Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 29.06.2018


BVerwG 29.06.2018 - 7 B 14/17

Ausnahmegenehmigung für den Bau einer Straße im vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebiet


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsdatum:
29.06.2018
Aktenzeichen:
7 B 14/17
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2018:290618B7B14.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 27. Juli 2017, Az: 8 BV 16.1030, Urteilvorgehend VG Augsburg, 19. April 2016, Az: Au 3 K 15.774, Urteil
Zitierte Gesetze

Gründe

I

1

Der Kläger wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Ausnahmegenehmigung für den Bau einer Ortsumfahrung in einem seit 2009 vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebiet. Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks der Gemarkung M. Der östliche Teil des Grundstücks ist mit einer Maschinen- und Lagerhalle bebaut und liegt innerhalb des Überschwemmungsgebiets.

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Das Landratsamt genehmigte dem Beigeladenen mit Bescheid vom 16. März 2015 die Errichtung zweier Brücken über die Mindel, den Bau der Straße im vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebiet der Mindel und unterteilte die Plangenehmigung zur Anpassung von Grabenverläufen und zur Anpassung an die bestehenden Feldwegdurchlässe. Die vom Kläger hiergegen erhobene Klage hatte vor dem Verwaltungsgericht und dem Verwaltungsgerichtshof keinen Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat ausgeführt: Dass die Hinzuziehung des Klägers im behördlichen Genehmigungsverfahren unterblieben sei, führe nicht zur Verletzung seiner Rechte. Es könne dahinstehen, ob die Vorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes zum Schutz von Überschwemmungsgebieten drittschützende Wirkung entfalteten, weil sowohl die Genehmigungsvoraussetzungen des § 78 Abs. 3 als auch des § 78 Abs. 4 WHG vorlägen. Die Voraussetzungen beider Vorschriften seien im Wesentlichen gleich.

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Das Berufungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.

II

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Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

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1. Die Rechtssache hat nicht die ihr von dem Kläger beigemessene grundsätzliche Bedeutung.

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Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Beschwerde eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage auf der Grundlage der bundesgerichtlichen Rechtsprechung oder des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Auslegungsregeln eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Januar 2011 - 2 B 2.11 - NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4). Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt für die Geltendmachung der Grundsatzrüge die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. August 2011 - 6 B 16.11 - juris Rn. 2 m.w.N.).

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a) Die Frage,

ob eine vorläufige Sicherung eines Überschwemmungsgebiets und die Festsetzung eines Überschwemmungsgebiets durch Rechtsverordnung unwirksam sind, weil bei der Festsetzung des Überschwemmungsgebiets die Festsetzungsfrist des § 76 Abs. 2 Satz 2 WHG nicht eingehalten wurde,

ist entgegen der Auffassung der Beschwerde nicht rechtsgrundsätzlich bedeutsam, weil sie sich ohne Weiteres mit Hilfe der Regeln sachgerechter Gesetzesauslegung beantworten lässt. § 76 Abs. 2 Satz 2 WHG, wonach Gebiete nach § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WHG bis zum 22. Dezember 2013 als Überschwemmungsgebiete festzusetzen sind, ordnet die Unwirksamkeit einer vorläufigen Sicherung eines Überschwemmungsgebiets oder ihrer Festsetzung im Falle einer Überschreitung der Festsetzungsfrist nicht an. Unabhängig davon, ob ein Verstoß gegen die Festsetzungsfrist haftungsrechtliche Auswirkungen auslösen kann (str., vgl. Rossi, in: Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG und AbwAG, Stand: Februar 2017, § 76 Rn. 21 und 27 m.w.N.), werden sonstige Rechtsfolgen an Fristverstöße seitens des Wasserhaushaltsgesetzes nicht geknüpft (vgl. Berendes, Zeitschrift für Wasserrecht, 2005, 197 <206>; Czychowski/Reinhardt, WHG, 11. Auf. 2014, § 76 Rn. 34; Kotulla, NVwZ 2006, 129 <130> und ders., WHG, 2. Aufl. 2011, § 76 Rn. 22; Rossi, a.a.O., § 76 Rn. 21). Zudem gilt das hier am 28. August 2009 vorrangig gesicherte Überschwemmungsgebiet gemäß § 106 Abs. 3 WHG als vorläufig gesichertes Überschwemmungsgebiet im Sinne von § 76 Abs. 3 WHG mit der Folge, dass über § 78 Abs. 6 WHG 2010 die besonderen Schutzvorschriften für festgesetzte Überschwemmungsgebiete nach § 78 Abs. 1 bis 5 WHG 2010 gelten (vgl. Schwind, in: Berendes/Freus/Müggenborg, WHG, 2. Aufl. 2017, § 106 Rn. 8). Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang zur Begründung des rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarfs auf eine Kommentierung von Drost zum neuen Wasserrecht in Bayern verweist, übersieht sie, dass sich die zitierte Kommentarstelle nicht zur Übergangsregelung des § 106 WHG verhält, sondern zu der Frage, ob mit Blick auf die Festsetzungsfrist des § 76 Abs. 2 Satz 2 WHG eine fristgerecht vorgenommene vorläufige Sicherung einer Festsetzung eines Überschwemmungsgebiets gleichzustellen ist. Darum geht es hier nicht.

