Entscheidungsdatum: 13.11.2014
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 29. Juli 2013 - 10 Sa 1114/12 - aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Die Parteien streiten über die Rückzahlung des der Beklagten im Wege einer mittelbaren Zuwendung über das Konto der Ehefrau des späteren Schuldners gezahlten Nettoentgelts für März 2008 im Wege der Insolvenzanfechtung.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das auf Eigenantrag des Schuldners vom 13. Mai 2008 am 27. Juni 2008 eröffnete Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners, das am 20. Januar 2011 in ein Nachlassinsolvenzverfahren übergeleitet wurde. Die Beklagte war Arbeitnehmerin des Schuldners, der im Frühjahr 2008 noch ca. 20 weitere Arbeitnehmer beschäftigte. Der Beklagten wurde nach ihrer zum 15. April 2008 erklärten Eigenkündigung mit Bescheid vom 14. August 2008 Insolvenzgeld für die Zeit vom 1. bis 15. April 2008 bewilligt.
Am 3. März 2008 leitete der frühere Geschäftspartner des Schuldners die Zwangsvollstreckung aus einem am 8. Februar 2008 geschlossenen Schuldanerkenntnis über 820.000,00 Euro, in dem sich der Schuldner der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hatte, ein. Am 26. März 2008 wurde vom Geschäftskonto des Schuldners, das sich zu diesem Zeitpunkt bereits mit mehr als 150.000,00 Euro im Soll befand, ein Betrag von 100.000,00 Euro mit dem Verwendungszweck „Löhne“ auf ein privates Girokonto seiner Ehefrau überwiesen. Der Schuldner war nie Inhaber dieses Kontos und hatte seit Eröffnung im Jahr 1995 zu keiner Zeit Vollmacht über dieses Konto. Am 28. März 2008 überwies die Ehefrau des Schuldners ua. das Nettoentgelt der Beklagten für März 2008 von 1.296,66 Euro, das ihr am Ende des Monats März 2008 mit der Angabe „W Architekten Lohn - Gehalt Abrechnung 3/2008“ gutgeschrieben wurde.
Der Kläger erklärte mit Schreiben vom 21. Dezember 2011 die Anfechtung der Zahlung des Entgelts für März 2008. Dieses Schreiben ging der Beklagten nicht zu. Am 30. Dezember 2011 beantragte der Kläger bei dem Arbeitsgericht Hannover den Erlass eines Mahnbescheids. Den Anspruch bezeichnete er wie folgt:
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„Anspruch auf Rückgewähr auf Grund Insolvenzanfechtung des über das Konto der H M für den Monat März 2008 gezahlten Arbeitsentgeltes i. H. v. 1.296,66 EUR netto“. |
Der am 3. Januar 2012 erlassene Mahnbescheid konnte nicht zugestellt werden, weil die Beklagte unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln war. Darauf wies das Arbeitsgericht den Kläger mit Schreiben vom 17. Januar 2012 hin. Dessen Anfrage beim Einwohnermeldeamt ergab, dass die Beklagte nach Finnland verzogen war. Über die Deutsche Botschaft in Finnland erhielt der Kläger am 3. Februar 2012 die finnische Anschrift der Beklagten, die er mit Schreiben vom 6. Februar 2012 dem Arbeitsgericht mitteilte. Die am 15. Februar 2012 eingeleitete Auslandszustellung führte am 23. Februar 2012 zur Zustellung. Die Beklagte erhob vor Erlass eines Vollstreckungsbescheids Widerspruch.
Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.296,66 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27. Juni 2008 zu zahlen. |
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags vorgetragen, die Zahlung habe keine inkongruente Deckung bewirkt. Der Anspruch sei zudem verjährt. Ohnehin sei Anfechtungsgegnerin allein die Bundesagentur für Arbeit, weil das angefochtene Entgelt insolvenzgeldfähig sei.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Die Revision hat Erfolg. Mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts konnte die Klage nicht abgewiesen werden. Auf der Grundlage des bisher festgestellten Sachverhalts kann der Senat nicht entscheiden, ob der Anfechtungstatbestand des § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO erfüllt ist. Dazu bedarf es noch der Feststellung des Landesarbeitsgerichts, ob der Schuldner im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung zahlungsunfähig war. Der Rechtsstreit war daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
I. Der Kläger hat die mittelbar über das Konto der Ehefrau des Schuldners bewirkte Erfüllung des (Netto-)Entgeltanspruchs für März 2008 und damit eine Rechtshandlung des Schuldners angefochten. Das hat der Senat in seiner Entscheidung vom 13. November 2014 (- 6 AZR 869/13 - Rn. 12) ausgeführt.
