Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 28.04.2010


BVerwG 28.04.2010 - 6 C 7/09

Rundfunkgebührenbefreiung für Autoradios in Fahrzeugen einer Behinderteneinrichtung; Revisibilität


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsdatum:
28.04.2010
Aktenzeichen:
6 C 7/09
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 10. Juni 2008, Az: 19 A 2450/07, Urteilvorgehend VG Minden, 26. Juli 2007, Az: XX, Urteil
Zitierte Gesetze
§ 5 Abs 7 S 1 Nr 2 RdFunkGebVtr ND

Tatbestand

1

Die Klägerin ist eine gemeinnützige GmbH mit Sitz in L. Dort und in angrenzenden Gemeinden betreibt sie fünf Behindertenwohnheime, denen zum Teil Außenwohngruppen in eigenen Häusern zugeordnet sind.

2

Unter dem 22. Dezember 2005 übersandte die Klägerin dem Beklagten Verlängerungsanträge für die Befreiung der Rundfunk- und Fernsehgeräte in ihren Wohnheimen von der Rundfunkgebührenpflicht. Sie bat darum, auch die Autoradios in ihren insgesamt 12 steuerbefreiten Fahrzeugen, die ausschließlich zur Beförderung behinderter Menschen dienten, "rückwirkend zum Zulassungsdatum bzw. zum Datum der Aufhebung der Befreiung im Jahre 1999" von der Rundfunkgebühr zu befreien. Mit sieben Gebührenbefreiungsbescheiden vom 9. Januar 2006 entschied der Beklagte über die Befreiung der Rundfunk- und Fernsehgeräte in den jeweiligen Wohnheimen und lehnte zugleich die Gebührenbefreiung für die Autoradios ab. Gegen die ablehnenden Teile dieser Bescheide erhob die Klägerin mit Schreiben vom 30. Januar 2006 Widerspruch und machte im Wesentlichen geltend, die Befreiung für Autoradios in Behindertentransportfahrzeugen gelte auch nach § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 RGebStV fort. Der Beklagte wies die Widersprüche mit sieben Widerspruchsbescheiden vom 19. Juli 2006 zurück.

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Die Klägerin hat am 21. August 2006 sieben Klagen erhoben, über die die Beteiligten in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung einen gerichtlichen Mustervergleich des Inhalts geschlossen haben, dass die vorliegende Klage nach den dort im Einzelnen getroffenen Bestimmungen als Musterverfahren gelten soll. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten unter Aufhebung seiner Bescheide vom 9. Januar und 19. Juli 2006 verpflichtet, der Klägerin für ein Rundfunkempfangsgerät, das sie in einem Kraftfahrzeug ihrer Einrichtung bereithält, das ausschließlich zur Beförderung des betreuten Personenkreises dient, ab Januar 2006 bis Ende Dezember 2008 Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht zu gewähren.

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Mit Urteil vom 10. Juni 2008 (OVG 19 A 2450/07) hat das Oberverwaltungsgericht das verwaltungsgerichtliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, der Befreiungsanspruch ergebe sich nicht aus § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 des Rundfunkgebührenstaatsvertrages (RGebStV) in der seit dem 1. April 2005 geltenden Fassung des Art. 5 Nr. 5 des Achten Staatsvertrages zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Bekanntmachung vom 8. März 2005, GV.NRW S. 192). Das Autoradio im Kleinbus der Behinderteneinrichtungen "C. II" und "Altes Q." gehöre nicht zu den Rundfunkempfangsgeräten, die dieser Befreiungstatbestand erfasse. Denn die Klägerin halte es nicht, wie er voraussetze, "in der Einrichtung" bereit. Dieses Tatbestandsmerkmal erfasse nicht Radios in Kraftfahrzeugen, die ausschließlich der Beförderung der behinderten Bewohner einer bestimmten Einrichtung für Behinderte im Rahmen der Betreuungszwecke dieser Einrichtung dienten. Das ergebe sich vor allem aus einer historischen und genetischen Auslegung des § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 RGebStV. Der Landesgesetzgeber habe sich mit seiner Zustimmung zum Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrag bewusst gegen die Fortführung der Befreiung von Autoradios in Fahrzeugen von Behinderteneinrichtungen entschieden. Das Auslegungsergebnis stehe auch mit dem Zweck des § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 RGebStV im Einklang.

