Entscheidungsdatum: 03.03.2016
Der in § 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG verwendete Begriff der "Abfallentsorgungsanlagen im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 BImSchG" erstreckt sich auf Nebeneinrichtungen oder Teile einer Anlage, die für sich betrachtet genehmigungsbedürftig wären.
I
Der Rechtsvorgängerin der Klägerin wurde unter dem 11. Mai 1995 eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur wesentlichen Änderung einer bestehenden Anlage zur Herstellung von Zementklinker und Zement in P. erteilt; Gegenstand dieses Bescheids ist die Errichtung und Inbetriebnahme eines Zwischenlagers für Reifen und Reifenschnitzel mit einer Lagermenge von maximal 7 000 Tonnen im Steinbruch des Zementwerks. Die dort gelagerten Reifen und Reifenschnitzel werden in der Produktion des Zementwerks energetisch und stofflich verwertet.
Mit dem angefochtenen Bescheid erlegte der Beklagte der Klägerin eine Sicherheitsleistung in Höhe von 280 000 € auf. Zur Begründung hieß es: Gemäß § 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG solle die zuständige Behörde bei immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Abfallentsorgungsanlagen im Sinne des § 4 Abs. 1 BImSchG eine Sicherheitsleistung anordnen. Dies gelte auch für Abfallentsorgungsanlagen, die als Teil oder Nebeneinrichtung einer sonstigen genehmigungsbedürftigen Anlage diese Voraussetzungen erfüllten und gesondert betrachtet unter Nr. 8 des Anhangs 1 der 4. BImSchV fielen.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage blieb ebenso erfolglos wie die von der Klägerin eingelegte Berufung. Zur Begründung des Berufungsurteils heißt es unter anderem: Auch ein - isoliert betrachtet genehmigungsbedürftiges - Abfalllager, das eine Nebenanlage einer anderweitig immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlage darstelle, sei eine Abfallentsorgungsanlage im Sinne des § 17 Abs. 4a Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 BImSchG. Dies ergebe sich aus systematischen und historischen Erwägungen sowie dem Zweck der Norm. Hinsichtlich der Rechtsfolge - Anordnung einer Sicherheitsleistung - binde § 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG regelmäßig die Behörde; nur im Ausnahmefall, der hier nicht vorliege, entscheide sie über die Sicherheitsleistung als solche nach pflichtgemäßem Ermessen.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.
II
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Frage:
"Erstreckt sich die Anordnungsbefugnis in § 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG tatbestandlich auch auf Abfallentsorgungsanlagen, die als Teil oder Nebeneinrichtung einer sonstigen genehmigungsbedürftigen (Produktions-)Anlage diese Voraussetzungen erfüllen und gesondert betrachtet nach Nr. 8 des Anhangs 1 der 4. BImSchV genehmigungsbedürftig wären?",
bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren, denn sie lässt sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation - in bejahendem Sinne - beantworten.
