Entscheidungsdatum: 14.09.2012
1. Schließt sich ein Zweitkorrektor der Bewertung einer Prüfungsleistung durch den Erstkorrektor vollumfänglich an, führt dies nicht dazu, dass er im Rahmen des Überdenkensverfahrens an die dort erfolgte Anhebung der Benotung durch den Erstkorrektor gebunden wäre, und zwar auch dann nicht, wenn die Anhebung auf der Abschwächung der Kritik an einem bestimmten Abschnitt der Prüfungsleistung beruht, hinsichtlich dessen auch der Zweitkorrektor seine ursprüngliche Kritik relativiert hat.
2. Zu den Voraussetzungen, unter denen das Gericht einem Bewertungsfehler seine Kausalität für das Prüfungsergebnis absprechen darf (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung).
1. Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie auf das Vorliegen einer Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
a) Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang höchstrichterlich ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist (stRspr; vgl. etwa Beschluss vom 20. Februar 2012 - BVerwG 6 B 38.11 - juris Rn. 11). Aus den Darlegungen der Beschwerde ergibt sich nicht, dass diese Voraussetzungen hier erfüllt sind.
aa) Der Kläger macht rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf hinsichtlich der Frage geltend, "ob sich der Zweitgutachter mit dem Votum 'Einverstanden' auch dem Bewertungssystem des Erstgutachters anschließt, ob er demnach zwingend ebenfalls seine Bewertung heraufsetzen muss, wenn er wie der Erstgutachter eine ursprüngliche Kritik an der Klausurbearbeitung relativiert und diese Kritik nach dem Bewertungssystem des Erstgutachters tragend für die ursprüngliche Benotung war, so dass dieser seine ursprüngliche Note auch aufgewertet hat" (S. 3 der Beschwerdebegründung). Die Frage stellt sich vor dem Hintergrund, dass sich im vorliegenden Fall der Zweitkorrektor der Klausur Ö I im Rahmen seiner Erstbewertung den Ausführungen in der Erstbewertung des Erstkorrektors angeschlossen und sich diese "vollinhaltlich zu eigen" gemacht, hingegen im Rahmen des Überdenkensverfahrens an seiner Bewertung der Klausurleistung mit "mangelhaft (3 Punkte)" festgehalten hat, obwohl der Erstkorrektor hier nach Abschwächung seiner Kritik an einem bestimmten Abschnitt der Klausurlösung des Klägers - nämlich der Begründung einer gerichtlichen Kostenentscheidung - seine Bewertung um einen Punkt auf "ausreichend (4 Punkte)" angehoben hat. Der Kläger sieht ausweislich seiner Beschwerdebegründung (S. 5 ff.) bei dieser Sachlage in der Entscheidung des Zweitkorrektors über die Aufrechterhaltung seiner Benotung einen unzulässigen Austausch des Bewertungssystems; mit dem kommentarlosen Anschließen an die Erstbewertung des Erstkorrektors mache sich der Zweitkorrektor auch dessen Bewertungssystem zu eigen und sei hieran im Stadium des Überdenkensverfahrens entsprechend gebunden. Der Verwaltungsgerichtshof ist diesem bereits in der Vorinstanz vorgebrachten Einwand des Klägers nicht gefolgt. Dass der Zweitkorrektor sich im Rahmen seiner Erstbewertung dem Erstkorrektor angeschlossen habe, bedeute nicht, dass er auch dessen Bewertungssystem übernommen habe. Es begegne keinen Bedenken, dass der Zweitprüfer im Überdenkensverfahren zu einem anderen Urteil als der Erstkorrektor gelange. Der Zweitkorrektor habe im erforderlichen Maße dargelegt, aus welchen Gründen er die Klausurleistung des Klägers entgegen der nunmehrigen Einschätzung des Erstkorrektors nach wie vor als im Ganzen nicht mehr brauchbar erachte. Bei wohlwollender Betrachtung könne man seiner Zweitbewertung zwar entnehmen, dass auch er - wie der Erstkorrektor - seine Kritik an der Begründung der gerichtlichen Kostenentscheidung durch den Kläger abgemildert habe. Er habe aber mehrere verbleibende Schwächen dieser Begründung aufgezeigt, die in der Überdenkenserklärung des Erstprüfers nur teilweise anklingen würden. Zudem habe er im Rahmen seiner Überdenkenserklärung deutlich gemacht, dass diese Gesichtspunkte für seine Erstbewertung nicht erheblich gewesen seien (UA S. 29 f.).