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Zur Begründung ihrer vom Bundesverwaltungsgericht zugelassenen Revision trägt die Klägerin u.a. vor, der Wortlaut von § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 RGebStV enthalte keine Beschränkung der Befreiungsmöglichkeit auf stationär bereitgehaltene Rundfunkempfangsgeräte. Vielmehr zeige die gesetzliche Wortwahl "in Betrieben und Einrichtungen für den jeweils betreuten Personenkreis", dass eine umfassende Befreiungsmöglichkeit vorgesehen sei für alle im Zusammenhang mit der Betreuungstätigkeit stehenden Geräte. Gerade der nordrhein-westfälische Gesetzgeber habe sich durch die Neuregelung nicht gegen die Fortführung der Befreiung von Autoradios in Fahrzeugen von Behinderteneinrichtungen entschieden. Das Berufungsurteil laufe auch Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung zuwider. Dieser liege darin, dem betreuten Personenkreis die Teilnahme am Rundfunk als Ersatz für die nicht mögliche Teilnahme am öffentlichen, sozialen und kulturellen Leben zu verschaffen. Aus welchem Grund die vorgenannte Zielsetzung während des teilweise mehrstündigen Transportes behinderter Menschen in einem Pkw nicht gelte, sei nicht nachvollziehbar. Schließlich ergäben sich erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten. Es stelle sich nämlich die Frage, ab wann ein Gerät "stationär" sei und ab wann "mobil". Ein fest in einen Pkw eingebautes Gerät unterliege in der Konsequenz des Berufungsurteils der Gebührenpflicht, während das transportable batteriebetriebene Kofferradio aus dem Haus, das während der Autofahrt mitgeführt werde, frei sei.

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Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Oberverwaltungsgerichts die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zurückzuweisen.

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Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

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Er ist der Ansicht, bei dem früheren § 3 Abs. 1 Nr. 2 BefrVO NRW sei ebenso wie nunmehr bei § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 RGebStV von einem funktionalen Einrichtungsbegriff auszugehen, wie er in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Sozialrecht vertreten werde. Danach sei unter Einrichtung eine auf eine gewisse Dauer angelegte Verbindung von sächlichen und persönlichen Mitteln zu einem bestimmten Zweck unter der Verantwortung eines Trägers zu verstehen. Ihr Bestand und Charakter müssten vom Wechsel der Personen, denen sie zu dienen bestimmt sei, weitgehend unabhängig sein. Der Begriff der Einrichtung in diesem Sinne setze darüber hinaus eine persönliche, sächliche und räumliche Bezogenheit voraus, weshalb die Bindung dieses Begriffs an ein Gebäude oder überhaupt an das Räumliche unerlässlich sei. Lediglich eine räumlich dezentrale Unterbringung von Organisationsteilen sei mit dem Begriff der Einrichtung in diesem Sinne vereinbar, wenn die Teile der Rechts- und Organisationssphäre des Einrichtungsträgers so zugeordnet seien, dass sie als Teile der Gesamteinrichtung anzusehen seien. Dagegen seien Kraftfahrzeuge, die zum Transport des betreuten Personenkreises dienten, nicht vom funktionalen Einrichtungsbegriff erfasst.

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Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren. Er teilt die im angefochtenen Urteil dargelegte Rechtsauffassung.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist zulässig, aber nur begründet, soweit es um die von der Klägerin begehrte Gebührenbefreiung für die Zeit von März 2007 bis Dezember 2008 geht; für diesen Zeitraum steht der Klägerin die begehrte Gebührenbefreiung zu. Für den davor liegenden Zeitraum ist das Berufungsurteil der Überprüfung durch den Senat anhand der Bestimmungen des Rundfunkgebührenstaatsvertrages entzogen.

