Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 24.06.2016


BVerwG 24.06.2016 - 6 B 52/15

Übertragung der Aufgaben der Schulleitung an Ersatzschulen


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsdatum:
24.06.2016
Aktenzeichen:
6 B 52/15
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2016:240616B6B52.15.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend OVG Lüneburg, 6. Oktober 2015, Az: 2 LB 301/14, Urteilvorgehend VG Hannover, 28. Mai 2014, Az: 6 A 6284/13
Zitierte Gesetze
§ 144 Abs 3 SchulG ND
§ 145 Abs 1 Nr 2 Buchst a SchulG ND
§ 167 Abs 2 SchulG ND

Gründe

1

Die Klägerin beantragte erfolglos bei der Beklagten die Genehmigung für die Übertragung der Aufgaben der Schulleitung der von ihr als Trägerin in Hannover geführten Berufsfachschule Ergotherapie, einer staatlich anerkannten Ersatzschule, auf die Beigeladene. Die auf Erteilung der Genehmigung gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen ebenfalls erfolglos geblieben.

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1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision ist nicht begründet. Der ausschließlich geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist dem Beschwerdevorbringen nicht zu entnehmen.

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Die Schulleitung an Ersatzschulen bedarf nach § 167 Abs. 2 Satz 1 Niedersächsisches Schulgesetz - NSchG - zur Ausübung der Tätigkeit der Genehmigung der Schulbehörde. Die Genehmigung darf nur versagt oder widerrufen werden, wenn u. a. die Voraussetzungen des § 144 Abs. 3 oder des § 145 Abs. 1 Nr. 2 NSchG nicht erfüllt sind. Nach § 145 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a NSchG dürfen keine Tatsachen vorliegen, aus denen sich ergibt, dass der Träger oder die Leiterin oder der Leiter der Schule nicht die für die Verwaltung oder Leitung der Schule erforderliche Eignung besitzt.

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a) Das Oberverwaltungsgericht hat dem niedersächsischen Schulgesetz eine Genehmigungspflicht für die Besetzung von Schulleiterstellen an anerkannten Privatschulen entnommen. Davon ausgehend hat es die Genehmigungsvoraussetzung der Eignung als Einstellungsvoraussetzung in Anlehnung an die beamtenrechtlichen Maßstäbe verstanden.

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Nach der berufungsgerichtlichen Auslegung des § 145 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a NSchG kann die Eignung zur Schulleitung in der Regel nur durch eine wissenschaftliche Ausbildung nachgewiesen werden, die das im § 144 Abs. 3 Satz 1 NSchG generell für die Lehrkräfte vorausgesetzte Niveau übersteigt. Das Vorliegen einer Unterrichtserlaubnis nach § 167 Abs. 2 i.V.m. § 144 Abs. 3 NSchG ist für die Beurteilung der Schulleitungseignung ohne unmittelbare Bedeutung. Ein so verstandenes "Abstandsgebot" stellt sicher, dass die Schulleitung im Verhältnis zum wissenschaftlichen Standard der anderen Lehrkräfte nicht abfällt, sondern den anderen Lehrkräften auf einem ihrer Leitungsaufgabe gerecht werdenden Niveau begegnen kann. Maßstab ist dabei angesichts einer gewissen "Spreizung" der wissenschaftlichen Ausbildung der Lehrkräfte nicht der untere Rand oder der Durchschnitt des Ausbildungsniveaus, sondern dasjenige Plateau, das von einem voll ausgebildeten Berufsschullehrer für den Theorieunterricht erreicht wird. Zwar kommt eine zu enge Anlehnung an beamtenrechtliche Einstellungsvoraussetzungen nicht in Betracht, weil nach § 144 Abs. 3 Satz 1 NSchG nur Gleichwertigkeit gefordert ist, die der Sache nach das "Nichtzurückstehen" nach Art. 7 Abs. 4 GG ausformt. Gleichwohl hat sich die Gleichwertigkeit an dem faktischen Ausbildungsniveau der beamtenrechtlichen Einstellungsvoraussetzungen zu messen. Der Erwerb der Lehrbefähigung als Lehrerin oder Lehrer für Fachpraxis nach § 9 NLVO-Bildung hat in Bezug auf das "Abstandsgebot" keine maßstabsbildende Kraft. Demgegenüber sind sowohl nach § 6 als auch nach § 8 NLVO-Bildung für den Erwerb der Lehrbefähigung regelmäßig Lehramtsstudien mit Masterabschluss erforderlich. Die Schulleitung muss sich mithin regelmäßig gegenüber einer Kollegenschaft bewähren, die jedenfalls zu einem erheblichen Teil über eine dem Masterabschluss zumindest gleichwertige wissenschaftliche Ausbildung verfügt. Diese Voraussetzung erfüllt die Beigeladene mit ihrem Bachelorabschluss und ihren Fortbildungen nicht.