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b) Auch die zweite Frage,

ob der Eigentümer eines Grundstücks, das sich im Einwirkungsbereich einer Straßenbaumaßnahme befindet, die in einem vorläufig gesicherten bzw. in einem festgesetzten Überschwemmungsgebiet verwirklicht werden soll, im Verwaltungsverfahren, dessen Gegenstand ein Antrag des Vorhabenträgers auf Genehmigung nach § 78 Abs. 3 WHG 2010 bzw. ein Antrag des Vorhabenträgers auf Zulassung nach § 78 Abs. 4 WHG 2010 ist, in analoger Anwendung des Art. 13 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG durch die für die Genehmigung bzw. Zulassung zuständige Verwaltungsbehörde notwendig hinzugezogen werden muss,

führt nicht zur Zulassung der Revision.

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Diese Frage lässt sich nicht im Sinne eines allgemein gültigen Rechtssatzes, sondern nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls beantworten und rechtfertigt deswegen die Zulassung der Revision nicht. Die Beschwerde legt auch nicht dar, inwieweit der Ausgang des Verfahrens zur Erteilung einer wasserrechtlichen Genehmigung nach § 78 Abs. 3 oder 4 WHG 2010 für den Kläger rechtsgestaltende Wirkung im Sinne von Art. 13 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG entfalten könne. Diese liegt vor, wenn durch den möglicherweise ergehenden Verwaltungsakt zugleich und unmittelbar Rechte des Dritten begründet, aufgehoben oder geändert werden (etwa Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 13 Rn. 40). Eine solche Wirkung hat der Verwaltungsgerichtshof wegen der Entfernung des klägerischen Grundstücks von der geplanten Straßentrasse verneint. Dem ist die Beschwerde nicht substantiiert entgegengetreten. Dass die Grundsatzfrage die analoge Anwendung von § 13 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG anführt, ändert hieran nichts.

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c) Ebenfalls zwingt die weitere Frage,

ob ein Verstoß gegen die analog anwendbare Verfahrensvorschrift des Art. 13 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG dem Eigentümer eines Grundstücks, das sich im Einwirkungsbereich einer Straßenbaumaßnahme befindet, die in einem vorläufig gesicherten bzw. in einem festgesetzten Überschwemmungsgebiet verwirklicht werden soll, eine selbständig durchsetzbare Rechtsposition einräumt,

den Senat nicht zur Zulassung der Revision. Aus den genannten Gründen fehlt es der Frage an der Entscheidungserheblichkeit. Im Übrigen ist geklärt, dass eine gesetzlich vorgesehene Verfahrensbeteiligung grundsätzlich dienende Funktion gegenüber dem Verfahrensziel hat. Verfahrensbeteiligungen, denen keine materiellen Rechte korrespondieren, begründen im Regelfall keine aus sich heraus klagefähige Position (BVerwG, Beschluss vom 25. März 2011 - 7 B 86.10 - juris Rn. 9 m.w.N.).

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d) Auch die Frage,

ob die hochwasserschutzrechtlichen Bestimmungen des § 78 WHG, insbesondere die Bestimmungen des § 78 Abs. 3 und 4 WHG 2010 drittschützende Wirkung haben,

führt nicht zur Zulassung der Revision. Auch diese Frage ist nicht entscheidungserheblich. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Frage nach der drittschützenden Wirkung der Regelungen zur Freihaltung von Überschwemmungsgebieten offen gelassen und darauf abgehoben, dass die angefochtene Genehmigung den Kläger jedenfalls nicht in seinen Rechten verletze.

