Entscheidungsdatum: 13.09.2010
1. Hat ein Wehrpflichtiger seinen im Verwaltungsverfahren unvollständig gebliebenen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer im Klageverfahren vervollständigt, darf seine Klage in der Regel nicht ohne eine auf der Grundlage einer förmlichen Parteivernehmung durchgeführte sog. Vollprüfung des Anerkennungsbegehrens abgewiesen werden.
2. Eine neben einer Verfahrensrüge erhobene Divergenzrüge steht einer Zurückverweisung nach § 133 Abs. 6 VwGO nicht entgegen, wenn sie sich ausschließlich auf Verfahrensrecht bezieht.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf dem ordnungsgemäß dargelegten Verfahrensfehler einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO (§ 10 Abs. 2 Satz 1 und 2 KDVG, § 135 Satz 3 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
1. Die Aufklärungsrüge ist ordnungsgemäß erhoben, insbesondere entsprechend dem in § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO enthaltenen Erfordernis dargelegt worden. Der Kläger trägt sinngemäß vor, das Verwaltungsgericht habe seine auf die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer gerichtete Klage nicht ohne seine vorherige förmliche Vernehmung als Partei abweisen dürfen. Hätte ihm das Verwaltungsgericht die Bedeutung der in seinem schriftlichen Vortrag enthaltenen Angaben zu seinen Gewissensgründen durch eine Vernehmung als Partei verdeutlicht, hätte er sich mit den an diese anzulegenden Maßstäben intensiver auseinandersetzen und eine für ihn positive Entscheidung erreichen können.
2. Die Rüge hat auch in der Sache Erfolg. Die auf die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer gerichtete Klage eines Wehrpflichtigen, dessen Antrag im Verwaltungsverfahren unvollständig geblieben und deshalb ohne Sachprüfung abgelehnt, jedoch im Klageverfahren vervollständigt worden ist, darf nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in der Regel nicht abgewiesen werden, wenn der Wehrpflichtige nicht zuvor zu den Gründen der geltend gemachten Gewissensentscheidung förmlich als Partei vernommen und dabei eine sog. Vollprüfung des Anerkennungsbegehrens durchgeführt worden ist (vgl. hierzu und zu den einzuhaltenden Prüfungsschritten: Urteil vom 19. August 1992 - BVerwG 6 C 25.90 - Buchholz 448.6 § 5 KDVG Nr. 5 S. 19; Beschlüsse vom 29. April 1991 - BVerwG 6 B 40.90 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 231 S. 59 f., vom 7. September 1995 - BVerwG 6 B 32.95 - Buchholz 448.6 § 5 KDVG Nr. 7, vom 15. November 1996 - BVerwG 6 B 61.96 - Buchholz 448.6 § 6 KDVG Nr. 3 S. 1 f., vom 11. Oktober 2000 - BVerwG 6 B 47.00 - Buchholz 448.6 § 5 KDVG Nr. 10 S. 7 und vom 30. Mai 2001 - BVerwG 6 B 31.01 - Buchholz 448.6 § 19 KDVG Nr. 5 S. 1 f.). Von diesem Erfordernis, das der besonderen Bedeutung des Vorbringens des Wehrpflichtigen in Kriegsdienstverweigerungssachen Rechnung trägt, kann nur ausnahmsweise dann abgesehen werden, wenn schon das eigene Vorbringen des Wehrpflichtigen unschlüssig ist, weil sich aus ihm ergibt, dass er sich aus anderen als Gewissensgründen um die Anerkennung bemüht oder sich nicht im Sinne des § 1 KDVG der Beteiligung an jeder Waffenanwendung zwischen den Staaten widersetzt oder wenn sonst die gesamten Umstände des Falles den Schluss rechtfertigen, dass er keine ernsthafte Gewissensentscheidung getroffen hat. Letzteres kommt vor allem dann in Betracht, wenn der Wehrpflichtige nicht nur das Verwaltungsverfahren, sondern darüber hinaus auch das Klageverfahren nicht ernstlich, sondern uninteressiert und ohne den gebotenen Nachdruck betrieben hat und insbesondere unentschuldigt dem Verhandlungstermin ferngeblieben ist. Beschlüsse vom 24. September 2003 - BVerwG 6 B 34.03 - Buchholz 448.6 § 14 KDVG Nr. 28 S. 3 und vom 24. November 2004 - BVerwG 6 B 38.04 - juris Rn. 6 ff.
Im vorliegenden Fall hatte das Bundesamt für den Zivildienst den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer mit Bescheid vom 6. April 2009 und Widerspruchsbescheid vom 17. August 2009 gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 KDVG abgelehnt, weil der Kläger auch innerhalb hierfür gesetzter Fristen während des Verwaltungsverfahrens keine den Anforderungen des § 2 Abs. 2 Satz 3 KDVG entsprechende ausführliche Darlegung der Beweggründe für seine Gewissensentscheidung und damit keinen vollständigen Antrag im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 KDVG vorgelegt hatte. Eine ausführliche Darlegung seiner Gewissensgründe hat der Kläger mit Datum vom 23. Februar 2010 im verwaltungsgerichtlichen Verfahren beigebracht. In der mündlichen Verhandlung ist er erschienen und von dem Verwaltungsgericht informatorisch angehört worden.
Das Verwaltungsgericht hat eine Rechtfertigung für die verspätete Darlegung der Gewissensgründe durch den Kläger nicht erkennen können und ausgeführt, das Schreiben vom 23. Februar 2010 und - ohne dass es hierauf noch entscheidend ankäme - das Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung seien nicht geeignet, ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung nach Maßgabe des § 5 KDVG zu begründen. Dabei hat das Verwaltungsgericht jedenfalls auch darauf abgestellt, dass es an einer intensiven Auseinandersetzung des Klägers mit den Kategorien Recht und Unrecht sowie Gut und Böse fehle. Daraus ist zu entnehmen, dass es das Anerkennungsbegehren nicht bereits als unschlüssig angesehen hat. In dieser Konstellation hätte es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der sog. Vollprüfung des Anerkennungsbegehrens auf der Grundlage einer förmlichen Parteivernehmung bedurft. Indem das Verwaltungsgericht die Klage ohne vorherige Durchführung dieses Verfahrensschritts abgewiesen hat, hat es seine Aufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO verletzt. Das Urteil beruht auf diesem Verfahrensverstoß, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Verwaltungsgericht unter Berücksichtigung einer im Rahmen der Parteivernehmung abgegebenen Darstellung die Gewissensgründe des Klägers anders als geschehen bewertet hätte.
3. Liegt nach alledem ein Verfahrensmangel vor, auf dem die vorinstanzliche Entscheidung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO beruht, macht der beschließende Senat von der Möglichkeit des § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Dieser Verfahrensweise steht nicht entgegen, dass die Beschwerde neben der Verfahrensrüge auch auf die Divergenzrüge (§ 10 Abs. 2 Satz 1 und 2 KDVG, § 135 Satz 3 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützt ist. Denn auch die Divergenzrüge bezieht sich ihrem Inhalt nach nur auf das Verfahren, das bei der gerichtlichen Prüfung von Begehren auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer einzuhalten ist, so dass mit ihr eine über den Erfolg der Verfahrensrüge hinausgehende Aussage in keinem Fall gewonnen werden kann (vgl. in diesem Sinne: Beschlüsse vom 7. September 1995, vom 24. September 2003 und vom 24. November 2004, jeweils a.a.O.).