bb) Die von dem Kläger aufgezeigte Frage ist im Rahmen eines Revisionsverfahrens nicht klärungsbedürftig, weil sie auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation offenkundig im Sinne der angefochtenen Entscheidung zu verneinen ist (vgl. zu diesem Maßstab etwa Beschluss vom 24. August 1999 - BVerwG 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270> = Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 228 S. 13; stRspr). Dies folgt - unabhängig von der generellen Frage, inwieweit der Kläger überhaupt eine gerichtliche Kontrolle der Fehlerfreiheit des Überdenkensverfahrens begehren kann (vgl. hierzu Beschluss vom 9. August 2012 - BVerwG 6 B 19.12 - BA Rn. 8 ff.) - aus den nachstehenden Erwägungen:
Sofern ein Zweitkorrektor sich ohne weitere Anmerkungen mit der Bewertung des Erstkorrektors vollumfänglich einverstanden erklärt, kann sich dieses Einverständnis auf den Inhalt der Bewertung nur insoweit beziehen, als dieser in der schriftlichen Bewertungsbegründung zum Ausdruck gelangt ist. Im Hinblick auf prüfungsspezifische Wertungen, hinsichtlich derer jedem Prüfer nach ständiger Rechtsprechung ein nur beschränkter gerichtlicher Überprüfung zugänglicher Bewertungsspielraum zusteht (vgl. nur Beschluss vom 16. August 2011 - BVerwG 6 B 18.11 - juris Rn. 16), bestehen indes Grenzen der Objektivierbarkeit, die ihrer vollen Abbildung in der schriftlichen Bewertungsbegründung notwendig entgegenstehen (vgl. Beschluss vom 8. März 2012 - BVerwG 6 B 36.11 - NJW 2012, 2054 Rn. 9). Hieraus ergibt sich zwingend, dass ein Zweitkorrektor, der sich die Bewertung des Erstkorrektors "vollinhaltlich" zu eigen macht, hiermit nicht sein Einverständnis mit sämtlichen prüfungsspezifischen Wertungen des Erstkorrektors und demzufolge auch nicht mit dem ihnen zugrunde liegenden Bewertungssystem erklärt. Die Annahme einer entsprechenden Bindung des Zweitkorrektors im Rahmen des Überdenkensverfahrens geht daher schon im Ansatz fehl. Unabhängig davon liegt der Entscheidung des Erstkorrektors im Rahmen des Überdenkensverfahrens, seine Kritik an einem bestimmten Abschnitt der Klausurbearbeitung abzuschwächen und auf dieser Grundlage die Benotung anzuheben, regelmäßig eine erneute prüfungsspezifische Wertung - zumindest im Hinblick auf das dieser Abschwächung beizulegende Gewicht - zugrunde. Schwächt wie im vorliegenden Fall auch der Zweitkorrektor - seinerseits ebenfalls aufgrund einer prüfungsspezifischen Wertung - seine Kritik ab, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass er dieser Abschwächung ein identisches Gewicht wie der Erstkorrektor beimisst. Dies illustriert gerade der vorliegende Fall darin, dass der Zweitkorrektor ungeachtet der Abschwächung seiner Kritik an der in Rede stehenden Begründung der gerichtlichen Kostenentscheidung deren verbleibende Mängel nach der Würdigung durch den Verwaltungsgerichtshof stärker als der Erstkorrektor akzentuiert hat.
