Entscheidungsdatum: 03.08.2018
1. Ein Berufssoldat, der als Kriegsdienstverweigerer anerkannt werden will, muss in der gerichtlichen Parteivernehmung schlüssig darlegen, dass sich seine gewissensmäßige Einstellung zum Kriegsdienst mit Waffen grundlegend gewandelt hat (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 2. März 1989 - 6 C 10.87 - BVerwGE 81, 294).
2. Das Verwaltungsgericht muss die Beweggründe des Klägers nur weiter aufklären, wenn sich hierfür aus seinen Schilderungen in der Parteivernehmung ein tragfähiger Ansatz ergibt.
I
Der Kläger will als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen anerkannt werden. Er leistete 2005/2006 Grundwehrdienst, absolvierte im Anschluss daran als Soldat auf Zeit eine Ausbildung zum Flugsicherungskontrolloffizier (Fluglotse) und wurde nach deren erfolgreichem Abschluss im November 2012 Berufssoldat. Seit 2014 war er neben seiner Tätigkeit in der Flugsicherungskontrolle damit befasst, Vorbereitungslehrgänge für Auslandseinsätze zu planen und durchzuführen.
Im Jahr 2015 stellte der Kläger erfolglos einen Antrag auf Versetzung an einen anderen Standort, den er unter anderem mit schlechten beruflichen Perspektiven am bisherigen Standort und den Schwierigkeiten begründete, dort eine Arbeitsstelle für seine Ehefrau zu finden. Im Jahr 2016 stellte er nacheinander erfolglos Anträge auf Umwandlung des Berufssoldatenverhältnisses in ein Zeitsoldatenverhältnis mit dem Ziel der zeitnahen Entlassung und auf Entlassung. Die Beklagte lehnte die Anträge ab; dabei teilte sie dem Kläger im Mai 2016 mit, eine Entlassung käme frühestens im April 2021 in Betracht.
Im August 2016 stellte der Kläger den Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer ("KDV-Antrag"), den die Beklagte ebenfalls ablehnte. Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. In den Urteilsgründen heißt es im Wesentlichen: Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, eine als unbedingt bindend empfundene Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe getroffen zu haben, bei deren Nichtbeachtung er in schwere Gewissensnot gerate. Seine Angaben in der mündlichen Verhandlung wichen erheblich von seinem schriftlichen Vorbringen ab. In der Verhandlung habe er seine Gewissensentscheidung auf Gespräche mit seiner Ehefrau und sein Fernstudium der Psychologie zurückgeführt. Dagegen sei er auf seine christlichen Glaubensüberzeugungen, auf die er schriftlich maßgebend abgestellt habe, erst auf Nachfrage eingegangen. Auch den schriftlich geäußerten Beweggrund, die Bundeswehr könne zur Terrorbekämpfung im Innern eingesetzt werden, habe er in der mündlichen Verhandlung nicht erwähnt.
Davon unabhängig könnten die Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung zwar einen Reifeprozess und Erkenntnisgewinn belegen, nicht aber eine innere Umkehr hin zu einer Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit Waffen. Es sei nicht hinreichend deutlich geworden, dass das Umdenken des Klägers maßgebend auf einer Gewissensnot beruhe. Der Kläger habe nicht überzeugend dargelegt, warum er aus seinen Glaubensüberzeugungen nunmehr gegenteilige Schlüsse ziehe als bei seinem Eintritt in die Bundeswehr und während seiner Ausbildung. Die zeitliche Abfolge seiner Anträge lasse darauf schließen, dass er die Bundeswehr auch wegen der Unzufriedenheit mit seiner beruflichen Lage verlassen wolle. Insbesondere sei seine Erwartung enttäuscht worden, ausschließlich in der Flugsicherungskontrolle eingesetzt zu werden. Da der Prozess der Gewissensbildung nach der Schilderung des Klägers im März 2016 abgeschlossen gewesen sei, sei nicht nachvollziehbar, warum er mit der Stellung des "KDV-Antrags" bis August 2016 zugewartet habe.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger, das Verwaltungsgericht habe die Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO verletzt. Es habe für die Gewissensentscheidung bedeutsame Gesichtspunkte nicht oder unzulänglich berücksichtigt, weil es hierzu keine Fragen gestellt habe. Dies gelte für die schriftlich dargelegten Glaubensüberzeugungen des Klägers, deren Wandel seit dem Eintritt in die Bundeswehr, die Bedeutung seiner Gespräche mit einem Militärpfarrer und einer Seelsorgerin, die Schwangerschaft der Ehefrau, die von ihm als einschneidend erlebten Terroranschläge und die daraus gezogene Schlussfolgerung, es seien Bundeswehreinsätze im Innern zu befürchten, die Teilnahme an einer Vielzahl von Schießübungen seit 2014 sowie seine Ablehnung von Auslandseinsätzen, weil ihm der Waffendienst generell Gewissensnot verursache. Der Kläger habe den "KDV-Antrag" als letzten Ausweg aus seinem Gewissenskonflikt angesehen.