II. Entgegen der Auffassung der Beklagten richtet sich die Anfechtung ungeachtet des Umstands, dass sie Insolvenzgeld für die Zeit vom 1. bis 15. April 2008 erhalten hat, gegen sie und nicht gegen die Bundesagentur für Arbeit.
1. Die Bundesagentur für Arbeit ist nur Anfechtungsgegnerin, soweit der Anspruch gemäß § 169 Satz 1 SGB III auf sie übergegangen ist (BAG 29. Januar 2014 - 6 AZR 345/12 - Rn. 13; aA Zwanziger Kommentar zum Arbeitsrecht der Insolvenzordnung 4. Aufl. Einführung Rn. 391 zur wortgleichen Vorgängerbestimmung in § 187 Satz 2 SGB III). Das ergibt sich aus Systematik und Zweck des Insolvenzgeldanspruchs. Arbeitsentgelt- und Insolvenzgeldanspruch sind akzessorisch ausgestaltet. Insolvenzgeld wird nur geleistet, soweit ein Anspruchsübergang nach § 169 SGB III erfolgt. Darum ist es gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III nur zu gewähren, soweit „noch“ Anspruch auf Arbeitsentgelt besteht. Hieran fehlt es, wenn der Anspruch wie vorliegend (zunächst) durch Erfüllung erloschen ist (Voelzke in Hauck/Noftz SGB III 2. Aufl. Stand Oktober 2014 K § 165 Rn. 163). Der Insolvenzgeldanspruch bestand aufgrund dieser Systematik nach der Erfüllung des Entgeltanspruchs für März 2008 im Zeitpunkt des Antrags auf Insolvenzgeld im Jahr 2008 nicht und konnte darum auch nicht durch diesen Antrag auf die Bundesagentur für Arbeit übergehen. Er entstünde allenfalls neu, wenn die Anfechtung Erfolg hat, die Ausschluss- bzw. Nachfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 SGB III gewahrt sind und der Insolvenzgeldzeitraum nicht ausgeschöpft ist (BAG 29. Januar 2014 - 6 AZR 345/12 - Rn. 33 f.).
2. Darüber hinaus hat die Beklagte nicht vorgetragen, dass sie nicht nur für die Zeit vom 1. bis 15. April 2008, sondern auch für März 2008 Insolvenzgeld beantragt hat.
III. Die Begründung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe das Entgelt für März 2008 auf dem erfolgten Zahlungsweg beanspruchen können, weil nur eine geringfügige, die Gläubigerinteressen nicht beeinträchtigende Abweichung vorliege, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Sie trägt dem Grundgedanken des § 131 InsO nicht hinreichend Rechnung. Die Befriedigung erfolgte nicht in der geschuldeten Art und war damit inkongruent. Insbesondere erfordert entgegen der Auffassung der Beklagten eine inkongruente Deckung nicht, dass sie unter äußeren Umständen erfolgt ist, die für den Anfechtungsgegner die Verdächtigkeit der Leistung erkennen ließ. Die von der Beklagten insoweit herangezogenen Ausführungen in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20. Januar 2011 (- IX ZR 58/10 - Rn. 17) beziehen sich nur auf die erforderliche objektive Verdächtigkeit der Zahlung. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf seine Ausführungen zur inkongruenten Deckung in seiner Entscheidung vom 13. November 2014 (- 6 AZR 869/13 - Rn. 14 bis 29).
Die Beklagte hat auch erkannt, dass es sich bei der Zahlung des Nettoentgelts für März 2008 um eine Leistung des Schuldners handelte (vgl. zu diesem Erfordernis BAG 21. November 2013 - 6 AZR 159/12 - Rn. 13, BAGE 146, 323). Die Zahlung erfolgte mit dem Zusatz „W Architekten Lohn - Gehalt Abrechnung 3/2008“, weswegen die Beklagte nach ihrem Vortrag davon ausging, das Entgelt sei durch den Schuldner als Arbeitgeber gezahlt worden.
1. Die Beklagte erlangte die inkongruente Deckung Ende März 2008 und damit im zweiten Monat vor dem am 13. Mai 2008 beim Insolvenzgericht eingegangenen Eigenantrag. Auch die erforderliche Gläubigerbenachteiligung iSd. § 129 InsO liegt vor. Das ergibt sich aus den Ausführungen des Senats in seiner Entscheidung vom 13. November 2014 (- 6 AZR 869/13 - Rn. 32 bis 39).
