Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 12.09.2011


BVerwG 12.09.2011 - 6 PB 13/11

Zweite Mitbestimmungsvorlage; unveränderte Sach- und Rechtslage; erneute Befassung durch den Personalrat


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsdatum:
12.09.2011
Aktenzeichen:
6 PB 13/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, 24. März 2011, Az: 7 Bf 129/10.PVB, Beschlussvorgehend VG Hamburg, 6. Mai 2010, Az: 23 FB 3/09
Zitierte Gesetze

Leitsätze

Der Personalrat ist - von Fällen des Rechtsmissbrauchs abgesehen - zwecks Vermeidung des Eintritts der Billigungsfiktion nach § 69 Abs. 2 Satz 5 BPersVG gehalten, sich mit einer Mitbestimmungsvorlage bei unveränderter Sach- und Rechtslage erneut zu befassen, nachdem er einen ersten Antrag auf Zustimmung abgelehnt hatte, ohne dass der Dienststellenleiter das Stufenverfahren eingeleitet hat.

Gründe

1

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das Oberverwaltungsgericht gemäß § 83 Abs. 2 BPersVG i.V.m. § 92a Satz 1 ArbGG hat keinen Erfolg. Die allein erhobene Grundsatzrüge gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG greift nicht durch. Die in der Beschwerdebegründung aufgeworfene Rechtsfrage hat keine grundsätzliche Bedeutung.

2

Der Antragsteller will sinngemäß geklärt wissen, ob der Personalrat zwecks Vermeidung des Eintritts der Billigungsfiktion nach § 69 Abs. 2 Satz 5 BPersVG gehalten ist, sich mit einer Mitbestimmungsvorlage bei unveränderter Sach- und Rechtslage erneut zu befassen, nachdem er einen ersten Antrag auf Zustimmung abgelehnt hatte, ohne dass der Dienststellenleiter das Stufenverfahren eingeleitet hat. Diese Frage ist anhand bereits vorliegender Senatsrechtssprechung eindeutig im Sinne des Oberverwaltungsgerichts zu beantworten, so dass es ihrer Klärung in einem Rechtsbeschwerdeverfahren nicht bedarf.

3

Die Antwort auf die vorbezeichnete Frage ergibt sich aus dem Senatsbeschluss vom 11. April 1991 - BVerwG 6 P 9.89 - (BVerwGE 88, 103 = Buchholz 250. § 69 BPersVG Nr. 22). Danach hindert der Ablauf der Frist nach § 69 Abs. 3 Satz 1 BPersVG für die Vorlage der mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit an die übergeordnete Dienststelle Personalrat und Dienststellenleiter nicht, das Mitbestimmungsverfahren einvernehmlich erneut aufzunehmen. Dem steht das Fehlen der Voraussetzungen des § 51 VwVfG nicht entgegen. Das Verwaltungsverfahrensgesetz ist auf das personalvertretungsrechtliche Beteiligungsverfahren nicht unmittelbar anzuwenden. Der in ihrer Einengung für ein Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens auf das Verhältnis zwischen Bürger und Behörde zugeschnittenen Regelung in § 51 VwVfG entspricht auch kein allgemein übergreifender Rechtsgrundsatz, der zur Lückenfüllung im Personalvertretungsrecht heranzuziehen wäre. Zur Wahrung der Handlungsfähigkeit der in das personalvertretungsrechtliche Beteiligungsverfahren einbezogenen Stellen ist allenfalls auf die Grundsätze von Treu und Glauben und das daraus abgeleitete Rechtsinstitut des Rechtsmissbrauchs zurückzugreifen. Für die Beteiligten des Mitbestimmungsverfahrens muss angesichts der Pflicht zur vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1 BPersVG die Möglichkeit, unter Berücksichtigung der für die Verweigerung der Zustimmung angeführten Gründe doch noch zu einer sachlichen Einigung zu gelangen, jedenfalls dann bestehen, wenn noch keine Entscheidung im Stufenverfahren ergangen ist (vgl. Beschluss vom 11. April 1991 a.a.O. S. 105 ff. bzw. S. 24 f.). Der Senat hat mangels Entscheidungserheblichkeit offen gelassen, ob ein Anspruch des Dienststellenleiters darauf besteht, dass der Personalrat seinen Antrag entgegennimmt und sich, ohne sich auf das abgeschlossene Verfahren gleichen Inhalts und seine durch Fristablauf für den Dienststellenleiter bindend gewordene Äußerung berufen zu können, sachlich mit dem Antrag befasst. Im Anschluss daran heißt es: "Der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit und die sich aus dem Personalvertretungsrecht ergebene Aufgabe der Beteiligten, in erster Linie eine Einigung in streitigen Fragen zu erzielen, machen ein derartigen Vorgehen zumindest möglich, wenn sie es nicht sogar zwingend verlangen" (a.a.O. S. 107 bzw. S. 25).

4

In den grundlegenden Ausführungen des zitierten Senatsbeschlusses ist bereits die Aussage vorgezeichnet, dass der Personalrat in Fällen der vorliegenden Art gehalten ist, sich mit der erneuten Mitbestimmungsvorlage in derselben Angelegenheit - von Fällen des Rechtsmissbrauchs abgesehen - in der Sache zu befassen. Dies hat das Oberverwaltungsgericht zutreffend erkannt.