II
Aufgrund des Darlegungserfordernisses nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO darf der Senat bei der Entscheidung über die Zulassung der Revision nur diejenigen Gesichtspunkte berücksichtigen, die der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung angeführt hat. Demnach hat der Senat ausschließlich zu prüfen, ob dem vorinstanzlichen Urteil ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO anhaftet, weil eine Aufklärungsrüge des Klägers durchgreift. Dies ist jedoch nicht der Fall.
1. Nach § 86 Abs. 1 VwGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Daraus folgt die Verpflichtung, alle Aufklärungsbemühungen zu unternehmen, auf die die Beteiligten - insbesondere durch begründete Beweisanträge - hinwirken oder die sich hiervon unabhängig aufdrängen. Anlass zu weiterer Aufklärung besteht, wenn die bisherigen Tatsachenfeststellungen eine Entscheidung auf der Grundlage der materiellen Rechtsauffassung des Gerichts nicht sicher tragen (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juli 2011 - 2 C 28.10 - BVerwGE 140, 199 Rn. 25).
Nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO muss der Beschwerdeführer die geltend gemachten Verstöße gegen das Gebot der erschöpfenden Sachaufklärung in der Beschwerdebegründung bezeichnen. Hierfür muss er schlüssig darlegen, welche Aufklärungsmaßnahmen das Gericht hätte ergreifen müssen, welche Feststellungen es dabei voraussichtlich getroffen hätte und inwiefern dies zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätte führen können. Auch muss der Beschwerdeführer darlegen, dass er in der Tatsacheninstanz auf eine bestimmte Sachaufklärung hingewirkt hat oder hierzu nach dem Prozessverlauf außerstande gewesen ist. Die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse in der Tatsacheninstanz zu kompensieren (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
2. Das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung die Rechtssätze der bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen nach Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG zugrunde gelegt: Danach setzt der Anspruch, als Kriegsdienstverweigerer anerkannt und damit vom Wehrdienst verschont oder befreit zu werden, voraus, dass der Betroffene eine Gewissensentscheidung gegen das Töten im Krieg getroffen hat, die er als für sich unbedingt verpflichtend empfindet, sodass ihre Missachtung voraussichtlich eine schwere Gewissensnot hervorrufen würde. Dies ist aufgrund der persönlichen Entwicklung, der Lebensführung, des bisherigen Verhaltens, der Einflüsse, denen er ausgesetzt war und noch ist, sowie aufgrund der Motivation seiner Entscheidungsbildung zu beurteilen (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 18. Oktober 1972 - 8 C 46.72 - BVerwGE 41, 53 <55>; vom 24. Oktober 1984 - 6 C 49.84 - BVerwGE 70, 216 <221> und vom 1. Februar 1989 - 6 C 61.86 - BVerwGE 81, 239 <240 f.>). Dieser Maßstab gilt auch für Personen, die Wehrdienst geleistet haben oder noch leisten. Bei ihnen kommt es darauf an, ob sie in Bezug auf ihre gewissensmäßige Einstellung zum Kriegsdienst mit der Waffe eine innere Umkehr vollzogen haben. Diese kann auf einem sog. Schlüsselerlebnis beruhen oder das Ergebnis eines grundlegenden Wandelungsprozesses sein (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 2. März 1989 - 6 C 10.87 - BVerwGE 81, 294 <295 f.>).
