Entscheidungsdatum: 22.09.2015
Zum Begriff der "voraussehbaren Besonderheiten" im Sinne von Nr. 7.2 Abs. 1 Satz 1 TA Lärm.
I
Der Beklagte erteilte der beigeladenen Gemeinde eine auf § 4 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) gestützte Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Speedway-Bahn in einem auf dem Gebiet der Beigeladenen liegenden Stadion. Die Klägerin ist Eigentümerin eines benachbarten, zu Wohnzwecken genutzten Grundstücks. Das Verwaltungsgericht hob den Genehmigungsbescheid insoweit auf, als darin ein Speedway-Vereinstraining mit mehr als zehn Trainingseinheiten zu 1,5 Minuten zugelassen ist. Auf die Berufung des Beklagten wies der Verwaltungsgerichtshof die Klage insgesamt ab. Das Verwaltungsgericht habe die das Speedway-Vereinstraining betreffende Regelung in Nr. 3.2.1.1 des Genehmigungsbescheids zu Unrecht aufgehoben. Das Speedway-Vereinstraining erfülle jedenfalls die Voraussetzungen, die an "seltene Ereignisse" im Sinne der Nr. 7.2 TA Lärm zu stellen seien. Es handele sich dabei um voraussehbare Besonderheiten des Betriebs der Speedway-Bahn. Hierfür reiche jede dem Grunde nach prognostizierbare Abweichung von den ansonsten anzutreffenden Betriebsmodalitäten der Anlage aus, die nach außen hin hervortrete und die mit der Erzeugung einer größeren Lärmfracht einhergehe, als sie für den Anlagenbetrieb ansonsten kennzeichnend sei. Die mit dem Speedway-Vereinstraining einhergehenden Geräuschimmissionen seien der Klägerin auch zumutbar.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.
II
Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Klägerin beigemessene grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
a) Die Frage
"Reicht es für die Annahme eines "seltenen Ereignisses" im Sinne der Nr. 7.2 Abs. 1 TA Lärm aus, dass es sich
- erstens um eine prognostizierbare Abweichung von den ansonsten anzutreffenden Betriebsmodalitäten handelt, die
- zweitens nach außen hin auftritt und
- drittens mit der Erzeugung einer größeren Lärmfracht verbunden ist?"
zielt auf die Auslegung des Begriffs der "voraussehbaren Besonderheiten" im Sinne von Nr. 7.2 Abs. 1 Satz 1 TA Lärm. Zwar unterliegt die TA Lärm als normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift grundsätzlich der revisionsgerichtlichen Überprüfung (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. August 2007 - 4 C 2.07 - BVerwGE 129, 209 Rn. 12); die Beschwerde zeigt jedoch nicht auf, dass an dem Begriff der "voraussehbaren Besonderheiten" weitergehende, hier nicht gegebene und deshalb klärungsbedürftige Anforderungen zu stellen sein könnten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat ausgeführt, dass für die Bejahung des Tatbestandsmerkmals der "voraussehbaren Besonderheiten" jede dem Grunde nach prognostizierbare Abweichung von den ansonsten anzutreffenden Betriebsmodalitäten der Anlage ausreiche, die nach außen hin hervortrete und die mit der Erzeugung einer größeren Lärmfracht einhergehe, als sie für den Anlagenbetrieb ansonsten kennzeichnend sei. Dabei könne es sich beispielsweise um den Einsatz besonderer Maschinen, aber auch um eine besondere Art des Betriebs der üblicherweise eingesetzten Maschinen handeln. Das Erfordernis, dass es zu für Außenstehende wahrnehmbaren Modifizierungen im Betriebsablauf kommen müsse, die für ein höheres Maß an Geräuschentwicklung ursächlich seien, erscheine geboten, um das Vorhandensein objektiver, verifizierbarer Anknüpfungspunkte für die weitere durch Nr. 7.2 TA Lärm vorgeschriebene Prüfung sicherstellen zu können.
Der Verwaltungsgerichtshof lässt es entgegen der Auffassung der Beschwerde für das Vorliegen einer "voraussehbaren Besonderheit" nicht ausreichen, dass "lediglich viel Lärm" oder "schlicht eine höhere Lärmfracht ... erzeugt wird". Vielmehr sieht er die "voraussehbaren Besonderheiten" in Gestalt des Einsatzes besonderer Maschinen als gegeben an, weil bei dem hier in Rede stehenden Speedway-Vereinstraining spezielle "Speedway-Motorräder", die eine Vielzahl technischer Besonderheiten aufwiesen, zu verwenden seien. Damit wird eine spezifische Modalität der verwendeten Motorräder verlangt, die - anders, als die Beschwerde meint - über die bloße "volle Auslastung der Anlagenkapazität" hinausgeht. Ob letztere allein eine Besonderheit im Sinne der Nr. 7.2 TA Lärm darstellen kann (vgl. - grundsätzlich verneinend - OVG Münster, Beschluss vom 3. Mai 2012 - 8 B 1458/11 u.a. - juris Rn. 89), bedarf daher keiner Klärung in einem Revisionsverfahren.
