Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 23.02.2012


BVerwG 23.02.2012 - 6 BN 2/11

Wahlgleichheit; universitäre Selbstverwaltung; Sachsen


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsdatum:
23.02.2012
Aktenzeichen:
6 BN 2/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Sächsisches Oberverwaltungsgericht, 8. August 2011, Az: 2 C 1/10, Urteil
Zitierte Gesetze
§ 51 Abs 1 HSchulG SN 2008
§ 50 HSchulG SN 2008

Gründe

I.

1

Der Antragsteller ist Student an der Antragsgegnerin, der Technischen Universität Dresden. Er wendet sich mit seinem Normenkontrollantrag gegen § 22 (i.V.m. § 20) der von der Antragsgegnerin als Satzung erlassenen Wahlordnung vom 29. Juli 2009. Hierin ist bestimmt, dass bei der Wahl des Senats der Antragsgegnerin für die Wahlen der Senatoren aus der Mitgliedergruppe der Studenten vier Wahlkreise gebildet werden, wobei der Wahlberechtigte nur in seinem Wahlkreis kandidieren darf; für die Ausübung des aktiven Wahlrechts findet keine Einteilung nach Wahlkreisen statt.

2

Das Oberverwaltungsgericht hat § 22 der Wahlordnung für unwirksam erklärt. Die Beschwerde der Antragsgegnerin richtet sich gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts.

II.

3

Die auf die Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und der Divergenz nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

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1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

5

Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang höchstrichterlich ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist. Aus den Darlegungen der Beschwerde ergibt sich nicht, dass diese Voraussetzungen hier erfüllt sind.

6

Die Antragsgegnerin hält folgende Fragen für grundsätzlich klärungsbedürftig:

"(1.) Gilt das verfassungsrechtliche Gebot, dass Wahlkreise annähernd gleich groß sein müssen und die Stimmmöglichkeit auf den Wahlkreisbewerber beschränkt ist, auch für Wahlen an Universitäten? Liegt in der Zuteilung jeweils eines Sitzes auf die Wahlkreise und der unbeschränkten Stimmabgabe eine wahlrechtlich relevante Ungleichbehandlung?

(2.) Kann bei der Wahl zu einem Selbstverwaltungsgremium der Universität eine Differenzierung innerhalb der Mitgliedergruppe der Studierenden auf Grund der Zusammensetzung und Funktion des zu wählenden Gremiums sowie der Fächerkultur der Universität sachlich gerechtfertigt sein?

(3.) Bedürfen Einschränkungen der Wahlrechtsgleichheit bei Universitäten einer Regelung durch den Gesetzgeber oder zumindest einer gesetzlichen Grundlage? Sind Universitäten befugt, auf Grund ihres Selbstverwaltungsrechts Differenzierungen bei der Wahl zu einem Selbstverwaltungsgremium der Universität vorzunehmen und die Bildung von Wahlkreisen zu regeln?"

10

Diese Fragen sind einer Klärung im Revisionsverfahren nicht fähig oder jedenfalls nicht bedürftig.

11

Das Oberverwaltungsgericht hat entschieden (UA S. 11 ff.), dass die in den angefochtenen Bestimmungen der Wahlordnung der Antragsgegnerin vorgesehene Wahlkreisbindung gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl verstoße, den der Landesgesetzgeber in § 51 Abs. 1 des Gesetzes über die Hochschulen im Freistaat Sachsen (Sächsisches Hochschulgesetz - SächsHSG) vom 10. Dezember 2008 (SächsGVBl S. 900) für die Wahl der Mitglieder von Organen der universitären Selbstverwaltung festgeschrieben habe. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz sehe das Landeshochschulrecht lediglich in § 51 Abs. 3 i.V.m. § 50 SächsHSG in dem Sinne vor, dass jedes Mitglied der Hochschule sein aktives und passives Wahlrecht nur in jeweils einer Mitgliedergruppe - Hochschullehrer, akademische Mitarbeiter, Studenten oder sonstige Mitarbeiter - ausüben könne. Einen Anknüpfungspunkt für weitere Ausnahmen - etwa für sachgemäße Untergliederungen der genannten Gruppen - enthalte das Landeshochschulrecht nicht. Der Landesgesetzgeber habe im Gegenteil bestimmt, dass innerhalb der Gruppen eine gleiche Wahl stattfinde. Da die Satzungsautonomie der Antragsgegnerin nur im Rahmen der Gesetze bestehe, sei auch sie zu weiteren Differenzierungen nicht befugt. Mithin komme der Umstand, dass bei der Wahl der universitären Vertretungen die Wahlgleichheit als solche für Einschränkungen aus sachlichen Gründen im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 18 Abs. 1 der Verfassung des Freistaats Sachsen vom 27. Mai 1992 (SächsGVBl S. 243) im Prinzip offen sei, nicht zum Tragen.

