Entscheidungsdatum: 26.06.2017
Zur Abgrenzung von Beweisantrag und unsubstantiierten Beweisermittlungsantrag.
I
Die Klägerin wendet sich gegen das Nichtbestehen der zweiten juristischen Staatsprüfung im Wiederholungsversuch.
Ihre Klage war in den Vorinstanzen erfolglos. Im Berufungsverfahren hat das Oberverwaltungsgericht auf entsprechende Behauptungen der Klägerin das Landesjustizprüfungsamt am 7. Juli 2016 unter Bezug auf eine Zeugenaussage in einem Strafverfahren gegen einen früheren Mitarbeiter des Landesjustizprüfungsamtes aufgefordert mitzuteilen, in welchem Zeitraum die in verschiedenen Unterlagen erwähnte "Sonderarbeitsgemeinschaft/Zusatzunterricht" von Herrn M. stattgefunden habe, wie es dazu gekommen sei und welchen Inhalt der Zusatzunterricht gehabt habe. Hierauf hat der Beklagte mitgeteilt, durch eine Anzeige von Referendaren an das Landesjustizprüfungsamt sei im Juli 2010 bekannt geworden, dass der Prüfer M. damals einige Zusatzunterricht-Veranstaltungen mit einigen wenigen Referendaren durchgeführt habe. Herr M. sei zu diesem Zeitpunkt Prüfer und Leiter einer Arbeitsgemeinschaft für die dritte Pflichtstation gewesen. Das Landesjustizprüfungsamt habe hinsichtlich des Einsatzes als Prüfer sofort reagiert und Herrn M. im Rahmen eines Gesprächs zu dem Sachverhalt befragt. Dabei sei festgestellt worden, dass der Prüfer nur allgemein für die Ausbildung bestimmte Klausuren für die Arbeitsgemeinschaft und den Zusatzunterricht verwendet und keinen Zugang zu anderen Materialien gehabt habe. Vorsorglich sei er aber zunächst von der weiteren Durchführung von Prüfungen ausgenommen und erst ab Januar 2011 wieder als Prüfer in der ersten Prüfung und ab Oktober 2011 wieder als Prüfer für das zweite Staatsexamen eingesetzt worden.
In der Berufungsverhandlung hat die Klägerin beantragt, über die Behauptung der Tatsache, dass der Prüfer M. in dem Zeitraum vom 1. Dezember 2012 bis 1. Juli 2013 Zusatzunterricht/Sonderarbeitsgemeinschaften mit einigen Referendarinnen und Referendaren durchgeführt habe, diesen Zusatzunterricht nicht allen Referendarinnen und Referendaren angeboten habe, die sich in dem genannten Zeitraum in der Ausbildung zur Abnahme der großen juristischen Staatsprüfung befanden, und in diesem Zusatzunterricht Wissen vermittelt habe, das über das in den von ihm geführten Arbeitsgemeinschaften der dritten Pflichtstation vermittelte Wissen hinausging oder dieses vertiefte, Beweis durch Vernehmung des Herrn M. zu erheben. Das Oberverwaltungsgericht hat diesen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung durch Beschluss als bloßen Beweisermittlungsantrag abgelehnt. In den Gründen des die Berufung der Klägerin zurückweisenden Urteils vom 14. Juli 2016 hat es dazu ausgeführt, die Klägerin habe keine plausiblen Anhaltspunkte für die Behauptung benannt, Herr M. sei ab Dezember 2012 in vergleichbarer Weise wie im Sommer 2010 tätig geworden. Derartiges lasse sich auch nicht den dem Senat vorliegenden Unterlagen entnehmen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Beschwerde.
II
Die auf das Vorliegen von Verfahrensmängeln gestützte Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Klägerin macht mit Erfolg einen Verfahrensmangel geltend, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Dies führt gemäß § 133 Abs. 6 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht.
1. Der von der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensmangel liegt vor. Das Oberverwaltungsgericht hat dadurch, dass es den Antrag auf Einvernahme von Herrn M. zu dem als erheblich erachteten Beweisthema "Zusatzunterricht/Sonderarbeitsgemeinschaften" als unzulässigen Beweisermittlungsantrag bewertet und abgelehnt hat, § 86 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 244 Abs. 3 StPO (analog) verletzt.
a) Bei der Prüfung, ob dem Berufungsgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, ist von dessen materiellrechtlicher Rechtsauffassung auszugehen, auch wenn diese verfehlt sein sollte (BVerwG, Urteile vom 25. März 1987 - 6 C 10.84 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183 und vom 14. Januar 1998 - 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119>; stRspr).