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1. Eine Überprüfung des angefochtenen Urteils für den streitbefangenen Zeitraum Januar 2006 bis Dezember 2008 anhand der Bestimmungen des Rundfunkgebührenstaatsvertrages ist dem Senat erst für die Zeit ab 1. März 2007 gestattet. Erst an diesem Tag ist § 10 RGebStV in der Fassung des Neunten Staatsvertrages zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Bekanntmachung vom 30. Januar 2007, GV.NRW S. 107) in Kraft getreten, der die Revisibilität der Vorschriften des Rundfunkgebührenstaatsvertrages eingeführt hat.

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Die Revisibilität ist zu verneinen, soweit sich die Bestimmungen des Rundfunkgebührenstaatsvertrages auf Sachverhalte beziehen, die vor dem 1. März 2007 ihren Abschluss gefunden haben. Sie ist hingegen zu bejahen, soweit die gebührenrechtliche Beurteilung von Sachverhalten in Rede steht, deren Ausgangspunkt in der Zeit nach dem 28. Februar 2007 liegt. Im vorliegenden Fall befindet sich indes der Zeitpunkt, in welchem § 10 RGebStV in Kraft getreten ist, innerhalb des streitbefangenen Zeitraums. In einem solchen Fall sind theoretisch drei Lösungen denkbar. Zum ersten kann denkbarerweise auf den Beginn des streitbefangenen Zeitraums abgestellt werden, so dass eine Überprüfung der angefochtenen Bescheide anhand der Bestimmungen des Rundfunkgebührenstaatsvertrages durch das Revisionsgericht insgesamt nicht stattfinden könnte. Zum zweiten ist denkbarerweise ein Abstellen auf den Endzeitpunkt möglich, so dass dem Revisionsgericht der Zugriff auf den gesamten streitbefangenen Zeitraum gestattet wäre. Und zum dritten kann denkbarerweise auf denjenigen Zeitpunkt abgehoben werden, zu welchem die Revisibilität des Rundfunkgebührenstaatsvertrages eingeführt worden ist, also den 1. März 2007, so dass die rechtliche Überprüfung anhand seiner Bestimmungen dem Revisionsgericht ab dem 1. März 2007 offenstehen würde. Nach der Überzeugung des Senats trifft der dritte Lösungsansatz zu.

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Für die Beantwortung der aufgeworfenen Frage kommt es darauf an, auf welche Sach- und Rechtslage das Gericht bei Verpflichtungsklagen auf Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht nach § 5 Abs. 7 RGebStV abzustellen hat. Dieser Zeitpunkt bestimmt sich wiederum nach der Sach- und Rechtslage, auf die es bei der Anfechtung von Gebührenbescheiden ankommt. Maßgeblich dafür sind die Bestimmungen zum Beginn und zum Ende der Gebührenpflicht gemäß § 4 Abs. 1 und 2 RGebStV. Daraus ergibt sich, dass es auf die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse in dem jeweiligen Monat ankommt, für welchen die Gebühr verlangt wird. § 4 Abs. 3 RGebStV steht nicht entgegen; die Vorschrift regelt lediglich eine Zahlungsmodalität zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung, lässt aber den Grundsatz unberührt, dass die materiellen Voraussetzungen - das Bereithalten des Rundfunkempfangsgeräts zum Empfang - im jeweiligen Bezugsmonat gegeben sein müssen.

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Für die Gebührenbefreiung muss schon aus rechtssystematischen Gründen Entsprechendes gelten. Entscheidend ist deshalb, ob die maßgeblichen Befreiungsvoraussetzungen im jeweiligen Bezugsmonat gegeben sind.