b) Der Zulassungsgrund der Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist erfüllt, wenn die Vorinstanz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem ihre Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz einem ebensolchen Rechtssatz, der in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder eines anderen in der Vorschrift genannten Gerichts aufgestellt worden ist, widersprochen hat (stRspr; vgl. etwa Beschluss vom 20. Februar 2012 - BVerwG 6 B 38.11 - juris Rn. 4). Den Ausführungen des Klägers lassen sich die Merkmale einer solchen die Revision eröffnenden Abweichung nicht entnehmen.
aa) Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem angefochtenen Urteil darin einen Bewertungsfehler des Zweitkorrektors der Klausur Ö I des Klägers erkannt, dass der Zweitkorrektor in seiner Überdenkenserklärung ausgeführt habe, § 31 Abs. 4 BeamtVG setze das Vorliegen eines Dienstunfalls voraus (UA S. 26). Dieser Bewertungsfehler soll nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs indes keinen Einfluss auf das Prüfungsergebnis genommen haben. Der Zweitkorrektor habe seine Kritik, wonach die Klausurbearbeitung in diesem Zusammenhang einen "schweren Mangel" aufweise und ihr "Argumentationsansatz verfehlt" sei, ersichtlich darauf bezogen, dass der Kläger bei seiner Prüfung nicht von § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG ausgegangen und mit § 31 Abs. 4 BeamtVG eine Norm geprüft habe, die nicht einschlägig sei und bei deren Prüfung er zudem in tatsächlicher Hinsicht eine Spekulation angestellt habe. Die für sich genommen irrige Anmerkung, § 31 Abs. 4 BeamtVG setze einen Dienstunfall bereits voraus, sei eine beiläufige Äußerung zwischen den beiden die Beanstandung des Zweitkorrektors tragenden Gesichtspunkten (Anknüpfung an § 31 Abs. 4 statt an § 31 Abs. 1 BeamtVG; Spekulation über das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 Abs. 4 BeamtVG), die für die Bewertung nicht erheblich sei (UA S. 27).
bb) Der Kläger meint, der Verwaltungsgerichtshof weiche, indem er in dieser Weise die Kausalität des Bewertungsfehlers für das Prüfungsergebnis verneint habe, von dem Urteil des Senats vom 12. November 1997 - BVerwG 6 C 11.96 - (BVerwGE 105, 328 = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 384) ab (S. 8 ff. der Beschwerdebegründung).
cc) Die gerügte Abweichung liegt jedoch nicht vor.
(1) In seinem Urteil vom 12. November 1997 hat der Senat ausgesprochen, dass die Gerichte nach der Feststellung materieller Prüfungsfehler in der Gestalt von Korrektur- oder Bewertungsfehlern zu prüfen haben, ob Auswirkungen dieser Fehler auf das Ergebnis nicht ausgeschlossen werden können. Sind solche Auswirkungen mit der erforderlichen Gewissheit auszuschließen, so folgt aus dem Grundsatz der Chancengleichheit, dass ein Anspruch auf Neubewertung nicht besteht, weil sich die Prüfungsentscheidung im Ergebnis als zutreffend und damit rechtmäßig darstellt. Die gerichtliche Kausalitätsprüfung darf jedoch nicht in den prüfungsspezifischen Bewertungsspielraum der Prüfer eindringen. Daher dürfen die Gerichte mögliche Auswirkungen eines von ihnen festgestellten Prüfungsfehlers nicht auf die Weise verneinen, dass sie dabei selbst Bewertungen abgeben, indem sie etwa verschiedene Aufgaben, die gestellt worden sind, untereinander gewichten, den Schwierigkeitsgrad einer Aufgabenstellung einordnen, die Qualität einer Darstellung würdigen oder aber Stärken und Schwächen in der Bearbeitung bzw. die Bedeutung eines Mangels gewichten (a.a.O. S. 332 f. bzw. S. 199 f.). Diese Grundsätze haben sodann der Senat in seinem Beschluss vom 13. März 1998 - BVerwG 6 B 28.98 - (juris Rn. 7) und in seinem Urteil vom 4. Mai 1999 - BVerwG 6 C 13.98 - (Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 395 S. 15 f.) sowie der 2. Senat in seinem Urteil vom 27. April 1999 - BVerwG 2 C 30.98 - (Buchholz 237.5 § 22 HeLBG Nr. 1 S. 5) bekräftigt. In seinem Urteil vom 4. Mai 1999 hat der Senat darüber hinaus einige Präzisierungen vorgenommen, die im Kern in der Vorgabe bestehen, dass die Gerichte sich die geforderte Gewissheit über die Unerheblichkeit eines Korrekturfehlers nur anhand objektiver Kriterien und im Wertungsbereich allenfalls noch in Evidenzfällen verschaffen dürfen (a.a.O. S. 16).