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b) Die Klägerin erachtet die Frage für rechtsgrundsätzlich bedeutsam, ob unter den Begriff der "Eignung" im Sinne von § 145 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a NSchG nur die persönliche Eignung zu verstehen sei, während die fachliche Eignung § 144 Abs. 3 NSchG unterfalle.

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Die Frage kann nicht zur Revisionszulassung führen, weil sie in einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden kann. Die Anforderungen, die an die für die Leitung der Schule erforderliche Eignung zu stellen sind, hat das Oberverwaltungsgericht - wie aufgezeigt - der Auslegung des nicht revisiblen Landesrechts (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) entnommen. An diese Auslegung ist der Senat gebunden, weshalb in einem Revisionsverfahren nicht über den Inhalt des Landesrechts zu entscheiden wäre (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO).

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c) Weiter erachtet die Klägerin die Frage für klärungsbedürftig, ob "vom Schulleiter an einer staatlich genehmigten und anerkannten privaten Ersatzschule eine über dem Niveau seiner Lehrkräfte liegende wissenschaftliche Qualifikation verlangt werden kann, während bei einer öffentlichen Schule eine solche über dem wissenschaftlichen Niveau seiner Lehrkräfte liegende wissenschaftliche Qualifikation des Schulleiters nicht erforderlich ist und nicht verlangt werden kann." Bei der Besetzung der Schulleiterposition ein höheres wissenschaftliches Qualifikationsniveau im Vergleich zu den an der Schule tätigen Lehrern zu verlangen, greife - so die Klägerin - in ihre durch Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG geschützte Organisationsfreiheit ein, weil sie zur Schulleitung geeignete Personen nicht aus dem Lehrkörper ihrer Schule rekrutieren könne. Zugleich liege eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG vor, wenn die fachliche und pädagogische Qualifikation der Schulleitung einer Ersatzschule über derjenigen der dort tätigen Lehrer liegen müsse, während für die Schulleitung an öffentlichen Schulen lediglich eine auch von den dortigen Lehrkräften zu erfüllende wissenschaftliche Qualifikation gefordert werde.

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Der Senat ist an den durch die vorinstanzliche Auslegung des nicht revisiblen Landesrechts gewonnenen Maßstab der wissenschaftlichen Qualifikation (Eignung) für die Leitung einer Ersatzschule ebenfalls gebunden. Er hat diese Auslegung des Landesrechts ohne eigene Nachprüfung in der Form und mit dem Inhalt als gegeben hinzunehmen, in der die Vorinstanz es angewandt hat. Das Bundesverwaltungsgericht kann insoweit nur nachprüfen, ob das Ergebnis der Auslegung mit Bundesverfassungsrecht vereinbar ist (§ 137 Abs. 1 VwGO, § 560 ZPO). Die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen zu Art. 7 Abs. 4, Art. 3 Abs. 1 GG lassen sich bereits auf der Grundlage des Bundesrechts und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantworten.

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Private Schulen bedürfen nach Art. 7 Abs. 4 Satz 2 GG der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter denen der öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sondierung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird (Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG). Diese Genehmigungsbedingungen sichern das Interesse der Allgemeinheit daran, dass private Schulen anstelle öffentlicher Schulen ohne Einbuße an schulischen Standards besucht werden können, die im Bereich des öffentlichen Schulwesens in Bezug auf Lehrerausbildung, Einrichtungen und Lehrziele bestehen (stRspr, vgl. grundlegend BVerfG, Beschluss vom 14. November 1969 - 1 BvL 24/64 - BVerfGE 27, 195 <200 f.>; s. auch BVerwG, Beschluss vom 6. April 1990 - 7 B 44.90 - Buchholz 11 Art. 7 Abs. 4 GG Nr. 33 m.w.N.).

