Entscheidungsdatum: 06.05.2010
Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Der Beschwerdeführer muss gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann. Dass die von der Beklagten in ihrer Beschwerde bezeichneten Fragen (a) bis c)) eine derartige Bedeutung haben, kann der Beschwerdebegründung nicht entnommen werden.
a) Die Beschwerde will als grundsätzlich bedeutsam geklärt wissen, ob es für eine Entlassung nach § 29 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 WPflG "ausreichend ist, dass im Zeitpunkt der Entlassung hinsichtlich des zu entlassen(d)en Soldaten die begründete Überzeugung besteht, er unterstütze Fremdenfeindlichkeit und Ausländerhass, um eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung zu befürchten, oder ob durch eine nachträgliche Distanzierung von der Tat der Gefahr für die militärische Ordnung die Ernstlichkeit genommen werden kann".
Diese Frage verhilft der Beschwerde schon deshalb nicht zum Erfolg, weil sie die tragenden Gründe des angefochtenen Urteils nicht vollständig erfasst. Das Verwaltungsgericht ist - anders als von der Beschwerde angenommen - nicht davon ausgegangen, dass sich in dem Verhalten des Klägers zum Zeitpunkt der Entlassung eine auf Fremdenfeindlichkeit und Ausländerhass gerichtete Einstellung manifestiert habe. Das Verwaltungsgericht hat zwar einerseits festgestellt, dass der Soldat nach §§ 8, 17 Abs. 2 SG für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einstehen und durch sein gesamtes - auch außerdienstliches - Verhalten für deren Erhaltung eintreten sowie dem Ansehen der Bundeswehr gerecht werden müsse. Im diametralen Gegensatz dazu sei der Kläger den Ausschreitungen in M. nicht nur - wie es seine Pflicht gewesen wäre - nicht entgegengetreten, sondern habe sich sogar aktiv, wenn auch nicht handgreiflich, daran beteiligt (UA S. 7). Andererseits ist das Verwaltungsgericht für den entscheidungserheblichen Zeitpunkt zu der Feststellung gelangt, der Kläger habe deutlich gemacht, dass er den Vorfall bedauere und dass er generell mit rechtsradikalen Tendenzen nichts zu tun habe. Es sei nichts dafür ersichtlich, dass es sich insoweit nicht um wahrhaftige Angaben des Klägers handeln würde. Er sei weder zuvor, noch nach dem Stadtfest in M. einschlägig aufgefallen (UA S. 8). Diese für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen verhindern einen erfolgreichen Angriff der Beklagten auf das erstinstanzliche Urteil selbst für den Fall der Revisionszulassung. Eine Rechtsfrage, die sich für die Vorinstanz nicht gestellt hat oder auf die diese nicht entscheidend abgehoben hat, kann nicht zur Zulassung der Revision führen (Beschlüsse vom 14. November 2008 - BVerwG 6 B 61.08 - Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 47 Rn. 3 und vom 5. Oktober 2009 - BVerwG 6 B 17.09 - juris Rn. 7).
Darüber hinaus bedarf es zur Klärung der von der Beklagten bezeichneten Frage auch deshalb nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, weil sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut sowie aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts deutlich ergibt, dass und inwiefern eine Distanzierung eines Wehrdienstleistenden von einer Regelverletzung bei der Prüfung der Entlassungsvoraussetzungen des § 29 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 WPflG zu berücksichtigen sein kann.
Gemäß § 29 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 WPflG ist ein Soldat, der nach Maßgabe des Wehrpflichtgesetzes Wehrdienst leistet, zu entlassen, wenn nach dem bisherigen Verhalten durch sein Verbleiben in der Bundeswehr die militärische Ordnung oder die Sicherheit der Truppe ernstlich gefährdet würde. Auf das Merkmal der Sicherheit der Truppe hat das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung nicht abgestellt. Zur militärischen Ordnung gehören nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts alle Elemente, die die Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr nach den gegebenen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen erhalten. Sie ist nur dann im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 WPflG ernstlich gefährdet, wenn der Schaden für die Verteidigungsbereitschaft konkret droht und nachhaltige und schwerwiegende Regelverletzungen vorliegen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass dem im Tatbestand der Vorschrift enthaltenen weiteren Merkmal des Verbleibens in der Bundeswehr eine Entlassungsschranke innewohnt, deren Beachtung mit Rücksicht auf die allgemeine Wehrpflicht verlangt, dass Wehrpflichtige bis zur Grenze des Möglichen und des der Bundeswehr Zumutbaren gehindert werden, sich durch ihre Entlassung nach § 29 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 WPflG ihrer Wehrpflicht zu entziehen (Urteile vom 28. Februar 1973 - BVerwG 8 C 116.70 - BVerwGE 42, 20 <24 f.> = Buchholz 448.0 § 29 Nr. 8 S. 27 f., vom 22. Mai 1974 - BVerwG 8 C 179.72 - Buchholz 448.0 § 29 WPflG Nr. 13 S. 43, vom 12. April 1978 - BVerwG 8 C 70.76 - Buchholz 448.0 § 29 WPflG Nr. 18 S. 7 f. und vom 7. Juli 2004 - BVerwG 6 C 17.03 - Buchholz 448.0 § 29 WPflG Nr. 21 S. 5 f.), wobei es für die von der Beklagten aufgeworfene Frage nicht darauf ankommt, ob diese Entlassungsschranke im Fall des Klägers, der zur Zeit des ihm vorgeworfenen Verhaltens gemäß § 6b WPflG freiwilligen zusätzlichen Wehrdienst im Anschluss an seinen Grundwehrdienst leistete, abgesenkt sein könnte (vgl. in diesem Sinne für militärfachlich als Ärzte verwendete Grundwehrdienstleistende: Urteil vom 28. Februar 1973 - BVerwG 8 C 176.70 - Buchholz 448.0 § 29 WPflG Nr. 9 S. 31). Denn für die Beantwortung der Fragen, ob ein Schaden für die Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr konkret droht, und ob die dem Begriff des Verbleibens innewohnende Entlassungsschranke überwunden ist, bedarf es in jedem Fall einer Prognose, für die unter anderem von Bedeutung ist, ob zu erwarten steht, dass der Soldat sein pflichtwidriges Verhalten fortsetzt oder wiederholt, und ob mit Nachahmungshandlungen anderer Soldaten zu rechnen ist (vgl. Urteile vom 28. Februar 1973 - BVerwG 8 C 116.70 - a.a.O. S. 26 bzw. S. 29, vom 28. Februar 1973 - BVerwG 8 C 176.70 - a.a.O. S. 33 und vom 7. Juli 2004 a.a.O. S. 6 f.).