Nach § 17 Abs. 4a Satz 1 des Gesetzes zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundes-Immissionsschutzgesetz - BImSchG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 17. Mai 2013 (BGBl. I S. 1274), zuletzt geändert durch Art. 76 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) soll zur Erfüllung der Pflichten nach § 5 Abs. 3 BImSchG bei Abfallentsorgungsanlagen im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 BImSchG auch eine Sicherheitsleistung angeordnet werden. Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, dass eine - gesondert betrachtet - genehmigungsbedürftige Nebenanlage eine von § 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG erfasste "Abfallentsorgungsanlage im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 BImSchG" darstellt, bei der die Anordnung einer Sicherheitsleistung gerechtfertigt ist (vgl. in diesem Sinne auch VGH Kassel, Beschluss vom 23. September 2009 - 6 A 263/09.Z - juris Rn. 11; Wasielewski, in: Führ
a) Wortlaut und Systematik der einschlägigen Regelungen sprechen dafür, dass eine genehmigungsbedürftige Anlage in Gestalt einer ortsfesten Abfallentsorgungsanlage im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 BImSchG auch dann vorliegt, wenn die in Rede stehende Anlage Teil einer anderen, ihrerseits genehmigungsbedürftigen Anlage ist. Die immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbedürftigkeit einer Anlage ergibt sich im jeweiligen Einzelfall aus § 4 Abs. 1 Satz 3 BImSchG in Verbindung mit den Bestimmungen der Vierten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen - 4. BImSchV); das gilt auch für Anlagen zur Verwertung und Beseitigung von Abfällen und sonstigen Stoffen (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 und 2 i.V.m. Nr. 8 des Anhangs 1 der 4. BImSchV). Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Anlage innerhalb eines Gesamtbetriebs als Haupt- oder Nebenanlage eingesetzt wird (vgl. Hansmann/Röckinghausen, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 4. BImSchV, § 1 Rn. 5, Stand August 2013). Für Anlagenteile oder Nebeneinrichtungen, die von sich aus genehmigungsbedürftig sind, enthält § 1 Abs. 4 der 4. BImSchV den klarstellenden Hinweis, dass es lediglich einer Genehmigung für die gesamte Anlage bedarf; die Form des Genehmigungsverfahrens wird durch § 2 Abs. 1 der 4. BImSchV bestimmt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Dezember 2010 - 7 B 6.10 - Buchholz 406.25 § 10 BImSchG Nr. 6 Rn. 18). Diese verfahrensrechtlichen Vorschriften ändern aber nichts an der Genehmigungsbedürftigkeit des Anlagenteils oder der Nebenanlage, der oder die dann die Anlage oder Abfallentsorgungsanlage im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 BImSchG darstellt.
b) Die Entstehungsgeschichte des § 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG spricht nicht gegen diese Auslegung. Mit § 17 Abs. 4a Satz 1 und § 12 Abs. 1 Satz 2 BImSchG wollte der Gesetzgeber klarstellen, dass zur Sicherstellung der sich aus § 5 Abs. 3 BImSchG ergebenden Verpflichtungen auch eine Sicherheitsleistung in angemessener Höhe auferlegt werden kann (so die ursprüngliche, erst 2010 durch eine Soll-Vorschrift abgelöste Gesetzesfassung). Davon sollten allerdings nur diejenigen Anlagenarten erfasst werden, bei denen eine Annahme und Lagerung von Abfällen erfolgt und damit typischerweise die Gefahr der Annahme solcher Abfälle ohne Verwertungsabsicht oder hinreichendes Verwertungskonzept gegeben ist (vgl. BT-Drs. 14/4926 S. 6). Diese typischen Risiken bestehen aus Sicht des Gesetzgebers immer dann, wenn bei einer Anlage die Annahme und Lagerung von Abfällen erfolgt, ohne dass letztere zugleich den Hauptzweck der Anlage darstellen müssten. Für eine derartige zusätzliche Einengung des Regelungsbereichs findet sich in den Gesetzgebungsmaterialien keine Grundlage. Sie ergibt sich namentlich nicht aus dem Hinweis, dass bei den betroffenen Abfallanlagen im Gegensatz zu Produktionsbetrieben das wirtschaftliche Interesse in der Annahme von Abfall gegen Entgelt bestehe, dessen weitere Entsorgung mit Kosten verbunden sei (vgl. BT-Drs. 14/4926 S. 6). Weder aus dem Beschwerdevorbringen noch aus sonstigen Umständen lässt sich entnehmen, dass das vom Gesetzgeber bezeichnete wirtschaftliche Interesse ausschließlich bei Anlagen mit dem Hauptzweck der Abfallentsorgung bestünde. Stellt die Entsorgungsanlage eine Nebenanlage dar, so tritt dieses Interesse neben dasjenige der Einnahmeerzielung durch die Hauptanlage, ohne dass es typischerweise gänzlich wegfiele.