Von einer solchen Gewissensentscheidung ist auszugehen, wenn hierfür aufgrund einer Gesamtwürdigung aller in Betracht kommenden Umstände eine hohe Wahrscheinlichkeit spricht. Das Verwaltungsgericht muss als Ergebnis seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung hinreichend sicher überzeugt sein, dass der Kläger die erforderliche Gewissensentscheidung getroffen hat (stRspr, vgl. Urteile vom 18. Oktober 1972 - 8 C 46.72 - BVerwGE 41, 53 <56 ff.>; vom 24. Oktober 1984 - 6 C 49.84 - BVerwGE 70, 216 <220 f.> und vom 1. Februar 1989 - 6 C 61.86 - BVerwGE 81, 239 <240 f.>; Beschluss vom 26. Juni 2014 - 6 B 17.14 - Buchholz 448.6 § 5 KDVG Nr. 11 Rn. 6 ff.).
3. Da Gewissensentscheidungen das Ergebnis innerer Erkenntnisprozesse sind, hängen Entscheidungen über die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer von der Beurteilung innerer Vorgänge ab. Dies wirkt sich auf Art und Umfang der gerichtlichen Sachaufklärung und dementsprechend auf die Darlegungsanforderungen aus, die an Aufklärungsrügen zu stellen sind:
Zum einen muss sich die gerichtliche Überzeugungsbildung auf die Angaben des Klägers stützen. Es kommt maßgebend auf die Schlüssigkeit und Glaubhaftigkeit seines Vorbringens an. Anderen Beweismitteln kann nur die Bedeutung zukommen, dieses Vorbringen zu untermauern. Daher muss sich das Verwaltungsgericht nicht nur einen persönlichen Eindruck von dem Betroffenen verschaffen, sondern ihn als Partei vernehmen, um seine Gewissensbildung zu ergründen (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 3. September 1987 - 6 C 11.86 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 192 S. 4 ff.; Beschlüsse vom 13. September 2010 - 6 B 31.10 - Buchholz 448.6 § 2 KVDG Nr. 6 Rn. 3 und vom 29. Juni 2017 - 6 B 63.16 [ECLI:DE:BVerwG:2017:290617B6B63.16.0] - juris Rn. 9).
Zum anderen muss der Kläger an der Sachaufklärung mitwirken. Es obliegt ihm, im Rahmen der Parteivernehmung diejenigen Gründe umfassend darzulegen, die seine Gewissensentscheidung geprägt oder doch beeinflusst haben. Hierbei hat er sich auch mit denjenigen Erwägungen auseinanderzusetzen, auf denen die ablehnende Verwaltungsentscheidung beruht. Hat der Kläger bereits Kriegsdienst mit der Waffe geleistet, muss er schlüssig darlegen, wie sein Wandelungsprozess hin zu einer als unbedingt verpflichtend empfundenen Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst abgelaufen ist. Aufgrund dieser Mitwirkungspflicht müssen sich dem Verwaltungsgericht weitere Aufklärungsbemühungen zur Gewissenserforschung, seien es Nachfragen an den Kläger im Rahmen der Parteivernehmung oder weitere Beweiserhebungen, nur aufdrängen, wenn sich aus dessen Schilderungen hierfür ein tragfähiger Ansatz ergibt. Dies kann der Fall sein, wenn der Kläger selbst auf bestimmte Gesichtspunkte oder weitere Aufklärungsmöglichkeiten zu sprechen gekommen ist. Hier kann sich dem Verwaltungsgericht aufdrängen, ihm durch Nachfragen Gelegenheit zur Ergänzung seines Vortrags zu geben. Dagegen ist es nicht Sache des Verwaltungsgerichts, alle in Betracht kommenden Gründe für eine Gewissensentscheidung von sich aus anzusprechen, wenn der Vortrag in der Parteivernehmung hierfür keine Anhaltspunkte bietet. Das Verwaltungsgericht muss den Kläger nicht zu erheblichen Lücken und Ungereimtheiten seines Vortrags befragen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 13. Juni 2014 - 6 B 32.14 - Buchholz 448.6 § 2 KDVG Nr. 8 Rn. 8; vom 29. Juni 2017 - 6 B 63.16 - juris Rn. 9 und vom 12. Dezember 2017 - 6 B 30.17 - juris Rn. 15).