(2) Das angefochtene Urteil weicht hinsichtlich des Maßstabs, an dem der Verwaltungsgerichtshof die Kausalitätsüberprüfung orientiert hat, von diesen Vorgaben nicht ab. Der Verwaltungsgerichtshof hat am Eingang der einschlägigen Passage der Entscheidungsgründe (UA S. 26) das vorerwähnte Urteil des zweiten Senats vom 27. April 1999 unter Wiedergabe seiner Kernsätze erwähnt und in diesem Zusammenhang ausgeführt, das Gericht "kann einem Bewertungsfehler nur unter engen Voraussetzungen die Erheblichkeit absprechen". Er hat ferner auf die Darstellung bei Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, Rn. 887 und die dort aufgeführten "weiteren Nachweise" verwiesen, zu denen u.a. auch die vorerwähnten Entscheidungen des Senats vom 12. November 1997, vom 13. März 1998 und vom 4. Mai 1999 zählen (hier zugrunde gelegt die 5. Aufl. 2010). Mithin liegt dem angefochtenen Urteil kein entscheidungstragender abstrakter Rechtssatz zugrunde, der von der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung abwiche. Auf die generelle Frage, inwieweit der Kläger überhaupt eine gerichtliche Kontrolle der Fehlerfreiheit des Überdenkensverfahrens begehren kann (vgl. hierzu Beschluss vom 9. August 2012 - BVerwG 6 B 19.12 - BA Rn. 8 ff.) und sich das angefochtene Urteil daher gegebenenfalls aus einem anderen Grunde als im Ergebnis offensichtlich richtig erweist (vgl. zur analogen Anwendbarkeit von § 144 Abs. 4 VwGO im Beschwerdeverfahren Kraft, in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 13. Aufl. 2010, § 133 Rn. 51 m.w.N.), kommt es daher nicht an.
(3) Soweit der Kläger moniert, der Verwaltungsgerichtshof habe unter Verletzung höchstrichterlicher Vorgaben seine eigene Wertung an die Stelle der Wertung des Gutachters gesetzt (S. 9 f. der Beschwerdebegründung), wendet er sich in Wahrheit nicht gegen den vorinstanzlich angelegten Prüfungsmaßstab als solchen, sondern gegen dessen Anwendung auf den festgestellten Sachverhalt. Mit diesem Einwand kann er im Beschwerdeverfahren indes nicht durchdringen. Anerkanntermaßen ist der Umstand, dass die Vorinstanz auf der Ebene der Subsumtion einen höchstrichterlich aufgestellten Rechtssatz nicht oder nicht richtig angewandt hat, nicht divergenzbegründend im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (stRspr; vgl. etwa Beschluss vom 17. Juli 2003 - BVerwG 7 B 62.03 - NVwZ-RR 2003, 902 <903>). Der Einwand des Klägers geht aber auch in der Sache fehl. Die Würdigung des Verwaltungsgerichtshofs, die unzutreffende Annahme des Zweitprüfers, § 31 Abs. 4 BeamtVG setze einen Dienstunfall voraus, habe keinen Einfluss auf das Prüfungsergebnis genommen, ist nicht zu beanstanden. Diese Würdigung stützt sich auf eine präzise, intersubjektiv vollauf nachvollziehbare Inhaltsanalyse der Überdenkensentscheidung des Zweitkorrektors (vgl. S. 9 des Widerspruchbescheids vom 1. Dezember 2009) und hält sich folglich im Rahmen der oben wiedergegebenen höchstrichterlichen Vorgaben.