Im Übrigen knüpft § 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG an eine schon zuvor bestehende Rechtslage an. Bereits nach § 8 Abs. 2 des Abfallgesetzes vom 27. August 1986 (BGBl. I S. 1410, 1501) konnte unter anderem für Anlagen zur Lagerung und Behandlung von Abfällen eine Sicherheitsleistung gefordert werden. Diese Regelung galt, wie das angefochtene Urteil unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien näher ausgeführt hat (UA S. 12 f.), auch für Nebenanlagen. Das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz vom 22. April 1993 (BGBl. I S. 466) überführte die Zulassung bestimmter Abfallentsorgungsanlagen in das Regelungsregime des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, wodurch bei diesen Anlagen zunächst die Möglichkeit entfiel, eine Sicherheit zu verlangen. Diese wurde durch Art. 1 des Gesetzes zur Sicherstellung der Nachsorgepflichten bei Abfalllagern vom 13. Juli 2001 (BGBl. I S. 1550) wieder eingeführt und durch Art. 2 Nr. 8 und 11 des Gesetzes zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1950) modifiziert. Aus dieser Rechtsentwicklung ergibt sich nicht, dass eine Sicherheitsleistung nach den Intentionen des Gesetzgebers bei Nebenanlagen nunmehr ausgeschlossen sein sollte.
c) Die Zielsetzung des § 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG spricht ebenfalls für seine Erstreckung auf Nebenanlagen wie diejenige der Klägerin.
aa) Der Sinn der Vorschrift besteht darin sicherzustellen, dass die öffentliche Hand bei Zahlungsunfähigkeit des Betreibers einer Abfallentsorgungsanlage nicht die zum Teil erheblichen Sicherungs-, Sanierungs- und Entsorgungskosten zu tragen hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. März 2008 - 7 C 44.07 - BVerwGE 131, 11 Rn. 27 f.). Insoweit besteht bei Abfallentsorgungsanlagen ein besonderes Insolvenzrisiko, das über das bei allen immissionsschutzrechtlich genehmigungspflichtigen Anlagen bestehende Risiko hinausgeht. Es folgt aus dem negativen Marktwert, den Abfälle in der Regel haben. Im Gegensatz zu Produktionsbetrieben erhält der Betreiber einer Abfallentsorgungsanlage regelmäßig ein Entgelt dafür, dass er Abfälle annimmt. Bei der weiteren Entsorgung (Behandlung, Lagerung) der Abfälle und namentlich in der Stilllegungsphase entstehen dagegen regelmäßig Kosten. Im Falle der Insolvenz müsste, soweit keine Sicherheit geleistet wurde, die öffentliche Hand die für die Entsorgung dieser Abfälle anfallenden Kosten tragen, ohne dass ihr hierfür die vom Anlagenbetreiber vor der Insolvenz vereinnahmten Entgelte zur Verfügung stehen. Dieses besondere Kostenrisiko der öffentlichen Hand soll durch die Anordnung einer Sicherheitsleistung vermieden werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. März 2008 - 7 C 44.07 - BVerwGE 131, 11 Rn. 30).
bb) Das Oberverwaltungsgericht hat anknüpfend an diese Erwägungen im Einzelnen ausgeführt, dass das Risiko einer erheblichen Kostenlast für die öffentliche Hand im Insolvenzfall nicht nur bei "reinen" Abfallentsorgungsanlagen, sondern auch dann besteht, wenn die Lagerung und Entsorgung von Abfällen in einer Nebenanlage stattfindet. Insbesondere stünden nach Eintritt der Insolvenz regelmäßig keine Einnahmen aus dem Produktverkauf mehr zur Verfügung; aus der Veräußerung von Produktionsanlagen seien allenfalls längerfristig Einnahmen zu erwarten, die für die gebotene rasche Erfüllung der Pflichten aus § 5 Abs. 3 BImSchG nicht herangezogen werden könnten. Dass das Risiko des Eintritts einer Insolvenz bei reinen Abfallentsorgungsanlagen höher einzuschätzen sein könnte als bei Nebenanlagen, hat das Oberverwaltungsgericht entgegen der Auffassung der Beschwerde berücksichtigt, aber nicht als tragfähiges Differenzierungskriterium angesehen, weil es maßgeblich auf die Erfüllung der Nachsorgepflichten aus § 5 Abs. 3 BImSchG ankomme. Diese sei indessen erst nach Eintritt der Insolvenz gefährdet, so dass das zu diesem Zeitpunkt bestehende Risiko entscheidend sei. Gesichtspunkte von Substanz, die dieser Einschätzung entgegenstehen könnten, führt die Beschwerde nicht auf.