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e) Schließlich führt auch die Frage,

ob eine isolierte Straßenbaumaßnahme in einem vorläufig gesicherten bzw. in einem festgesetzten Überschwemmungsgebiet der Genehmigung gemäß § 78 Abs. 3 WHG 2010 oder der Zulassung gemäß § 78 Abs. 4 WHG 2010 bedarf,

nicht zur Zulassung der Revision. Auch insoweit ist die Entscheidungserheblichkeit der Frage nicht ersichtlich. Der Verwaltungsgerichtshof hat sowohl die Genehmigungsvoraussetzungen nach § 78 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 4 WHG 2010 als auch die nach § 78 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 WHG 2010 bejaht.

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2. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Mit der geltend gemachten Aufklärungsrüge dringt der Kläger nicht durch. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht dadurch verletzt, dass es kein Sachverständigengutachten eingeholt hat.

14

Die Entscheidung, ob ein Gutachten eingeholt werden soll, steht im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO) im pflichtgemäßen Ermessen des Tatsachengerichts. Dieses Ermessen wird nur dann fehlerhaft ausgeübt, wenn das Gericht von der Einholung eines Gutachtens absieht, obwohl sich ihm die Notwendigkeit dazu hätte aufdrängen müssen. Das ist nicht schon dann der Fall, wenn ein Verfahrensbeteiligter ein Gutachten oder amtliche Auskünfte und gutachterliche Stellungnahmen einer Fachbehörde für unzutreffend hält. Vielmehr muss das Tatsachengericht zu der Überzeugung gelangen, dass die Grundvoraussetzungen für die Verwertbarkeit eines vorliegenden Gutachtens oder einer behördlichen Stellungnahme nicht gegeben sind. Das ist insbesondere dann anzunehmen, wenn ein Gutachten oder eine gutachterliche Stellungnahme offen erkennbare Mängel enthält, insbesondere von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht oder unlösbare Widersprüche aufweist, Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Sachverständigen besteht oder es um besonders schwierige Fachfragen geht, die ein spezielles Fachwissen erfordern, das bei dem bisherigen Gutachter nicht vorhanden ist (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Oktober 1985 - 9 C 3.85 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 38, Beschlüsse vom 15. Juli 2015 - 7 B 23.14 - juris Rn. 13 und vom 10. Oktober 2017 - 7 B 4.17 - juris Rn. 12). Derartige Mängel der der Ausnahmegenehmigung und der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts zugrunde liegenden Stellungnahmen und gutachterlichen Äußerungen des Wasserwirtschaftsamts hat die Beschwerde nicht dargelegt. Die Frage einer nachteiligen Veränderung des Wasserstandes bei Hochwasser durch die geplante Ortsumfahrung hat das Wasserwirtschaftsamt ausweislich der Feststellungen des Berufungsgerichts in einer Stellungnahme vom 16. Dezember 2014 und in einem Gutachten vom 11. März 2015 untersucht.

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Der Einwand, weder sei eine Hochwassermodellberechnung durchgeführt noch ermittelt worden, ob die Durchlässe des Straßendammes leistungsfähig genug seien, um die durch das Straßenbauwerk entstehenden nachteiligen Auswirkungen auf den Abfluss des Hochwassers auszugleichen, weshalb auch die Darlegungen der Vertreter des Wasserwirtschaftsamts in der mündlichen Verhandlung nicht plausibel seien, greift nicht durch.

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Das Wasserwirtschaftsamt hat in seinen Untersuchungen ausweislich der Feststellungen im Berufungsurteil insbesondere berücksichtigt, dass durch die planfestgestellte und im Bau befindliche Hochwasserrückhaltung B. ein Rückhalteraum von ca. 800 000 cbm geschaffen wird, während durch Bau der Umgehungsstraße lediglich ein Retentionsraumverlust von 20 000 cbm eintreten wird. Darüber hinaus war ausschlaggebend für die Einschätzung, dass es zu keinen nachteiligen Veränderungen des Wasserstands und des Abflusses kommen werde, die Tatsache, dass die geplante Straße zum weit überwiegenden Teil parallel zur Hochwasserfließrichtung verläuft und für ein eventuell sich im Süden anstauendes Hochwasser ein Wasserspiegelausgleich durch die vorgesehenen großzügigen Durchlässe und das Brückenbauwerk erfolgen kann. Dass angesichts dessen und angesichts der Entfernung des Grundstücks des Klägers von der geplanten Straße die Fachbehörde keine konkrete Berechnung der Pegeländerungen vorgenommen hat, ist nicht geeignet, deren fachgutachterliche Einschätzung in Zweifel zu ziehen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.