde die Klägerin hier statt der planfeststellungspflichtigen Nassabgrabung eine Trockenabgrabung betreiben, wäre diese nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigungspflichtig. Sie hätte dann einen Anspruch auf Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, wenn die in den untergesetzlichen Regelwerken konkretisierend festgelegten Immissionsgrenzwerte eingehalten seien.
Dies führt jedoch zu keinen anderen Grundsätzen für die Abwägung im wasserrechtlichen Planfeststellungsverfahren. Die beschriebene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts enthält allgemeine Grundsätze für eine rechtsfehlerfreie Abwägung im Planfeststellungsverfahren. Eine Beschränkung auf Verkehrsvorhaben lässt sich ihr ebenso wenig entnehmen wie eine Beschränkung auf den Belang Lärmimmissionen. Dies ist - wie in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts zutreffend ausgeführt wird - auch sachgerecht. Das Vorhaben wird durch den Planfeststellungsbeschluss zugelassen, der wegen der ihm zukommenden formellen Konzentrationswirkung eine einheitliche Gesamtentscheidung über die Vereinbarkeit des Vorhabens mit allen entscheidungsrelevanten Belangen enthält und als Abwägungsentscheidung ergeht. Diese Entscheidung bestimmt die Rechte sowohl des Vorhabenträgers als auch der durch das Vorhaben in ihren abwägungsrelevanten Belangen betroffenen Dritten (vgl. Urteil vom 10. Februar 1978 - BVerwG 4 C 25.75 - BVerwGE 55, 220 <230>; siehe jetzt § 70 Abs. 1 Halbs. 2 WHG n.F. i.V.m. § 75 Abs. 1 VwVfG). Das Abwägungserfordernis bezieht sich deshalb innerhalb des durch das materielle Recht gezogenen Rahmens auf die zulassungsrelevanten Belange insgesamt, nicht allein auf die vom Vorhaben betroffenen spezifisch wasserwirtschaftlichen Belange. Damit ist auch der von dem Vorhaben ausgehende Lärm in die Abwägung einzustellen.
Daraus ergeben sich zwar gewisse rechtliche Unterschiede für die planfeststellungspflichtige Zulassung einer Nassauskiesung und die immissionsschutzrechtlich genehmigungspflichtige Zulassung einer Trockenabgrabung. Diese sind aber zwangsläufige Folge der unterschiedlichen materiellrechtlichen Voraussetzungen für die immissionsschutzrechtliche Genehmigung (vgl. § 6 Abs. 1 BImSchG) einerseits und die Planfeststellung gemäß § 31 WHG a.F. bzw. gemäß § 68 WHG n. F. andererseits. Für die Planfeststellung gelten dabei entgegen der Ansicht der Klägerin nicht allgemein strengere Anforderungen als für eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung. Beispielhaft sei auf Folgendes verwiesen: Die Vorschriften über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben (§§ 29 bis 37 BauGB) gelten im Planfeststellungsverfahren weitgehend nicht (vgl. § 38 BauGB). Deshalb können bei der Abwägung im Einzelfall auch zwingende Festsetzungen eines Bebauungsplans überwunden werden. Dagegen ist bei Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung zwar im Genehmigungsverfahren keine Abwägung vorzunehmen. Andererseits sind aber Festsetzungen in einem Bebauungsplan, die als solche ebenfalls das Ergebnis einer Abwägung sind, zwingend zu beachten. Auch das Bauplanungsrecht lässt es im Übrigen zu, dass Festsetzungen zum Lärmschutz außerhalb des Immissionsschutzrechts getroffen werden (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB).
2. Die Beschwerde hält weiter für klärungsbedürftig die Frage,
ob das Interesse eines Vorhabenträgers an der Verwirklichung seines Vorhabens gegenüber dem Schutzinteresse potentiell betroffener Dritter über ein erhöhtes Gewicht in der Abwägung verfügt, wenn der Vorhabenträger aufgrund der Einhaltung der zwingenden fachrechtlichen Vorgaben eigentlich über einen Genehmigungsanspruch verfügen würde und sich die Zulassungsentscheidung lediglich aufgrund der Konzentrationswirkung der wasserrechtlichen Planfeststellung für eine Abwägung öffnet.
Die Beantwortung dieser Frage ergibt sich ohne Weiteres aus obigen Ausführungen. Das Interesse des Vorhabenträgers ist auch in der in der Fragestellung genannten Fallkonstellation zu gewichten und in die Abwägung einzustellen. Die Abwägung hat nach den allgemein hierfür geltenden Regeln zu erfolgen. Wie hoch das Gewicht eines Belangs des Vorhabenträgers ist, lässt sich nur im Einzelfall und nicht allgemein beantworten.