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Hiernach fehlt es den von der Antragsgegnerin unter (1.) und (2.) formulierten Fragen an der Klärungsfähigkeit im Revisionsverfahren. Sie sind für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht erheblich. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Entscheidung des Rechtsstreits allein auf § 51 Abs. 1 und 3, § 50 SächsHSG gestützt. Diese Bestimmungen des irrevisiblen Landeshochschulrechts lassen in ihrer für den Senat gemäß § 137 Abs. 1 VwGO, § 173 VwGO i.V.m. § 560 ZPO bindenden Auslegung durch das Oberverwaltungsgericht die Differenzierungen, auf die sich die gestellten Fragen beziehen, nicht zu.

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Die Problematik der Vereinbarkeit dieser von dem Oberverwaltungsgericht festgestellten strikten Maßgaben des Landesrechts mit Bundesverfassungsrecht thematisiert die von der Antragsgegnerin unter (3.) zusammengefasste Fragestellung. Sie sieht danach eine grundsätzlich zu klärende Frage des insoweit als Prüfungsmaßstab heranzuziehenden revisiblen Bundesverfassungsrechts sinngemäß darin, ob eine Universität unter Berufung auf das auch ihr zustehende Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG (BVerfG, Urteil vom 27. Juli 2004 - 2 BvF 2/02 - BVerfGE 111, 226 <264>; für Fakultäten: BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2004 - 1 BvR 911/00 u.a. - BVerfGE 111, 333 <350, 352>) Differenzierungen des Grundsatzes der Wahlrechtsgleichheit für ihre Selbstverwaltungsgremien regeln darf, die der parlamentarische (Landes-) Gesetzgeber nicht vorgesehen hat. Auch dieser Frage kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Sie ist revisionsgerichtlich nicht klärungsbedürftig, weil sie - soweit dies fallübergreifend möglich ist - in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits geklärt ist. Das von dem Oberverwaltungsgericht angewandte Landesrecht widerspricht den dergestalt anerkannten Rechtsgrundsätzen nicht.

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Danach (BVerfG, Beschluss vom 9. April 1975 - 1 BvL 6/74 - BVerfGE 39, 247 <254 ff.>) erfährt der für Parlamentswahlen entwickelte Grundsatz der formalen Wahlgleichheit im Hinblick auf die Wahlen von Selbstverwaltungsorganen der Hochschulen Einschränkungen, die in der Organisationsstruktur der Hochschulen begründet sind und sich zudem aus der vorbehaltlosen Garantie der Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ergeben. In der Organisationsform der Gruppenuniversität werden den von den Hochschulgruppen gewählten Vertretern Stimmrechte in den kollegialen Beschlussorganen der Hochschulselbstverwaltung unabhängig von der jeweiligen Gruppengröße zugeteilt. Daraus ergibt sich zwangläufig, dass insoweit bei Wahlen der Erfolgswert der einzelnen Wählerstimmen verschieden groß sein kann. Dies findet seine Rechtfertigung darin, dass durch die Repräsentation aller Gruppen ein Ausgleich der verschiedenen Gruppeninteressen ermöglicht werden soll. Wenn es auch innerhalb einer Gruppe erhebliche Interessenkonflikte gibt und die gegensätzlichen Auffassungen in der Gruppenvertretung nicht hinreichend zum Zuge kommen, so dass der Gesetzgeber befürchten kann, hierdurch werde die Funktionsfähigkeit der Gruppenuniversität beeinträchtigt, kann es ihm nicht verwehrt werden, dem durch eine sachgemäße Untergliederung der betroffenen Gruppe Rechnung zu tragen. In einem solchen Fall muss auch die damit verbundene (weitere) Änderung des Erfolgswerts der Stimme des einzelnen Wählers hingenommen werden.

