Entscheidungsdatum: 26.01.2012
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 196 54 952.3
…
hat der 6. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 26. Januar 2012 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr.-Ing. Lischke sowie der Richterin Hartlieb und der Richter Dipl.-Ing. Küest und Dipl.-Ing. Richter
beschlossen:
1. Der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse F 16 K des Deutschen Patent- und Markenamts vom 6. Februar 2006 wird aufgehoben und das Patent mit folgenden Unterlagen erteilt:
Ansprüche 1 bis 5, eingegangen am 24. Januar 2012;
Beschreibung Seiten 1 bis 9, eingegangen am 9. Dezember 2011;
Zeichnung Figuren 1 bis 4, eingegangen am 6. Oktober 1997.
2. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.
I.
Die Erfindung ist am 19. Dezember 1996 beim Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen 196 54 952.3 angemeldet worden. Sie ist als Teilanmeldung aus der Stammanmeldung mit dem Aktenzeichen 196 53 116.0 hervorgegangen, wobei die innere Priorität der deutschen Anmeldung mit dem Aktenzeichen 196 43 141.7 vom 18. Oktober 1996 in Anspruch genommen worden ist.
Mit Prüfungsbescheid vom 3. November 2004 hat die Prüfungsstelle der damaligen Patentanmelderin H… GmbH mitgeteilt, dass der Patentanspruch 1 mangels erfinderischer Tätigkeit nicht gewährbar sei und zur Äußerung hierauf eine Frist von 4 Monaten gesetzt. Der Vertreter hat mit Schreiben vom 29. März 2005 eine Fristverlängerung bis 25. Mai 2005 beantragt.
Am 1. März 2005 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der damaligen Anmelderin eröffnet, worüber das Deutsche Patent- und Markenamt durch den Insolvenzverwalter mit Schreiben vom 4. Mai 2005, eingegangen am 6. Mai 2005, in Kenntnis gesetzt worden ist. Am 18. Mai 2005 hat der frühere Vertreter der insolventen Anmelderin das Deutsche Patent- und Markenamt um Bestätigung gebeten, dass das Prüfungsverfahren wegen des Insolvenzverfahrens unterbrochen sei. Dies erfolgte durch eine Mitarbeiterin des Amtes per Email.
Am 13. Dezember 2005 hat das Deutsche Patent- und Markenamt die am 5. August 2005 beantragte Umschreibung der Patentanmeldung auf die H1… mbH in der Leitakte mit dem Aktenzeichen P 43 45 238.8 vermerkt und den Vertreter darüber mit amtlichem Bescheid informiert.
Mit Beschluss vom 6. Februar 2006 hat die Prüfungsstelle für Klasse F 16 K die Anmeldung aus Gründen des Bescheides vom 3. November 2004 zurückgewiesen.
Gegen diesen Zurückweisungsbeschluss hat die Anmelderin am 16. Februar 2006 Beschwerde eingelegt und im Beschwerdeverfahren neue Unterlagen eingereicht.
Sie beantragt mit Schriftsatz vom 23. Januar 2012, eingegangen am 24. Januar 2012,
I. den Zurückweisungsbeschluss des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 6. Februar 2006, Aktenzeichen 196 54 952.3-12, aufzuheben und das deutsche Patent 196 54 952 auf Grundlage der neuen Ansprüche 1 bis 5 sowie der mit dem Schreiben vom 6. Dezember 2011 eingereichten Unterlagen zu erteilen,
II. die Beschwerdegebühr zurückzuerstatten,
III. hilfsweise für den Fall, dass dem Antrag unter I. nicht bereits im schriftlichen Verfahren entsprochen werden kann, einen Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen.
Im Prüfungsverfahren sind folgende Druckschriften zum Stand der Technik in Betracht gezogen worden:
(D1) DE 36 13 278 A1
(D2) EP 0 583 819 A1
(D3) EP 0 336 645 A1
(D4) WO 95/17 642 A1
(D5) JP 06341559 A.
Außerdem wurden vom Senat im Zuge einer Recherche noch die
(D6) DE 690 24 488 T2
(D7) DE 42 30 635 A1
(D8) DE 28 01 605 A1
(D9) DE 22 26 729 A
ermittelt und ins Verfahren eingeführt.