Entgegen der Auffassung der Beschwerde ist der Begriff der "voraussehbaren Besonderheiten" nicht zusätzlich dahingehend einzugrenzen, dass eine gewisse Art von Betriebsnotwendigkeit vorliegen muss, die die Erzeugung der größeren Lärmfracht vom Willen des Betreibers unabhängig macht und/oder das Lärmereignis nicht mehr in den unmittelbaren Zusammenhang mit dem Betrieb der Anlage stellt. Um dies auszuschließen, bedarf es keines Revisionsverfahrens. Für eine derartige Anknüpfung an die Ursache der Emissionen und an subjektive Gegebenheiten auf Seiten des Betreibers der Anlage findet sich weder in Nr. 7.2 TA Lärm selbst noch sonst eine Grundlage. Im Gegenteil ergibt es sich ohne Weiteres aus dem Wortlaut von Nr. 7.2 Abs. 1 Satz 1 TA Lärm, dass eine Besonderheit häufig gerade dann "voraussehbar" im Sinne dieser Vorschrift sein wird, wenn sie eine bestimmte vom Anlagenbetreiber initiierte temporäre Modifikation des Betriebsablaufs darstellt. Besonderheiten, die auf den Betreiber der Anlage zurückgehen und in unmittelbarem Zusammenhang mit deren Betrieb stehen, sind daher nicht aus dem Anwendungsbereich der Nr. 7.2 TA Lärm ausgeschlossen.
Die von der Beschwerde für richtig gehaltene Einschränkung des Begriffs der "voraussehbaren Besonderheiten" folgt auch nicht aus den übrigen in Nr. 7 TA Lärm enthaltenen Regelungen. Offen bleiben kann, ob und in welchem Umfang in Nr. 7.1, 7.3 und 7.4 TA Lärm tatsächlich nur - wie die Beschwerde meint - Situationen und Vorkommnisse geregelt sind, die vom Willen des Anlagenbetreibers unabhängig sind, was sich jedenfalls im Hinblick auf die in Nr. 7.3 TA Lärm geregelten tieffrequenten Geräusche nicht ohne Weiteres erschließt. Denn in Nr. 7 TA Lärm sind Regelungen, die die allgemeinen Beurteilungsverfahren der TA Lärm ergänzen, für verschiedene Sachverhalte zusammengefasst, die in keinem sachlichen oder systematischen Zusammenhang miteinander stehen (vgl. Feldhaus/Tegeder, in: Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, Stand August 2013, B 3.6 Nr. 7 Rn. 9). Der von der Beschwerde vorgenommene Rückschluss von den anderen Unternummern auf Nr. 2 verbietet sich vor diesem Hintergrund. Das gilt auch für das in Nr. 7.1 Satz 2 TA Lärm erwähnte "vom Willen des Betreibers unabhängige ... Ereignis"; es kann nicht als Voraussetzung in Nr. 7.2 TA Lärm hineingelesen werden.
b) Die Frage
"Können allein technische Besonderheiten einer Emissionsquelle voraussehbare Besonderheiten im Sinne der Nr. 7.2 TA Lärm mit der Folge sein, dass die aus dieser Emissionsquelle resultierenden Lärmwerte als "seltene Ereignisse" nach Nr. 7.2 TA Lärm Nachbarn zumutbar sind?"
bedarf ebenfalls keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Eine Besonderheit im Sinne der Nr. 7.2 TA Lärm kann, wie bereits dargelegt, auch technischer Natur - in Gestalt der Verwendung besonderer Maschinen - sein und setzt nicht zusätzlich die von der Beschwerde geforderten weiteren Gegebenheiten auf Seiten der Anlage oder ihres Betreibers voraus.
c) Auch die Frage
"Handelt es sich bei einem 'Speedway-Vereinstraining' um eine voraussehbare Besonderheit im Sinne der Nr. 7.2 Abs. 1 TA Lärm bei einer 'Anlage zur Übung und Ausübung des Motorsports, Speedwaybahn'?"
führt nicht auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Sie richtet sich allein gegen die vom Berufungsgericht vorgenommene Anwendung der Nr. 7.2 TA Lärm auf die im Berufungsverfahren noch streitige Regelung in der der Beigeladenen erteilten Genehmigung. Ein Bedürfnis nach fallübergreifender Klärung legt die Beschwerde insoweit nicht dar.
d) Mit der Frage
"Scheidet die Anwendung der Nr. 7.2 Abs. 2 Satz 3 TA Lärm beim Zusammentreffen von immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen und immissionsschutzrechtlich nicht zu genehmigenden Anlagen aus?"