4. Nach diesem Maßstab genügt der Beschwerdevortrag des Klägers den Darlegungsanforderungen nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht: Wie unter 3. dargelegt, hat es dem Kläger oblegen, die maßgebenden Gründe für seine Gewissensentscheidung in der Parteivernehmung von sich aus erschöpfend anzugeben. Er hätte den Entwicklungsprozess nachvollziehbar darstellen müssen, der im Ergebnis den tiefgreifenden Wandel seiner gewissensmäßigen Einstellung zum Kriegsdienst mit der Waffe herbeigeführt haben soll. Davon ausgehend hätte sich die Beschwerdebegründung damit befassen müssen, aufgrund welcher Aspekte des Vortrags des Klägers in der Parteivernehmung sich dem Verwaltungsgericht die genannten Nachfragen hätten aufdrängen müssen. Demgegenüber nimmt die Beschwerdebegründung an, das Verwaltungsgericht habe alle in Betracht kommenden Beweggründe für eine Gewissensentscheidung unabhängig von den Angaben des Klägers abfragen müssen. Auch legt die Beschwerdebegründung nicht dar, dass der Kläger außerstande gewesen ist, seine maßgebenden Beweggründe für die geltend gemachte Gewissensnot bei der Schilderung seines Wandelungsprozesses im Verlauf der dreistündigen Parteivernehmung anzugeben. Der Hinweis auf häufige Unterbrechungen der Schilderungen des Klägers von Seiten des Gerichts reicht hierfür angesichts der Dauer der Parteivernehmung nicht aus. Schließlich verhält sich die Beschwerdebegründung nicht dazu, wie der Kläger die unterbliebenen Nachfragen beantwortet hätte und wie sich die Antworten des Klägers zu den Nachfragen auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ausgewirkt hätten. Hierzu hätte sie jedenfalls darlegen müssen, welche Bedeutung die einzelnen Beweggründe für seine Gewissensentscheidung gehabt haben sollen.
Davon unabhängig lässt sich auch der Beschwerdebegründung nicht entnehmen, wie sich der Wandelungsprozess des Klägers nach Ende seiner Ausbildung vollzogen haben soll. Sie benennt zwar Personen und Vorgänge, die den Kläger beeinflusst haben. Sie legt aber den Ablauf des inneren Erkenntnisprozesses nicht dar, der allmählich dazu geführt haben soll, dass sich der Kläger von einem Befürworter des Kriegsdienstes mit Waffen zu einer Persönlichkeit gewandelt hat, der dieser von ihr unbedingt abgelehnte Dienst schwere Gewissensnöte verursacht.
So ist der Kläger nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts, die den Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO binden, auf seine christlichen Glaubensüberzeugungen, die er zuvor als entscheidenden Faktor für seine innere Umkehr dargestellt hatte, erst am Ende der Parteivernehmung auf die Frage des Beklagtenvertreters zu sprechen gekommen. Aus dem Umstand, dass er diese Überzeugungen von sich aus nicht mehr erwähnt hat, hat das Verwaltungsgericht ohne weitere Fragen den Schluss ziehen können, es stehe nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit fest, dass sie Grundlage einer als unbedingt verpflichtend empfundenen Gewissensentscheidung gegen das Töten im Krieg sein und eine schwere Gewissensnot hervorrufen können.
Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung ausschlaggebend darauf gestützt, dass der Kläger den "KDV-Antrag" erst gestellt hat, nachdem seine Anträge auf Versetzung, Umwandlung des Soldatenverhältnisses und Entlassung abgelehnt worden waren. Dies lässt einen Verstoß gegen Grundsätze der Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht erkennen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Dezember 2017 - 6 B 30.17 - juris Rn. 5 ff.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.