Der geltende Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:
"Ventil (25) für einen Gasführungskanal (2) in einem Behälter (1) zum Kompostieren von Abfall,
dadurch gekennzeichnet,
dass das Ventil (25) einen ringförmigen Abschnitt (33) aufweist, in dem ein dessen Querschnitt verändernder Ausdehnungskörper (34) vorgesehen ist, wobei das Ventil (25) einen äußeren Teil (26) und einen inneren Teil (29) mit jeweils einem zylindrischen Abschnitt (27, 31) besitzt, und wobei der innere Teil (29) einen oberen sich im Querschnitt erweiternden Teil (32) besitzt, so dass das Gas nach außen abgeleitet und aufgefächert wird und das Ventil (25) somit einen Auslass bildet."
Nach dem Wortlaut des nebengeordneten geltenden Patentanspruchs 5 betrifft die Anmeldung ferner einen
"Behälter zum Kompostieren von Abfall mit einem Gasführungskanal und einem Ventil für den Gasführungskanal nach einem der vorangegangenen Ansprüche."
An den unabhängigen Anspruch 1 schließen sich noch die Unteransprüche 2 bis 4 an, zu deren Wortlaut sowie zu weiteren Einzelheiten auf den Akteninhalt verweisen wird.
II.
Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig.
Sie ist auch insoweit erfolgreich, als sie zur Erteilung eines Patents im beantragten Umfang sowie zur Rückzahlung der Beschwerdegebühr führt.
1. Die geltenden Unterlagen sind zulässig.
Der Anspruch 1 wurde auf Grundlage des ursprünglichen Anspruchs 1 durch die Hinzunahme der Merkmale der ursprünglichen Ansprüche 4 und 5 gebildet. Des Weiteren wurde die Bauweise des beanspruchten Gegenstandes noch in der Weise funktionell klargestellt, dass "das Gas nach außen abgeleitet und aufgefächert wird" und "das Ventil einen Auslass" bildet, was durch den Text auf Beschreibungsseite 8, letzter Satz des 2. Absatzes, bzw. Beschreibungsseite 7, 2. Satz des letzten Absatzes, in den Anmeldungsunterlagen offenbart ist.
Die Änderungen in der Beschreibung beschränken sich auf eine Anpassung an die geltenden Ansprüche 1 bis 5 sowie der Würdigung des relevanten Standes der Technik.
Die geltenden Unterlagen sind somit gegenüber der ursprünglich eingereichten Fassung nicht erweitert und damit zulässig.
2. Die Gegenstände der geltenden Patentansprüche sind patentfähig.
Der Gegenstand des Anspruchs 1, dessen gewerbliche Anwendbarkeit nicht in Zweifel steht, ist gegenüber dem angeführten Stand der Technik neu und beruht demgegenüber auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Als Fachmann wird ein Fachhochschulingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit Kenntnissen im Anlagen- und Behälterbau angesehen.
Ventile für Gasführungskanäle in einem Behälter zum Kompostieren von Abfall sind im Stand der Technik bekannt. So zeigt die Figur 1 der D6 = DE 690 24 488 T2 einen Behälter 12 zur Kompostierung, bei dem die einzelnen Gasführungskanäle 42 Ventile 60 zur Belüftungssteuerung der Kammer 20 (s. a. Seite 10, letzter Absatz) aufweisen. Aber auch der D7 = DE 42 30 635 A1 oder der D9 = DE 22 26 729 A sind Ventile in einer derartigen Verwendung entnehmbar (vgl. Figur 1, Bez. 5, der D7 bzw. Figur 3, Bez. 8 oder Figur 5, Bez. 31, der D9). Mit Ausnahme des Hinweises in der D6, die Ventile 60 beispielsweise als Magnetventile auszuführen, (vgl. Seite 10, Zeilen 24 bis 26) finden sich in den genannten Druckschriften keine Hinweise über die bauliche Ausgestaltung der Ventile.