Es liegt auf der Hand, dass eine derartige Wiederholungs- und Nachahmungsgefahr im Einzelfall geringer einzuschätzen sein kann, wenn der betreffende Soldat sich glaubhaft von seiner Verfehlung distanziert. Eine zeitliche Grenze wird der Berücksichtigungsfähigkeit einer solchen Distanzierung regelmäßig dadurch gesetzt, dass nach § 29 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 WPflG an das bisherige Verhalten des Betroffenen anzuknüpfen ist, also an das Verhalten, dass der Wehrpflichtige als Soldat in der Zeit von der Begründung des Wehrdienstverhältnisses bis zum Entlassungstermin an den Tag gelegt hat (Urteil vom 7. Juli 2004 a.a.O. S. 5). Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht eine Distanzierung des Klägers jedenfalls auch in der Anhörung des Klägers am 19. September 2007 und in seiner Stellungnahme vom 26. September 2007 und damit vor dem Wirksamwerden seiner Entlassung aus der Bundeswehr am 10. Oktober 2007 gefunden.
b) Der von der Beklagten weiter aufgeworfenen Frage, "ob auch schon die Teilnahme an fremdenfeindlichen Tätigkeiten, aus denen ein Ausländerhass ersichtlich wird, ... für diese Annahme (einer ernstlichen Gefährdung der militärischen Ordnung) ausreicht oder ob die der Entlassungsnorm immanente Entlassungsschranke noch nicht überwunden ist, so dass keine Ernstlichkeit der Gefährdung der militärischen Ordnung gegeben ist," kommt eine Grundsatzbedeutung ebenfalls nicht zu.
Diese Frage ist einerseits zu allgemein gehalten, als dass sie sich in dem von der Beklagten angestrebten Revisionsverfahren stellen könnte. Andererseits hängt ihre Beantwortung maßgebend von einer Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalles ab, die hier in bindender Weise von dem Verwaltungsgericht vorgenommen worden ist, und ist auch deshalb einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.
c) Die Revision ist schließlich nicht deshalb wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, weil die Beschwerde eine Klärung der Frage zu erreichen sucht, "ob es für die Bejahung der ernstlichen Gefährdung der militärischen Ordnung auf die innere Einstellung des Klägers im Hinblick auf Fremdenfeindlichkeit und Ausländerhass ankommen kann oder ob es ausreichend ist, aufgrund des objektiven Sachverhalts auf die subjektiven Beweggründe zu schließen", und zur Begründung auf die Gefahr verweist, dass sich Wehrdienstleistende ihrer Entlassung nach § 29 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 WPflG dadurch entziehen könnten, dass sie "nach der Tat lediglich angeben, sich von dieser zu distanzieren".
Es versteht sich von selbst und muss nicht erst in einem Revisionsverfahren geklärt werden, dass, soweit im Rahmen des § 29 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 WPflG die innere Einstellung des Wehrdienstleistenden eine Rolle spielt, auf deren Vorliegen oder Nichtvorliegen grundsätzlich auch aus äußeren Handlungen des Betroffenen geschlossen werden darf. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), der gleichermaßen für äußere wie innere Tatsachen gilt und sich unter Berücksichtigung der richterrechtlich ausgebildeten Regeln des Indizienbeweises auch auf die Beurteilung von Hilfstatsachen erstreckt (BVerwG, vgl. Urteil vom 14. Oktober 2004 - BVerwG 6 B 6.04 - juris Rn. 148 ff.; BGH, Urteil vom 22. Januar 1991 - VI ZR 97/90 - NJW 1991, 1894 <1895>). Ebenso selbstverständlich ist es, dass die Erklärung des Soldaten, sich von einem Fehlverhalten zu distanzieren, allenfalls dann rechtlich relevant sein kann, wenn sie ernstlich vollzogen wird und nicht nur ein zweckbestimmtes Lippenbekenntnis darstellt (vgl. Urteil vom 20. Mai 1983 - BVerwG 2 WD 11.82 - BVerwGE 83, 136 <155>).