2. Die von der Beschwerde für den Fall, dass es sich bei der Anlage der Klägerin um eine von § 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG erfasste Abfallentsorgungsanlage handelt, gestellte Frage:
"... kann in diesem Fall von einem intendierten Ermessen dahingehend ausgegangen werden, dass die Anordnung der Sicherheitsleistung regelmäßig nicht angezeigt ist?",
ist, soweit sie nicht ohnehin der Sache nach auf die Rechtsanwendung im Einzelfall zielt, mit dem Oberverwaltungsgericht zu verneinen.
§ 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG in der derzeit geltenden Fassung von Art. 2 Nr. 3 des Gesetzes zur Bereinigung des Bundesrechts im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Rechtsbereinigungsgesetz Umwelt - RGU) vom 11. August 2009 (BGBl. I S. 2723) sieht im Falle des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen vor, dass die Anordnung einer Sicherheitsleistung erfolgen "soll". Diese Formulierung als Soll-Vorschrift macht deutlich, dass von dem Verlangen nach einer Sicherheitsleistung lediglich in atypischen Fällen abzusehen ist. Dies entspricht der mit Art. 2 Nr. 3 RGU verfolgten Absicht des Gesetzgebers, den Ermessensspielraum der Behörde einzuschränken (vgl. BT-Drs. 16/13301 S. 7).
Ein derartiger atypischer Fall liegt bei einer am Ziel der Vorschrift orientierten Auslegung dann vor, wenn aufgrund besonderer Umstände die Gefahr, dass die öffentliche Hand bei Insolvenz des Betreibers der Anlage hohe Kosten zu tragen hat, auch ohne Sicherheitsleistung verneint werden kann. Das bedeutet umgekehrt, dass bereits das allgemeine Liquiditätsrisiko grundsätzlich zur Anordnung einer Sicherheitsleistung führt. Eines konkreten Anlasses für die Forderung einer Sicherheit bedarf es also nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. März 2008 - 7 C 44.07 - BVerwGE 131, 11 Rn. 21). Dementsprechend war schon unter Geltung der nach Art. 22 Abs. 1 RGU zum 1. März 2010 außer Kraft getretenen Fassung des § 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG, die der Behörde ein grundsätzlich uneingeschränktes pflichtgemäßes Ermessen eröffnete (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. März 2008 - 7 C 44.07 - BVerwGE 131, 11 Rn. 23), davon auszugehen, dass namentlich bei Anlagen zur Lagerung und Behandlung von Abfällen mit negativem Marktwert wie beispielsweise Altreifen auch aus bodenschutzrechtlicher Sicht nicht unerhebliche Stilllegungs- und Nachsorgerisiken bestehen, die regelmäßig das Verlangen einer Sicherheitsleistung rechtfertigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. März 2008 - 7 C 44.07 - BVerwGE 131, 11 Rn. 36).
Hiernach gibt der Umstand, dass es sich bei einer Abfallbeseitigungsanlage um eine Nebenanlage handelt, keine Handhabe, von der Anordnung einer Sicherheitsleistung abzusehen. Wie bereits unter II 1. c) bb) erwähnt, ist das auf die Nachsorgepflichten des § 5 Abs. 3 BImSchG bezogene Kostenrisiko im Falle einer Insolvenz bei einer als Nebenanlage betriebenen Abfallentsorgungsanlage typischerweise nicht geringer als bei einer "reinen" Abfallbeseitigungsanlage. Die Intension des Gesetzgebers, diesem Risiko zu begegnen, verbietet deshalb eine grundsätzliche Differenzierung nach Haupt- und Nebenanlagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 1 GKG.