b) Ein Ausforschungs- oder Beweisermittlungsantrag, der als unzulässig abgelehnt werden kann, liegt nur in Bezug auf Tatsachenbehauptungen vor, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, die mit anderen Worten ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich "aus der Luft gegriffen", "ins Blaue hinein", also "erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage" erhoben worden sind (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 27. März 2000 - 9 B 518.99 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 60, vom 30. Januar 2002 - 1 B 326.01 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 69 und vom 22. Oktober 2014 - 8 B 99.13 [ECLI:DE:BVerwG:2014:221014B8B99.13.0] - juris Rn. 40; stRspr). Eine Behauptung kann nicht schon dann als unerheblich behandelt werden, wenn sie nicht auf dem Wissen des Behauptenden, sondern auf einer Vermutung beruht. Denn ein Beteiligter wird häufig von einer entscheidungserheblichen Tatsache, die sich ihm als möglich oder wahrscheinlich darstellt, keine genaue Kenntnis haben. Wenn die Gegenseite der Vermutung aber mit einer plausiblen Erklärung entgegentritt, darf diese nicht einfach ignoriert werden. Dem Beteiligten ist zuzumuten, sich hiermit auseinanderzusetzen, etwa greifbare Anhaltspunkte zu benennen, die für seine Vermutung oder gegen die Erklärung der Gegenseite sprechen. Einer Behauptung, die ohne jede tatsächliche Grundlage erhoben worden ist und ohne ein Eingehen auf sie entkräftende Gegenbehauptungen aufrechterhalten wird, braucht das Gericht nicht nachzugehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Januar 1988 - 7 CB 81.87 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 196 S. 14).
An diesem Maßstab gemessen findet die Ablehnung des o.g. Beweisantrags als unzulässiger Beweisermittlungsantrag im Prozessrecht keine Stütze. Die Klägerin hat im Berufungsverfahren - wie bereits im erstinstanzlichen Verfahren - als selbständige Rüge geltend gemacht, der Grundsatz der Chancengleichheit sei bereits in der Ausbildung verletzt worden, da eine von Herrn M., Erstgutachter der von ihr verfassten VA-Klausur, durchgeführte Sonderarbeitsgemeinschaft nicht allen Referendaren offengestanden habe. Das Oberverwaltungsgericht hat diesen Vortrag nach seinem materiellrechtlichen Ansatz unter dem Aspekt einer selbständigen Verletzung des prüfungsrechtlichen Grundsatzes der Chancengleichheit als erheblich angesehen. Das ergibt sich daraus, dass es diesem Vortrag der Klägerin durch eine an den Beklagten gerichtete Aufklärungsverfügung der Berichterstatterin vom 7. Juli 2016 (GA Bl. 674) nachgegangen ist. Zudem hat es den Beweisantrag der Klägerin nicht als unerheblich, sondern als bloßen Beweisermittlungsantrag abgelehnt. Schließlich hat es diesen Themenkomplex in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils getrennt von der seitens der Klägerin in den Raum gestellten Möglichkeit der Informationsverschaffung über Prüfungsaufgaben abgehandelt (UA S. 15 f.: "Zum anderen ..."). Das detailarme Schreiben des Beklagten vom 11. Juli 2016 (GA Bl. 679 f.) hatte den Vortrag der Klägerin jedoch nicht in einer Weise entkräftet, dass die Beweisbehauptung der Klägerin nunmehr als unsubstantiiert anzusehen wäre. Denn zu den nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts für den hier vorliegenden Fall relevanten Fragen, in welchem Zeitraum der Zusatzunterricht stattgefunden habe, womit der für die Ausbildung der Klägerin maßgebliche Zeitraum von Dezember 2012 bis Juli 2013 im Fokus stand, wie es dazu gekommen sei und welchen Inhalt der Zusatzunterricht gehabt habe, verhält sich die Einlassung des Beklagten in dem Schreiben vom 11. Juli 2016 nicht. Damit hat der Beklagte nicht ausdrücklich ausgeschlossen, dass Herr M. ab Dezember 2012 in vergleichbarer Weise wie im Sommer 2010 tätig geworden ist und Zusatzunterricht nur für einige Referendare erteilt hat.
c) Das angefochtene Urteil beruht auch auf dem Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Kausalität zwischen Rechtsverletzung und Entscheidungsausspruch beurteilt sich aus der Perspektive des Berufungsgerichts; dabei reicht die Möglichkeit aus, dass ohne den Verfahrensmangel anders entschieden worden wäre (Kraft, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 137 Rn. 41 ff. m.w.N.).
Das Oberverwaltungsgericht hat den Maßstab für einen "generelle[n] Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit" (UA S. 11 ff.) fallbezogen dahingehend konkretisiert, dass es nicht nur entscheidungserheblich darauf ankommt, ob einzelne Prüfungsteilnehmer "in vorwerfbarer Weise Kenntnis von den Prüfungsaufgaben erlangt" haben (UA S. 11). Die Ausführungen in den Entscheidungsgründen (UA S. 15 f.) lassen vielmehr erkennen, dass es nach seinem materiellrechtlichen Ansatz eine Verletzung des prüfungsrechtlichen Grundsatzes der Chancengleichheit grundsätzlich auch durch eine unterschiedlich intensive Wissensvermittlung in der Ausbildung für möglich erachtet, jedenfalls wenn Prüfer als Ausbilder fungiert haben. Ob diese Rechtsauffassung zutrifft, woran der beschließende Senat erhebliche Zweifel hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Januar 1984 - 7 B 169.83 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 189; VGH München, Urteil vom 16. Mai 2012 - 7 B 11.2645 - juris), ist für das Beruhenserfordernis ohne Bedeutung. Denn auch insoweit ist auf die materiellrechtliche Rechtsauffassung der Vorinstanz abzustellen, selbst wenn diese verfehlt sein sollte.
2. Liegen damit die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor, kann das Bundesverwaltungsgericht nach § 133 Abs. 6 VwGO das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
3. Die Entscheidung über die Kosten ist der Schlussentscheidung vorzubehalten. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.