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Der Ersatzschulbegriff in Art. 7 Abs. 4 Satz 2 GG umfasst nicht das Recht der Privatschule, nach den für öffentliche Schulen geltenden Vorschriften Prüfungen abzuhalten und mit gleicher Außenwirkung wie öffentliche Schulen Zeugnisse zu verteilen ("Öffentlichkeitsrechte"). Die Verleihung von Öffentlichkeitsrechten, mit deren Wahrnehmung die Privatschule als Beliehene hoheitliche Funktionen ausübt, kann der Gesetzgeber von einer besonderen Anerkennung abhängig machen, auf die Art. 7 Abs. 4 GG keinen Anspruch gewährt und für deren Erteilung besondere, über die Genehmigungsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG hinausgehende Anforderungen im Landesrecht gestellt werden dürfen. Insbesondere kann der Gesetzgeber die besondere Anerkennung einer genehmigten Ersatzschule und die damit verbundene Verleihung von Öffentlichkeitsrechten von der Anpassung der Schule an Anforderungen abhängig machen, die für öffentliche Schulen gelten. Es liegt im Wesen dieser Öffentlichkeitsrechte, dass das für die Ersatzschulgenehmigung maßgebende Prinzip der Gleichwertigkeit gegenüber dem Prinzip der Gleichartigkeit weitgehend zurücktreten muss (stRspr, vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14. November 1969 - 1 BvL 24/64 - BVerfGE 27, 195 <201-209> und vom 11. Juni 1974 - 1 BvR 82/71 - BVerfGE 37, 314 <324>; BVerwG, Urteile vom 18. November 1983 - 7 C 114.81 - BVerwGE 68, 185 <187 f.> und vom 13. Dezember 2000 - 6 C 5.00 - BVerwGE 112, 263 <270 f.>; BVerwG, Beschluss vom 1. Oktober 2015 - 6 B 15.15 [ECLI:DE:BVerwG:2015:011015B6B15.15.0] - NVwZ-RR 2016, 182 Rn. 12).

12

Auch wenn Art. 7 Abs. 4 GG somit keinen Anspruch einer genehmigten privaten Ersatzschule auf Anerkennung gewährt, dürfen die Länder das Institut der Anerkennung und die mit ihm verbundenen wirtschaftlichen Vorteile jedoch nicht dazu benutzen, die Ersatzschulen zur Anpassung an die öffentlichen Schulen in einem der Sache nach nicht gebotenen Umfang zu veranlassen oder unter Verletzung des Gleichheitsgebots einzelne Privatschulen gegenüber anderen Schulen zu benachteiligen. Es würde mit Art. 7 Abs. 4 GG nicht zu vereinbaren sein, wenn die Ersatzschulen ohne sachlichen Grund zur Aufgabe ihrer Selbstbestimmung veranlasst würden (BVerfG, Beschluss vom 14. November 1969 - 1 BvL 24/64 - BVerfGE 27, 195 <208 f.>; BVerwG, Beschluss vom 1. Oktober 2015 - 6 B 15.15 - NVwZ-RR 2016, 182 Rn. 12).

13

Danach begegnet die Voraussetzung, dass die Eignung für die Schulleitung einer anerkannten Ersatzschule wie derjenigen der Klägerin anhand der beamtenrechtlichen Einstellungsvoraussetzungen für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen zu bestimmen ist, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Nach der bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung bezieht sich die verfassungsrechtliche Forderung, nach der die Lehrkräfte der Ersatzschulen hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen Ausbildung nicht hinter denen der öffentlichen Schulen zurückstehen dürfen, nicht nur auf die bloße Unterrichtstätigkeit, sondern auch auf die Aufgaben der Unterrichtsverwaltung. Denn die Lehrkräfte, denen Leitungsfunktionen an den Ersatzschulen obliegen, tragen ebenso wie andere Lehrkräfte, wenn nicht sogar besondere Verantwortung dafür, dass der Unterricht dem Gleichwertigkeitspostulat des Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG genügt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. April 1990 - 7 B 44.90 - Buchholz 11 Art. 7 Abs. 4 GG Nr. 33 S. 23).

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Die Ersatzschule, deren Leitung die beamtenrechtlichen Einstellungsvoraussetzungen für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen erfüllt, bietet mithin dem Staat eine besondere Gewähr für einen der öffentlichen Schule entsprechenden Ausbildungserfolg. Im Rahmen ihrer pädagogischen Gesamtverantwortung trägt die Schulleitung einer Ersatzschule für die Gewährleistung des Gleichwertigkeitspostulats Sorge insbesondere im Rahmen des pädagogischen Konzepts der Schule, der Beratung der Lehrkräfte und der Prüfung ihrer Eignung. Die Auslegung des landesrechtlichen Eignungsbegriffs in Anlehnung an den Maßstab der beamtenrechtlichen Einstellungsvoraussetzungen für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen ist hiernach nicht sachwidrig und verletzt Art. 7 Abs. 4 GG nicht. Aus diesem Grunde wird weder das Selbstbestimmungsrecht der Trägerin der Ersatzschule in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise eingeschränkt noch das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Für weitere Erwägungen bietet der Beschwerdevortrag der Klägerin keinen Anlass (vgl. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

15

Die vom Oberverwaltungsgericht aufgeworfene Frage nach einem "Qualifikationsabstand" zwischen Schulleiter und Lehrern stellt sich nicht, weil die Beigeladene nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts bereits die regelmäßig erforderlichen Einstellungsvoraussetzungen, d.h. die Qualifikation für Lehrer an entsprechenden staatlichen Schulen, nicht erfüllt. Die Klägerin hat diese Feststellungen nicht mit Verfahrensrügen angefochten.

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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 2 GKG.