Durchflussregel- bzw. Absperrventile mit einem ringförmigen Abschnitt, in dem ein dessen Querschnitt verändernder Ausdehnungskörper vorgesehen ist, sind dem Fachmann im Stand der Technik ebenso geläufig, wobei in den Druckschriften D1 bis D5 sowie D8 verschiedene Ausführungsvarianten in unterschiedlichsten Anwendungsgebieten gezeigt werden. Derartige Ventile zeichnen sich neben ihrer einfachen Bauweise ohne mechanisch bewegte Teile u. a. auch durch ihre Unempfindlichkeit gegenüber den Umgebungsbedingungen, z. B. Abrieb oder Korrosion, aus. Hierauf wird beispielsweise in der D8, Seite 3, 2. Hälfte des 2. Absatzes hingewiesen. Unter Berücksichtigung dieser Vorteile erscheint es bei den vorliegenden Einsatzbedingungen für den Fachmann naheliegend, derartige Ventile z. B. auch bei den Vorrichtungen nach der D6 oder D7 vorzusehen.
Anregungen für die weiteren Ausgestaltungen gemäß den kennzeichnenden Merkmalen können dem vorliegenden Stand der Technik allerdings nicht entnommen werden: Alle vorgenannten Ventile werden als Durchgangsventile verwendet, so dass sich keinerlei Anregungen im Hinblick auf die Ausgestaltung als Auslassventil mit einer das Gas auffächernden Auslassgeometrie finden.
Somit vermag der aufgezeigte Stand der Technik weder für sich allein betrachtet, noch in einer Zusammenschau eine Anregung zur erfindungsgemäßen Lösung zu geben.
Der Patentanspruch 1 ist daher gewährbar.
Die auf vorteilhafte Ausgestaltungen des Ventils nach Anspruch 1 gerichteten Unteransprüche 2 bis 4 sowie der Patentanspruch 5 betreffend einen Behälter mit einem derartigen Ventil sind damit ebenfalls gewährbar.
3. Die Anordnung, die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen, beruht auf § 73 Abs. 3 S. 2 PatG. Die Gebührenrückzahlung kann aus Billigkeitsgründen erfolgen, d. h. in Fällen, in denen es aufgrund besonderer Umstände unbillig wäre, die Beschwerdegebühr einzubehalten. Derartige Billigkeitsgründe für die Rückzahlung können sich aus Verfahrensfehlern, insbesondere der Verletzung rechtlichen Gehörs ergeben, wenn zwischen dem jeweiligen Fehlverhalten und der Notwendigkeit einer Beschwerdeeinlegung Kausalität besteht (vgl. Schulte, PatG, 8. Aufl., § 73 Rdn. 132 ff.).
Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der früheren Anmelderin mit Beschluss vom 1. März 2005 ist das Patentanmeldeverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt entsprechend § 240 ZPO unterbrochen worden (vgl. Schulte, PatG, 8. Aufl., Einl. Rdn. 177 ff.). Die Unterbrechung endete mit der Umschreibung der Patentanmeldung auf die neue Anmelderin am 13. Dezember 2005 gemäß Vermerk in der Leitakte. Gemäß § 249 Abs. 1 ZPO hat die Unterbrechung des Verfahrens die Wirkung, dass der Lauf einer jeden Frist aufhört und nach Beendigung der Unterbrechung die volle Frist von neuem zu laufen beginnt. Demgemäß lief die viermonatige Frist zur Erwiderung auf den Prüfungsbescheid am 13. Dezember 2005 von neuem an und endete erst am 13. April 2006. Der Zurückweisungsbeschluss erging aber bereits am 6. Februar 2006 und damit deutlich vor Ende der Frist. Durch diese Entscheidung vor Fristablauf ist das Recht der Anmelderin auf rechtliches Gehör verletzt worden (vgl. BVerfG MDR 77, 202). Es handelt sich dabei um einen schwerwiegenden Verfahrensfehler (vgl. BVerfG NJW 88, 1773; Schulte, PatG, 8. Aufl., Einl. Rdn. 257 m. w. N.). Weiter ist davon auszugehen, dass der Verfahrensverstoß ursächlich für die angefochtene Entscheidung war, da diese möglicherweise anders gelautet hätte, wenn die Anmelderin vor der Entscheidung Gelegenheit zur Äußerung gehabt hätte (vgl. Schulte, PatG, 8. Aufl., Einl. Rdn. 255; § 73 Rdn. 135). Es entsprach daher der Billigkeit, die Rückzahlung der Beschwerdegebühr anzuordnen.