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Diese Schlussfolgerung wird durch die speziellen verfahrensrechtlichen Bestimmungen zur Gebührenbefreiung nicht in Frage gestellt, sondern vielmehr bestätigt. § 5 Abs. 7 Satz 2 RGebStV ordnet an, dass § 6 Abs. 6 RGebStV entsprechend gilt. Die letztgenannte Bestimmung bezieht sich in ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich auf die Gebührenbefreiung natürlicher Personen nach § 6 Abs. 1 RGebStV und die in dieser Hinsicht maßgeblichen Bescheide der zuständigen Sozialleistungsträger nach § 6 Abs. 2 RGebStV. Der sinngemäßen Anwendung auf die Fälle des § 5 Abs. 7 Satz 1 RGebStV zugänglich sind die Regelungen in § 6 Abs. 6 Satz 2 und 4 RGebStV. Danach kann die Befreiung auf drei Jahre befristet werden, wenn eine Änderung der dafür maßgeblichen Umstände möglich ist (Satz 2); solche Umstände sind von dem Träger der Einrichtung unverzüglich der zuständigen Landesrundfunkanstalt mitzuteilen (Satz 4). Daraus ergibt sich, dass die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen der Gebührenbefreiung im jeweiligen Bezugsmonat vorliegen müssen.

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Weiterhin folgt hieraus, dass die Entscheidung der Rundfunkanstalt zur Gebührenbefreiung in einem etwa vorgesehenen Dreijahreszeitraum teilbar ist. Sie kann je nach dem Vorliegen der maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen unterschiedlich ausfallen. Dasselbe gilt für die nachgehende gerichtliche Entscheidung, insbesondere in den Fällen, in welchen diese nach Ablauf des streitbefangenen Zeitraums ergeht. Angesichts dieser Teilbarkeit ist es folgerichtig, die Überprüfung anhand der Bestimmungen des Rundfunkgebührenstaatsvertrages auf denjenigen Teil des streitbefangenen Zeitraums zu begrenzen, der mit dem Zeitpunkt der Einführung der Revisibilität zum 1. März 2007 beginnt.

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Eine Sichtweise, die es für die Einbeziehung des gesamten streitbefangenen Zeitraums genügen ließe, wenn nur ein Teil davon bereits in die Zeit nach dem 1. März 2007 hineinragte, würde zu Zufallsergebnissen führen. Sie wäre mit einer unangemessenen Privilegierung solcher Begehren verbunden, die nur zu einem geringen Teil die Zeit nach dem 1. März 2007 beträfen. Das Revisionsgericht wäre unter Umständen gehalten, rundfunkrechtliche Bestimmungen auszulegen, die nicht mehr zum aktuellen Stand des Rechts zählten. Seine Funktion, der Einheit und Fortbildung des geltenden Rechts zu dienen, wäre damit nicht gewahrt.

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Das Senatsurteil vom 11. März 1998 - BVerwG 6 C 12.97 - (BVerwGE 106, 216 <218> = Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 30 S. 19) steht nicht entgegen. Streitgegenstand war damals ein Dauerverwaltungsakt in Gestalt einer Untersagungsverfügung, die zwar vor Inkrafttreten der Revisibilität des Rundfunkstaatsvertrages ergangen war, aber über diesen Zeitpunkt hinaus fortwirkte. Daher war für die Verfügung insgesamt auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen, welcher nach dem Inkrafttreten der Revisibilität lag.

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2. Für den Teilzeitraum März 2007 bis Dezember 2008 führt die Klage zum Erfolg. Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin ist § 5 Abs. 7 Satz 1 RGebStV. Die Vorschrift lautet:

"Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht wird auf Antrag für Rundfunkempfangsgeräte gewährt, die in folgenden Betrieben oder Einrichtungen für den jeweils betreuten Personenkreis ohne besonderes Entgelt bereitgehalten werden:

1. In Krankenhäusern, Krankenanstalten, Heilstätten sowie in Erholungsheimen für Kriegsbeschädigte und Hinterbliebene, in Gutachterstationen, die stationäre Beobachtungen durchführen, in Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation sowie in Müttergenesungsheimen;

2. in Einrichtungen für behinderte Menschen, insbesondere in Heimen, in Ausbildungsstätten und in Werkstätten für behinderte Menschen;

3. in Einrichtungen der Jugendhilfe im Sinne des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (Achtes Buch des Sozialgesetzbuches);

4. in Einrichtungen für Suchtkranke, der Altenhilfe, für Nichtsesshafte und in Durchwandererheimen."