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Sieht indes der Gesetzgeber im Rahmen des der Hochschulorganisation zugehörigen Wahlrechts von derartigen Binnendifferenzierungen innerhalb der Mitgliedergruppen bewusst ab, ist dies für die Hochschulen bindend. Sie dürfen dann auch nicht ihrerseits solche Differenzierungen unter Berufung auf ihre durch das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit unterlegte Satzungsautonomie treffen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 26. Oktober 2004 a.a.O. S. 351, 354 f.; vgl. weiter: Urteil vom 29. Mai 1973 - 1 BvR 424/71 u.a. - BVerfGE 35, 79 <116 f., Beschluss vom 20. Juli 2010 - 1 BvR 748/06 - BVerfGE 127, 87 <115 f.>) erfordert der effektive Schutz der Wissenschaftsfreiheit zwar adäquate organisationsrechtliche Vorkehrungen. Das Grundrecht des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG schreibt aber keine bestimmte Organisationsform des Wissenschaftsbetriebs an den Hochschulen vor. Kriterium für eine verfassungsgemäße Hochschulorganisation kann nur sein, ob mit ihr freie Wissenschaft möglich ist und ungefährdet betrieben werden kann. In der möglichen Nichtrepräsentation einzelner Fachbereiche im Senat liegt keine Gefährdung freier Wissenschaft. Das Grundrecht des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährt keinen Anspruch auf die Vertretung eines Fachbereichs im Senat. Solange der Gesetzgeber ein hinreichendes Maß an organisatorischer Selbstbestimmung der Grundrechtsträger sicherstellt, ist er frei, den Wissenschaftsbetrieb nach seinem Ermessen zu regeln, um die unterschiedlichen Aufgaben der Wissenschaftseinrichtungen und die Interessen aller daran Beteiligten in Wahrnehmung seiner gesamtgesellschaftlichen Verantwortung in angemessenen Ausgleich zu bringen. Für diese Aufgabe ist der parlamentarische Gesetzgeber besser geeignet als die an speziellen Interessen orientierten Träger der Wissenschaftsfreiheit.

16

2. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen.

17

Dieser Zulassungsgrund ist erfüllt, wenn die Vorinstanz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem ihre Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz einem ebensolchen Rechtssatz, der in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder eines anderen in der Vorschrift genannten Gerichts aufgestellt worden ist, widersprochen hat. Gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ist die Abweichung in der Beschwerdebegründung darzulegen. Den Ausführungen der Antragsgegnerin lassen sich die Merkmale einer solchen die Revision eröffnenden Abweichung nicht entnehmen.

18

Die Antragsgegnerin trägt sinngemäß vor, das Oberverwaltungsgericht weiche mit seiner Annahme, dass die ungleiche Größe der in der angefochtenen Wahlordnung vorgesehenen Wahlkreise zu einem dem Grundsatz der gleichen Wahl widersprechenden ungleichen Stimmengewicht führe, von dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 9. April 1975 - 1 BvL 6/74 - (a.a.O. S. 254 f.) ab. Das Bundesverfassungsgericht habe anerkannt, dass der Grundsatz der formalen Wahlgleichheit bei den Wahlen der universitären Selbstverwaltungsorgane Einschränkungen unterliege.

19

Mit diesem Vortrag verkennt die Antragsgegnerin, dass sich die bereits oben dargestellten bundesrechtlichen Maßstäbe der von ihr genannten bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung auf die Mitgliedergruppen der Gruppenuniversität beziehen, auf Untergliederungen dieser Gruppen aber nur vorbehaltlich einer entsprechenden Anordnung durch den Gesetzgeber. Demgegenüber betreffen die Erwägungen des angefochtenen Urteils Untergliederungen der Mitgliedergruppen, die die Antragsgegnerin in Widerspruch zu dem von dem Oberverwaltungsgericht bindend festgestellten Inhalt des landesrechtlichen Hochschulgesetzes geschaffen hat. Die von der Antragsgegnerin gerügte Divergenz besteht daher nicht.

20

Auch die weitere von der Antragsgegnerin erhobene Divergenzrüge greift nicht durch. Sie entnimmt dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Juli 1969 - BVerwG 7 C 29.67 - (BVerwGE 32, 308 <310 f.> = Buchholz 421.2 Hochschulrecht - Allg Nr. 26 S. 8) die allgemeine Aussage, es bestehe kein rechtsstaatlicher Grundsatz im Sinne des Art. 20 GG, dass eine mit Satzungsgewalt begabte Vereinigung - auch dort eine Hochschule - im Rahmen ihrer Zweckbestimmung für die ihr angehörigen Personen verbindliche Regeln nicht schaffen dürfe, weil dies dem förmlichen Gesetz vorbehalten sei. In Widerspruch dazu habe das Oberverwaltungsgericht den Rechtssatz aufgestellt, dass eine Universität die Wahlrechtsgleichheit für die Wahl ihrer Gremien durch eine Satzung nur dann einschränken dürfe, wenn der Gesetzgeber eine solche Möglichkeit zugelassen habe.

21

Mit diesem Vorbringen ist eine zur Revisionszulassung führende Divergenz jedenfalls deshalb nicht dargetan, weil das Oberverwaltungsgericht - für den Senat verbindlich - festgestellt hat, dass der Landesgesetzgeber die hier in Rede stehende Binnendifferenzierung der Mitgliedergruppen durch universitäres Satzungsrecht nicht nur nicht vorgesehen, sondern explizit ausgeschlossen hat (UA S. 12 a.E.). Eine vergleichbare Konstellation lag der von der Antragsgegnerin herangezogenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zu Grunde.