Entscheidungsdatum: 18.05.2011
Für Klagen gegen die Anfertigung erkennungsdienstlicher Unterlagen als Maßnahme der vorsorgenden Strafrechtspflege nach § 81b 2. Alternative StPO ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.
Die vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG zugelassene weitere Beschwerde ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hat für den vorliegenden Rechtsstreit zu Unrecht den Verwaltungsrechtsweg gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG für unzulässig erklärt.
Die vorliegende Klage, mit der die Klägerin die Aufhebung der angegriffenen behördlichen Entscheidung über die Anfertigung von Unterlagen für Zwecke des Erkennungsdienstes (§ 81b 2. Alternative StPO) begehrt, ist eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art, für die mangels einer anderweitigen bundesgesetzlichen Regelung der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Insbesondere scheidet eine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte nach § 23 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz in der Fassung vom 16. März 1976 (BGBl I S. 581) - EGGVG - aus. Diese Bestimmung weist Entscheidungen über Anordnungen, Verfügungen oder sonstige Maßnahmen, die von den Justizbehörden zur Regelung einzelner Angelegenheiten u.a. auf dem Gebiet der Strafrechtspflege getroffen werden - die übrigen in § 23 Abs. 1 EGGVG genannten Sachgebiete kommen vorliegend von vornherein nicht in Betracht -, den ordentlichen Gerichten zu. Diese Vorschrift erfasst nur Rechtsstreitigkeiten über Anordnungen, Verfügungen und sonstige Maßnahmen, die zur Verfolgung einer strafbaren Handlung getroffen worden sind (vgl. Urteile vom 3. Dezember 1974 - BVerwG 1 C 26.72 - Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 138
Während § 81b 1. Alternative StPO mit der ausdrücklichen Benennung der tatbestandlichen Voraussetzung "für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens" der Strafverfolgung dient, soll die Ermächtigung in § 81b 2. Alternative StPO der zukünftigen Durchführung der Strafverfolgung in Bezug auf mögliche spätere oder später bekannt werdende Straftaten zugute kommen. Es handelt sich bei § 81b 2. Alternative StPO nicht um eine Regelung im Bereich der Strafverfolgung, sondern um die Ermächtigung zu Maßnahmen der Strafverfolgungsvorsorge, die außerhalb konkreter Strafverfahren erfolgen und auf die deshalb die §§ 23 ff. EGGVG nicht anwendbar sind (vgl. Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 6. Aufl. 2009, Rn. 30 und Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. 2007, E Rn. 177). Die dagegen vom Verwaltungsgerichtshof geltend gemachten Einwände überzeugen den Senat nicht.
Dem Verwaltungsgerichtshof ist nicht darin zu folgen, dass gegen die Zuordnung von Maßnahmen auf der Grundlage des § 81b 2. Alternative StPO zum Recht der Gefahrenabwehr spreche, dass sie der Strafverfolgungsvorsorge dienten. Auch solche Maßnahmen dienen nicht dem Zweck der Verfolgung begangener Straftaten und sind deshalb Instrumente des Polizeirechts. Aus der vom Verwaltungsgerichtshof für seine abweichende Auffassung in Anspruch genommenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich nichts anderes. Der Verwaltungsgerichtshof nimmt insoweit Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der auch Maßnahmen, die sich auf künftige Strafverfahren beziehen, der Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG unterfallen und dem Bundesgesetzgeber für die Verhütung einer Straftat die Gesetzgebungskompetenz fehlt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Dezember 2000 - 2 BvR 1741/99 u.a. - BVerfGE 103, 21 <30 f.> und Urteil vom 27. Juli 2005 - 1 BvR 668/04 - BVerfGE 113, 348 <368 f. und 370 f.>). Daraus folgt nichts für die hier interessierende Frage des Rechtswegs für Streitigkeiten im Zusammenhang mit Maßnahmen der Strafverfolgungsvorsorge. Dies gilt gleichermaßen für die vom Verwaltungsgerichtshof auch in Bezug genommene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der Regelungen über die nachträgliche Sicherungsverwahrung eines verurteilten Straftäters auf den Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gestützt werden können (vgl. BVerfG, Urteil vom 10. Februar 2004 - 2 BvR 834, 1588/02 - BVerfGE 109, 190 <211 ff.>). Da die beiden Alternativen des § 81b StPO unterschiedliche Zwecke verfolgen, kann - entgegen der Meinung des Verwaltungsgerichtshofs - die Zuweisung von Streitigkeiten über Maßnahmen auf der Grundlage des § 81b 2. Alternative StPO an die ordentliche Gerichtsbarkeit auch nicht damit begründet werden, dass für die Anfechtung von Maßnahmen im Sinne der ersten Alternative des § 81b StPO nach § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG die ordentlichen Gerichte zuständig seien und dies für den Streit um die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen "desselben Rechtsgebiets" nicht anders gesehen werden könne.
Die Aufbewahrung der erkennungsdienstlichen Unterlagen dient zwar der Strafrechtspflege, erfolgt jedoch außerhalb eines konkreten Strafverfahrens; mithin liegt keine Maßnahme auf dem Gebiet des Strafprozesses vor, und die §§ 23 ff. EGGVG sind deshalb nicht anwendbar (Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. 2007, E Rn. 177). Schließlich spricht, soweit entsprechende Befugnisse - wie dies meist zutrifft - in den Polizeigesetzen der Länder geregelt sind, der Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs dafür, hier wie auch sonst bei polizeilichen Gefahrenabwehrmaßnahmen den Rechtsweg gemäß § 40 VwGO für einschlägig anzusehen. Das liegt umso näher, als die entsprechenden Strafverfolgungsvorsorgebefugnisse nicht für die Staatsanwaltschaft gelten und damit wesentliche Gründe, welche sonst bei Strafverfolgungsmaßnahmen der Polizei für die Ergreifung des Rechtswegs gemäß § 23 EGGVG sprechen, hier entfallen (vgl. Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 6. Aufl. 2009, Rn. 427).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Anfechtung über die Verweisung löst ein selbstständiges Rechtsmittelverfahren aus, in dem nach den allgemeinen Vorschriften über die Kosten zu befinden ist (vgl. Beschluss vom 18. Mai 2010 - BVerwG 1 B 1.10 - BVerwGE 137, 52 Rn. 13). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 GKG.