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Einschlägig ist hier Nr. 2, deren Voraussetzungen im fraglichen Zeitraum erfüllt waren.

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a) Bei dem in dem fraglichen Kraftfahrzeug eingebauten Radio handelte es sich um ein Rundfunkempfangsgerät, das in der von der Klägerin unterhaltenen Einrichtung für behinderte Menschen bereitgehalten wurde.

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aa) Der Gesetzeswortlaut lässt es zu, nur Radios in Räumlichkeiten zu erfassen, in welchen die Behinderten untergebracht sind. Es ist aber auch nicht von vornherein ausgeschlossen, die fraglichen Kraftfahrzeuge als unselbstständige Teile der Einrichtung zu betrachten.

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bb) In systematischer Hinsicht ist zugrunde zu legen, dass "Einrichtung" ein Oberbegriff ist, der zunächst im Einleitungssatz und sodann in den folgenden vier Nummern des § 5 Abs. 7 Satz 1 RGebStV verwandt wird. Allen vier Untergliederungen der Vorschrift ist gemein, dass ein hilfebedürftiger Personenkreis angesprochen ist, der stationär oder teilstationär betreut wird. Dies führt zum funktionalen Einrichtungsbegriff des Sozialrechts.

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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 100 Abs. 1 Nr. 1 BSHG a.F. setzte eine "Einrichtung" eine persönliche, sächliche und räumliche Bezogenheit voraus, die Bindung dieses Begriffs an ein Gebäude oder überhaupt an das Räumliche war unerlässlich. Damit war allerdings nicht gemeint, dass die organisatorische Zusammenfassung sich auch in räumlicher Hinsicht gewissermaßen "unter einem Dach" befinden musste. Der Einrichtungsbegriff des § 100 Abs. 1 BSHG a.F. war vielmehr funktional zu verstehen. Eine Einrichtung war danach zu definieren als ein für Hilfen nach dieser Vorschrift in einer besonderen Organisationsform unter verantwortlicher Leitung zusammengefasster Bestand an persönlichen und sächlichen Mitteln, die auf eine gewisse Dauer angelegt und für einen größeren, wechselnden Personenkreis bestimmt ist (Urteile vom 24. Februar 1994 - BVerwG 5 C 13.91 - juris Rn. 14 und - BVerwG 5 C 42.91 - juris Rn. 13).

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Eine dem § 100 Abs. 1 Nr. 1 BSHG a.F. vergleichbare Bestimmung findet sich seit 1. Juli 2005 im Sozialhilferecht nicht mehr. Doch wird der Einrichtungsbegriff weiterhin verwandt, insbesondere auch im Zusammenhang mit der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (vgl. §§ 13, 55 SGB XII). Es bestehen keine Bedenken, weiterhin auf das Begriffsverständnis zurückzugreifen, welches in der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelt worden ist (vgl. Lippert, in: Mergler/Zink, SGB XII, § 13 Rn. 38 ff.). Entsprechendes gilt für die Einrichtungen der Jugendhilfe, für welche § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 RGebStV ausdrücklich auf das Achte Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VIII) verweist (vgl. Happe/Schimke, in: Jans/Happe/Saurbier/Maas, Jugendhilferecht, 3. Aufl. 2007, § 45 Rn. 14 ff.). Der funktionale Einrichtungsbegriff gestattet es, die fraglichen Fahrzeuge als Bestandteile der Einrichtung und die Beförderung des betreuten Personenkreises als Teil des Einrichtungsbetriebes zu begreifen.