5

Der Senatsbeschluss vom 11. April 1991 ist in der Kommentarliteratur zum Bundespersonalvertretungsgesetz auf Zustimmung gestoßen; dem Personalrat wird das Recht zuerkannt, sich mit der erneuten Vorlage in der Sache zu befassen (vgl. Gerhold, in: Lorenzen/Etzel/Gerhold/Schlatmann/Rehak/Faber, Bundespersonalvertretungsgesetz, § 69 Rn. 78; Altvater, in: Altvater/Baden/Kröll/Lemcke/Peiseler, Bundespersonalvertretungsgesetz, 7. Aufl. 2011, § 69 Rn. 40; Fischer/Goeres/Gronimus, in: GKÖD Bd. V, K § 69 Rn. 14; Weber, in: Richardi/Dörner/Weber, Personalvertretungsrecht, 3. Aufl. 2008, § 69 Rn. 69; wohl letztlich auch: Ilbertz/Widmaier, Bundespersonalvertretungsgesetz, 11. Aufl. 2008, § 69 Rn. 17 und 20). Freilich wird der Personalrat bei unveränderter Sach- und Rechtslage - zum Teil unter Hinweis auf die "Schutzfunktion der Verfahrensvorschriften" (vgl. Gerhold a.a.O.) - überwiegend für berechtigt gehalten, sich auf den Fristablauf zu berufen (a.A. Weber a.a.O.). Diese Auffassung erweist sich jedoch auf der Grundlage des Senatsbeschlusses vom 11. April 1991 als eindeutig unzutreffend.

6

Der als entscheidend angeführte Gesichtspunkt der Änderung der Sach- und Rechtslage verweist letztlich auf den Gedanken in § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG. Dessen Heranziehung im vorliegenden Zusammenhang hat der Senat aber im zitierten Beschluss verworfen, ohne dass die dazu gegebene Begründung in der zitierten Kommentarliteratur Einwänden ausgesetzt ist. Dass die Änderung der Sach- und Rechtslage hier kein taugliches Abgrenzungskriterium ist, lässt sich beispielhaft wie folgt belegen: Nach ständiger Rechtsprechung des beschließenden Gerichts ist die Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung keine Änderung der Rechtslage im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG (vgl. Beschluss vom 7. Juli 2004 - BVerwG 6 C 24.03 - BVerwGE 121, 226 <228 f.> = Buchholz 442.066 § 16 TKG Nr. 2 S. 14 und Urteil vom 22. Oktober 2009 - BVerwG 1 C 15.08 - BVerwGE 135, 121 = Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 55 Rn. 20 f.). Es drängt sich aber geradezu auf, dass der Personalrat zur Wiederaufnahme des Mitbestimmungsverfahrens verpflichtet ist, wenn sich zwischenzeitlich die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Arbeits- oder Dienstrecht in den Mitbestimmungsfall berührender Weise geändert hat. Aber auch in Fällen, in denen der Dienststellenleiter neue Argumente anführt, eine bereits gegebene Begründung vertieft oder neues Informationsmaterial beibringt, entspricht es dem Gedanken vertrauensvoller Zusammenarbeit und dem Einigungsgebot des § 66 Abs. 1 Satz 2 BPersVG, dass sich der Personalrat mit der zweiten Vorlage befasst (vgl. Beschluss vom 11. April 1991 a.a.O. S. 107 f. bzw. S. 25 f.). Das formalistische Beharren auf einem einmal gefassten Beschluss verträgt sich mit diesen Grundsätzen nicht. Selbst in den Fällen, in denen der Dienststellenleiter eine Vorlage lediglich wiederholt, ohne nennenswerte neue Gesichtspunkte zur Begründung anzuführen, bedarf der Personalrat - vom Fall des Rechtsmissbrauchs abgesehen - keines besonderen Schutzes durch Anerkennung eines Nichtbefassungsrechts. In einem solchen Fall kann er sich darauf beschränken, die Zustimmung unter Bezugnahme auf die Begründung für die erste Versagung zu verweigern. Damit ist kein nennenswert größerer Zeitaufwand verbunden als mit einem Beschluss zur Nichtbefassung. Eine solche Bezugnahme ist ausreichend, aber auch erforderlich, um den Eintritt der Billigungsfiktion nach § 69 Abs. 2 Satz 5 BPersVG zu verhindern.

7

Die Fristbestimmung in § 69 Abs. 3 Satz 1 BPersVG läuft bei dieser Verfahrensweise nicht leer. Versäumt der Dienststellenleiter die dort festgelegte Frist, so steht fest, dass der Mitbestimmungsfall in diesem Durchgang nicht ins Stufenverfahren gelangt. Die Durchführung der beabsichtigten Maßnahme hat zu unterbleiben (§ 69 Abs. 1 BPersVG). Ihre Funktion, das Mitbestimmungsverfahren zu straffen und eine unangemessene Verzögerung der beteiligungspflichtigen Maßnahme zu verhindern (vgl. Beschluss vom 11. April 1991 a.a.O. S. 107 bzw. S. 26), büßt die Vorschrift nicht ein.