2. Die Einrede der Verjährung (§ 146 Abs. 1 InsO iVm. § 214 Abs. 1, §§ 194 ff. BGB) hat keinen Erfolg.
a) Entgegen der Auffassung der Beklagten und des Arbeitsgerichts ist der Anfechtungsanspruch nicht schon deshalb verjährt, weil der Beklagten vor Ablauf des Jahres 2011 keine Anfechtungserklärung zugegangen ist. Der Senat verweist insoweit auf seine Ausführungen in seiner Entscheidung vom 13. November 2014 (- 6 AZR 869/13 - Rn. 43 f.).
b) Die gemäß § 146 Abs. 1 InsO, §§ 195, 199 Abs. 1 BGB am 31. Dezember 2011 eintretende Verjährung wurde durch den Antrag auf Erlass des Mahnbescheids gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB gehemmt.
aa) Der durch die unrichtige Adressierung des Mahnantrags erforderliche Schriftwechsel zwischen Mahngericht und dem Kläger führte nicht zu einer rechtserheblichen Verzögerung der Auslandszustellung. Zwar wurde der Mahnbescheid der Beklagten nicht mehr vor Ablauf der Verjährungsfrist zugestellt. Die Zustellung erfolgte jedoch „demnächst“ iSd. § 167 ZPO. Die Verzögerung der Zustellung durch die Angabe der unzutreffenden Anschrift der Beklagten ist dem Kläger nicht zuzurechnen. Das hat der Senat in seiner Entscheidung vom 13. November 2014 (- 6 AZR 870/13 - Rn. 17 bis 19) ausgeführt und nimmt darauf Bezug. Die durch die erforderliche Auslandszustellung eingetretene Verzögerung fiel nicht in die Risikosphäre des Klägers. Die Verantwortung für die korrekte und effiziente Durchführung des Verfahrens bei Zustellungen im Ausland liegt nach der gesetzlichen Regelung allein bei den Justizbehörden (BAG 23. August 2012 - 8 AZR 394/11 - Rn. 40, BAGE 143, 50).
bb) Der Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids war auch hinreichend individualisiert. Das hat der Senat in seiner Entscheidung vom 13. November 2014 (- 6 AZR 869/13 - Rn. 48 bis 50) begründet.
3. Der Rückforderungsanspruch ist nicht verwirkt. Insoweit wird auf die Ausführungen des Senats im Urteil vom 13. November 2014 (- 6 AZR 869/13 - Rn. 52 f.) verwiesen.
V. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO). Das Landesarbeitsgericht hat keine Feststellungen zu der für § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO erforderlichen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners iSv. § 17 Abs. 2 InsO im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung getroffen. Dies wird es unter Beachtung der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung (BAG 6. Oktober 2011 - 6 AZR 262/10 - Rn. 23 ff., BAGE 139, 235; BGH 7. November 2013 - IX ZR 49/13 - Rn. 11; 18. Juli 2013 - IX ZR 143/12 - Rn. 7 ff.) nachzuholen haben. Sollte es die Zahlungsunfähigkeit bejahen, wird es bei seiner Entscheidung über die Zinsen zu beachten haben, dass der Einwand des missbräuchlichen Verhaltens dem geltend gemachten Zinsanspruch nicht entgegensteht. Das bloße Ausschöpfen der Verjährungsfrist begründet keinen Rechtsmissbrauch (vgl. BAG 27. November 2008 - 6 AZR 632/08 - Rn. 29, BAGE 128, 317). Es wird weiter berücksichtigen müssen, dass der Rückgewähranspruch ab Insolvenzeröffnung mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen ist. Nach der geltenden Rechtslage entsteht das Anfechtungsrecht mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und wird zugleich der Rückgewähranspruch fällig, weil die Insolvenzanfechtung keiner gesonderten Erklärung bedarf (vgl. BGH 1. Februar 2007 - IX ZR 96/04 - Rn. 20, BGHZ 171, 38). Der Zinslauf des Zinsanspruchs (§ 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 819 Abs. 1, § 291 Satz 1 Halbs. 2, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB) beginnt darum am Tag nach der Insolvenzeröffnung (st. Rspr. seit BAG 27. Februar 2014 - 6 AZR 367/13 - Rn. 39 f.).
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