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Vergleichbare systematische Überlegungen können mit Bezug auf den Betriebsbegriff angestellt werden, der im Einleitungssatz des § 5 Abs. 7 Satz 1 RGebStV als zweiter Oberbegriff verwandt wird. Im Betriebsverfassungsrecht wird unter Betrieb eine organisatorische Einheit verstanden, innerhalb derer ein Arbeitgeber allein oder mit seinen Arbeitnehmern mithilfe technischer und immaterieller Mittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke verfolgt (vgl. Beschluss vom 10. Januar 2008 - BVerwG 6 P 4.07 - Buchholz 251.4 § 88 HmbPersVG Nr. 2 Rn. 26 m.w.N.). Betriebliche Tätigkeit ist auch außerhalb der Betriebsstätte möglich (vgl. Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, Betriebsverfassungsgesetz, 25. Aufl. 2010, § 1 Rn. 75). "Arbeitstechnischer" Zweck ist im vorliegenden Zusammenhang die Betreuung der hilfebedürftigen Personen. Diese findet außerhalb der Betriebsstätte statt, soweit die Personen im Rahmen des Betreuungszwecks befördert werden. Diese Sichtweise ist auch und erst recht geboten, wenn man von der arbeitsrechtlichen Beziehung abstrahiert und stattdessen die sozialrechtliche Beziehung zum betreuten Personenkreis in den Vordergrund stellt. Die Beförderung ist Teil der sozialrechtlichen Zweckverfolgung.

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cc) Das Ergebnis der historischen Auslegung steht nicht entgegen. In der Begründung zu Art. 5 Nr. 5 des Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrages (abgedruckt bei Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Steltner, Kommentar zum Rundfunkstaatsvertrag, Bd. I, Stand: März 2010, A 2.6) wird hervorgehoben, dass mit der Regelung in § 5 Abs. 7 RGebStV eine materielle Änderung im Vergleich zu der Regelung in § 3 Abs. 1 der bisherigen Befreiungsverordnungen nicht verbunden sei. In § 3 Abs. 1 Satz 2 der nordrhein-westfälischen Verordnung über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht in seiner durch Art. 8 Nr. 3 des Gesetzes zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung und zur Änderung anderer Gesetze vom 16. Dezember 2003 (GV.NRW S. 766) eingeführten und vom 1. Januar 2004 bis zum 31. März 2005 geltenden Fassung war ausdrücklich geregelt, dass die Gebührenbefreiung auch für Fahrzeuge der in Rede stehenden Betriebe oder Einrichtungen galt, die zur ausschließlichen Beförderung des betreuten Personenkreises bestimmt waren. Aber auch für die Zeit vor dem 1. Januar 2004 ist das Oberverwaltungsgericht Münster bereits von einer vergleichbaren Rechtslage ausgegangen (Urteil vom 18. August 2004 - 19 A 2349/02 -). Entgegen der Ansicht der Klägerin kann hieraus allerdings nicht ohne Weiteres gefolgert werden, dass die Aufrechterhaltung dieses Rechtszustandes vom Normgeber des Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrages gewünscht ist. Andererseits kann aus dem Umstand allein, dass in § 5 Abs. 7 RGebStV eine § 3 Abs. 1 Satz 2 der nordrhein-westfälischen Befreiungsverordnung vergleichbare Regelung nicht aufgenommen wurde, auch nicht gefolgert werden, der Gesetzgeber habe eine dahin gehende Auslegung der neuen, einheitlich geltenden Bestimmung ausschließen wollen.