wird kein grundsätzlicher Klärungsbedarf aufgezeigt. Das Berufungsgericht mag zwar davon ausgegangen sein, dass die TA Lärm auch auf die Fußballspiele im Stadion der Beklagten Anwendung findet (UA Rn. 64), und damit das Zusammentreffen von Emissionen einer genehmigungsbedürftigen und einer nicht genehmigungsbedürftigen Anlage angenommen haben. Aus Nr. 1 TA Lärm ergibt sich indessen jedenfalls eindeutig, dass die TA Lärm - mit bestimmten, im einzelnen aufgeführten Ausnahmen - für Anlagen gilt, die als genehmigungsbedürftige oder nicht genehmigungsbedürftige Anlagen den Anforderungen des Zweiten Teils des Bundes-Immissionsschutzgesetzes unterliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. August 2007 - 4 C 2.07 - BVerwGE 129, 209
e) Die Frage
"Müssen immissionsschutzrechtlich nicht genehmigte Anlagen bei der Ausnutzung der Nr. 7.2 TA Lärm gegenüber immissionsschutzrechtlich genehmigten Anlagen zurücktreten? Gilt dies auch dann, wenn die immissionsschutzrechtlich nicht zu genehmigende Anlage bereits zeitlich vor der zu genehmigenden Anlage betrieben wurde?"
würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Dem Berufungsurteil liegt nicht die Auffassung zugrunde, dass im Anwendungsbereich der Nr. 7.2 TA Lärm immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlagen ein - wie auch immer gearteter - grundsätzlicher Vorrang zukomme. Der Verwaltungsgerichtshof hat für den hier gegebenen Einzelfall angenommen, dass seltene Ereignisse, die möglicherweise durch andere Anlagen in der Umgebung des Vorhabens der Beigeladenen verursacht werden, der Rechtmäßigkeit der im Berufungsverfahren noch streitigen Regelung nicht entgegenstünden. Dabei hat der Verwaltungsgerichtshof auch auf die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Maßstäbe im Hinblick auf seltene Ereignisse, die verschiedenartigen Anlagen zuzuordnen sind, zurückgegriffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2001 - 7 C 16.00 - Buchholz 406.25 § 3 BImSchG Nr. 16 S. 8 f.). Insoweit zeigt die Beschwerde einen Klärungsbedarf nicht auf. Die in Rede stehenden Fußballspiele hat er nicht als seltene Ereignisse im Sinne von Nr. 7.2 TA Lärm qualifiziert.
2. Der von der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensfehler liegt nicht vor. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) nicht durch eine unzulässige Überraschungsentscheidung verletzt. Einen solchen Verstoß sieht die Klägerin darin, dass der Verwaltungsgerichtshof angenommen habe, bei den auf den benachbarten Tennisplätzen und dem Fußballplatz stattfindenden Veranstaltungen handele es sich entweder nicht um "seltene Ereignisse" im Sinne von Nr. 7.2 TA Lärm oder es könnten gegebenenfalls immissionsschutzrechtliche Anordnungen gegenüber den Veranstaltern ergehen. Hierzu habe die Klägerin sich nicht äußern können. Aus diesem Vorbringen folgt kein Verfahrensfehler.
Das Gericht muss die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffes hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst auf Grund der abschließenden Beratung ergibt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Dezember 1999 - 9 B 467.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 51 S. 2). Eine der Gewährleistung des rechtlichen Gehörs zuwiderlaufende unzulässige Überraschungsentscheidung liegt erst dann vor, wenn das Gericht einen bislang nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 26. Juni 2013 - 7 B 42.12 - juris Rn. 11 m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall.
Wie sich aus der Beschwerde selbst ergibt, hat die Klägerin in der Begründung ihrer Klage vorgetragen, dass auf den Tennisplätzen und dem Fußballplatz Veranstaltungen stattfänden, die als seltene Ereignisse zu werten seien, und dies auch im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nochmals geltend gemacht. Zudem wurde die Frage, welchen Einfluss die Summation mit seltenen Störereignissen, die von anderen Anlagen herrühren und die im Regelfall einzuhaltenden Immissionsrichtwerte überschreiten, auf die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids hat, mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof ausweislich der darüber gefertigten Niederschrift erörtert. Damit hatte die Klägerin die Veranstaltungen auf den Tennisplätzen und auf dem Fußballplatz selbst zum Prozessstoff gemacht. Sie musste auch damit rechnen, dass das Berufungsgericht zu einer anderen rechtlichen Würdigung dieser tatsächlichen Umstände als sie gelangen würde. Dies stellt keine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör dar, denn Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte nicht, der Rechtsansicht einer Partei zu folgen (BVerfG, Beschluss vom 12. April 1983 - 2 BvR 678/81 u.a. - BVerfGE 64, 1 <12>).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 1 GKG.