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Mit der Regelung in § 5 Abs. 7 RGebStV verfolgte der Gesetzgeber ausweislich der Begründung zu Art. 5 Nr. 5 des Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrages die Absicht, materielle Einheitlichkeit der Bestimmungen in allen Ländern sicherzustellen. Diese Absicht hat der Gesetzgeber sodann durch die Einführung der Revisibilität des Rundfunkgebührenstaatsvertrages im Neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrag in verfahrensrechtlicher Hinsicht untermauert. Dies geschah nach der Begründung zu Art. 7 Nr. 3 des Neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrages (abgedruckt bei: Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Steltner, a.a.O., A 2.7) in dem Bewusstsein, dass in dem Bereich der Gebührenbefreiungen und gerade zu dem hier in Rede stehenden Problemkreis divergierende Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte vorlagen (vgl. OVG Münster, Urteil vom 18. August 2004 - 19 A 2394/02 - und OVG Lüneburg, Urteil vom 21. September 1999 - 10 L 2704/99 - einerseits sowie OVG Koblenz, Urteil vom 28. März 2002 - 12 A 11623/01 -, VGH Mannheim, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 2 S 963/03 - und VGH München, Urteil vom 18. April 2002 - 7 B 01.2382 - andererseits). Vor diesem Hintergrund kann der Umstand, dass der Gesetzgeber die Frage nicht ausdrücklich geregelt hat, seine einfache Erklärung darin finden, dass der Gesetzgeber die Lösung der Rechtsprechung überlassen wollte. Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber die Grundentscheidung getroffen hat, für Rundfunkgeräte in den fraglichen Einrichtungen und Betrieben Gebührenbefreiung vorzusehen, so dass die hier zu behandelnde Frage - Radios in Kraftfahrzeugen - als typisches von der Rechtsanwendung zu lösendes Detailproblem erscheint. Durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts soll daher eine Rechtseinheit hergestellt werden, die bislang wegen divergierender obergerichtlicher Entscheidungen und wegen Sonderentwicklungen im normgebenden Bereich nicht gewährleistet war.

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Beachtlich ist allerdings die weitere Aussage in der Begründung zu Art. 5 Nr. 5 des Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrages, dass es sich in allen in § 5 Abs. 7 Satz 1 RGebStV abschließend aufgezählten Fällen um Betriebe bzw. Einrichtungen mit anstalts- bzw. heimmäßiger Unterbringung und Betreuung handele und damit von der Befreiungsmöglichkeit diejenigen Rundfunkempfangsgeräte erfasst würden, die in derartigen Betrieben bzw. Einrichtungen stationär bereitgehalten würden. Diese Aussage nötigt freilich aus den nachfolgenden Erwägungen nicht zu der Annahme, dass der Gesetzgeber die Gebührenbefreiung für Radios in Kraftfahrzeugen umgekehrt hat ausschließen wollen, soweit die Beförderung des betreuten Personenkreises notwendiger Bestandteil der Betreuungsleistung ist.

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dd) Gegen ein enges Verständnis sprechen der Sinn und Zweck der Regelung, den der Gesetzgeber an gleicher Stelle verdeutlicht hat. Danach soll dem betreuten Personenkreis, der sich in den fraglichen Betrieben und Einrichtungen regelmäßig über einen längeren zusammenhängenden Zeitraum aufhält, durch die damit eröffnete Gelegenheit zur kostenlosen Teilnahme am Rundfunk Ersatz für die nicht mehr mögliche Teilnahme am öffentlichen, sozialen und kulturellen Leben geschaffen werden. Die hier in Rede stehenden Fahrten sind aus der Sicht des betreuten Personenkreises Teil seiner Unterbringung und damit der ihm gewährten stationären Hilfe. Diese ist insgesamt durch mangelnde Teilnahme am öffentlichen Leben geprägt. Für die Beförderungsvorgänge gilt nichts anderes als für das Leben und Arbeiten in den Räumlichkeiten, die Ziel des Transports sind. Dies lässt sich an dem Tatbestand nach § 5 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 RGebStV gut darstellen. Danach sind die Rundfunkgeräte in Behindertenwohnheimen gebührenbefreit, soweit sie für die Behinderten kostenlos bereitgehalten werden. Gleiches gilt für die Behindertenwerkstätten. Dass für die Beförderung der behinderten Menschen zwischen Wohnheim und Werkstatt Abweichendes geboten sein soll, will nicht einleuchten. Namentlich kann das durch die Unterbringung ausgelöste strukturelle Kommunikationsdefizit während der Beförderung nicht als aufgehoben gelten. Eine in dieser Hinsicht anzustellende ganzheitliche Betrachtungsweise entspricht einem modernen Verständnis stationärer Hilfe. Dieses ist nicht durch die Abschottung in "Anstalten" geprägt, sondern durch eine möglichst weitgehende Kommunikation nach außen: z.B. durch die Arbeit in Werkstätten, den Besuch von Ausbildungsstätten, aber auch durch Ausflüge in die Umgebung. All dies ist Teil der Therapie für einen speziell hilfebedürftigen Personenkreis.

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Eine strikt restriktive Auslegung ist nicht geboten. Der Gesetzgeber des Rundfunkgebührenstaatsvertrages hat sich nicht nur in § 5 Abs. 7 RGebStV, sondern auch in § 6 Abs. 1 RGebStV sozialen Erwägungen in weitem Umfang zugänglich gezeigt. Angesichts dessen bleibt es möglich, die Befreiungstatbestände auf der Grundlage üblicher Auslegungsmethoden auf Sachverhalte auszudehnen, die vom Normzweck erfasst werden. So liegt es hier, wie sich aus obenstehenden Ausführungen ergibt.

32

b) Das Radio in dem fraglichen Kraftfahrzeug wurde von der Klägerin unentgeltlich für die betreuten behinderten Menschen bereitgehalten.

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In der Begründung zu Art. 5 Nr. 5 des Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrages ist festgehalten, dass die zu befreienden Rundfunkempfangsgeräte "ausschließlich" für den betreuten Personenkreis bereitgehalten werden müssen. Dieses Merkmal ist zwar nicht Teil des Normtextes geworden. Doch hat der Gesetzgeber an dieser Stelle hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass der Schutzzweck der Norm allein dem in der Einrichtung betreuten Personenkreis gilt, nicht aber anderen Personen wie etwa den Beschäftigten des Einrichtungsträgers. Dem hat die Auslegung der Vorschrift Rechnung zu tragen. Für die hier in Rede stehenden Kraftfahrzeuge bedeutet dies, dass ihr Einsatz für den hilfebedürftigen Personenkreis feststehen muss und dass "Mischnutzungen" von der rundfunkgebührenrechtlichen Privilegierung ausgenommen sind. Die in der Massenverwaltung unvermeidliche typisierende Betrachtungsweise ist auch hier zulässig. Sind die fraglichen Kraftfahrzeuge ihrer Art nach auf den Transport des betreuten Personenkreises zugeschnitten, so ist in aller Regel der Schluss erlaubt, dass die eingebauten Radios zu seinen Gunsten bereitgehalten werden. Der Einrichtungsträger kann dies durch seine Weisungsbefugnis dem Fahrer gegenüber jederzeit sicherstellen.

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Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts, dass es sich bei dem fraglichen Fahrzeug um einen den Behinderteneinrichtungen der Klägerin zugeordneten Kleinbus handelt, der ausschließlich der Beförderung der betreuten behinderten Menschen dient.

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3. Für den Zeitraum Januar 2006 bis Februar 2007 verbleibt es bei der Klageabweisung durch das Oberverwaltungsgericht. Höherrangiges Recht gebietet keine Korrektur des angefochtenen Urteils. Insbesondere ist dem Klagebegehren nicht bereits unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG stattzugeben, wonach niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Zwar kann Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG unter Umständen kompensatorische Fördermaßnahmen zugunsten behinderter Menschen gebieten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1997 - 1 BvR 9/97 - BVerfGE 96, 288 <303>). Im vorliegenden Zusammenhang ist jedoch die Gebührenbefreiung für Radios in Kraftfahrzeugen, mit denen behinderte Menschen transportiert werden, nicht die einzige in Betracht zu ziehende Möglichkeit.